Protokoll der Sitzung vom 02.06.2016

Ich will an einige Ereignisse im Land erinnern:

In Halle wurden im April fünf junge Menschen, die sich als Punks verstehen, von zehn Männern nachts in ihrer eigenen Wohnung, in ihrem ureigensten Schutzraum, überfallen, geschlagen, mit brennenden Zigaretten malträtiert, mit einem Messer angegriffen und immer wieder als dumme Zecken beschimpft.

Ebenfalls in Halle am sogenannten Männertag bemerkt eine Gruppe von fünf bis sieben offensichtlich alkoholisierten Männern eine Kopftuch tragende Frau an einer Straßenbahnhaltestelle. Daraufhin schlägt einer der Unbekannten unvermittelt mit einer Bierflasche gegen die Scheibe des Wartehäuschens, hinter der die Frau mit ihrer Familie steht. Als die Gruppe weiterzieht, wirft eine Person aus dieser Gruppe aus ca. 10 m Entfernung einen Bierkrug in Richtung der Familie, der unmittelbar vor ihren Füßen zerschellt.

Als die Gruppe dann wenige Minuten später zwei Frauen bemerkt, von denen eine ebenfalls ein Kopftuch trägt, wirft einer aus der Gruppe gezielt einen Stein in Richtung der beiden. Er trifft eine Scheibe eines Haltestellenhäuschens direkt neben den Frauen. Die Scheibe geht zu Bruch. Dann kommt der Angreifer auf die verängstigten Frauen zu und ruft: „Jetzt machen die Ausländer auch noch die Scheiben kaputt!“

In Bernburg pöbelt ein offenbar angetrunkener Mann in der Lindenstraße mehrere Passanten an.

Als er einen 20-jährigen syrischen Geflüchteten entdeckt, läuft er zielgerichtet auf ihn zu und schlägt und tritt unter rassistischen Beschimpfungen auf den Betroffenen ein. Erst als sein Opfer am Boden liegt, entfernt sich der Angreifer.

Im Januar dieses Jahres werden Journalisten während einer Demonstration der AfD auf dem Domplatz hier in Magdeburg aus der Menge heraus mit Pfefferspray angegriffen. Zwei Redakteure erlitten Augen-, Haut- und Atemwegsreizungen. Ein Sicherheitsmitarbeiter wurde verletzt. Die Polizei nahm einen 19-Jährigen fest, der zudem einen sogenannten Totschläger bei sich trug.

Auf dem Nachhauseweg von einem internationalen Koch- und Backfest ihrer Schule wird eine Gruppe jugendlicher Geflüchteter in Magdeburg an einer Bushaltestelle plötzlich rassistisch beschimpft. Dann kommen erst einer und kurz darauf drei weitere, mit Schlagstöcken bewaffnete Rechte auf die Schüler zu und schlagen auf einen 16- sowie einen 18-Jährigen ein.

In Gräfenhainichen wird immer wieder eine Unterkunft, die in Zukunft als Flüchtlingsunterkunft dienen soll, Ziel von Attacken, die sie unbewohnbar machen sollen.

Die Neonazi-Partei Der Dritte Weg verschickt Postkarten an Leute, die in ihren Augen nicht dem deutschen Volk angehören, mit der Aufforderung, Deutschland zu verlassen. Zu den Empfängern zählen die Synagogengemeinde in Halle, der Hallenser Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby und zahlreiche andere Menschen, die sich in den Augen der Rechten durch Hautfarbe, Religionsbekenntnis oder politische Positionierung zu sogenannten Volksfeinden gemacht haben.

In der Nacht zum Pfingstsonntag wurden in Bismark Hakenkreuze auf Hauswände und Gehwege gesprüht, ebenso Schmierereien, die sich gezielt gegen Menschen richten, die sich in Bismark für Flüchtlinge einsetzen, so zum Beispiel Bismarks Ortsbürgermeister Eduard Stapel und seine Stellvertreterin Ruth Rothe.

Auch das Zumauern eines Wahllokals für die Migrantenwahl in Halle am Tag vor der Wahl, zu dem sich die rechte Identitäre Bewegung bekannte, gehört zu den Einschüchterungsversuchen, mit denen Stimmung gerade auch im Wahlkampf gemacht werden sollte.

