Protokoll der Sitzung vom 08.03.2018

Ja, Herr Haseloff, da gebe ich Ihnen recht. 28 Jahre nach der Wende haben wir immer noch eine Spaltung in Ost und West. Wir haben eine soziale Spaltung, eine wirtschaftliche Spaltung, eine Benachteiligung in Infrastrukturfragen sowie in der Daseinsvorsorge, und wir haben die massive Benachteiligung bei der Besetzung von Führungspositionen in Wirtschaft und Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber, Herr Haseloff, sagen Sie mal, warum haben Sie denn diese Probleme und auch die Lösungen in Berlin nicht mit in den Koalitionsvertrag eingebracht? Wozu waren Sie eigentlich da?

Ihr Kollege Horst Seehofer hat übrigens, wenn die Verhandlungen irgendwie nicht richtig weiter gingen, immer gerne eine Mandarine oder Orange geschält. Er hat also scheinbar zumindest versucht, an den Kern der Lösung und der Probleme heranzukommen, vorzudringen.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Das hätten Sie auch einmal an der Stelle machen sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Erstens ist es gesund, und zweitens würden Sie feststellen, dass Sie und Ihre Partei es waren, die regelmäßig mit Billiglöhnen und wenig Tarifbindung sowie betrieblicher Mitbestimmung in Sachsen-Anhalt geworben und so eine wirkliche OstWest-Angleichung bei den Einkommen verhindert haben. Und dass bei geringeren Einkommen auch geringere Steuereinnahmen die Folge sind, erschließt sich, glaube ich, auch Ihnen.

Aber schauen wir uns doch einmal ein paar Punkte im Koalitionsvertrag und deren Wirkung auf die ostdeutschen Länder ein wenig genauer an. Grundsätzlich gibt es keine Äußerung zur Lohnangleichung Ost-West im Koalitionsvertrag. Lediglich beim Pflegemindestlohn wird die Ost-West-Angleichung benannt und gefordert, dass sich die Pflegemindestlohnkommission damit doch bitte beschäftigen möge.

Die immer noch vorhandenen Lücken in der Rentengerechtigkeit spezifischer Berufsgruppen wie Krankenschwestern und DDR-Geschiedener werden völlig ignoriert, und die halbherzigen Ankündigungen bei der Rente, der Pflege und im Gesundheitswesen reichen bei Weitem nicht aus, um massenhafte Altersarmut im Osten und eine Verschärfung des Pflegenotstands zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Solidarpakt III bzw. die Förderung strukturschwacher Regionen soll fortgesetzt werden. Hierzu soll laut Koalitionsvertrag ein Bundespro

gramm aufgelegt werden. Aber wichtig wäre es doch an der Stelle, genaue Höhen festzulegen, also das Ganze auf sichere finanzielle Füße zu stellen.

Es soll keine nach vorn gerichtete Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik geben. Die beabsichtigten Regelungen zu befristeten Arbeitsverträgen sind völlig unzureichend. Und daneben: Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten sollen nur noch höchstens 2,5 % der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen.

Aber wie Ihnen bekannt ist, ist die Unternehmensstruktur in Sachsen-Anhalt geprägt durch viele, viele kleine und mittelständische Unternehmen, sodass diese Regelungen hier im Osten kaum greifen werden.

Auch Leiharbeit, Werkverträge und erzwungene Teilzeit geht man nicht an. Das schon vor Jahren versprochene Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit für alle soll nun kommen, aber leider nur für Firmen ab 45 Beschäftigten, wobei der Rechtsanspruch nur für einen von 15 Mitarbeitern besteht.

Auch das wird aufgrund unserer kleinteiligen Wirtschaft im Land keine Wirkung entfalten. Der Osten bleibt somit in dieser ganzen Thematik guter Arbeit nur zweiter, und ich sage, sogar nur dritter Klasse.

Fachkräftemangel und Ähnliches kann man übrigens mit diesen Dingen auch nicht abändern.

Es gibt übrigens auch keine Aussagen zur Weiterentwicklung des gesetzlichen Mindestlohnes. Unsichere Beschäftigung und Niedriglöhne werden somit weiterhin das Leben von vielen Menschen, gerade hier im Osten, prägen. Und es geht weiter mit einem erpresserischen Hartz-IV-System.

Wohl aber soll es eine Ausweitung der Minijobs geben. Die wird als Entlastung der Beschäftigten dargestellt, weil sie weniger Sozialabgaben zahlen müssen. Die Arbeitgeber zahlen natürlich auch weniger, und die Betroffenen, meine Damen und Herren, können sich jetzt schon auf eine Armutsrente einstellen.

(Ulrich Thomas, CDU: Gut, dass Sie keine Politik machen!)

Haben Sie toll gemacht, CDU, SPD und CSU.

Auch in Fragen der betrieblichen Mitbestimmung versagt die GroKo auf ganzer Linie.

(Ulrich Thomas, CDU: Die haben doch noch gar nicht angefangen!)

Eine echte Regelung zum Schutz nationaler Vorschriften über die Mitbestimmung für grenzüberschreitende Verlagerung von Unternehmenssitzen wurde nicht getroffen.

(Zuruf von Ministerpräsident Dr. Reiner Ha- seloff)

Und Betriebsräte sind in wirtschaftlichen Fragen ihres Unternehmens weiterhin nur Zuschauer und können nichts gegen Betriebsverlagerungen oder Schließungen tun, obwohl das Unternehmen mehr als gewinnträchtig und/oder von regionaler Bedeutung ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist zwar begrüßenswert, dass Schwarz-Rot die Kinderrechte endlich in der Verfassung verankern will, aber, meine Damen und Herren, das läuft jedoch ins Leere, wenn die materielle Situation von Familien nicht verbessert und die millionenfache Kinderarmut weiterhin nicht bekämpft wird.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Dagmar Zoschke, DIE LINKE)

Gerade auch an der Armut von Hartz-IV-Beziehenden und ihren Kindern ändert sich nichts, denn auch die 25 € mehr Kindergeld werden ihnen gnadenlos abgezogen.

