Protokoll der Sitzung vom 20.04.2018

Sehr geehrte Damen und Herren! Hartz IV hat die soziale Schieflage innerhalb der Gesellschaft noch verschärft, anstatt sie zu entspannen. Ich kann nur mit Bedauern feststellen, dass die Lage nicht so leicht zu begradigen sein wird. Arbeitslose Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher sind in den vergangenen Jahren im Schnitt immer länger ohne Job geblieben. So stieg die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit bei Bezieherinnen und Beziehern der Grundsicherung kontinuierlich an - von 555 Tagen im Jahr 2011 auf 650 Tage im Jahr 2017. Auf diese Zahlen der Bundesagentur für Arbeit wies DIE LINKE im Bundestag hin.

Weiterhin muss man zur Kenntnis nehmen, dass gerade einmal 16 von 1 000 Menschen, die länger als ein Jahr ohne Anstellung sind, wieder eine Arbeit finden. Ursache dafür sind unter anderem die seit 2010 enorm gekürzten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit; denn im Jahr 2011 waren rund 298 000 Hartz-IV-Bezieher und -Bezieherinnen länger als drei Jahre arbeitslos. Diese Zahl stieg bis zum Jahr 2017 auf rund 317 000 Menschen. Die Perspektivlosigkeit für Hartz-IV-Beziehende hat in den vergangenen Jahren also zugenommen. Man könnte von einer Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit sprechen.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass dringend erheblich mehr Geld für Unterstützungsleistungen zur Verfügung gestellt werden sollte. Meine Fraktion wird daher nicht müde, unsere Forderungen

nach einer Abschaffung von Hartz IV und nach einer Ersetzung durch eine sanktionsfreie, existenzsichernde und individuelle Mindestsicherung zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! Hartz IV bedeutet Armut und soziale Ausgrenzung von Menschen. Dies beginne, so Prof. Dr. Christoph Butterwegge von der Universität zu Köln, schon damit, dass seitens der Leistungsempfänger und Leistungsempfängerinnen jeder Job angenommen werden müsse, sofern er nicht sittenwidrig sei, ganz unabhängig davon, ob eine eventuell viel höhere Qualifikation vorliege und der angebotene Lohn weder dem Tarifvertrag noch der ortsüblichen Höhe entspreche. Mit der Androhung spürbarer Sanktionen würden die Betroffenen schließlich dazu genötigt, die angebotenen Jobs anzunehmen, ungeachtet der Begleitumstände.

Gleichzeitig sei es fatal, so Butterwegge, dass auf diesem Weg ein Niedrigstlohnsektor geschaffen worden sei, um den Standort Deutschland auf den Weltmärkten konkurrenzfähiger zu machen.

Dies geschieht aber einzig und allein auf Kosten der Betroffenen. Weil die Regelsätze das Grundrecht auf ein Existenzminimum abdecken sollen, ist es folglich befremdlich, dieses zur Strafe zu kürzen. Wir sagen daher: Grundrechte kürzt man nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dennoch enthielten im vergangenen Jahr 953 000 der rund 30 Millionen Bescheide solche Kürzungen, die meisten, nämlich 73 380, um 10 % aufgrund von Meldeversäumnissen. In Sachsen-Anhalt sieht es so aus, dass im Jahr 2017 monatlich durchschnittlich ca. 5 500 Sanktionen - das entspricht einem Anteil von 19 % - mit einer monatlichen Kürzung von durchschnittlich 109 € erfolgten. Davon betroffen ist jeder dritte Haushalt, in dem Kinder leben. Das, meine Damen und Herren, nennen wir unverantwortlich und nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN - Daniel Sturm, CDU: Das hat doch Gründe!)

Auch bei den unter 25-Jährigen steigt die Zahl der Sanktionen. In diesem Bereich sind monatlich durchschnittlich 1 100 Sanktionen - das entspricht einem Anteil von immerhin 28 % - mit einer Kürzung des Regelbedarfs von ca. 133 € zu verzeichnen.

Wenn man auf dieses Instrument der Sanktion nicht verzichten möchte, so müssten die Sanktionen zumindest für Empfänger und Empfängerinnen unter 25 Jahren entschärft werden. Soweit ich weiß, war dies einmal ein Beschluss der SPD. Ich denke, Herr Steppuhn wird dazu nachher noch etwas sagen.

Mit der unter Umständen kompletten Streichung des Regelsatzes für unter 25-Jährige können die jungen Erwachsenen in einen - und ich meine, von uns nicht gewollten - gefährlichen Abgrund stürzen. Schon jetzt ist zu beobachten, dass Betroffene den Kontakt zum Jobcenter ganz abbrechen, andere wiederum in die Kriminalität rutschen oder auch obdachlos werden. Dies, meine Damen und Herren, widerspricht den Zielen des Grundsicherungssystems.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist schon erstaunlich, dass die Sanktionszahlen steigen, obwohl die Zahlen der Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher sinken.

(Markus Kurze, CDU: Was, die sinken?)

Ich kann daher nur sagen: Strafen schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz. Wir brauchen daher mehr Anreize statt Strafen.

