Auch hierbei fehlt es mir an einer konsequenten Unterstützung dieser Maßnahmen, die wir in diesem Hohen Haus bereits beschlossen haben.
Brauchen wir noch einen Internationalen Frauentag? Es wird Sie sicherlich nicht verwundern, wenn ich diese Frage mit einem klaren Ja beantworte;
denn immer noch sind Frauen in ihrem Alltag, in ihrer Berufs- und Lebensplanung Barrieren gesetzt, heute subtiler als vor 100 Jahren.
Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien hat den Resonanzboden für einen antifeministischen Raum erweitert, in dem frauenverachtende Äußerungen wieder salonfähig werden.
Diejenigen, die eine Gender-Ideologie konstruieren und sich gegen Gender-Studies, Quotenregelung oder auch Aktionen wie den Equal-Pay-Day aussprechen, haben nach wie vor nicht verstanden, dass die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern heute nicht mehr in den Händen einiger weniger Vertreter eines
100 Jahre Frauenwahlrecht ist ein großartiges Ereignis. Lassen Sie es uns feiern! Lassen Sie es uns auch als Mahnung für die Dinge, die wir gemeinsam gestalten müssen, sehen, um tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Dr. Kolb-Janssen. Ich sehe keine Wortmeldung. - Somit kann die Ministerin Frau Keding für die Landesregierung das Wort ergreifen. Sie haben das Wort, bitte.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Landtags! In diesem Jahr feiern wir das 100-jährige Jubiläum des Frauenwahlrechts in Deutschland. Auch im Jahr 2019 werden wir davon nicht ablassen.
Diesem Anlass hat das Ministerium für Justiz und Gleichstellung auch die Veranstaltung gewidmet, die alljährlich anlässlich des Internationalen Frauentages durchgeführt wird. Dabei konnte ich auch die Landtagspräsidentin - das hat mich ausgesprochen gefreut, Frau Präsidentin - unter den Rednern begrüßen.
Der Fachvortrag von Frau Dr. Uta Kletzing beschäftigte sich mit der unzureichenden Repräsentanz von Frauen in politischen Ämtern und dabei unter anderem auch mit der Möglichkeit eines Parité-Gesetzes.
Meine Damen und Herren! Auch in der heutigen Aktuellen Debatte müssen wir uns die Frage stellen, sind Frauen heute schon in ausreichendem Maße Entscheider oder wird noch allzu oft über sie entschieden.
Um die gegenwärtige Situation besser einschätzen zu können, lohnt sich ein Blick in die Geschichte, wie ihn Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen eben schon begonnen hat.
Frauenwahlberechtigung ist eben keine Selbstverständlichkeit. Vorreiterin des Frauenwahlrechtes war die 1748 in Frankreich geborene Schriftstellerin Olympe de Gouges. Schon während der Französischen Revolution verfasste sie unter anderem eine „Erklärung der Rechte der Frau und
Bürgerin“, mit der sie sich gegen die Ansichten der männlichen Revolutionäre stellte. Dieses Engagement führte dazu, dass Olympe de Gouges im Jahr 1793 auf Betreiben von Maximilien de Robespierre als Feindin der Revolution verhaftet und noch im selben Jahr hingerichtet wurde.
Anschließend bedurfte es noch einer langen politischen Diskussion, eines Kampfes von 125 Jahren, bis am 30. November 1918 in Deutschland das Reichswahlgesetz in Kraft trat. Dieses sah erstmals das aktive und passive Wahlrecht für Frauen vor. Anderthalb Monate später, am 19. Januar 1919, fanden dann die Wahlen zu der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung statt, an der sich sowohl Männer als auch Frauen beteiligen konnten.
Frau Prof. Kolb-Janssen hat es ausgeführt: Es traten 300 Frauen an. 82 % der Frauen gingen zur Wahl. Das war damals ein großer Erfolg und wäre es heute auch. Zu bedenken ist aber auch, dass unter den insgesamt 421 Abgeordneten letztlich nur 37 Frauen waren, was einem Anteil von nur 8 % entspricht.
Weniger bekannt als die Wahl zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung ist auch in Sachsen-Anhalt der freudige Umstand, dass die allererste Wahl auf deutschem Boden mit aktivem Wahlrecht für Frauen bereits am 15. Dezember 1918 hier bei uns, nämlich im ehemaligen Freistaat Anhalt stattfand.
Dies war auch der Anlass, den Sitz des früheren Landtages an der Kreuzung Friedrichstraße/FritzHesse-Straße in Dessau-Roßlau in das Programm der Frauenorte aufzunehmen.
Wir können also festhalten: Der Leitspruch “Modern denken“, wie wir ihn für das Bauhausjahr 2019 postulieren, trifft in Sachsen-Anhalt gleich in mehrfacher Hinsicht zu und ist uns auch Anspruch und Verpflichtung.
