Protokoll der Sitzung vom 19.04.2018

Lassen Sie es mich deutlich sagen: Was Sie mit Ihrem Antrag versuchen, ist nicht nur ein Angriff auf die Justiz im Einzelfall. Ihr Antrag - auch die Kollegin Schindler hat es schon deutlich gemacht - entlarvt Sie zugleich als Heuchler. Vor etwas mehr als einem Jahr, im Januar 2017, haben Sie die Abschaffung des Weisungsrechts der Staatsanwaltschaft gefordert. Ihr damaliger Antrag sprach gegenüber der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit diesem Weisungsrecht als potenziellem Willkürrecht und vordemokratischem Fremdkörper.

Heute wollen Sie dieses Weisungsrecht interessengeleitet in Anwendung bringen. Das ist billige Stimmungsmache und zeigt, Sie haben den Rechtsstaat nicht verstanden. Sie wollen Rechtsstaat nicht verstehen. Sie hassen das Recht. Sie haben keinen Respekt vor der Gewaltenteilung.

Ihren Antrag lehnen wir ab. Wir setzen uns für ein Verfahren ein, das zur Aufklärung des Todes von Marcus H. führt. Dieses Verfahren läuft bei der zuständigen Staatsanwaltschaft. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich habe dazu eine Wortmeldung von Herrn Roi. Herr Roi, Sie haben das Wort.

Herr Striegel, vielen Dank wieder einmal für Ihre Belehrungsstunde zum Thema Rechtsstaat. Aber zum Rechtsstaat gehört auch das Parlament, und

das Parlament hat eine gewisse Kontrollfunktion. Das ist Ihnen vielleicht bekannt. Wir machen das hier nicht aus Jux und Tollerei, sondern es gibt bei diesem Fall auch Öffentlichkeit, und es gibt Zitate nicht von irgendwem, sondern von demjenigen, der den Rettungsdienst gerufen hat und sicherlich auch als Zeuge verhört wird.

Dieser Zeuge widerspricht öffentlich den Darstellungen dieser ersten, vorhin zitierten Pressemittelung der Staatsanwaltschaft aus Dessau. Das ist der erste Aspekt. Das kommt nicht oft vor. Vielleicht können Sie mir einmal sagen, wie oft so etwas vorkommt.

Zweiter Aspekt, Polizeidirektion Ost: Auch dort gab es Diskussionen. Es gibt die Aussage eines Polizeibeamten dazu, der sagt, wir haben diese Pressemitteilung nicht gezeichnet - aus gutem Grund.

Das sind die Gründe, warum wir da genauer hinschauen wollen. Nur das sind die Gründe. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis!

Und sagen Sie mir doch mal: In wie vielen Fällen ist denn das so, dass eine Polizei die Aussage der Staatsanwaltschaft nicht zeichnet und das auch öffentlich äußert? Sagen Sie mir mal, wie oft das vorkommt in unserem Land.

(Beifall bei der AfD)

Ich fürchte, Herr Roi, das kommt an sehr vielen Stellen vor. Das hat damit zu tun, dass die Polizei für solche Pressemitteilungen, wenn ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren läuft,

überhaupt nicht mehr zuständig ist, weil nämlich der Staatsanwalt verfügt, dass er die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit übernimmt. Insofern ist das zunächst einmal kein ungewöhnlicher Vorgang.

Dass es Zeugenaussagen in Ermittlungsverfahren gibt, ist auch kein ungewöhnlicher Vorgang. Dass sich diese Zeugenaussagen widersprechen, ist ein völlig normaler Vorgang. Genau dafür haben wir eine Staatsanwaltschaft. Die trägt dann die unterschiedlichen Zeugenaussagen, die Sachbeweise, die Videomaterialien und alles, was auch immer zur Aufklärung des jeweiligen Tatgeschehens beitragen kann, zusammen.