(Beifall bei der LINKEN)

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil will in diesem Bereich handeln und kündigte an, die Sanktionspraxis zu überprüfen. Ich hoffe, dass es nicht nur bei einer Überprüfung bleibt, sondern dass dieser Überprüfung auch Taten folgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! In der Hartz-IVDiskussion haben sich neben denen, die ich anfänglich in meiner Rede erwähnte, auch noch andere Verantwortliche zu dem Thema zu Wort gemeldet, so der Vize-Parteichef Ralf Stegner im „Spiegel“ - ich zitiere -:

„Wir brauchen eine Alternative zu Hartz IV. Das aktuelle System befördert Abstiegsängste. Viele Empfänger fühlen sich abgeschrieben, zu wenige schaffen den Übergang in normale Arbeit.“

Diese Aussage kann ich nur unterstützen; denn jede mir bekannte Reform am Hartz-IV-System hat viele Betroffene danach schlechter gestellt als vorher.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der letzten Reform im Jahr 2011 wurde beispielsweise beschlossen, dass das Elterngeld vollständig auf die Hartz-IV-Leistungen anzurechnen ist, was für neu gewordene Eltern eine Einkommenseinbuße von monatlich mindestens

300 € bedeutete. Gleichzeitig wurde damals der befristete Zuschlag für ehemalige Arbeitslosengeld-I-Empfängerinnen und -Empfänger ersatzlos gestrichen und darüber hinaus auch an den Beiträgen zur Rentenversicherung für Leistungsbezieherinnen und -bezieher geschraubt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Herausführung aus der Grundsicherung führt einzig und

allein über die Erwerbsarbeit, am besten in Vollzeit. Allerdings setzt das Hartz-IV-System - und das ist unsere Kritik - kaum Anreize dazu; denn viele Betroffene haben bereits die Erfahrung gemacht, dass für jeden Euro, den sie über den Freibetrag von 100 € hinaus verdienten, bei der Grundsicherung 80 oder sogar 90 Cent abgezogen wurden.

Bedenkliches am bestehenden System kam auch in der Antwort auf eine Anfrage meiner Kollegin Katja Kipping im Bundestag zum Ausdruck. Sie wollte nämlich wissen, wie viel von den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung im Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in dem Zeitraum von 2015 bis 2018 jährlich nicht von den zuständigen Trägern der Grundsicherung übernommen wurden.

Meine Damen und Herren! Die Antwort darauf fiel sehr ernüchternd aus: Die von den Landkreisen und kreisfreien Städten anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung reichen - das wissen wir - oft nicht aus. Pro Jahr werden Hartz-IV-Betroffenen, also Aufstockenden und Erwerbslosen, Wohnkosten in Höhe von rund 600 Millionen € verweigert. Im Jahr 2015 waren es 606 Millionen € und vom November 2016 bis zum Oktober 2017 waren es 592 Millionen €. Nahezu 600 Millionen € mussten Hartz-IV-Empfänger und -Empfängerinnen demzufolge aus eigener Tasche bezahlen, weil ihre Wohnkosten vom Jobcenter nicht voll übernommen wurden. Das ist Geld, das sich die Betroffenen vom Munde absparen mussten.

Damit verbunden sind oftmals Forderungen der Behörden zum Umzug aus der Wohnung. Insbesondere in Städten mit drastisch steigenden Mieten ist das aus meiner Sicht lebensfern und eine unzumutbare Belastung für die Betroffenen. Das Verlassen des bekannten Wohnumfeldes heizt einmal mehr die soziale Entmischung in den Kommunen an. Das kann sogar so weit führen, dass Betroffene immer häufiger in bestimmten Vierteln unter sich leben und somit die Kinder von Eltern unterer Einkommensgruppen in Kitas und Grundschulen ebenfalls unter sich bleiben. Genau diesen Kreislauf, meine Damen und Herren, gilt es zu durchbrechen. Deshalb sagen wir auch: Hartz IV muss weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine bedarfsdeckende, sanktionsfreie und individuelle Mindestsicherung muss an die Stelle des maroden und deshalb gescheiterten Systems treten. Weiterhin braucht es flankierende Maßnahmen, so zum Beispiel die Anhebung des Mindestlohns auf 12 €.

(Tobias Rausch, AfD: Das ist doch Käse!)

Damit könnte man der drohenden Altersarmut wirklich etwas entgegensetzen. Ebenfalls muss

sich endlich eine gut bezahlte, sozial abgesicherte und unbefristete Arbeit als Richtschnur für alle durchsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Politik ist hierbei in der Pflicht und sollte nicht zögern, unverzüglich entsprechend zu handeln. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine Wortmeldungen, deshalb können wir jetzt in die Dreiminutendebatte eintreten. Als Erste hat die Ministerin Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr.

(Unruhe)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit dem vorliegenden Antrag soll die Feststellung getroffen werden, dass Hartz IV gescheitert ist, und die Landesregierung soll aufgefordert werden, sich im Rahmen einer entsprechenden Bundesratsinitiative - -

(Unruhe)

Entschuldigen Sie, Frau Ministerin. - Ich möchte vor allem die Kollegen der AfD-Fraktion bitten, die Gespräche entweder nach draußen zu verlagern oder den Geräuschpegel etwas herunterzufahren. Man versteht hier vorn kaum noch den Redner. - Danke.

(André Poggenburg, AfD: Warum nur die AfD-Fraktion?)

- Weil sich eben nur die AfD-Fraktion unterhalten hat, Herr Poggenburg. - Danke.

(Robert Farle, AfD: Das glauben Sie doch selbst nicht! - Zurufe von der AfD)

Bitte sehr, Frau Ministerin.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Mit dem vorliegenden Antrag soll die Feststellung getroffen werden, dass Hartz IV gescheitert ist, und die Landesregierung soll aufgefordert werden, sich im Rahmen einer entsprechenden Bundesratsinitiative dafür einzusetzen, dass dieses System stufenweise durch eine sanktionsfreie, individuelle und bedarfsdeckende Mindestsicherung ersetzt wird.