Protokoll der Sitzung vom 25.08.2017

Lieber Präsident oder Vizepräsident, vielen Dank für die nette Anmoderation. Ich werde mich einmal bemühen. Ich könnte jetzt eine Rede halten über die pädagogisch-didaktischen Konzepte. Das mache ich aber nicht. Ich fange einmal anders an.

Mein lieber Kollege Tillschneider, ich hatte zwischendurch das Gefühl, dass die Rede besser beim Karneval aufgehoben wäre als in der Realität unserer Schulpolitik.

(Zustimmung von Rüdiger Erben, SPD)

Ich akzeptiere aber schon, dass man sich über Schule, auch über pädagogisch-methodische Konzepte trefflich streiten kann.

(Oliver Kirchner, AfD: Muss!)

Natürlich bin ich nicht ganz überrascht darüber, dass Sie jetzt mit Ihrem Antrag kommen. Ich habe auch wahrgenommen, dass es in Hamburg, in Baden-Württemberg und auch in Nordrhein-Westfalen durchaus grundsätzliche Diskussionen über

diese konkrete Methode gibt. Sie haben natürlich den Bogen, wenn ich es richtig verstanden habe, ganz weit gespannt, der irgendwo beim Niedergang des Abendlandes endet. Man brauche mehr Einheitlichkeit, mehr Konformität an den Schulen.

Das ist, glaube ich, ein Ziel, das man haben kann. Ich glaube aber nicht, dass es in Deutschland im 21. Jahrhundert mehrheitsfähig ist. Wenn es das wäre, dann würde ich mich dagegen verwahren, und zwar klar und eindeutig.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr stark von Persönlichkeitsbildung und konkreten, individuellen Persönlichkeitsstrukturen geprägt ist. Ich glaube, es ist auch gut so, dass wir die ganze Kreativität und die ganzen Ideen, die in unseren Menschen ruhen, so zum Tragen bringen können, dass man eine bestmögliche Entwicklung in der Zukunft in diesem Land haben kann. Das Thema Konformität wähnte ich eigentlich mit 1989 überwunden.

Dass diese Debatte in anderen Ländern dennoch Früchte trägt, kann ich ein Stück weit nachvollziehen. Wenn ich mir anhöre, was dort gemacht wird, dann bin ich persönlich auch nicht euphorisch, muss ich sagen. Es gehört aber dazu, dass viele Wege nach Rom führen.

Wenn wir die freien Schulen in den Blick nehmen, wenn wir auch die konkreten Schulprofile unserer einzelnen Schulen nehmen - wir haben mehr als 450 Grundschulen im Land -, dann hat man einen ganzen Strauß an pädagogischen Konzepten. Ich zumindest maße mir nicht an, das eine in den Orkus der Geschichte zu werfen und das andere als das allein selig Machende zu werten. Bei Waldorf tanzt man seinen Namen. In einigen wenigen Schulen in diesem Land - im Übrigen weniger als zehn in diesem Land - wird eben diese Methode angewandt.

Wir konnten neulich - ich glaube, es war die „Volksstimme“ - nachlesen, dass bestimmte Voraussetzungen bei den Kindern da sein müssen, damit es funktioniert. Man ist an der einen Schule, wie es beschrieben wurde, wieder davon abgegangen, weil zu viele Migrantenkinder nach dieser Methode gar nicht richtig lesen und schreiben konnten.

Am Ende ist es mir wichtig, dass die Kinder in den Grundschulen das lernen, was in den Lehrplänen verankert ist. Ob es von rechts oder von links passiert, darüber mögen die Schulen gemeinsam mit den Eltern entscheiden. Wenn es Schulen gibt, die diesen Weg gehen, der von den Eltern getragen wird, der auch den Lernerfolg hat, dann ist es doch am Ende richtig, dass es so sein soll.

Jetzt will ich doch noch - ich weiß nicht, ob es jeder kennt - ein paar Ausführungen zu dieser Methode machen.

Lesen durch Schreiben ist weder eine Leselehrmethode noch eine Schreib- und Rechtschreiblehrmethode. Lesen durch Schreiben verfolgt lediglich das Ziel, den Kindern viele Möglichkeiten für Sprachanlässe zu geben und ihre Mitteilungen auch in Worten festzuhalten. Festzustellen ist, dass eben nur ein geringer Teil - unter zehn - der öffentlichen Grundschulen und Grundschulen in freier Trägerschaft diese Methode favorisiert. Die meisten Grundschulen wählen andere Verfahren und Methoden.

Die Fibeln und Lesewerke, die für den Unterricht zugelassen sind, folgen meist einem Grundverfahren, das sie mit anderen Verfahren kombinieren, und nehmen darüber hinaus zunehmend auch Sprachanlässe auf.

