Protokoll der Sitzung vom 25.08.2017

Unsere Fraktion bleibt jedoch bei der Auffassung, dass das Programm „Stabilisierung durch Teilhabe am Arbeitsmarkt“ nicht die Voraussetzungen erfüllt, Langzeitarbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Sie sagen selbst - ich zitiere -:

„Die Beschäftigungsmöglichkeiten im Landesprogramm „Stabilisierung durch Teilhabe am Arbeitsmarkt“ stellen zunächst sehr viel geringere Anforderungen an die Teilnehmer als reguläre Arbeitsplätze und sind daher nicht als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sondern als Arbeitsgelegenheit im Sinne des SGB II ausgestaltet.“

Mein Kollege Swen Knöchel sagte während Ihrer Regierungserklärung: Noch mehr Ein-Euro-Jobs. Genau das ist es, und nicht anderes.

Sie müssten doch langsam erkennen, dass die Vermittlung in Arbeitsgelegenheiten, also EinEuro-Jobs, weder gegen Langzeitarbeitslosigkeit noch gegen damit einhergehender Altersarmut wirkt.

Wir fordern seit Jahren ein Projekt - wir nennen es Gemeinwohlarbeit -, um langzeitarbeitslosen Menschen den Wiedereinstieg in ein Beschäftigungsverhältnis sinnvoll zu ermöglichen. Dabei sollen die Arbeitsplätze auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen, tariflich oder wenigstens ortsüblich entlohnt werden und voll sozialversicherungspflichtig sein, was eine Arbeitslosenversicherung einschließt.

Wir sehen solche Arbeitsverhältnisse vor allem im Bereich der Flüchtlingsarbeit, Kultur-, Sport- und Umweltarbeit und in Projekten der Betreuung von Jugendlichen, von Seniorinnen und Senioren.

Vor dem Hintergrund, dass mit den 10 Millionen € geplanten Landesmitteln eine wirkliche Gemeinwohlarbeit möglich wäre, können wir den vorliegenden Antrag nur ablehnen und verlangen eine Überführung des Programmes in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit Integrationshilfen für die langzeitarbeitslosen Menschen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch hierzu sehe ich keine Nachfragen. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abg. Frau Lüddemann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ein sozialer Arbeitsmarkt macht Sinn. Er macht so lange Sinn, wie in unserer Gesellschaft Teilhabe, Integration, materielle Sicherung und letztlich auch persönliche Identität durch unseren Platz im Erwerbsleben wesentlich bestimmt werden.

Arbeitslos zu sein bedeutet neben der natürlich gegebenen finanziellen Armut auch eine starke soziale Stigmatisierung. Die Person wird wesentlich über ein Defizit definiert. Sie zeichnet sich durch etwas aus, was sie nicht hat, nämlich einen Arbeitsplatz. Gerade für Menschen, die über Jahre hinweg arbeitslos sind, bedeutet dies, sich letztlich als nutzlos zu empfinden, keinen wirklichen Platz in unserer Gesellschaft zu haben, eine Defizitbiografie erzählen zu müssen.

Nicht umsonst erscheint uns der Name der Aktivistengruppe „Glückliche Arbeitslose“ als Wider

spruch in sich. Das behaupte ich einmal. Arbeitslos und glücklich? Das kann nicht sein, und das darf im Grunde genommen nicht sein; denn dann wird schnell das sozial moralische Urteil gesprochen: Sozialschmarotzer. Die soziale Hängematte wird dann gerne als Bild bemüht. Sie kennen das, und die Boulevardmedien spielen dieses Spiel auch sehr oft. Ich vermute, dass es in diesem Hohen Hause mindestens eine Fraktion gibt, die dieses Spiel sehr gut spielen würde, wenn es nicht eine Gruppe noch schwächerer Minderheiten gebe.

(Doreen Hildebrandt, DIE LINKE: Ja!)

Aber nun zum Thema zurück. Damit der Arbeitslose unter den gegenwärtigen Bedingungen zumindest ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Anerkennung erfährt, ist er gehalten, sein stetes Bemühen zu beweisen, doch irgendwie in Arbeit zu kommen. Ansonsten wird dieser Mensch in der öffentlichen Wahrnehmung eben schnell nur noch als Kostenfaktor betrachtet.

Was das mit der Integrität eines Menschen machen kann, ich denke, davon zeugen viele qualitative Studien zum Thema Arbeitslosigkeit. Wer sich bei den Selbsthilfeinitiativen und Erwerbsloseninitiativen konkret umschaut, der bekommt das hautnah mit und eindrücklich nahegebracht.

