Protokoll der Sitzung vom 04.05.2017

Daher gehört zur Vision der Inklusion ganz grundsätzlich die Schaffung und Förderung bunter, vielfältiger Quartiere. Hierzu haben wir im Koalitionsvertrag einen entsprechenden Passus vorgese

hen. Man kann übrigens an vielen Stellen im Koalitionsvertrag den Geist der Inklusion spüren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Dr. Verena Späthe, SPD)

Der ressortübergreifende Charakter von Großvorhaben zeitigt den Effekt, dass diese im Tagesgeschäft oft aus dem Blick geraten, da alle Akteure mit ihrem Tagesgeschäft häufig so ausgelastet sind, dass sie den Blick für das große Ganze schon einmal aus den Augen verlieren.

Daher sind Tage wie der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, der am morgigen 5. Mai begangen wird, so wichtig. Sie rücken das Thema jeweils in den Fokus. Deshalb freue ich mich, dass es geklappt hat, dass wir gerade heute, am Vorabend dieses Tages, hier im Hohen Hause zum Thema Inklusion debattieren können.

Das zeigt - das ist die Intention der koalitionstragenden Fraktionen -: Sachsen-Anhalt stellt sich weiterhin hinter den Geist der Inklusion, will diesen voranbringen. Die Mühen der Ebenen mögen vielfach sein, aber wir als Landespolitiker haben die Ausdauer, Inklusion in den nächsten Jahren weiter voranzubringen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Dr. Verena Späthe, SPD)

Der heute zu behandelnde Antrag wird nicht der letzte Antrag zu diesem Thema sein. Sie dürfen sich darauf freuen, dass wir dieses Thema in diesem Jahr und in dieser Legislaturperiode noch mehrmals aufrufen werden.

Um Inklusion letztlich auf allen Ebenen voranzubringen, brauchen wir einen fundierten Blick auf die bisher erreichten Ziele, auf die offenen Projekte, auf bestehende Probleme, aber auch auf bereits erreichte Erfolge. Wenn man sich einmal anschaut, wo wir vor mittlerweile 27 Jahren gestartet sind, was wir an inklusiven Maßnahmen von der DDR übernommen haben, was damals überhaupt Stand der Technik war, dann, so finde ich, muss in diesem Hohen Hause auch einmal gesagt werden, dass wir in diesem Feld durchaus einiges erreicht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Letztlich müssen wir uns die Wirkungen unseres Behindertengleichstellungsgesetzes - damit waren wir im Bundesgebiet führend - anschauen, ob es noch zeitgemäß ist, ob es tatsächlich das erreicht, was im Gesetz intendiert ist. Und wir brauchen ein Monitoring zu dem ambitionierten Landesaktionsplan „Einfach machen“ zur hiesigen Umsetzung besagter Behindertenrechtskonvention.

Gerade in Bezug auf das in § 1 Abs. 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes formulierte Ziel, das lautet - ich zitiere -: „Träger der öffentlichen

Verwaltung fördern im Rahmen ihrer Aufgaben aktiv die Verwirklichung der Ziele dieses Gesetzes und ergreifen Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit“, bin ich an einer Wirkungsbeschreibung sehr interessiert.

Man hat manchmal schon den Eindruck, dass es in politischen Reden - auch hier im Hohen Hause - einen gewissen Grundkonsens über das Ziel der Inklusion gibt. Wenn man dann aber in den Vollzug vor Ort, in die Verwaltungen kommt, stellt man fest: Das ist auf der administrativen Ebene vielleicht noch nicht ganz so angekommen.

Daher ist es, glaube ich, wichtig, das Handlungsfeld „Bewusstseinsbildung“, das es im Landesaktionsplan gibt, dahin gehend zu beleuchten, welche Wirkungen es entfaltet, inwieweit daran gearbeitet wurde, welche Programme dazu entwickelt wurden und - sicherlich schwierig - wie entsprechende Erfolgskriterien dazu überhaupt operationalisiert werden können. - Das sind Fragen, auf die wir uns in der Zwischenbilanz, die heute Gegenstand des Antrages ist, durchaus Antworten erhoffen.

