Ich möchte Ihnen aus zwei Stellungnahmen zitieren. Beginnen möchte ich mit Prof. Dr. Dr. Reinhard Wiesner, ein uns sehr bekannter Forscher von der Freien Universität Berlin. Er schrieb:
„Die Vorgeschichte zu dieser Regelung und die Anträge verschiedener Länder im Zusammenhang mit der Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs zeigen, dass das Regelungsziel nicht die Gewährung bedarfsgerechter Leistungen (entsprechend dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall bzw. entsprechend dem spezifischen Hilfe- bedarf bei der Bearbeitung traumatischer Erfahrungen im Kontext von Flucht und Vertreibung und der Integration in eine neue Lebenswelt) ist, sondern die Etablierung eines Zweiklassensystems der Kinder und Jugendhilfe in Deutschland.
Befürchtet wird, dass - unter Missachtung fachlicher und bedarfsorientierter Kriterien - Sondereinrichtungen ausschließlich für Personengruppen junger Flüchtlinge geschaffen werden.
Eine solche Regelung widerspricht nicht nur dem Grundsatz der Bedarfsgerechtigkeit, sondern darüber hinaus auch den sonst gern zitierten Regelungen des internationalen Rechts zum Schutz junger Menschen (UN-Kinderrechtskonvention; Diskriminie
rungsverbot des Art. 3 GG). Notwendig ist daher in jedem Fall die Abkoppelung des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen von der Pflicht zur Kostenerstattung …“
Die Stellungnahme der Vertreter der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände Berlin gehen in die gleiche Richtung. Auch hieraus möchte ich kurz zitieren:
„In § 78 f SGB VIII ist für die Länder die Möglichkeit eröffnet, Landesrahmenvereinbarungen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Leistungserbringern zur Finanzierung von Maßnahmen und Leistungen für unbegleitete minderjährige Ausländer abzuschließen und daran die Kostenerstattung bei der Gewährung von Jugendhilfe an diese Jugendlichen zu knüpfen.
Wir fordern eine Streichung dieser Regelung. Es muss den Jugendämtern vor Ort unbenommen sein, die verfügbaren und passgenauen Unterbringungsformen auszusuchen. Die Kostenerstattung durch die Länder muss vollumfänglich sichergestellt sein“.
Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir sehen mit dem Abschluss dieser Rahmenverträge konkret die Gefahr verbunden, dass für UMA Leistungen und Angebote des SGB VIII gekürzt werden könnten. Das lehnen wir ab und fordern deshalb die Landesregierung auf, sich in der abschließenden Beratung im Bundesrat am 7. Juli entsprechend zu verhalten.
Eine Ausschussüberweisung macht aus unserer Sicht keinen Sinn; denn - ich sagte es schon - am 7. Juli ist bereits der Termin. Wir bitten um Direktabstimmung über unseren Antrag. Sollte es dazu nicht kommen, werden wir eine Ausschussüberweisung ablehnen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es gibt keine Fragen. Dann fahren wir fort. Bevor wir in die Debatte einsteigen, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Damen und Herren der Stadtverwaltung Sangerhausen in unserem Hohen Hause begrüßen zu dürfen. Seien Sie herzlich willkommen!
In der Debatte sind drei Minuten Redezeit je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht Minister Herr Prof. Dr. Willingmann in Vertretung der Ministerin Frau Grimm-Benne. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Herr Vizepräsident, schönen Dank. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erneut und jetzt zum letzten Mal in diesen drei Sitzungstagen
Der Redebeitrag sei zunächst mit einer Präambel begonnen, die das Handeln der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums und der Sozialministerin selbst bestimmt. Die Ministerin für Arbeit, Soziales und Integration handelt stets unter dem Anspruch, keine sozialen Ungerechtigkeiten und Integrationshindernisse zuzulassen. Es soll ganz deutlich gesagt werden: Jedes Kind ist gleich und auch gleich vor dem SGB VIII.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen befindet sich nun ein Gesetzentwurf im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren, um den, wie Ihnen allen hier sicherlich nicht entgangen ist, zäh gerungen wurde und auch noch wird. So war die Bundesregierung mit der Zielsetzung einer deutlich größeren
Reform des SGB VIII gestartet, um für die Änderungsbedarfe, die seit der letzten Reform des SGB in den Fokus getreten sind, Lösungen zu erarbeiten.
Unabhängig von diesen schwierigen Rahmenbedingungen haben die Bundesländer diesen Prozess kritisch-konstruktiv begleitet. Dies bedeutet auch, dass junge Menschen, die in unserem Land leben, im Falle des Bedarfs von Hilfen zur Erziehung unabhängig von ihrer Herkunft ein Recht auf Unterstützung haben.
