Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

(Unruhe)

Werte Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte zunächst darum bitten, den Geräuschpegel etwas zu senken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 3

Beratung

Angriffe auf Demokratie und Gewaltenteilung abwehren - Rechtsextremer Raumnahme entschieden entgegentreten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/3362

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/3414

Für die Einbringerin hat die Abg. Frau Quade das Wort. Frau Quade, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Mensch ist in Köthen zu Tode gekommen. Seinen Angehörigen und Hinterbliebenen gelten unser ausdrückliches Beileid und unsere aufrichtige Anteilnahme.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Nachdem in Chemnitz mehrere Tausend Rechtsextreme nahezu ungehindert und ohne adäquate polizeiliche Reaktion aufmarschieren und alle diejenigen, die sie zu Feinden erklärt haben, einschüchtern, bedrohen und tatsächlich jagen konnten, nun also Köthen.

Es lohnt sich, den Wortlaut anzuschauen, mit dem unter anderem von einem ehemaligen NPD-Stadtrat mobilisiert wurde: „Jetzt haben wir unser Chemnitz“ war die Formulierung. Und sofort wur

den allerlei vermeintliche Gewissheiten zu den Todesumständen kommentiert.

„Jetzt haben wir unser Chemnitz.“ - Die darauf folgenden Ereignisse in Köthen, meine Damen und Herren, machten die schon in dieser Formulierung anklingende widerliche Lust, aus dem Todesfall in Köthen politisches Kapital zu schlagen, für alle hörbar.

Bundesweit versuchen in Chemnitz, Kandel und eben auch in Köthen unterschiedliche Strukturen und Akteure der extremen Rechten, sich gemeinsam aufzustellen und ihre Angriffe auf eine freiheitliche Gesellschaft zu koordinieren. Und nein, mit Trauer, mit Fragen, mit dem Interesse an Wahrheitsfindung und Aufklärung der jeweiligen Geschehnisse hatte das absolut nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Es sind rechtsextreme Raumnahmen, es ist die Absicht, Macht zu demonstrieren und diejenigen einzuschüchtern, die sich ihnen entgegenstellen oder qua Status zum Feind erklärt wurden.

Woran kann man eine solche Einordnung festmachen? - Ich will dazu zunächst die drei rechtsextremen Demonstrationen in Köthen etwas näher beleuchten: Am Sonntag, dem 9. September, demonstrierten in Köthen ca. 2 500 Menschen, die einer bundesweit und regional laufenden Mobilisierung verschiedener rechtsextremer Gruppierungen gefolgt waren, frühere Blood&HonourFunktionäre, Hooligans, lokale Kameradschaftsstrukturen, Thügida, DIE RECHTE, NPD, auch die AfD, Leute aus der Rechtsrockszene. Kurz: Das gesamte Spektrum organisierter und subkulturell geprägter Nazis fand sich an diesem Abend in Köthen.

Und ja, es waren nicht nur organisierte Nazis. Es waren auch Bürgerinnen und Bürger, es waren Köthenerinnen und Köthener dabei. Aber nein, das macht nichts besser, das nimmt dieser rechtsextremen Aktion nichts an Gefährlichkeit, das relativiert auch nicht ihren rechtsextremen Charakter, im Gegenteil. Denn fanden sich die Leute anfänglich tatsächlich zu einem Schweigemarsch zusammen, brach dieses Schweigen doch, als man den Kundgebungsplatz erreichte, mit den Rufen „asoziales Gesocks“ und „antideutsche Schweinepresse“ in Richtung der zahlreich anwesenden Journalistinnen und Journalisten.

Drohungen und Tätlichkeiten ließen nicht lange auf sich warten. Viele Beobachtende brachen ihre Arbeit ab, weil es zu unsicher wurde. In den Reden von neonazistischen Kadern wie Riefling, Kurth und Köckert wurde vom Rassenkrieg gegen das deutsche Volk gesprochen, wurde in reinster NS-Analogie gefragt, ob wir Schafe sein wollten oder Wölfe und sie zerfetzen. Immer wie

der gab es Sprechchöre „Nationaler Sozialismus jetzt!“.