Und sie hat dann das vorliegende Material in seiner Gesamtheit anzuschauen, also das Be- und das Entlastende zusammenzutragen. Sie hat zu einer Wertung zu kommen und hat ausgehend von dieser Wertung eine Entscheidung zu treffen, nämlich ob ein Straftatbestand verwirklicht ist und ob er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung führen kann. Dann muss sie anklagen. Und wenn sie anklagt, steht immer noch das Gericht in der Entscheidungsnotwendig

keit. Es muss dann entsprechende Zeugenaussagen hören und muss beispielsweise auch die Frage beurteilen, ob möglicherweise zwar ein Straftatbestand vorgelegen hat, aber gleichzeitig die Tatbegehung in einem Umfeld erfolgte, das Straffreiheit bedeutet, nämlich ob eine Notwehrhandlung gegeben war.

Das können wir von hier aus überhaupt nicht beurteilen. Ich will es an der Stelle auch nicht beurteilen. Ich war nicht dabei. Ich möchte, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren bis zum Ende geführt wird und dass am Ende dieses Ermittlungsverfahrens eine Entscheidung steht. Und diese Entscheidung führt dann entweder zum Gericht oder zur Verfahrenseinstellung.

Im Übrigen will ich noch darauf verweisen: Wer für Gerechtigkeit für Marcus H. sorgen will, der sollte dafür Sorge tragen, dass nicht mit Beweisen in der Öffentlichkeit hantiert wird, sondern dass diese Beweise dort vorliegen, wo sie gebraucht werden, und dass bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt wird, damit diese sich ein umfassendes Bild machen kann. Dann wird am Ende eine Entscheidung stehen. Und diese Entscheidung sollten wir als Parlament dann auch zur Kenntnis nehmen. - Herzlichen Dank.

Jetzt habe ich noch eine zweite Wortmeldung, und zwar eine von Herrn Farle. - Herr Farle hat das Wort.

Ich habe diesmal eine Frage.

(Zurufe: Oh!)

- Genau. - Ist es aus Ihrer Sicht auch ein üblicher Tatbestand, also eine ganz normale Verhaltensweise, dass einen Tag nach einer Tat, ohne Ermittlungen durchgeführt zu haben, vier Staatsanwälte übereinstimmend zu der Erklärung kommen, dass Notwehr vorliegt, also ohne jede Ermittlungshandlung? Ist das in Ihren Augen ein üblicher Sachverhalt?

Ganz offensichtlich gehen Sie von falschen Voraussetzungen aus, Herr Farle; denn wenn Sie behaupten, es wäre ohne jede Ermittlungshandlung passiert, dann passt das nicht zur Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft; denn die Staatsanwaltschaft hat in der von Ihnen hier im Übrigen zitierten Pressemitteilung gesagt, sie habe das Videomaterial eingesehen. Das ist eine Ermittlungshandlung. Und insofern - -

Ich kann mich dazu nicht äußern, ohne die Akten zu kennen. Aber ich bin auch nicht Verletztenver

treter, Nebenklagevertreter oder irgendwas, sondern wir haben hier eine Situation, in der das Verfahren noch läuft. Es ist noch nicht abgeschlossen. Ich kann auch nicht erkennen, in welche Richtung das abgeschlossen werden wird. Es mag sein, dass es am Ende zur Anklage oder zur Einstellung kommt. Ich kann dies nicht absehen.

Sie haben im Übrigen auch noch nicht darauf Bezug genommen, dass wegen der Umstände inzwischen auch noch von einer zweiten unabhängigen und von Dessau-Roßlau abgetrennten Staatsanwaltschaft ermittelt wird. Das heißt, wir haben inzwischen sogar noch mal andere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die in dem Verfahren auf das dazu vorliegende Material schauen. Ich kann nur sagen, warten wir doch ab, was dort herauskommt. Dann werden wir am Ende eine tatsächliche Beurteilung des Sachverhaltes haben. - Vielen herzlichen Dank.