Um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden, waren und sind wir aber auch gefordert, gegebenenfalls neue Wege zu beschreiten, um diese Hilfen zu ermöglichen. Einen solchen Weg sieht der Gesetzentwurf unter der laufenden Nr. 39 in § 78f des SGB VIII vor. Dort soll zukünftig die Möglichkeit geschaffen werden, zur Erbringung von vorläufigen Maßnahmen und Leistungen für UMA Rahmenverträge abzuschließen und die Kostenerstattung durch das Land davon abhängig zu machen, dass die Vereinbarungen der örtlichen Träger mit den Leistungserbringern diesen entsprechen.
Sie als Fraktion DIE LINKE haben hier die Sorge, dass durch eine solche Maßnahme die Gefahr der Gründung einer Zweiklassenjugendhilfe bestünde. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Gefahr wird in dieser Form nicht gesehen. Denn es bleibt natürlich bei dem Erfordernis, die Hilfe entsprechend dem individuellen Bedarf der jungen Menschen zu gewähren. Dass das Land als letztlich Finanzierender der Hilfen ein Mitspracherecht für die Ausgestaltung der Hilfen erhält, halte ich allerdings für legitim. Die von dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Neuregelung hat daher eher etwas mit den besonderen Finanzierungswegen im Bereich der Versorgung von UMA zu tun als mit der Frage einer Zweiklassenjugendhilfe.
Auch wenn es im strengen Sinne vielleicht nicht erforderlich sein mag, so scheint es jedenfalls hilfreich, im Gesetz noch einmal deutlich herauszustellen, dass es bei der Einführung der neuen Regelungen gerade nicht darum geht, eine Zweiklassenjugendhilfe zuzulassen. Eine hierauf gerichtete Ergänzung hat der Bundesrat in der schon erfolgten ersten Behandlung des Gesetzentwurfs empfohlen.
Dennoch soll der neue Absatz 2 des § 78f SGB VIII um einen Satz ergänzt werden. So heißt es in dem Vorschlag des Bundesrates - ich zitiere -:
„Neben einer bedarfsgerechten Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter ausländischer junger Menschen muss dabei insbesondere die Gleichbehandlung deutscher und ausländischer Kinder, Jugendlicher und junger Volljähriger sichergestellt werden.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat erfreulicherweise den Vorschlag des Bundesrates vor einigen Tagen übernommen. Sie sehen, die Länder, natürlich auch Sachsen-Anhalt, hatten und haben auch ohne den heute zu beratenden Antrag die Gleichbehandlung von jungen Menschen, wie in unserem Fall, im Rahmen der Hilfen zur Erziehung im Fokus.
Wie schon am Anfang der Ausführungen dargestellt, kümmert sich die Landesregierung um die soziale Gleichbehandlung von uns anvertrauten Personen. Dies schließt in unserer Arbeit selbstverständlich auch die Vermeidung von Integrationshindernissen mit ein. - Vielen Dank.
Es gibt keine Fragen. Dann danke ich dem Herrn Minister für die Ausführungen. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die CDU spricht der Abg. Herr Krull. Herr Krull, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns also mit dem Antrag „Keine Zweiklassenjugendhilfe für junge Geflüchtete“. Bevor ich zu dem eigentlichen Antrag komme, möchte ich kurz Grundsätzliches zum Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, Kurzbezeichnung Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, KJSG, äußern, welches eine Reform des SGB VIII enthält. Wie viele bin auch ich davon ausgegangen, dass die Reform des SGB VIII nicht mehr in der Wahlperiode dieses Bundestages passieren wird. Umso überraschender für viele und auch für mich war die Vorlage des Gesetzentwurfs am 12. April dieses Jahres.
Die Ziele des Gesetzesvorschlags sind im Wesentlichen die Verbesserung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, die Stärkung von Pflegekindern und ihren Familien, Qualifizierung von Schutzinstrumenten und Maßnahmen, Verbesserung der Kooperation im Kinderschutz und die bedarfsgerechten Leistungen im Angebot der Kinder- und Jugendhilfe, also auch im Bereich § 78f.
Insgesamt darf man wohl nur von einer kleinen Lösung sprechen. Weiterer Reformbedarf des SGB VIII ist noch deutlich erkennbar und wird sicherlich auch den nächsten Bundestag noch beschäftigen.
Die Skepsis gegenüber diesem Gesetzesvorschlag, meine sehr geehrten Damen und Herren, wurde mehr als deutlich in verschiedenen Stellungnahmen. Auch in der Unionsfraktion ist der Vorschlag, wie er momentan vorliegt, nicht unum
stritten. Allgemein muss ich die sehr kurzen Beratungsabläufe dieses Gesetzes deutlich kritisieren. Die zuständige Bundesministerin, damals noch Manuela Schwesig, hat nur eine sehr kurze Frist für die entsprechenden Stellungnahmen eingeräumt.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich dem Landesjugendhilfeausschuss und seinen Gremien danken, die es trotz der Kürze der Zeit geschafft haben, eine entsprechende Stellungnahme abzugeben. Wie gesagt, das war mehr als sportiv.