Die Erstellung der Zwischenbilanz ist ein Auftrag an die gesamte Landesregierung. Das ist mir sehr wichtig; denn ich denke, kein Ministerium wird sich diesem Thema gänzlich verschließen können und soll dies auch nicht tun.

Die barrierefreie Schule, die inklusive Schule habe ich angesprochen. Es geht aber auch um barrierefreien Tourismus. Es geht um barrierefreien Nahverkehr. Es geht um Gestaltungsmöglichkeiten im Wohnungsmarkt und im Wohnungsbau, um Zugang zum Arbeitsmarkt, um diskriminierungsfreie Teilhabe an Politik. Kein Ressort kann sich hiervon ausnehmen.

Es ist ein Stück weit Intention dieses Antrages, das Thema aus der reinen Zuständigkeit des Sozialministeriums herauszunehmen und die übergreifende Querschnittsaufgabe dieses Themas zu verdeutlichen.

Aus diesem breiten Ansatz folgt, wie bereits angesprochen: Im politischen Tagesgeschäft hat niemand wirklich den Überblick. Niemand hat die Fäden richtig in der Hand. Deshalb ist es gut und richtig, Vorhaben, Projekte und Maßnahmen, die parallel laufen, zu verknüpfen und eine Zentralperspektive aufzumachen.

Von einer ähnlichen Prämisse ging einer der ersten grünen Anträge in diesem Hohen Hause aus. Wir hatten damals einen Focal Point zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den Blick genommen. Auch damals ging es darum, aus den mannigfachen Mosaiksteinen der vielen guten Dinge, die laufen - oder die eben nicht so gut laufen; das werden wir dann sehen - ein Gesamtbild einer inklusiven Gesellschaft zu erstel

len, uns dieses Gesamtbild als Momentaufnahme hier im Parlament anzuschauen und daraus neue, zielgerichtete Maßnahmen zu entwickeln.

Wichtig ist uns auch, dass dann das öffentlich zugängliche Landtagsdokument allen Interessierten zur Verfügung steht; denn es arbeiten sehr viele Akteure im Feld an dieser Zielstellung und die sollen alle auf die gleiche Datenlage Bezug nehmen können. Ich denke dabei an den Runden Tisch der Menschen mit Behinderungen, an den Behindertenbeirat, an den Allgemeinen Behindertenverband, Lebenshilfe etc. - Sie alle kennen die Akteure im Feld -, auch dort ist es wichtig, nicht immer nur aus dem Bauch heraus zu agieren, sondern tatsächlich Zahlen, Daten und Fakten zur Verfügung zu haben.

Auch Politik ist dann gehalten, anhand konkreter Befunde Maßnahmen zu entwickeln. Eine fokussierte Planung wird dadurch ermöglicht, die gerade angesichts knapper finanzieller Ressourcen umso dringlicher ist. Wir können nicht alles auf einmal machen. Das haben wir eben festgestellt. Aber wir müssen genau priorisieren und schauen, wo der Bedarf am drängendsten ist und wie wir Mängel gezielt abbauen können. Insofern ist es erfreulich, dass im aktuellen Haushalt zum ersten Mal Mittel für die Umsetzung des Landesaktionsplanes „Einfach machen“ bereitgestellt wurden. Diesen Weg sollten wir zusammen erfolgreich weitergehen.

Für eine ausgewogene und möglichst perspektivreiche Zwischenbilanz ist die Positionierung des Behindertenbeirates eine wichtige Sache. Das steht bereits in unserem Antrag, deshalb hat sich uns nicht gleich erschlossen, warum man das noch einmal über einen Änderungsantrag hineinschreiben muss.

Das ist eine wichtige Sache. Ich könnte mir vorstellen, dass man das so ähnlich macht wie beim Kinder- und Jugendbericht. Dort ist es so, dass der Landesjugendhilfeausschuss eine Stellungnahme abgibt, die zu dem Bericht gehört. Dort ist das gesetzlich verbrieft. Dort ist das Verfahren klar. So ähnlich könnte man das auch hier machen.