Gut. Damit sind wir am Ende des Debattenbeitrages angelangt und Herr Gürth hat nunmehr für die Fraktion der CDU das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem dem Antrag zugrunde liegenden Fall muss man Folgendes vorwegstellen: Es ist ein sehr tragischer Fall. Unabhängig von den Umständen ist ein junger Mann zu Tode gekommen. Das ist weder mit einer Gerechtigkeitsdebatte noch mit einem Urteil zu revidieren, wie auch immer dieses ausfallen wird, wenn es denn eines gibt. Der Verlust eines Menschenlebens ist so tragisch, dass ich für die CDU-Fraktion von dieser Stelle aus zunächst den Angehörigen mein Beileid ausdrücken möchte.

(Beifall bei der CDU)

Aufgrund der Tragik des Falles, dass ein junger Mann sein Leben verlieren musste, verurteile ich es aber auch, dass ein so tragischer Verlust eines Menschenlebens politisch instrumentalisiert wird. Es muss hier um die Sache gehen, gerade hier im Parlament vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung. Wir sollten uns als erste Gewalt sorgsam davor hüten, der dritten Gewalt Weisungen erteilen oder selbst Urteile sprechen zu wollen.

Wenn wir Gerechtigkeit herstellen wollen oder dies zumindest fordern, dann dürfen wir ein selber gefälltes Urteil nicht dem Urteil eines ordentlichen Gerichtes vorausstellen. Das ist ein Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit. Wer das als Parlamentarier missachtet, der erschüttert auch das Ver

trauen in den Rechtsstaat und der kann nie Gerechtigkeit für was auch immer herstellen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich ganz kurz in die Geschichte des Weisungsrechts einsteigen. Ich will es ganz kurz machen. Aber das reicht tatsächlich sogar bis in das Jahr 1846 zurück; denn damals reformierte man das Strafverfahren und setzte das bis dahin geltende Inquisitionsverfahren außer Kraft. Die Gerichte sollten fortan Beweise unmittelbar erheben und frei würdigen. Der überaus mächtige Untersuchungsrichter wurde abgeschafft und die Ermittlungsaufgaben wurden einer neuen Behörde, nämlich der Staatsanwaltschaft, übertragen. Dieses neue Strafverfahren sah vor, dass die Staatsanwaltschaften der Aufsicht des Justizministeriums unterliegen und dessen Anweisungen Folge zu leisten hatten. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Justizverwaltung trotz der sachlichen Unabhängigkeit der Gerichte Einfluss auf das Strafverfahren nehmen konnte.

Es gab bereits in der Vergangenheit diverse Bestrebungen, das Weisungsrecht an den Staatsanwalt abzuschaffen. Ich möchte Ihnen nun nicht die Genese dazu herbeten. Aber wir haben uns damit ja aufgrund eines AfD-Antrages befasst. Und ich finde es ein bisschen merkwürdig, nun zu sagen, wir haben zwar gefordert, es abzuschaffen, aber solange wir es haben, fordern wir, es doch noch zu nutzen.

Wir haben heute Morgen eines ehemaligen Kollegen gedacht; Bernward Rothe - Gott lass ihn selig ruhen. Er stand für Glaubwürdigkeit, weil er leidenschaftlich als Beamter für die Abschaffung des Beamtenstatus eintrat. Und gegen den Rat seiner Eltern und guter Freunde hat er gesagt: Wenn ich das fordere, muss ich als Parlamentarier meinen Beamtenstatus niederlegen, ansonsten verliere ich jedwede Glaubwürdigkeit.“ Und er hat es gemacht. Das ist Glaubwürdigkeit, und zwar nicht eine nur vorgegebene.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Klar ist auch: Soll unsere Justizministerin die politische Verantwortung für die Handlungen der Staatsanwaltschaften tragen, muss ihr gleichwohl ein entsprechendes Weisungsrecht zustehen. Aber schon aus der Bindung der Staatsanwaltschaft an Recht und Gesetz ergibt sich eine Begrenzung dieses Weisungsrechts. So darf eine Weisung nicht auf sogenannte justizfremde Erwägungen gestützt werden. Solche können beispielsweise politische Interessen sein. Und ich sage ausdrücklich, das gilt nicht nur für diesen Fall, sondern auch für andere Fälle, die in Dessau-Roßlau oder anderswo auf dieser Welt geschehen sind.

