Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Hälfte der Macht den Frauen - eine klare Forderung, deren Logik aus meiner Sicht nur bestechen kann. Denn es liegt doch auf der Hand, eine Bevölkerungsgruppe, die sogar mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellt, sollte wenigstens die Hälfte der Macht in den Händen halten.
Vor 100 Jahren wurde mit der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland ein entscheidender Schritt in diese Richtung unternommen. Bei der Landtagswahl in Anhalt am 15. Dezember 1918 konnten zum ersten Mal in Deutschland Frauen wählen, noch vor der Nationalversammlung. Im Nachrückverfahren zog Marie Kettmann als erste weibliche Abgeordnete in das anhaltische Parlament ein. Gedacht wird ihrer heute mit einer Gedenktafel in Dessau - Frau Ministerin hat es dankenswerterweise schon erwähnt - im Rahmen des Projektes „Frauenorte“. Für diese Gedenktafel - das sei mir gestattet zu erwähnen - hat der grüne Kreisverband schon vor über zehn Jahren die Patenschaft übernommen.
Als bundesweit markantes Datum gilt natürlich der 19. Januar 1919. An diesem Tag konnten Frauen erstmals auf nationaler Ebene ihr Wahlrecht bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung nutzen. Dies war mit der Verordnung über die Wahlen zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 gesetzlich ermöglicht worden.
Diese Erfolge bei der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahezu überall in Europa kommen - das muss man sich aus heutiger Perspektive, glaube ich, noch einmal klarmachen - einer Kulturrevolution gleich, einer kulturellen und politischen Umwälzung, deren Erfolg ein jahrzehntelanger politischer Kampf und das Ringen um Deutungshoheit vorausgingen.
Schließlich revidierte ein allgemeines Wahlrecht eine bis dahin tradierte gesellschaftliche Ordnungsvorstellung; denn bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galt es als selbstverständlich, ja als Ausdruck einer natürlichen Ordnung, dass die häusliche Sphäre der soziale Raum der Frau ist, die öffentliche Sphäre, also Politik und Erwerbsarbeit, der soziale Raum des Mannes.
gang und gäbe - nach dem Essen die Männer in ihre Runde im Kaminzimmer zurückzogen und über Politik sprachen, die Frauen sich zurückzogen, um häusliche Themen zu besprechen oder die Hausarbeit zu erledigen.
Damit einher gingen natürlich grundlegende Zuschreibungen für die Geschlechter. Kurz und knapp, es galt: Frauen haben keine Ahnung von Politik, Männer keine Ahnung von Kindererziehung. Den einen fehlte angeblich der nüchterne Verstand, den anderen Empathie und Gebärfähigkeit.
kaum zu ermessen, was es für die ersten Frauen Marie Kettmann in Anhalt und Marie Juchacz in Berlin - die Kollegin hat darauf hingewiesen - bedeutete, als erste Frauen in diese Männerdomäne einzudringen und sich auch noch zu Wort zu melden und mitmischen und mitbestimmen zu wollen.
Ihrem Engagement und ihrer Beharrlichkeit haben wir es zu verdanken, dass heute Frauen wie Männer gleichermaßen als politische Bürgerinnen und Bürger begriffen werden, als Trägerinnen und Träger gleicher politischer Teilhaberechte.
Aber wie heißt es so schön: recht haben, ist nicht recht bekommen. 1918 wurden die strukturellen Grundlagen gelegt, der Zugang zu politischer Macht wurde für Frauen eröffnet. Aber adäquate und tatsächliche politische Beteiligung haben wir bis heute nicht.
Man muss sich nur hier im Hohen Hause einmal umschauen. Das kann ich denjenigen, die dieser Debatte folgen, nur empfehlen. 22 % Frauenanteil ist inakzeptabel.
In unseren Kommunalparlamenten sind es sogar nur 20 %, im Bundestag 31 %. Je konservativer ein Parlament, desto weniger Frauen.
