Protokoll der Sitzung vom 04.05.2017

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit der Mobilwende und der Agrarwende wollen wir diesen Weg weitergehen.

Die rasante Entwicklung der letzten Jahre auf dem Arbeitsmarkt hatte außerdem zur Folge, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer höhere Flexibilität abverlangt wird. Das darf nicht zur Einbahnstraße werden, sondern muss in erster Linie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugutekommen. Es geht schlicht und einfach um mehr Gestaltungsmöglichkeiten im Arbeitsalltag und in der Erwerbsbiografie. Das bündelt sich für uns in dem Begriff „Zeitsouveränität“.

Das beinhaltet eine Verbesserung der Situation insbesondere für Alleinerziehende - davon haben wir bundesweit den zweithöchsten Prozentsatz - durch die Schaffung flexiblerer Kinderbetreuung und damit die Verbesserung unseres schon guten Kinderbetreuungssystems, das von den Kollegen bereits hervorgehoben wurde, und einer Stärkung der Teilzeitausbildung. Ebenso gehört die Entwicklung eines flexiblen Übergangs in die Rente dazu - ohne fixe Altersgrenzen.

Maßgeblich ist die Debatte um die Definition einer Vollzeitstelle. An diesem Punkt möchte ich zu einer grundsätzlichen Betrachtung der Frage nach guter Arbeit anregen. Aufgrund meiner begrenzten Zeit ist mir das an der Stelle nicht möglich. Aber ich frage schon: Hängen unser Glück und unsere soziale Teilhabe wirklich an einer 40-stündigen Erwerbsarbeitswoche? - Für den einen oder anderen mag das so sein. Aber für Eltern, für Vielfachinteressierte, für pflegende Angehörige oder auch für politisch oder gesellschaftlich Engagierte ist das ein ganz anderer Fall.

Ich denke, hier muss eine Debatte um gute Arbeit ganz zentral ansetzen; denn wir reden bei diesen Debatten zwar immer über Arbeit allgemein, aber wir meinen tatsächlich meist Erwerbsarbeit. Sorgearbeit, Eigenarbeit, ehrenamtliches Engagement sind für uns GRÜNE in der Diskussion nicht davon zu trennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir dürfen die Debatte nicht verkürzt führen. Wir dürfen sie nicht inkonsistent führen. Warum ist es Arbeit, wenn eine Frau fremde Kinder betreut, und warum ist es keine Arbeit, wenn die Frau ihre eigenen Kinder zu Hause betreut? - Der gängige verkürzte Arbeitsbegriff ist aus unserer Sicht reformbedürftig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daher sollte Arbeitsmarktpolitik nie dem Fehlschluss unterliegen, an ihr allein hingen soziale Teilhabe, soziale Sicherung und letztlich das Glück aller. Ich betone das ausdrücklich; denn die Erwerbsgesellschaft, geschaffen durch die Industrialisierung und geprägt von der Normalerwerbsbiografie des 20. Jahrhunderts, ist ein Kind und ein Zeitprodukt des 20. Jahrhunderts. Heute müssen wir Arbeit breiter denken. Wir müssen soziale Teilhabe und soziale Sicherung breiter denken. Wir brauchen eine neue Begrifflichkeit. Dann kommen wir irgendwann an den Punkt, auch über Grundeinkommen zu reden.

Da ich meine Redezeit schon leicht überschritten habe, werde ich das heute nicht mehr schaffen. Ich lade Sie ein, auch diese Diskussion zu führen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. Es gibt keine Nachfragen. - Wir kommen zum nächsten und letzten Debattenredner für diese Aussprache. Das wird für die SPD-Fraktion der Abg. Herr Steppuhn sein. Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Frau Ministerin Grimm-Benne recht herzlich dafür danken, dass sie diese wichtige Regierungserklärung heute abgegeben hat. Ich denke, gerade die zeitliche Nähe zum Tag der Arbeit am 1. Mai ist besonders gut geeignet, sich dem Thema Zukunft der Arbeit in Sachsen-Anhalt, faire Löhne, gleiche Chancen und sozialer Zusammenhalt zu widmen. Aber ich denke, es ist genauso richtig, festzustellen, dass die jüngsten Arbeitsmarktzahlen im Land mit 8,6 % besagen, dass wir den niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit hier in Sachsen-Anhalt erreicht haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, das ist etwas Positives und etwas, worüber wir reden sollten, auch im positiven Sinne, ohne zu verkennen, was wir im Land noch zu tun haben, um den Arbeitsmarkt weiter voranzubringen. Deshalb ist dieser Verweis auf die niedrige Arbeitslosigkeit wichtig. Ich sage es deutlich - bei aller Kritik, die von der Opposition kommt, sowohl von rechts als auch von links, das kann man tun -, es ist gut, wenn wir darüber reden, was in diesem Land positiv am Arbeitsmarkt ist, was noch zu tun ist. Aber es ist kein Platz für Rechtspopulismus, Fremdenfeindlichkeit, auch kein Platz für Linkspopulismus. Die Aufgabe von Politik ist es, zu schauen, wie wir den Arbeits

