Protokoll der Sitzung vom 03.02.2017

Lassen Sie uns ein weiteres Signal senden. Viele von uns waren in der letzten Woche bei der Gedenkveranstaltung am 27. Januar. Friedrich Schorlemmer hatte wirklich viele wichtige Botschaften an diesem Tag. Eine entscheidende war in meinen Augen: Erinnern darf nicht zum bloßen Ritual werden. Gedenkreden und moralische Bekundungen dürfen nicht zu leeren Worthülsen werden, sondern Erinnern und Gedenken muss zu Handlungsansätzen für das Hier und Heute führen.

Gerade in Anbetracht der Geschichte staatlicher Verfolgung von als „nichtdeutsch“ Begriffenen in Deutschland wäre das Signal des politischen Willens des Landtages von Sachsen-Anhalt, die Möglichkeiten, die das Aufenthaltsrecht bietet, zu nutzen, um von rechter Gewalt Betroffenen ein Bleiberecht zu gewähren, ein richtiges, ein wichtiges und eines, das sowohl mit Blick auf die praktischen Folgen als auch mit Blick auf die damit verbundene Symbolwirkung dringend nötig wäre. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Quade. Ich sehe keine weiteren Nachfragen. Deswegen können wir in der Debatte fortfahren. Für die Landesregierung spricht nun Minister Herr Stahlknecht. Wir haben uns auf eine Fünfminutendebatte geeinigt. Bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag unter der Überschrift „Bleiberecht für Opfer rechter Straftaten“ thematisiert die Frak

tion DIE LINKE den Schutz von Flüchtlingen insbesondere vor politisch rechts motivierter Gewalt.

Ich möchte an dieser Stelle zunächst ausdrücklich betonen: Der Kampf gegen rechts motivierte Gewalt hat für uns oberste Priorität. Wir führen diesen Kampf mit dem Bund und mit den anderen Ländern mit großer Entschlossenheit. Dies gilt sowohl für die Prävention als auch für die konsequente und die koordinierte Verfolgung solcher Straftaten.

Die Kernforderung des Antrages der Fraktion DIE LINKE ist, die gesetzlichen Möglichkeiten des Aufenthaltsrechts zu nutzen, um Opfern von rechten Straftaten ein Bleiberecht einzuräumen.

Hierzu ist festzustellen, dass die bestehenden aufenthaltsrechtlichen Regelungen bereits einzelfallbezogene Lösungen ermöglichen. So ist zum Beispiel für die Dauer des Strafverfahrens eine Duldung zu erteilen, wenn die vorübergehende Anwesenheit des Betroffenen im Bundesgebiet von der Staatsanwaltschaft oder von dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird.

Darüber hinaus ergibt sich ein Bleiberecht für Opfer bestimmter Straftaten unmittelbar aus § 25 Abs. 4 Buchstabe a des Aufenthaltsgesetzes. Zudem kann diese Aufenthaltserlaubnis nach der Beendigung des Strafverfahrens unter bestimmten Umständen verlängert werden. Diese Möglichkeit besteht zum Beispiel dann, wenn humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Betreffenden in Deutschland erfordern.

Ein generelles Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt, unabhängig von den Bedürfnissen und Ergebnissen eines Strafverfahrens - wie in Brandenburg gesteuert durch einen Erlass - sehe ich kritisch. Schwierigkeiten dürfte in vielen Fällen bereits die Feststellung bereiten, dass die Straftat tatsächlich aus rechter bzw. rassistischer Motivation begangen wurde. Diese Einschätzung muss ausschließlich der Strafverfolgungsbehörde und gegebenenfalls dem Strafgericht obliegen.

Eine abweichende, eine strafrechtliche Einschätzung, eventuell sogar vorgreifende Beurteilung durch die Ausländerbehörde, die womöglich allein auf den Aussagen des Betroffenen beruht, ist nicht möglich. Eine solche Regelung würde ein nicht unerhebliches Missbrauchspotenzial mit Blick auf die Behinderung oder zumindest Verzögerung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bedeuten.

Mein Haus hat aus diesem Grund davon abgesehen, gegenüber den Kommunen darauf hinzuwirken, dass diese bei Opfern mutmaßlicher rechter Gewaltstraftaten unabhängig von den Bedürfnissen und Ergebnissen eines Strafverfahrens generell von der Möglichkeit der Erteilung einer Auf

enthaltserlaubnis oder einer Duldung Gebrauch machen.