Deshalb ist der politische Kampf von Olympe de Gouges in Frankreich zu Zeiten der Französischen Revolution, von Hedwig Dohm und Louise Otto-Peters, den Suffragetten in England, von Hildegard Hamm-Brücher, Petra Kelly oder Rita Süssmuth noch nicht zu Ende. Im Gegenteil: Heute gilt es, vermeintlich sicher geglaubte Errungenschaften tatsächlich zu sichern und Rückschritten klar entgegenzutreten.
Aber, liebe Kolleginnen, in einem solchen Jubiläumsjahr darf man sich auch mal freuen über alles, was erreicht wurde, und den langen und auch steinigen Weg der Frauenbewegung würdigen.
Wenn man bedenkt, dass es Frauen überhaupt erst seit 1908 erlaubt ist, eigene Vereine zu gründen, ist doch schon einiges passiert in den letzten 100 Jahren. Allerdings haben wir noch viel zu oft den Normalfall „Mann“ und den Ausnahmefall „Frau“. Daran ändert auch eine Kanzlerin, auf die immer wieder gern verwiesen wird, nichts, wenngleich ich anerkenne, dass die neue schwarz-rote Koalition auf Bundesebene zumindest im Kabinett durchaus Frauen einiges zutraut. Ich nehme das mal als positives Zeichen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Welt war und ist nie eindimensional. Nicht nur die Geschlechterdifferenz war und ist mächtig bei der Zuteilung von Rollenbildern, persönlichen Identitäten und Lebenschancen, sondern die Debatten zum Wahlrecht entzündeten sich - das muss man ganz klar sehen - an der Klassenfrage.
Das Preußische Dreiklassenwahlrecht steht dafür Pate. Es war ja nicht so, dass vor der Einführung des allgemeinen Wahlrechts einfach galt: Alle Männer dürfen wählen und alle Frauen dürfen nicht wählen. Ebenso stritten auch - das muss man der Ehrlichkeit halber dazusagen - nicht alle Frauengruppen für ein allgemeines Wahlrecht für alle Frauen. Vielmehr knüpfte sich damals an das Wahlrecht die weitere Bedingung, über Eigentum zu verfügen oder zumindest nicht auf Sozialtransfers angewiesen zu sein.
Auch Soldaten war lange das Wahlrecht verwehrt. Also auch für Männer stand der volle Bürgerstatus unter weiteren Einschränkungen, und entsprechend stritten bürgerliche Frauen für ein Wahlrecht einzig für Frauen der vermögenden Schichten. Sich gemein zu machen mit Arbeiterfrauen stand damals nicht auf der Agenda.
Historisch ergibt sich ein überaus vielgestaltiges Bild, das geprägt ist von zahlreichen zeitlich versetzten Entwicklungen, bis in Europa flächendeckend das uneingeschränkte Wahlrecht für alle, unabhängig von Geschlecht und sozioökonomischem Status, galt.
100 Jahre Frauenwahlrecht müssen alle Demokratinnen und Demokraten anspornen, aktuellen Handlungsbedarf anzupacken. Weiterhin sind Menschen mit Behinderungen, die in allen Belangen des Lebens einen Betreuer haben, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Im Sinne eines inklusiven Wahlrechts ist das nicht hinnehmbar.
Auch jungen Menschen ist nach wie vor das Wahlrecht vorenthalten. Auch junge Menschen ab 14 Jahren sind als vollwertige Bürgerinnen und Bürger anzuerkennen. Sie sind Teil des politischen Gemeinwesens. Entsprechend sollten auch sie wählen dürfen.
Schließlich gilt es nach grüner Auffassung, auch ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern politische Teilhabe via Wahlen zu ermöglichen.
Deutschland hat, wer sich hier engagiert und vielleicht sogar Steuern zahlt, sollte auch mitbestimmen dürfen.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Menschen mit Behinderungen, Jugendlichen und ausländischen Mitbürgern steht die Erfolgsgeschichte des Frauenwahlrechts noch bevor.