Ich denke, wir werden einen guten Weg finden, um den Behindertenbeirat einzubeziehen. Ich weiß, dass der Ministerin die oberste Maxime der Behindertenbewegung „Nicht über uns ohne uns“ sehr wichtig ist und dass wir in einem guten Dialog den Behindertenbeirat einbeziehen werden.

Ich halte das für wichtig; denn gerade in diesem Feld ist es tatsächlich immanent, dass wir mit den Betroffenen gemeinsam die Prioritäten besprechen und dass die Betroffenen verstehen, warum die Politik in den Jahren 2017, 2018 gerade an der einen Stelle einen Fokus setzt und an der anderen Stelle nicht.

Als kleiner Exkurs: Genau diese Maßgabe sollte bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes leitend sein. Mehrere Anträge dazu sind in Arbeit. Auch dort ist es uns wichtig, dass die Umsetzung so geschieht, dass es für die Betroffenen nicht nur praktikabel, sondern auch nachvollziehbar ist.

Ich denke, die Debatte, die wir heute ein Stück weit befeuern, sollte dazu führen, dass wir an einigen Stellen zu neuen regelhaften Verfahren kommen, wenn die Zwischenbilanz vorliegt. Das werden wir sehen, wenn wir in zwei Jahren die Zwischenbilanz haben, wenn wir sie wieder hier im Hohen Hause debattieren, gemeinsam besprechen und uns im Ausschuss dazu verständigen.

Ich hoffe auf Zustimmung zu unserem Antrag und freue mich, dass wir am Vortag des Tages der Menschen mit Behinderungen darüber sprechen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank für die Einbringung, Abg. Frau Lüddemann. Ich sehe keine Anfragen. - Bevor wir in die vereinbarte Fünfminutendebatte einsteigen, spricht für die Landesregierung die Ministerin Frau Grimm-Benne. Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Mit dem vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen soll die Landesregierung gebeten werden, zur Mitte der laufenden Legislaturperiode eine Zwischenbilanz zur Umsetzung der Inklusion in Sachsen-Anhalt vorzulegen, die insbesondere darauf abstellt, die im Behindertengleichstellungsgesetz formulierten Ziele sowie die im Landesaktionsplan hinterlegten Vorhaben hinsichtlich der ergriffenen Maßnahmen, Umsetzungsstände und zukünftigen Handlungsempfehlungen darzustellen.

Die Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaften ist ein Großvorhaben - Frau Abg. Lüddemann hat das gerade zutreffend ausgeführt -, das, so heißt es auch in der Begründung zu dem Antrag, einer regelmäßigen parlamentarischen Beratung bedarf. Hierzu will die Landesregierung gerne ihren Beitrag leisten.

Mit der Ratifikation des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat sich Deutschland im Jahr 2009 verpflichtet, allen Menschen mit Behinderungen einen Zugang zum vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten zu eröffnen sowie Benachteiligungen zu verhindern und zu beseitigen. Bund, Länder, Kommunen und andere Träger der öffentlichen Verwaltung verfolgen aktiv

die Umsetzung der Ziele der Konvention. Ein zentrales Ziel der Konvention ist die umfassende Gewährleistung der Teilhabe als Menschenrecht.

Sachsen-Anhalt hat insbesondere mit der Neufassung des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahr 2010 und mit dem Landesaktionsplan im Jahr 2013 die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention und die Verwirklichung der Inklusion im Land auf den Weg gebracht.

Sowohl dem Behindertengleichstellungsgesetz

des Landes als auch dem Landesaktionsplan liegen der menschenrechtliche Ansatz und das Konzept der Teilhabe im Sinne von Inklusion und Selbstbestimmung zugrunde. Der Landesaktionsplan Sachsen-Anhalts „Einfach machen - Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“, der in Zusammenarbeit mit dem Landesbehindertenbeirat, dem Landesbehindertenbeauftragten und allen Ressorts erstellt und von der Landesregierung am 15. Januar 2013 beschlossen worden ist, dient der systematischen Erfüllung der Pflichten, die sich für das Land aus der Behindertenrechtskonvention ergeben.