Das heißt aber nicht, dass die Ausländerbehörden bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls nicht ausreichend würdigen und die im Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes genannten Aufenthaltsmöglichkeiten aus humanitären Gründen nicht umfassend in ihre Entscheidung einbeziehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Ausländerbehörden von den vorhandenen aufenthaltsrechtlichen Instrumenten sachgerecht Gebrauch machen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und von der Regie- rungsbank)

Ich sehe auch hier keine weiteren Nachfragen. Daher können wir jetzt in die Debatte der Fraktionen eintreten. Für die SPD hat die Abg. Frau Schindler das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fakten sind bekannt. Es sind tatsächliche Fakten, nicht postfaktische Fakten. Die Zahlen rassistischer Straftaten sind massiv angestiegen. Mein Kollege Grube hat heute früh in der Aktuellen Debatte einige von diesen Straftaten aufgezählt.

Opfer rassistischer Straftaten sind meist ausländische Staatsbürger. Es ist wichtig, Menschen besser vor Übergriffen zu schützen. Das ist die erste Staatspflicht. Aber es ist genauso auch Staatspflicht, jeder Straftat entgegenzuwirken, sie aufzuklären und zu verfolgen. Ein Straftäter darf sich nicht sicher fühlen, nur weil das Opfer oder die Zeugen kein festes Aufenthaltsrecht haben.

Die Aufklärungsquote und der Verfolgungsdruck müssen und können erhöht werden, indem wir vorübergehend ein Aufenthaltsrecht schaffen und so auch Nachahmern einen Riegel vorschieben.

(Zustimmung bei der SPD)

Ein Freispruch aufgrund fehlender Zeugenaussagen darf nicht sein; diesem müssen wir entgegenwirken. Rechte Straftäterinnen und Straftäter dürfen unter keinen Umständen den Eindruck gewinnen, dass sie durch die Abschiebung von Opfern und von Betroffenen ungestraft oder leichter davonkommen.

Handelt es sich bei den Opferzeugen um vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, muss es die Möglichkeit geben, die Abschiebung mindestens bis zum Abschluss des Strafverfahrens auszusetzen.

In unserem derzeitigen Rechtsrahmen bestehen Möglichkeiten. Sie sind von meinen Vorrednern

schon zitiert worden. § 60a Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes lässt die Aussetzung im Fall eines Strafverfahrens zu. Dieser regelt, dass die Anwesenheit des Ausländers als Zeuge für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird. Diese Prüfung geht also vor und muss der Entscheidung der Ausländerbehörde zugrunde liegen.

Dieser Rechtsrahmen soll im Sinne von Opfern und Zeugen aber noch weiter genutzt werden. Deshalb begrüßen wir als SPD ausdrücklich die Erlasslage, wie Sie in Brandenburg im Dezember 2016 geschaffen worden ist, um den handelnden Behörden und hier vor allen Dingen den Ausländerbehörden eine Entscheidungshilfe zu geben.

Möglichen Trägern von Bedenken, die es an dieser Stelle immer gibt, dass es dann zu einer ausufernden Nutzung des Ermessens kommt, möchte ich entgegenhalten: Auch in diesem Erlass gibt es Grenzen, zum Beispiel durch genau definierte Ausschlüsse.

Es gibt Ausschlussgründe, zum Beispiel wegen Selbstverschuldens. Die Ausübung des Ermessens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes kommt nicht in Betracht, wenn im Laufe des Strafverfahrens festgestellt wird, dass der Betroffene seine Opferrolle selbst gewählt bzw. verursacht hat - sein Verhalten darf für die Gewalttat nicht mit ursächlich gewesen sein - oder das Opfer bzw. der Zeuge selbst Straftäter ist oder ein Verbrechen begangen hat. Diese Ausschlussgründe sind durchaus feststellbar.

Wie eine solche Regelung für das Land SachsenAnhalt aussehen könnte, würde ich gern mit Ihnen im Innenausschuss diskutieren. Deshalb bitte ich darum, den vorliegenden Antrag in den Ausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich sehe auch hier keine Wortmeldungen. Deswegen können wir in der Debatte fortfahren. Für die AfD-Fraktion hat der Abg. Herr Kohl das Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE beantragt, in Anlehnung an einen Beschluss des Brandenburger Landtages die gesetzlichen Möglichkeiten des Aufenthaltsrechts zu nutzen, um Opfern rechter Straftaten ein Bleiberecht einzuräumen. Das überrascht; denn es gibt bereits Instrumente und Rechtsnormen, die den Antrag weitestgehend obsolet machen.

Zu nennen wäre unter anderem die Anrufung der Härtefallkommission oder § 60a Abs. 2 Satz 2.