Mich haben die mutigen Geschichten der tapferen Frauen der Wahlrechts- und Frauenbewegung immer sehr bewegt. Sie haben gezeigt: Gerade am Anfang verlachte Ideen können zu einer Erfolgsgeschichte werden, und sie können Gesellschaften grundlegend verändern.
Ich habe die große Hoffnung, dass es wieder zu einer gesellschaftspolitischen Veränderungsbewegung kommt, anderes als sich das die Herren vom rechten Rand vermutlich vorstellen und erträumen.
Mehr Menschen, gleiche Rechte und Pflichten, gleichzeitig den Frauen die Hälfte der Macht. Das Jubiläum „100 Jahre Frauenwahlrecht“ sollte uns dazu Ansporn sein. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abg. Lüddemann. Ich sehe keine Anfragen. - Somit kommen wir zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern. Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordnete! Frauenwahlrecht - ein Wort, das sich aus drei Begriffen zusammensetzt. Alleine diese einzelnen Begriffe führen zur Sprachlosigkeit, wenn man bedenkt, dass wir in diesem Jahr tatsächlich erst den 100. Geburtstag dieses doch so selbstverständlich anmutenden Rechtes feiern.
Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung dar. Wahlen, egal auf welcher Ebene, haben Auswirkungen auf alle Menschen, Frauen und Männer. Recht ist etwas, das dem Grundsatz nach kein Geschlecht kennt. Nicht umsonst trägt Justitia eine Augenbinde. Denn alle Menschen sind vor dem Gesetz, dem Recht, gleich.
Und doch gab es eine Zeit, in der es selbstverständlich war, dass nur Männer entscheiden durften, dass nur Männer wählen gehen durften, dass Männer deutlich mehr Macht als Frauen hatten - eine eklatante Ungerechtigkeit, gegen die viele Frauen zu Recht aufbegehrten. Ich zitiere hierzu Bernhard Schlink aus seinem aktuellen Buch „Olga“:
„Mit Olga erinnere ich mich an eine Generation von Frauen, die unter ihren Fähigkeiten leben mussten - an der Seite von Männern, die über ihren Fähigkeiten lebten.“
Wie treffend. Doch war es die Einsicht der Männer, ihre Fähigkeiten würden für die Politik nicht ausreichen, sie bedürften der Frauen, um Politik zu machen, die zum Frauenwahlrecht führte? - Mitnichten.
Es waren Frauen, viele von ihnen heute schon genannt, die sich ihre Rechte und die Rechte kommender Frauengenerationen hart erkämpft haben. Frauen, die zunächst belächelt, beschimpft, gar bekämpft wurden, die aber in ihrer gemeinsamen Stärke dann doch erfolgreich waren und das Frauenwahlrecht in Deutschland einführten.
Sie riefen laut, auf allen Straßen und Plätzen hörbar: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht!“ Und noch heute gilt unser Dank diesen Frauen für ihre Haltung, ihren Mut und ihre Ausdauer.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich ahne, dass es für Mädchen der jetzigen Generation unvorstellbar ist, dass einst eine solche eklatante Ungerechtigkeit zwischen Frauen und Männern bestand. Genau deshalb ist es auch so wichtig, dass wir dieses historische Ereignis in diesem Jahr feiern, daran erinnern. Deswegen auch Dank an die SPD-Fraktion für die Aktuelle Debatte.
Frauenquote: Nein, danke! Das war meine Reaktion, als ich mit 18 Jahren begann, politisch aktiv zu werden. Mein unumstößlicher Grundsatz als 18-Jährige: Ich werde mit dem überzeugen, was ich kann, und ich muss besonders gut sein, um etwas zu erreichen. Heute, mehr als 20 Jahre später, sage ich: Ohne Frauenquote geht es nicht. Kein Mann - kluge Ausnahmen mag es auch hier geben - teilt seine Macht mit einer Frau oder gibt sie gar an eine Frau ab.