Warum dieser umfassende und dennoch nicht annähernd vollständige Blick auf die einzelnen Ereignisse? - Weil die Betroffenen noch immer viel zu oft allein bleiben. Gerade angesichts der neuen Situation hier im Parlament, gerade angesichts der Debatten, die wir auch am heutigen Tage schon erlebt haben, ist es aus der Sicht meiner Fraktion umso wichtiger, von dieser ersten inhaltlichen Sitzungsperiode des Landtags das

Signal der Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer Gewalt, Bedrohung und Hetze ausgehen zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Weil die Argumentation oft ist „Nun seht doch, wie sehr die Verhältnisse durcheinandergeraten sind, so viel Gewalt; seht doch, wohin die Flüchtlingspolitik unser schönes Deutschland gebracht hat!“, will ich ganz deutlich sagen: Nein! Die Verantwortung für rechte Gewalt tragen nicht die Opfer. Verantwortlich sind die Täter. Mitverantwortlich sind diejenigen, die schweigen, die Angst schüren und die die Sündenböcke präsentieren, anstatt Lösungen zu schaffen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Nadine Hampel, SPD)

Mitverantwortlich sind diejenigen, die das Wir gegen die angeblichen Fremden befeuern. Notwendiger denn je ist die Arbeit der mobilen Opferberatung und des Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus. Ihre Arbeit muss endlich - das ist keineswegs eine neue Forderung - langfristig, dauerhaft und verlässlich finanziell abgesichert werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Notwendiger denn je ist der verlässliche Schutz von Unterkünften für Geflüchtete, von Begegnungszentren, von Personen und Institutionen, die sich selbst dezidiert antirassistisch und antifaschistisch positionieren. Die Arbeit der lokalen Bündnisse gegen Rechts, die vielfältige Arbeit von Unterstützungsinitiativen für Geflüchtete, die Arbeit aller, die aktiv für die Verteidigung demokratischer Werte einstehen und solidarisches Zusammenleben vor Ort organisieren, ist nicht hoch genug zu schätzen und sie muss stärker als bisher Unterstützung erfahren, und zwar von uns allen.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau darum geht es in unserem Antrag. Genau das ist unsere Zielstellung. Am Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen erkenne ich, dass es für dieses Ansinnen grundsätzlich eine Mehrheit im Haus geben wird. Ich denke, das ist - die bisherigen Debatten haben es gezeigt - ein notwendiges und ein wichtiges Signal. Genau darum ging es uns. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Frau Quade. - Bevor wir in die Debatte zu diesem Antrag einsteigen, erteile ich Herrn Minister Felgner das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten 24 Stunden in diesem Hohen Haus ist der entschiedene Einsatz gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe für unser Land.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung von der Regierungsbank)

Ganz aktuell haben die Äußerungen des AfD-Vize Gauland gezeigt, wie unverblümt heutzutage rassistische Haltungen in der Öffentlichkeit vertreten werden. Erfreulich ist, dass die Bundeskanzlerin, der Deutsche Fußballbund und viele Bundespolitiker sofort auf diese offen rassistischen Äußerungen reagiert haben.

(Volker Olenicak, AfD: Die er nicht gesagt hat!)

Die Proteste und Mobilisierungen gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen-Anhalt zeigen, dass rassistische und fremdenfeindliche Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen.

Die stark ansteigenden rechten Gewalttaten gegenüber Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund sind ein alarmierendes Zeichen. Dieser ansteigende Trend bei der Gewalt gegen Flüchtlinge hat sich im laufenden Jahr 2016 nochmals verstärkt.

Rassistische Einstellungen und Bestrebungen, ob gewaltbereit oder nicht, richten sich gegen die Grundlagen des demokratischen Staates. Abgelehnt werden zentrale Werte wie Menschenwürde, Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit.

Sehr geehrte Damen und Herren! Rechtsextreme schüren mit ihren Parolen und Sprüchen gegen Fremde, gegen Muslime und sogenannte Sozialschmarotzer Ängste vor Flüchtlingen. Sie versuchen damit an vorhandene Ressentiments anzuknüpfen und diese in Mobilisierungen gegen Flüchtlingsunterkünfte münden zu lassen.

(Zuruf von Nadine Hampel, SPD)

Mit den Aktivitäten der extremen Rechten haben die Proteste gegen Unterkünfte stark zugenommen. Auffällig ist aber auch, dass ca. ein Drittel der Übergriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte von bisher unauffälligen Bürgern verübt wird, die keiner rechtsextremen Organisation angehören.

Angriffe auf Flüchtlinge sind entschieden zu verurteilen. Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind und in Deutschland Schutz suchen, können

zu Recht erwarten, dass sie sicher untergebracht werden.

Mit dem Schutz für Flüchtlinge und der Flüchtlingsarbeit ehrenamtlich Engagierter greifen die beiden vorliegenden Anträge einen wichtigen Punkt auf. Mit den rechtsextremen und rassistisch motivierten Angriffen zeigen die Gewalttäter deutlich, dass ihnen das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit gleichgültig sind. Eine konsequente strafrechtliche Verfolgung dieser Taten muss eine vordringliche Aufgabe des Landes sein.