Im vorliegenden Fall kann ich nicht erkennen, dass die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau nicht alles Notwendige veranlasst, um den Fall aufzuklären. Das trifft jetzt auch auf die neu zuständige Staatsanwaltschaft in Magdeburg zu. Die Ermittlungen dauern noch an. Zeugen wurden befragt und deren Aussagen müssen noch ausgewertet werden.

Und es gilt der Grundsatz: Ermittlungen, Abschluss der Ermittlungen, Entscheidung über Anklage und danach ein Urteil, wenn es zur Anklage kommt. Ist der Beschuldigte tatsächlich schuldig im Sinne des Rechts, ist er zu verurteilen, und zwar durch ein Gericht und nicht durch das Parlament. Daran sollten wir festhalten. Der Fall Marcus H. ist ein tragischer Fall, ein Fall, wie er immer wieder vorkommt.

Es gibt noch zwei Dinge, auf die ich hinweisen möchte. Das Erste ist, Sie fordern dazu auf, die Generalstaatsanwaltschaft per Weisung für zuständig zu erklären und ihr den Fall zu übertragen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist erstinstanzlich zuständig, wenn das Oberlandesgericht gemäß § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes erstinstanzlich zuständig ist. Das betrifft im Wesentlichen Staatsschutzdelikte, Hoch-, Friedens- und Landesverrat sowie Straftaten gegen die äußere Sicherheit. Ich empfehle, auch § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes noch einmal zu lesen, damit klar wird, womit sich das Oberlandesgericht zu befassen hat.

Zum Abschluss möchte ich noch etwas Grundsätzliches sagen. Wir als Abgeordnete, als Mitglieder des Landtages, des Parlaments, der ersten Gewalt, sollten nie und nimmer, bei keinem Fall, das Prinzip der Gewaltenteilung auch nur ansatzweise infrage stellen. Deswegen verbietet es sich, von der ersten Gewalt in die dritte Gewalt hineinregieren zu wollen. Das müssen wir immer, also bei jedem Fall, auch wahren. Dafür möchte ich ausdrücklich werben.

Und gerade deswegen sage ich, der Antrag ist nicht geeignet, um zur Aufklärung einer Straftat beizutragen. Er ist nicht geeignet, um irgendwelche Gerechtigkeit für irgendjemanden herzustellen. Er ist vielleicht geeignet, um das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit wiederum ein Stückchen erschüttern zu wollen. Das müssen wir ablehnen. Deswegen empfehle ich im Namen der CDU-Fraktion die Ablehnung des hier vorliegenden Antrages.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es gibt eine Frage oder eine Intervention von Herrn Roi. Die kann er jetzt am Mikrofon absolvieren.

Herr Gürth, Sie sind ja Vorsitzender des Rechtsausschusses. Ich habe jetzt eine Nachfrage aufgrund der Debatte, die hier geführt wurde. Ich will Sie fragen, ob Sie auch diese Kenntnis haben.

Herr Striegel sagte ja, es gibt neue Staatsanwälte, die sich jetzt damit beschäftigen. Vorhin hat eine Rednerin gesagt, der Beschuldigte sei umgezogen. Ist das nun der Grund dafür, dass es neue Staatsanwälte gibt, oder hat das irgendjemand angewiesen? Können Sie dazu vielleicht was sagen? Die Frage ist auch weitergehend: Wann ist denn derjenige umgezogen? - Das würde mich noch interessieren, weil die Ministerin dazu leider nichts gesagt hat.

(Unruhe bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Herr Gürth, dann antworten Sie jetzt mal.

Normalerweise könnte ich dazu gar nichts sagen. Aber bei der Vorbereitung auf diese Rede habe ich natürlich versucht, mich so viel wie möglich zu belesen und Sachverhalte zu erfragen. Es ist wohl so, dass der Beschuldigte, der hier in Rede steht, in einen anderen Gerichtsbezirk umgezogen ist. Daraus ergibt sich - ich glaube, die Grundlage dafür ist das Gerichtsverfassungsgesetz - -