markt und die Wirtschaft im Land weiter voranbringen können.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zukunft der Arbeit mit fairen Löhnen und gleichen Chancen zu gestalten, ist ein Thema, das uns alle angeht. Es ist auch ein Thema, das die gesamte Landesregierung angeht. Arbeit, von der man leben kann, bedeutet zugleich, Perspektiven und Zukunftschancen zu haben. Das geht nur mit fairen und auskömmlichen Einkommensbedingungen. Billiglöhne und prekäre Beschäftigung bieten diese Perspektiven nicht. Faire Arbeit bedeutet aber auch Wertschätzung gegenüber der Arbeitsleistung, die von Menschen erbracht wird. Sie bedeutet auch Respekt vor Arbeit.

Gute Arbeitsmarktpolitik - das ist meine Überzeugung - kann man nur dann machen, wenn man beides, Arbeit und Wirtschaft, zusammen denkt. Deshalb bin ich froh darüber, dass zum Beispiel beim Thema Digitalisierung beide Häuser - sowohl Arbeit als auch Wirtschaft - die Zusammenarbeit suchen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Ein altbekannter Ausspruch ist: Die Wirtschaft muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Nur dann können Unternehmen erfolgreich sein, und was noch viel wichtiger ist: Nur dann kann eine Gesellschaft stabil sein und Zusammenhalt organisieren. Deshalb ist es wichtig - die Frau Ministerin hat es angesprochen -, mit Arbeitsmarktprogrammen im Land für eine Verstetigung des sozialen Arbeitsmarktes zu sorgen.

Erstmals seit langer Zeit nimmt die Koalition hierfür eigenes Landesgeld in die Hand, um es den Menschen zu ermöglichen, den Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraus zu finden. Bei jedem Einzelnen, der den Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit findet, können wir von einem Erfolg sprechen. Deshalb hat die Integration von langzeitarbeitslosen Menschen für uns die höchste Priorität, auch im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

(Beifall bei der SPD)

11 Millionen € an Landesgeld setzen wir zukünftig jährlich zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit ein. Aber auch die Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt beziehen wir hierbei ein. Wir wollen als Koalition die Integration von Menschen mit Behinderung verstärken. Wir setzen auch hierbei auf soziale Teilhabe und auf Integration als Bestandteil von gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Meine Damen und Herren! Auch die Tarifbindung war heute bereits ein Thema. Niedriglöhne dürfen

keine Perspektive haben. Dies gilt für alle Bereiche. Gemeinsam mit den Tarif- und Sozialpartnern muss es das Ziel sein, die Tarifbindung im Land zu verbessern.

Herr Poggenburg, ich habe sehr genau gehört, dass Sie sich für die Angleichung der Löhne und für höhere Löhne im Land ausgesprochen haben. Nur Sie haben leider die Rezepte dafür nicht genannt. Da sage ich deutlich: Wir wollen das gemeinsam mit den Sozialpartnern und den Tarifpartnern im Land schaffen. Wir haben zwar gesetzliche Mindestlöhne gemacht, aber wenn Sie noch andere Rezepte haben, bin ich sehr gespannt, ob wir die irgendwann einmal in den Ausschüssen oder hier im Plenum erfahren können.

Meine Damen und Herren! Der beste Weg zu fairer Arbeit sind Tarifverträge, die von den zuständigen Tarifvertragsparteien im Rahmen der Tarifautonomie verhandelt werden. Oft - das wissen wir auch - ist das eine Frage der Kräfteverhältnisse. Deshalb sollten Beschäftigte, die sich für einen Tarifvertrag einsetzen, unsere Unterstützung und Solidarität haben. Ein gutes Beispiel hierfür wäre ein Pflegetarifvertrag, den die Frau Ministerin schon nannte, den wir hier im Land, aber auch auf Bundesebene anstreben.

Meine Damen und Herren! Gerade der Fachkräftebedarf in der Pflege wird immer größer. Gute Einkommen werden zur Fachkräftesicherung für die Pflege immer wichtiger. Gewerkschaften und Pflegedienstleister bekunden ein zunehmendes Interesse an einem Pflegetarifvertrag. Diese Initiative der Sozialpartner sollten wir nach Kräften unterstützen. Ziel ist es, einen durch die Sozialpartner zu vereinbarenden Tarifvertrag für allgemein verbindlich zu erklären.

Meine Damen und Herren! Das Thema Fachkräftesicherung ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen für unser Land. Junge Menschen sind die Fachkräfte der Zukunft. Fachkräftesicherung beginnt bereits mit attraktiven Ausbildungsplätzen. Unternehmen und Branchen haben eine hohe Eigenverantwortung für die Nachwuchsgewinnung. Deshalb ist es wichtig, sich für gute Weiterbildungsmöglichkeiten einzusetzen. Schulen, Wissenschaft und Wirtschaft müssen bei der Fachkräftesicherung an einem Strang ziehen. Die Weichen zur Berufswahl werden, wie wir wissen, bereits in der Schule gestellt.