Da der Landesaktionsplan die Teilhabeziele nachhaltig verfolgen soll, ist er insgesamt auf eine Dauer von zunächst zehn Jahren angelegt, wobei er fortwährend evaluiert und fortgeschrieben wird.

Eine Ergänzung zu jedem Handlungsfeld und für den rechtlichen Rahmen insgesamt stellt die Prüfung aller Normen auf ihre Konformität mit der UN-Behindertenrechtskonvention dar. Die Ergebnisse der Normenprüfung finden Eingang in die Fortschreibung der Maßnahmenpläne.

Darüber hinaus ist die Rolle der kommunalen Gebietskörperschaften bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention beschrieben. Diese werden aufgefordert, eigene kommunale Aktionspläne zu erstellen, zu beschließen und umzusetzen. Zugleich bietet das Land, soweit gewünscht, Unterstützung bei der Erstellung von kommunalen Aktionsplänen an, zum Beispiel durch die Förderung des örtlichen Teilhabemanagements. Sie haben sicherlich verfolgt, dass ich den Anträgen der Landkreise stattgegeben habe, dass dort Teilhabemanager über das ESF-Programm beschäftigt werden können. Das wird im Land sehr gut angenommen.

(Zustimmung von Dr. Verena Späthe, SPD)

Insgesamt enthält der Landesaktionsplan 161 konkrete Maßnahmen, die in zahlreiche Teilschritte zu untergliedern sind. Ohne einer umfassenden Berichterstattung vorgreifen zu wollen, kann eingeschätzt werden, dass durch den Abschluss von ca. einem Drittel aller Maßnahmen und durch die intensive Bearbeitung der auf Dauer angelegten Maßnahmen des Landesaktionsplanes in vielen

Lebensbereichen der Stand der Inklusion in Sachsen-Anhalt deutlich verbessert und ausgebaut werden konnte. Dies gilt zum Beispiel für den öffentlichen Personennahverkehr ebenso wie für die Informations- und Kommunikationsangebote des Landes.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ein zentrales Element des Landesaktionsplans ist die kontinuierliche Fortschreibung der ressortübergreifenden Maßnahmen. Die Koordinierung erfolgt durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration. Die Fortschreibung soll - und das wird sie auch - unter breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft erfolgen. Hierzu dienen die regelmäßige Befassung des Landesbehindertenbeirates, des Inklusionsausschusses und die Inklusionstage, die von meinem Hause ausgerichtet werden und bei denen sich Menschen mit Behinderungen unmittelbar mit ihren Vorstellungen, Erfahrungen und Wünschen einbringen. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Bewertung und in die Fortschreibung des Landesaktionsplans selbstverständlich ein.

Entsprechend der Vereinbarung im Koalitionsvertrag wird die Landesregierung den Landesaktionsplan in der laufenden Legislaturperiode umfassend fortschreiben und zu diesem Zweck Bilanz ziehen sowie den Stand der Inklusion und Teilhabe in den verschiedenen Lebensbereichen evaluieren. Wir werden dem Landtag dazu gerne Bericht erstatten.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Weg in eine inklusive Gesellschaft, in eine Gesellschaft für alle, ist nur auf der Grundlage einer umfassenden Bewusstseinsbildung bei allen Akteuren und durch den hartnäckigen Einsatz für die Rechte von Menschen mit Behinderung und die universelle Gestaltung aller Lebensbereiche zu realisieren. Dabei handelt es sich um eine langfristig angelegte Aufgabe in allen Politikfeldern und in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

Eine ganz persönliche Bitte von mir: Wir werden das Bundesteilhabegesetz nur gut umsetzen können, wenn Sie alle dabei mitarbeiten und wir das gemeinsam besprechen können. Dazu werden wir Sie noch einmal ausdrücklich einladen. Wir wollen nicht nur die Verbände und die Träger einladen, sondern ich glaube, das muss aus der Gesellschaft heraus kommen. Nur so kann es gelingen, dass wir nicht über die Menschen, sondern mit ihnen zusammen ihr Leben und ihre gesellschaftliche Teilhabe in unserem Land gestalten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)