Für den Anfangsunterricht haben nahezu alle Lehrbücher Anlauttabellen als ergänzendes Material, die für die phonologische Bewusstheit herangezogen werden. Früher hatte man dafür die Viererfenster. - So geht die ganze Rede. Deswegen erspare ich Ihnen den Rest, weil es sehr abstrakt und theoretisch ist.

Ich sage Ihnen nur: Unsere Menschen sind verschieden. Die pädagogischen Konzepte sind verschieden. Wichtig ist, dass der Lernerfolg da ist, und der ist in Sachsen-Anhalt mehr als gewährleistet.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke, Herr Minister. Ich sehe keine Anfragen. - Demzufolge kommen wir zur Debatte der Fraktionen. Dafür ist eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vorgesehen. Für die SPD-Fraktion hat die Abg. Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man hätte den Antrag der AfD-Fraktion noch ernst nehmen können, wenn es tatsächlich um eine Methode des Lesenlernens gegangen wäre, zu der es durchaus unterschiedliche Ansichten und mit der es durchaus unterschiedliche Erfahrungen gibt, was auch damit zusammenhängt, dass Kinder unterschiedlich lernen und dass ein Kind von einer Lernmethode profitiert und ein anderes Kind von einer anderen Lernmethode.

Der Beitrag von Herrn Tillschneider hat gezeigt, dass es ihm um etwas ganz anderes geht. Er hat das auch ganz deutlich gesagt. Ihm geht es dar

um, dass bestimmte Methoden verboten werden. Er möchte, dass das Bildungsministerium Methoden vorgibt, nach denen Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen lernen.

(Tobias Rausch, AfD: Na was denn sonst!)

Die Frage, die sich für mich stellt, ist: Wer soll das entscheiden? Auch das haben Sie in dieser Rede ganz deutlich mitbekommen. Natürlich möchte die AfD-Fraktion entscheiden, nach welchen Methoden Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen lernen.

(André Poggenburg, AfD: Wir entscheiden?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich setze nach wie vor auf die Freiheit, auf die Verantwortung und vor allen Dingen auch auf die gute Ausbildung unserer Pädagoginnen und Pädagogen. Auch das wurde in einem Nebensatz gesagt, dass sie infolge ihres Studiums - Sie machen wirklich eine langjährige Ausbildung über sieben bis acht Jahre - die individuellen Stärken und Defizite der Schülerinnen und Schüler erkennen können - das wurde ihnen abgesprochen - und genau daraus ableiten können, welche Lehrmethoden erfolgreich sind.

Schule ist bunt, weil die Lebenswelten ganz bunt sind, weil wir Schülerinnen und Schüler haben, die zunehmend heterogen sind.

Ich bin stolz darauf, dass wir Schulen haben, die in Schulkonferenzen sehr verantwortungsbewusst festlegen und auch immer wieder reflektieren und überprüfen, nach welchen Lernmethoden sie vorgehen.

Im Übrigen, wenn Sie sich den IQB-Ländervergleich anschauen, den die Kultusministerkonferenz regelmäßig zur Überprüfung der Bildungsstandards in Auftrag gibt, dann stellen Sie fest, dass Sachsen-Anhalts Schüler im Bundesvergleich wie im Übrigen in allen neuen Bundesländern gute bis sehr gute Ergebnisse gerade in den Kompetenzen Lesen und Schreiben aufweisen, was wahrscheinlich auch damit zu tun hat, dass die Reichen-Methode in Sachsen-Anhalt an keiner Schule in reiner Lehre praktiziert wird. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir fahren fort in der Debatte der Fraktionen. Für die Fraktion DIE LINKE hat die Abg. Frau BullBischoff das Wort. Bitte sehr.

Ja, meine Damen und Herren, ich will nur wenige Bemerkungen dazu machen. Zwei Redner vor mir haben schon gesagt, vielfältige Lebensformen erfordern immer auch vielfältige Lernstrategien, viel

fältige Methoden. Das war schon immer so, aber im Zuge der Inklusionsdebatte erkennen wir es an und erkennen wir auch die Konsequenzen daraus an.

(André Poggenburg, AfD: Damit hängt es also zusammen!)

Das heißt eben auch immer, dass Didaktik und Methodik ein Werkzeugkoffer sind, in dem sehr viele unterschiedliche Angebote, sehr viele unterschiedliche Strategien sind, die man Kindern anbietet, um sie beim Lernen zu begleiten.

Der Klassiker ist auch schon genannt worden, die Fibel-Methode. In der Tat. Es gibt aber eben auch jene Methode, Lesen durch Schreiben. Die gibt es seit 40 Jahren. Sie ist im Übrigen mit Unterstützung der Schweizer Wirtschaft damals entwickelt worden. Solange es diese Methode gibt, solange gibt es auch den Streit darüber, welche nun die effektivste ist.