Herr Stahlknecht und Frau Schindler haben die Regelung bereits zitiert. Das bedeutet, der Rechtsrahmen erlaubt es schon jetzt, die Abschiebung von Opfern oder von Betroffenen rechter Gewalt auszusetzen.

Warum also dieser Antrag? - Nun, der Fraktion DIE LINKE geht es um weit mehr. Frau Quade hat es mehr oder weniger deutlich gesagt: Opfern rechter Gewalt soll pauschal ein Bleiberecht eingeräumt werden. Dazu soll § 60a Abs. 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes regelmäßig so ausgelegt werden, dass Opfern rechter Gewalt aus dringenden humanitären Gründen eine Duldung erteilt wird.

In diesem Sinne ist der Antrag auch selbst begründet. Es wäre nichts Geringeres als ein Gebot der Humanität und des Anstandes, Opfern rechtsradikaler Gewalt ein Bleiberecht zu gewähren. Aus vorgeblich humanitären Gründen soll Opfern rechter Gewalt ein dauerhaftes Bleiberecht verschafft werden. Wenn humanitäre Gründe wirklich die entscheidende Rolle spielten, hätte es sich meiner Meinung nach gehört, dass ein solcher Antrag alle Opfer von Gewalttaten einbezieht. Das wäre schlüssig und glaubhaft gewesen.

Mit dem Antrag ist beabsichtigt, Opfer von rechter Gewalt von anderen Opfergruppen zu trennen, zu bevorteilen und zu instrumentalisieren.

(Beifall bei der AfD)

Für uns ist klar: Ein Opfer rechter Gewalt ist ebenso ein Opfer wie ein Opfer anderweitig motivierter Gewalt. Die Unterteilung in Opfer erster und zweiter Klasse lehnen wir ab. Ebenso lehnen wir ab, den Aufenthaltsstatus eines Gewaltopfers allein vom Motiv des Täters abhängig zu machen.

Opfer bestimmter Straftaten zu privilegieren ist im Übrigen nicht das, was der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 60a Abs. 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes im Sinn hatte. Hier handelt es sich um eine Ermessensnorm. Das bedeutet, dass die Ausländerbehörden nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens individuelle, sachgerechte Entscheidungen treffen. Dabei ist die besondere Situation abgelehnter Asylbewerberinnen und

-bewerber vor einer Rückführung genau zu prüfen, was eine Duldung aus dringenden humanitären und persönlichen Gründen zur Folge haben kann.

Das geltende Aufenthaltsrecht bietet also schon Möglichkeiten, in besonders schwerwiegenden Fällen eine Duldung zu erteilen. Es ist auch nicht bekannt, dass die Ausländerbehörden in Sachsen-Anhalt die bestehenden Ermessensspielräume nicht ausschöpfen würden.

Schlussendlich stellt sich die Frage, ob die angestrebte Regelung mit dem Verfassungsgrundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz vereinbar ist, geregelt, wie Sie alle wissen, in Artikel 3 Abs. 1 des

Grundgesetzes. Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Es geht darum, dass alle Menschen, auch Opfer von Gewalttaten, gleich behandelt werden und niemand benachteiligt oder bevorzugt wird.

Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet zudem die öffentliche Gewalt - dazu gehören zweifelsohne die Ausländerbehörden -, vergleichbare Fälle gleich zu behandeln. Das Bundesverfassungsgericht formulierte das so: Wesentlich Gleiches sei wesentlich gleich und wesentlich Ungleiches seiner Eigenart entsprechend rechtlich ungleich zu behandeln.

Vor diesem Hintergrund will mir beim besten Willen nicht einleuchten, wo der wesentliche Unterschied zwischen Opfern rechter Gewalt und anderen Gewaltopfern liegt. Auch wurde kein sachlicher Grund vorgetragen, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigte.

Es ist festzustellen, dass der Antrag nicht verfassungskonform umgesetzt werden kann. Auch aus diesem Grund muss dem Antrag eine klare Absage erteilt werden.

(Beifall bei der AfD)

Die LINKEN haben schon versucht, im Bundestag mit einem Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes das Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt durchzusetzen. Zwar ist dieser Gesetzentwurf abgelehnt worden, aber es wurde zumindest die richtige Vorgehensweise gewählt.

Ein Antrag, der letztlich auf Rechtsbeugung abzielt, kann keine Beratungsgrundlage sein, weshalb einer möglichen Überweisung des vorliegenden Antrages in einen Ausschuss, schon gar nicht in den Innenausschuss, nicht zugestimmt wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)