Die SPD möchte sich gern dafür feiern lassen, dass die von ihr selbst mit abgeschaffte paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nun wieder eingeführt wird. Aber minimale Korrekturen an den Auswüchsen einer ungerechten Politik reichen auch hierbei nicht aus. Nötig wäre die Einführung einer Bürgerversicherung, zu deren Finanzierung alle mit all ihren Einkünften einen fairen Beitrag leisten. All dies könnte die Etablierung einer Zweiklassenmedizin verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Die große Koalition hatte am Ende der letzten Legislaturperiode noch schnell beschlossen, dass es 2025 die Angleichung der Rentenwerte geben soll. Das ist leider grundsätzlich viel zu spät. Auch die Höherstufung der Niedriglöhne Ost wird dort gestrichen.

Das ist alles mehr als schlecht gemacht und ist Teil einer kompletten Ignoranz geschichtlicher, struktureller und regionaler Besonderheiten der ostdeutschen Bundesländer.

Dieser Koalitionsvertrag wird die soziale Spaltung zwischen Ost und West leider weiter vertiefen. Wachsende soziale Ungleichheit, Ausbreitung von Alters- und Kinderarmut und vieles mehr werden die Folgen sein. Vor allem wird es weiter am Geld fehlen, um zum Beispiel das Bildungssystem in Sachsen-Anhalt wieder auf Niveau zu bringen.

Mit diesem Koalitionsvertrag werden wichtige Zukunftsthemen nicht angegangen, und die realen Lebens- und Arbeitssituationen der Menschen, gerade in den ostdeutschen Bundesländern, werden bewusst ignoriert. Auch und gerade diese GroKo wird in Fragen der Angleichung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse zwischen Ost und West versagen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt keine Frage an den Einbringer. - Für die Landesregierung spricht der Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff.

(Marco Tullner, CDU: Oho, Chefsache!)

Genau, Herr Tullner. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist Frauentag, und meine Frau hat mir für die heutige Landtagssitzung gesagt: Und lass Dich nicht locken! Das werde ich auch nicht zulassen. Trotzdem ein Satz außerhalb meines Redemanuskriptes. Herr Höppner, dass es überhaupt diesen Tagesordnungspunkt gibt, ist dem geschuldet, das es Sie 40 Jahre lang gab, und das ist unser Problem.

(Beifall bei der CDU)

Ich will gar keine weiteren Ausführungen dazu machen. Aber es ist letztlich unsere deutsche Geschichte, die Sie in Ihrer Verantwortung - jetzt nehme ich Sie einmal nicht persönlich, sondern in der Kontinuität - auch mit den politischen Strukturen zu verantworten haben, und demzufolge müssen wir uns jetzt mit der Aufarbeitung dieser Dinge beschäftigen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der finale Entwurf des Koalitionsvertrages liegt seit einem Monat vor. Er umfasst 177 Seiten. Es war also ausreichend Zeit, ihn, diesen Koalitionsvertrag, gründlich zu lesen. Manch einer hat das aber, wie ich gerade festgestellt habe, nicht getan. Das ist schade.

Ich nehme nur einmal die 148 Punkte, die für mich ganz relevant sind, und versuche, sie jetzt hier nicht alle vorzulesen, sondern nur einmal mit den ersten zehn zu beginnen: 300 € mehr Kindergeld im Jahr, gleichzeitig steigt der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend,

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

Baukindergeld durchgesetzt mit 1 200 € pro Kind und Jahr, 15 000 zusätzliche Stellen für mehr Sicherheit, 2 000 neue Stellen in der Justiz, Mütterrente II durchgesetzt, Verbesserung bei der Anrechnung von Erziehungszeiten ab drei Kindern bei der Rente, 1,5 Millionen neue Wohnungen in den nächsten vier Jahren, Breitbandausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025, Anerkennung der Lebensleistung durch eine erhöhte Grundrente, Digitalpakt Schule - 5 Milliarden € für fünf Jahre -, Infrastruktur in allen Schulen, gemeinsame Cloudlösung für Schulen und Qualifizierung der Lehrkräfte, Sofortprogramm Pflege mit 8 000 neuen Stellen.

Das waren nur zehn Punkte von 148. Ich will es erst einmal mit dieser Liste bewenden lassen, weil

ich aufgrund der limitierten Zeit - sieben Minuten und 30 Sekunden habe ich noch - nur ganz wenige hier entsprechend reflektieren kann.

Wer keine Probleme mit dem Lesen hat, erkennt unschwer, dass sowohl die ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger, die hiesigen Kommunen wie auch die Wirtschaft in Ostdeutschland sehr stark von diesem Koalitionsvertrag profitieren.

Dass dies gelungen ist, liegt daran, dass wir uns - damit meine ich auch zum Beispiel Frau Pähle, Frau Schwesig, Herr Kretschmer, meine Wenigkeit für die Federführung in einer Arbeitsgruppe seitens der CDU - gemeinsam während der Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen für die Interessen Ostdeutschlands eingesetzt haben. Die Landesregierung hat einen Forderungskatalog mit 87 thematischen Einzelforderungen erarbeitet, die ich auch in andere Arbeitsgruppen geben konnte.