Wenn wir über Ausbildung und Fachkräftesicherung reden, gehört auch das Thema Mobilität dazu. Oft erfordert die Ausbildung von jungen Menschen ein immer höheres Maß an Flexibilität und Mobilität. Oft sind Ausbildungsorte, Ausbildungsstätten und Berufsschulen weit vom Wohnort entfernt. Teilweise hängt dies damit zusammen, dass Berufsschulen kleiner werden und dass Fachklassen mittlerweile so weit vom Hei

matort entfernt liegen, dass man lange Fahrtwege zurücklegen muss.

Deshalb ist es gut, dass die Landesregierung die Einführung eines kostenfreien Azubi-Tickets zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs prüft. Ausbildungsvergütungen sind nicht dazu gedacht, Fahrtkosten oder Übernachtungskosten aufzubringen. Es gibt eine Fahrtkostenrichtlinie, die regelt, dass Fahrtkosten für junge Menschen, die ihre Ausbildungsorte, ihre Schulorte über weite Wege erreichen müssen, erstattet werden.

Der Herr Minister Tullner hat den Betrag im Haushalt um 10 000 € aufgestockt. Aber er hat den Gewerkschaften mehr versprochen. Ich denke, dass das ein wichtiges Thema für die Haushaltsverhandlungen in zwei Jahren werden wird.

Meine Damen und Herren! Ich will noch das Thema Mitbestimmung ansprechen, weil ich glaube, wer faire Arbeit will, braucht Betriebsräte. Ich bin der festen Überzeugung, Demokratie darf nicht am Werkstor enden. Deshalb ist es wichtig, sich für mehr Mitbestimmung, das heißt auch für mehr Betriebsräte in den Unternehmen, einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Swen Knöchel, DIE LIN- KE)

Betriebsräte und Personalräte sind etwas Selbstverständliches. Deshalb sollten Initiativen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Einleitung von Betriebsratswahlen die Unterstützung der Politik finden. Zugleich sollten wir uns für eine Stärkung der Rechte von Personalräten - auch wenn das vielleicht dem einen oder anderen Minister nicht gefällt - im Rahmen des Personalvertretungsgesetzes einsetzen. Auch das steht auf der Agenda.

(Beifall bei der SPD - Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Jawohl!)

Meine Damen und Herren! Menschen mit Handicap haben, glaube ich, mehr Zukunftschancen denn je. Weniger Arbeitslosigkeit bedeutet zugleich auch mehr Chancen für Menschen mit Handicap; ihre Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt müssen wir deutlich verbessern. Das neue Bundesteilhabegesetz bietet hierzu neue Möglichkeiten; diese sollten wir gezielt nutzen. Wir setzen dabei auch auf einen offenen und konstruktiven Dialog mit Trägern der Behindertenhilfe, mit Betroffenen und mit Werkstatträten.

Meine Damen und Herren! Ich bin froh und dankbar darüber, dass fast alle Redner heute auch das Thema Digitalisierung angesprochen haben. Denn es ist richtig: Viele Menschen machen sich bei der Digitalisierung Sorgen um die Zukunft. Diese Ängste müssen wir ihnen nehmen. Wenn die jüngste DGB-Studie davon spricht, dass 54 % der

Arbeitnehmer über ein höheres Arbeitspensum im Zusammenhang mit der Digitalisierung klagen und 60 % der Arbeitnehmer über mehr Zeitdruck, dann muss man diese Sorgen sehr ernst nehmen.

Digitalisierung ist Fortschritt und Herausforderung zugleich. Wirtschaft 4.0 und Arbeitswelt 4.0 bieten aber auch breit gestaltbare Zukunftschancen. Qualifikation und Weiterbildung werden wichtiger denn je. Daher muss gesichert sein, dass der Mensch weiterhin im Mittelpunkt steht. Deshalb ist es gut, dass sich die Arbeitsministerin und auch der Wirtschaftsminister gemeinsam diesem Thema stellen werden. Arbeitsmarkt und Wirtschaft bestimmen maßgeblich die Entwicklung einer Gesellschaft mit.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. Faire Arbeit, Fachkräftesicherung durch Aus- und Weiterbildung sowie durch Integration können die Eckpfeiler und Grundpfeiler einer guten Arbeitsmarktpolitik sein. An diesen Zielen muss sich die Landesregierung, die gesamte Politik, an diesen Zielen müssen wir uns alle messen lassen. -Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Siegfried Borgwardt, CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Steppuhn. - Ich sehe keine Anfragen. Beschlüsse in der Sache werden auch nicht gefasst. Somit ist der Tagesordnungspunkt 1 beendet. Bevor wir den Tagesordnungspunkt 2 beginnen, haben wir noch einen kurzen Wechsel im Präsidium.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 2

Beratung

Die Elbe als Wirtschaftsfaktor: Tourismus, Häfen, Schifffahrt und Naturschutz

Große Anfrage Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/805