Die Gesellschaft ist bei der Flüchtlingsfrage gespalten: Ressentiments und Abwehr bis hin zu gewalttätigen Übergriffen einerseits und ein großes Engagement von Willkommensinitiativen zur Unterstützung der Flüchtlinge andererseits. Dieses freiwillige Engagement vor Ort ist nachhaltig zu unterstützen und zu fördern.

Sehr geehrte Damen und Herren! Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet das im Jahr 2012 gestartete Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit. Das Landesprogramm hat zur Aufgabe, die demokratische Kultur und die aktive Zivilgesellschaft weiterhin zu stärker, um Rechtsextremismus und Rechtspopulismus durch ein langfristiges gesamtgesellschaftliches Engagement zurückzudrängen. Diese Aufgabe muss gemeinsam von Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung geleistet werden.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass das genannte Landesprogramm in dieser Legislaturperiode fortgesetzt wird. Angelegt als Querschnittsaufgabe, zeichnet die gesamte Landesregierung verantwortlich für dieses Vorhaben. Eingebunden in die Fortschreibung werden die zivilgesellschaftlichen Initiativen und lokalen Bündnisse, um ihre Erfahrungen und Anliegen einbringen zu können. Dabei soll es ausgerichtet werden auf die bestehenden fremdenfeindlichen und demokratiekritischen Herausforderungen, die die gesamte Landesregierung konsequent umsetzen wird.

Für die Unterstützung seitens des Hohen Hauses möchte ich mich bei Ihnen auch im Namen meiner Kollegin Grimm-Benne bereits im Vorfeld bedanken. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Kollege Felgner für die Landesregierung. - Wir steigen nun in die Debatte zu dem Antrag ein. Als Erster hat der Kollege Steppuhn von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es der Mehrheit der

Abgeordneten dieses Landtages geht; zumindest geht es mir so, dass ich bei meinem Debattenbeitrag nicht das ausblenden kann, was ich heute hier von AfD-Abgeordneten gehört habe.

Wenn wir in unserem Land und in Deutschland insgesamt feststellen, dass die Zahl rechtsextremer Straftaten deutlich ansteigt, dann ist es immer richtig, dass man solche Erklärungen als Parlament abgibt, wohl wissend, dass wir vielleicht bei den Formulierungen nicht ganz dem folgen können, was die LINKEN in ihrem Antrag geschrieben haben. Aber ich glaube, es ist grundsätzlich richtig, dass sich dieser Landtag, wie schon des Öfteren geschehen, gegen rechtsextreme Gewalt positioniert.

Ich glaube - das ist meine tiefste Überzeugung -, dass rechte Hetze und rassistische Parolen auch etwas damit zu tun haben, dass die Anzahl von rechtsextremen Straftaten bei uns steigt. Diese Zusammenhänge liegen auf dem Tisch. Daher frage ich mich schon, auch aufgrund der heutigen Debattenbeiträge der Vertreter der AfD, wie das außerhalb unseres Landes wahrgenommen wird, wie es bei den Menschen wahrgenommen wird.

Ich glaube, die Debattenbeiträge, die wir heute zum Teil von Ihnen gehört haben, schaden unserem Land, schaden dem Ansehen von SachsenAnhalt. Ich hoffe, dass es nicht nur hier im Landtag gelingt, zu einer anderen Debattenkultur zu kommen, sondern dass wir es auch gemeinsam in diesem Parlament schaffen, vielleicht die eine oder andere Begrifflichkeit zu klären.

Herr Tillschneider, ich war vorhin mit Ihrer Antwort nicht zufrieden, wie Sie den Begriff „Rassismus“ für sich definiert haben. Ich glaube, es ist Aufgabe eines Parlamentes, diesen Begriff zu klären. Denn ich glaube, es gibt eine Mehrheit im Land, die das vollkommen anders sieht, als Sie es vorgetragen haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte es noch einmal erwähnen; dazu hatte ich gestern bereits Gelegenheit. Ich kann Herrn Keindorf auch als Kronzeugen aufrufen. Wir waren am Samstag gemeinsam bei der Handwerkskammer. Dort war Herr Holtemöller, ein Wissenschaftler aus Halle anwesend. Er hat uns sehr deutlich gesagt, dass jede rechtsextreme Straftat, die begangen wird, die öffentlich wird und die über die Medien verbreitet wird, unserem Land Sachsen-Anhalt auch als Wirtschaftsstandort