Den großen Beratungsbedarf zu diesem Gesetzentwurf machen auch die zahlreichen Änderungsanträge aus dem Bundesrat deutlich, die in die Stellungnahme eingeflossen sind, die am 2. Juni entsprechend die Mehrheit dort gefunden hat.
In dem vorliegenden Antrag wird die Befürchtung geäußert, dass mit den Änderungen in § 78f des SGB VIII durch die Einführung der Landesrahmenverträge eine Zweiklassenjugendhilfe eingeführt wird. Aus der Sicht meiner Fraktion sind diese Befürchtungen unbegründet; zum einen wird dies bereits durch die entsprechende Begründung zu dem Gesetzesvorhaben durch den Bund selbst deutlich, zum anderen hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme eine Ergänzung des Gesetzestextes vorgeschlagen, die eins zu eins aus der Begründung der Bundesregierung für dieses Gesetz stammt. Ich verzichte auf das Zitat, der Minister hat es bereits vorgetragen. Ich glaube, diese Worte sind mehr als eindeutig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es bleibt aber unbenommen, dass Land durch die Möglichkeiten der Landesrahmenverträge darauf achtet, dass die begrenzten öffentlichen Mittel so eingesetzt werden, dass sie den Bedürfnissen dieser besonderen Gruppe von Schutzbedürftigen entsprechen und deren Spezifika berücksichtigen. Es wurde schon erwähnt, die unionsgeführten Länder hätten sich darunter etwas anderes vorstellen können.
Nach der Beschlussfassung des Bundestags zum Gesetz wird sicherlich auch unsere Landesregierung darauf achten, wie mit der Stellungnahme des Bundesrates umgegangen worden ist. Aus der Sicht der CDU-Landtagsfraktion hat sich der Inhalt dieses Antrags eigentlich überholt, aber wir werden hier sicherlich noch einige Ausführungen dazu hören und dann auch noch einmal die Entscheidung über Ausschussüberweisung oder ein anderes Vorgehen erläutern. Aber das machen meine Kollegen aus den anderen regierungstragenden Fraktionen. - In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
Es gibt keine Fragen. Dann fahren wir fort. Für die AfD spricht der Abg. Herr Kirchner. Herr Kirchner, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Hohes Haus! Zum Antrag der LINKEN mit dem Titel „Keine Zweiklassenjugendhilfe für junge Geflüchtete“ bleibt mir zu sagen: Im Schulunterricht wäre dieser Antrag mit der Note sechs zu bewerten, mit dem Zusatz: Thema verfehlt.
Mit dem nötigen Mut zur Wahrheit bleibt Folgendes zu sagen: Dieser Antrag müsste lauten: „Keine Zweiklassenjugendhilfe für jugendliche Deutsche“. Denn bei einem Anteil von 34 % an der Gesamtsumme der jugendhilferechtlichen Zuständigkeit bei UMA, die in diesem Fall 495 ausländische Jugendliche betrifft, kann man nur noch bei deutschen Jugendlichen von einer Zweiklassengesellschaft sprechen, zum Nachteil unserer Jugend. Diese zu 93 % männlichen UMA kosten den Steuerzahler im aktuellen Haushalt knapp 100 Millionen €. Dem gilt es explizit schon aus Gründen des sparsamen Umgangs mit Steuermitteln entgegenzuwirken, und nicht, wie die Integrationsträumer der LINKEN fordern, diese unhaltbaren Zustände noch auszuweiten.
Aber das kennen wir ja aus den verwässerten Anträgen der multikulturellen linken Migrationsfantasten hier in diesem Landtag.
Damit aber leider nicht genug im weltoffenen, bunten und bereicherten Sachsen-Anhalt. Bei meiner von der Landesregierung beantworteten Kleinen Anfrage in der Drs. 7/820 aus dem Jahr 2017 stellte ich der Landesregierung folgende Frage: Bitte schlüsseln Sie den Aufenthaltsstatus der derzeit in Sachsen-Anhalt lebenden UMA auf. - Antwort: Der Landesregierung liegen hierzu keine aussagefähigen Daten vor.
Fazit: Unsere UMA scheinen sich noch in der Findungsphase zu befinden und scheinen für sich den Begriff Asyl vorerst noch definieren zu müssen.
Eine weitere Frage meinerseits lautete: Wie hoch ist der Anteil der UMA in Sachsen-Anhalt, die bis dato einen Asylantrag gestellt haben? - Die Antwort: Der Landesregierung liegen hierzu keine hinreichenden Daten vor. Im Übrigen wird auf die vorherige Frage verwiesen - zu der bekanntlich auch keine aussagekräftigen Daten vorlagen.