Wer arbeitslos ist, hat ständig um ein Mindestmaß an sozialer Anerkennung zu kämpfen. Ein sozialer Arbeitsmarkt verspricht neben der materiellen Absicherung eben gerade dieses Mindestmaß an sozialer Anerkennung.

Ich denke, Fallbeispiele, wo das gelungen ist, lassen sich bei dem Programm „Familien stärken - Zukunft sichern“, das als Blaupause für das jetzige Landesmodellprojekt dient, vielfach finden.

Wichtig ist mir - an dieser Stelle bin ich mit der CDU-Fraktion sehr einer Meinung - was wir in Punkt 3 finden, nämlich den Passiv-Aktiv-Transfer. Das möchte ich gern hervorheben. Dieser ist mit dem laufenden Programm nämlich noch nicht umgesetzt worden, das ist aber ein Ziel, das wir dringend erreichen müssen.

Es ist zu hoffen, dass nach der Bundestagswahl die Möglichkeiten geschaffen werden, diesen Passiv-Aktiv-Transfer dauerhaft in den Ländern einzurichten. Bisher gibt es nur befristete Modellprojekte. Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen haben es vorgemacht. Es wäre auch für Sachsen-Anhalt eine lohnende Möglichkeit.

Aber lassen Sie mich auch sagen: Gesellschaftspolitisch kann ein sozialer Arbeitsmarkt nur eine Übergangstechnologie sein. Denken wir jenseits der Tagespolitik, erscheinen mir Ansätze einer Entkopplung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung wegweisend.

So wie unser politisches Gemeinwesen allen Mitgliedern Meinungsfreiheit, das Wahlrecht und letztlich die Würde als Individuum unter Absehung der konkreten Personen zuteilwerden lässt, so sollte auch die materielle Existenzsicherung als unverbrüchliches und allgemeines Grundrecht gelten.

(Zustimmung von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Der Arbeitsmarkt wäre dann nicht mehr das Nadelöhr für einen vollwertigen Platz in der Gesellschaft. Der Bürger würde nicht mehr als Arbeitsbürger näher bestimmt. Vielmehr würde sich die allgemeine Handlungsfreiheit auch auf die Art und Weise erstrecken, wie jede Einzelne oder jeder Einzelne seine soziale Teilhabe verwirklicht, wie jede und jeder für sich seine Mitwirkung an der Gesellschaft vollziehen möchte.

Dies könnte natürlich weiterhin erwerbsförmig geschehen, müsste es aber nicht. Kein Jobcenter würde dann mit Argusaugen darüber wachen, dass man die dritte, vierte, fünfte Bewerbung schreibt, das sechste Bewerbungstraining absolviert, anstatt Gedichte zu schreiben, seine Kinder zu Hause zu betreuen oder sich in sozialen Initiativen einzubringen.

Sie merken, ich persönlich - seit letztem Samstag auch meine Landespartei - bin dafür, dass es Modellprojekte im Bereich Grundeinkommen gibt. Das ist aus unserer Sicht eine Alternative in der Perspektive eines sozialen Arbeitsmarktes. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Frau Lüddemann, Herr Raue hat eine Frage. - Bitte, Herr Raue, Sie sind an der Reihe.

Frau Lüddemann, das Modell des Grundeinkommens kennen wir schon länger. Mich interessiert aber, woher eigentlich die Motivation für die kommen soll, die für geringe Bezüge arbeiten gehen, das weiter zu tun, während ihre Kollegen, Nachbarn quasi die gleichen Bezüge haben, ohne zur Arbeit zu gehen. Das ist wirklich nicht ausreichend.

Das ist eine Frage, die absolut auf der Hand liegt. Da ist es genauso wie auch jetzt schon. Wenn man einmal zusammenrechnet, was jemand, der im Hartz-IV-Bezug ist, über sein persönliches Budget - so sage ich es jetzt einmal - hinaus an Heizkosten usw. bekommt, dann wird deutlich,

dass der Abstand zu denjenigen, die ihr Familienbudget über ein Mindesteinkommen sichern müssen, größer sein muss, damit es finanzielle Anreize gibt zu arbeiten.

Aber das Modell des Grundeinkommens unterstellt, dass es Menschen gibt, die in der Arbeit mehr sehen als tatsächlich nur Geld zu bekommen, sondern sich auch in die Gesellschaft einzubringen. Das ist der Unterschied.

(Zustimmung von Ulrich Thomas, CDU)

- Da kenne ich andere Leute als Sie.