Und all das wurde von der Mehrheit der Anwesenden mit Applaus bedacht. Es gab keine Buhrufe aus der Mitte der vermeintlich Trauernden. Es gab keine Distanzierung. Es gab sie nicht, nicht weil die Leute erst auf die Idee gebracht werden mussten, was man denn tun könnte. Es gab sie nicht, weil sie inhaltlich schlichtweg nicht gewollt war, weil sie nicht das Bedürfnis dazu hatten.

Das Gleiche gilt für die Demonstrationen und Kundgebungen am 10. September 2018, am Montag danach. Bei der sogenannten Montagsdemo wie auch bei der von der AfD initiierten Demonstration traten AfD-Funktionäre, NPD- und ehemalige NPD-Akteure, die regionale Naziszene Dessaus, Wittenbergs, Anhalt-Bitterfelds und

Köthens, also Kameradschaften, Brigaden und sogenannte freie Kräfte, gemeinsam in Aktion.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Die lieben Freunde von Herrn Roi!)

Angesichts der Tatsache, dass auch diese Demos unter dem Label „Trauermarsch“ propagiert wurden, lohnt es sich im Übrigen auch, sich einmal die Bilder anzuschauen. Neben zahlreichen eindeutigen Symbolen und für die rechtsextreme Szene typischen Bekleidungsmarken fand ich ein Bild besonders bezeichnend, dass Teilnehmer mit einem Pro-Violence-Pullover zeigt. Mit „Pro Violence“, also „Für Gewalt“, als Parole soll ernsthaft jemandem Glauben gemacht werden, dass es um Trauer und Gedenken an einen durch die Demonstrierenden selbst als Gewaltopfer deklarierten Toten gehen soll. Wenn man die Absurdität und schlichte Unwahrheit dieser Behauptung in einem Bild ausdrücken wollte: Das wäre es.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nachdem gegen Medienvertreterinnen die altbekannten Lügenpresse-Rufe ertönten, Beleidigungen und Drohungen ausgesprochen wurden, kam es mehrfach auch zu Tätlichkeiten gegenüber Journalisten, sodass die Polizei eingreifen musste.

Eine der Rednerinnen, deren neonazistische Verankerung und Vernetzung in der regionalen rechtsextremen Szene in den Tagen danach unter anderem von der „MZ“ umfangreich und umfassend dargelegt wurde, stellte sich zwar als angeblich völlig unpolitische besorgte Bürgerin dar, die sich nur um die Zukunft ihrer Kinder sorge. Ihren Redebeitrag nutzte sie jedoch dafür - später dann von der Polizei selbst zur Anzeige gebracht im Übrigen -, Drohungen

gegenüber Linken und Journalisten auszusprechen. Sie rief diesen zu, und zwar auf Personen zeigend: „Die werden die Ersten sein, die bren

nen! Brennen; und ihr habt mich richtig verstanden!“ Die Anwesenden applaudierten auch diesem Satz.

Was dieser Satz deutlich macht, ist neben dem Gewaltpotenzial ein weiterer Punkt, der für diese rechtsextremen Raumergreifungen, die sich als Trauermarsch tarnen, typisch ist: der Versuch, Entsetzen über ein tatsächliches oder vermeintliches Verbrechen als Katalysator zu nutzen für Umsturz- und Machtergreifungsfantasien und die Beschreibung angeblich jetzt greifender Notwehrrechte der Bevölkerung gegen den Staat und die in rechter Logik existenten Feinde des Volkes.

Das ist bundesweit zu beobachten und es war eben auch in Köthen zu beobachten, auch am 16. September 2018 bei der angekündigten Großdemonstration, die glücklicherweise so groß dann doch nicht war. Auch hier zeigten sich alte und neue Nazis unterschiedlicher Gruppen und Strukturen in trauter Eintracht.