Ich will Sie jetzt nicht damit belästigen, die Methode zu erklären, obwohl das durchaus interessant ist. Eines ist aber absoluter Schnulli, zu sagen, Kinder würden nicht korrigiert. Es ist in etwa damit vergleichbar, wenn Kinder das Sprechen lernen. Sie experimentieren mit Sprache. Sie probieren sich aus. Sie haben schon allein deshalb - das liegt in der Natur der Sache - ein korrektives Feedback, weil sie Eltern haben, weil sie Freunde haben. So ist es beim Schriftspracherwerb auch. Diese Methode ermöglicht einfach, sich von Anfang an mit Sprache zu beschäftigen, aber von Anfang an gibt es auch dieses korrektive Feedback.

Der Streit über die Methode oder über die Effektivität dieser Methode wird leider nicht nur wissenschaftlich geführt, sondern ist auch immer wieder verbunden mit Unterstellungen, mit Halbwahrheiten, mit Autoritätsbeweisen. Ich neige sonst nicht zur Medienschelte, aber in den Medien wird eine Menge Kauderwelsch hierüber erzählt und geschrieben.

Ebenso lange, wie es die Methode gibt, gibt es natürlich auch die Forschungen. Es ist so, wie es mit vielen Methoden in der Pädagogik ist, es gibt keine Forschung, es gibt nicht so etwas wie den - ich sage immer - gut hörbar einrastenden Kippschalter, dass man genau sagen könnte, das ist die Ursache und das ist die Wirkung, weil Bildung einfach niemals unter Laborbedingungen untersucht werden kann.

Jetzt haben wir das. Dann machen wir das. Deshalb ist das Ergebnis genau darauf zurückzuführen. - So etwas gibt es nicht. Pädagogik ist immer Arbeit in Ungewissheit.

Ganz davon abgesehen - das hat Frau Prof. KolbJanssen schon gesagt -, dass diese Methode in

den seltensten Fällen - ich kenne keinen - in Reinform unterrichtet wird. Selbst die großen Schulbuchverlage, die Fibeln herausgeben, arbeiten alle auch mit Anlauttabellen oder fast alle auch mit Anlauttabellen. Wir würden uns also irgendwo auch komplett lächerlich machen, meine Damen und Herren,

(André Poggenburg, AfD: Schon passiert!)

wenn wir an dieser Stelle sagen, wir verbieten das Arbeiten mit Anlauttabellen, was auch ein Bestandteil dieser Reichen-Methode ist.

Ich selber habe eine Lehrerin an der GB-Schule erlebt. Ich stütze also nicht die These, die gemeinhin vertreten wird, dass es insbesondere für schwächere - was auch immer das sein soll - Kinder nicht geeignet wäre. Ich habe es über mehrere Jahre verfolgt. Sie gehört zu meiner Hausgemeinschaft. Deshalb habe ich das ein bisschen von Nahem beobachten können.

Worüber ich mich etwas ärgere - das will ich auch hier auf offener Bühne sagen -: Ich weiß, dass es im Landeselternrat und im Landesschülerrat auch gefordert wurde, diese Methode zu verbieten. Ich hätte einfach den Rat oder den Wunsch, vor solch einer schweren Forderung einfach einmal zu sagen, wir holen uns Praktiker und Praktikerinnen heran, wir holen uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heran und lassen uns illustrieren, was sind die Chancen und was sind die Risiken einer solchen Methode, bevor man mit einer solchen Keule daherkommt.

Also, es ist keine Methode, die das Nonplusultra ist. Das gibt es in der Bildung überhaupt nicht. Es ist aber eben auch keine Methode, die besondere Aufmerksamkeit, besonderer Kontrolle und dergleichen bedarf.

Ein letztes Wort noch zur Besorgtheit, die ja auch im Antrag der AfD-Fraktion mitschwingt, die Besorgtheit über den Zustand der orthografischen Kompetenz unserer Kinder. Dazu will ich ganz klar sagen: Es gibt in Deutschland keine Rechtschreibkatastrophe. Der Durchschnitt der Schülerinnen und Schüler ist heute sehr viel kompetenter mit der Schriftsprache unterwegs. Es gibt Langzeitstudien, die besagen, dass die heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen die sichersten Rechtschreiberinnen sind.

Es ist problematisch mit sogenannten Randgruppen. Das ist aber auch nichts Neues. Deshalb ist es wichtig zu schauen, auf welches Kind passt welche Methode. Ich sage, die effektivsten Triebfedern sind nicht der Drill, nicht der Rohrstock,