(Ulrich Thomas, CDU: Da kenne ich kei- nen!)

Wir gehen weiter in der Debatte. Für die SPDFraktion hat abschließend der Abg. Herr Steppuhn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur so viel zur letzten Diskussion sagen, dass wir heute nicht über das bedingungslose Grundeinkommen reden. Aber richtig ist, dass wir uns, wenn wir eine Diskussion darüber führen, was man für Nichtarbeiten und was man für Arbeiten bekommt, wünschen, dass Arbeit besser bezahlt wird,

(Zustimmung von Doreen Hildebrandt, DIE LINKE)

als das vielfach der Fall ist, damit der Anreiz größer ist, Arbeitsplätze anzunehmen.

Herr Büttner, ich will zwar die Diskussion nicht aufmachen, aber dass wir hier über ein Arbeitsmarktprogramm reden, ist spätestens seit den Koalitionsverhandlungen bekannt. Es ist ebenso bekannt, dass wir mehr Polizisten einstellen wollen, dass wir mehr Lehrer einstellen wollen, dass wir mehr für die Umwelt tun wollen und dass wir mehr Straßen bauen wollen.

Genauso war der soziale Arbeitsmarkt Bestandteil. Sicherlich gab es auch Vorbereitungsarbeiten, die gemacht wurden. Jetzt haben wir das Ergebnis, dass ein Programm vorliegt, das andere Programme sinnvoll ergänzt. Wenn wir über einen sozialen Arbeitsmarkt reden, ist es nie ein Programm allein, sondern es ist das, was schon in der Vergangenheit passiert ist. Es gibt das SotaProgramm, die Programme „58 plus“ und „Familien stärken“. Dort setzt dieses neue Programm an. Alles das nennen wir sozialen Arbeitsmarkt.

Ich sage sehr deutlich: Wenn wir in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben, jährlich Landesgeld in Höhe von 10 Millionen € einzusetzen, dann ist das nicht nur eine Zielsetzung, son

dern die klare Aussage, dass wir einen sozialen Arbeitsmarkt verstetigen und dass wir mehr als bisher für langzeitarbeitslose Menschen tun wollen. Wir wissen, dass wir sehr dicke Bretter bohren müssen, um die Menschen in Arbeit zu bringen.

Deshalb, Herr Büttner, lade ich Sie gern ein - bislang waren Sie noch nicht da -, einmal in den Arbeits- und Sozialausschuss zu kommen. Dort reden wir über diese Dinge.

Weil ich glaube, dass die Opposition auf der anderen Seite noch ein wenig Aufklärungsbedarf hat und dass eine Diskussion zum Thema sozialer Arbeitsmarkt dem Ausschuss gut tut, vielleicht auch in der Diskussion mit der Landesregierung, mit der Ministerin, sehr fruchtbringend ist, würden wir heute auf eine Direktabstimmung unseres Antrages verzichten.

Ich beantrage eine Überweisung in den Sozialausschuss, sodass wir noch einmal eine Chance haben, ausführlich darüber zu reden. Das Angebot will ich hier ausdrücklich machen. Sie sehen, die Koalition ist sehr flexibel, auf solche Diskussionen wie heute zu reagieren. Ich würde mich freuen, wenn das Haus diesem Vorschlag auf Überweisung in den Sozialausschuss folgen würde. - Ansonsten herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Damit haben wir einen Überweisungsantrag zur vorliegenden Drs. 7/1760. Ich gehe von dem Sozialausschuss aus. Gibt es weitere Wünsche? - Das ist nicht der Fall. Ich stelle dies zur Abstimmung. Wer die vorliegende Drs. 7/1760 in den Sozialausschuss überweisen möchte, den bitte ich jetzt um sein Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Die Fraktion der AfD. Damit ist dieser Antrag überwiesen worden.

Lassen Sie mich zum Abschluss dieses Tagesordnungspunktes nur die kleine, nicht ganz ernst gemeinte - aber natürlich ganz ernst gemeinte - Bemerkung zu der Diskussion um das Grundeinkommen machen: Ich sehe vor mir nur Menschen, die überhaupt nicht wegen des Geldes, sondern nur wegen des Spaßes an der Arbeit hier sitzen.

(Beifall bei allen Fraktionen - André Pog- genburg, AfD: So ist es! - Ulrich Thomas, CDU: Das war Ironie, aber wir haben es verstanden!)

- Ich weiß nicht, weshalb Sie das als Ironie einschätzen, Herr Thomas. Ich bin da völlig offen.