Meine Damen und Herren! Das Frauenwahlrecht war ein wichtiger Sieg in einem langen Kampf um die staatsbürgerliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Zu einer ausgewogenen politischen Repräsentation der Geschlechter hat das freie, gleiche, geheime, unmittelbare und allgemeine Wahlrecht aber in 100 langen Jahren noch nicht geführt.
Um damit die eingangs gestellte Frage zu beantworten, ob Frauen heute schon oft genug Entscheider sind, möchte ich Ihnen einige Zahlen vor
Augen führen: Unter den 87 Abgeordneten, die hier im Landtag sitzen, sind nur 19 Frauen. Die einzige Frau im dreiköpfigen Präsidium des Landtags sind Sie, Frau Präsidentin Brakebusch.
Unter den fünf Fraktionsvorsitzenden des Landtags befinden sich zwei Frauen. Im Kabinett sind nur drei von zehn Ministern weiblich. Von den 14 Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte ist nur ein Amtsträger weiblichen Geschlechts.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass wir von der Umsetzung der Gleichberechtigung, also der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, ein gutes Stück entfernt sind. Zahlen im Land Sachsen-Anhalt belegen, dass sich an der bestehenden Unterrepräsentanz auf kommunaler Ebene kaum etwas geändert hat.
Auch die bislang erfreuliche Entwicklung des Frauenanteils bei den Landtagsmandaten konnte in der aktuellen Legislaturperiode nicht fortgeführt werden.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Daraus leitet sich für uns ein Handlungsauftrag ab. Der Koalitionsvertrag des Landes SachsenAnhalt, der im Augenblick gilt, sieht deshalb vor - ich zitiere -:
„Um eine paritätische Besetzung von Kandidierendenlisten zu erreichen, wollen wir prüfen, ob ein verfassungskonformes Parité-Gesetz auf den Weg gebracht werden kann, das Regelungen sowohl für die kommunale Ebene als auch die Landesebene enthält.“
Mit einem Parité-Gesetz - lässt sich einfach dahinsprechen - soll den Parteien die paritätische Besetzung ihrer Kandidierendenlisten vorgeschrieben werden. Damit wäre es keine freiwillige Entscheidung der Parteien mehr, Geschlechterquoten bei der Aufstellung der Kandidaten einzuführen, sondern eine gesetzliche Verpflichtung.
In diesem Zusammenhang müsste zunächst geklärt werden, ob und inwieweit Geschlechterquoten in die grundgesetzlich geschützte Parteienfreiheit und in die Wahlrechtsgrundsätze eingreifen.
Ferner müsste geklärt werden, ob gegebenenfalls ein solcher Eingriff durch das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes gerechtfertigt werden könnte. Es gibt aber auch andere Vorschläge zur Veränderung des Wahlrechtes.
So hat sich zum Beispiel Brigitte Zypries für eine stärkere Personalisierung des Wahlverfahrens ausgesprochen. Dadurch könnten der Einfluss der Wählerschaft auf die Personalauswahl der Parteien und damit wohl auch die Chancen von Kandidatinnen erhöht werden. So würden die Parteien zwar weiterhin Listen erstellen, die Wählerinnen und Wähler müssten sich aber nicht nur für eine Liste entscheiden. Vielmehr könnten sie bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten aus den Listen herausgreifen.
Wer im unteren Teil einer Liste stünde - dort finden sich Frauen eben doch sehr häufig wieder -, hätte also dieselbe Chance, gewählt zu werden, wie jemand, der im oberen Teil zu finden wäre. Bei verschiedenen Kommunalwahlen ist dieses Prinzip bereits bekannt.
Meine Damen und Herren! Wir planen eine Fachtagung, bei der solche Ansätze diskutiert und geprüft werden sollen, auch und gerade unter dem Aspekt der Verfassungskonformität.
Neben diesem rechtlichen Ansatz dürfen wir aber auch soziale Aufstiegsbarrieren nicht aus dem Blick verlieren. Eine bessere Teilhabe von Frauen an politischen Mandaten werden wir nicht erreichen, wenn wir nur eine Stellschraube verändern. Die Probleme sind vielschichtiger.
Noch immer herrschen politische Entscheidungs- und auch Zeitstrukturen vor, die Kinderlose und solche Familien bevorzugen, in denen ein Elternteil überwiegend Erziehung und Pflege übernimmt.
Familie und Beruf sind nicht immer leicht miteinander zu vereinbaren. Noch viel schwieriger wird es, wenn ein politisches Ehrenamt hinzukommt oder sogar eine politische Karriere mit ihren enormen Anforderungen an das Zeitbudget.
Ein weiteres Problem ist das mangelnde Vertrauen in die Kompetenz und Leistungsfähigkeit von Frauen, und das, obwohl wir heute die am besten ausgebildete Generation von Frauen überhaupt haben.
All das wirkt sich negativ auf die Teilhabe an politischen Ämtern aus und kann nur über vielfältige und breit aufgestellte Aktivitäten und Maßnahmen geändert werden.