Wenn man auch hierzu ein Bild finden müsste, das den Charakter beschreibt, dann ist es das Bild der eben erwähnten Rednerin Jennifer S. und ihres Mannes - beide sind organisierte Rechtsextreme - als Ordner bei dieser Demonstration, nachdem sie die eben zitierte Rede gehalten hat, nachdem umfassend über ihre Verortung in der rechtsextremen Szene berichtet wurde. Und nein, das ist kein Zufall, keine Nachlässigkeit und auch kein Unwissen. Das muss man als programmatische Aussage verstehen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Und es ist nicht so, dass die Nazis halt zufällig da waren. Wo Nazis aufrufen, kommen auch Nazis hin. Das lässt sich an der gemeinsamen Mobilisierung, an den offensichtlich mit organisatorischer Verantwortung Betrauten, an der Zusammenstellung der Rednerinnen und Render und natürlich am gemeinsamen politischen Interesse festmachen. Nazis bei den Kundgebungen in Köthen waren keine Störer, sie waren geladene Gäste und Gastgeber.

(Zustimmung bei der LINKEN - Ulrich Sieg- mund, AfD, lacht - Zurufe von der AfD)

Insofern stellt sich eigentlich gar nicht ernsthaft die Frage, wer da wen bei rechtsextremen Äußerungen hätte ausbuhen sollen. Aber selbst wenn man mal unterstellt, es hätte bei den rechtsextremen Demos in Köthen ein Interesse gegeben, sich von Rechtsextremen abzugrenzen: Es ist nicht so, dass man als Veranstalter einer Kundgebung gar nichts tun könnte, wenn Menschen sich in einer Art positionieren, die man selbst nicht tragbar findet.

Ich will mal ein Beispiel geben, nämlich die Gegendemonstration am 16. September 2018 in Köthen. Dort gab es ein solches Problem. Dort wurden aus einer Gruppe heraus antisemitische Parolen gerufen und andere, nicht akzeptable Positionen geäußert. Was geschah? - Die Veranstaltenden, also die Versammlungsleitung, bezogen deutlich Stellung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Sie machte klar, dass sie gegen jeden Antisemitismus steht, egal woher er kommt. Sie wiederholte diese Positionierung im Laufe der Versammlung mehrfach, und die große Mehrheit der Anwesenden brachte ihre Zustimmung zu dieser Distanzierung durch Applaus deutlich zum Ausdruck. Den Leuten wurde sehr deutlich klar gemacht, und zwar von den Anwesenden, dass sie mit ihren Positionen dort keinen Erfolg haben werden und nicht erwünscht sind. Und die Gruppe ging im Verlauf der Versammlung. So agiert man, wenn man ein Problem mit einer Positionierung und Aussagen von Teilnehmenden an einer Versammlung hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Rassisten und Rechtsextreme haben kein Problem mit rassistischen und rechtsextremen Aussagen. Warum sollten sie sich also auch dagegen positionieren?

Wo ich dem Innenminister ausdrücklich recht gebe: Die Abgeordneten der AfD haben sich in Köthen natürlich nicht von Nazis abgegrenzt, warum auch? Die AfD - das war in Köthen wieder zu sehen - steht ja auch im Zentrum neonazistischer Organisierung. Und natürlich fährt man da gemeinsame Kampagnen.

(Unruhe bei der AfD - Zuruf von der AfD: Junge, Junge, Junge! - Tobias Rausch, AfD: Das sagt ausgerechnet eine Links- extreme!)

Die absurde Inszenierung der AfD und insbesondere die von Herrn Loth um angebliche Beweismittel und ihre angebliche Unterschlagung findet ihre konsequente Fortsetzung in dem Redebeitrag des Rechtsextremisten Jürgen Elsässer bei der Demonstration, die auch von der AfD verantwortet wurde.

(Unruhe - Oliver Kirchner, AfD: Das ist ein Linker!)

Er behauptete, die Zeugin in Köthen sei massiv von der Staatsanwaltschaft eingeschüchtert worden. Das kann man nicht anders als als FakeNews bezeichnen, und es zeigt einmal mehr, worum es den Akteuren der Demonstrationen in Köthen eigentlich geht: rechtsstaatliche Institutionen und Prozesse untergraben, Migranten als

Tätergruppe diskreditieren und die Situation nutzen, um aus der Schleusenzeit, wie sie Höcke nannte, die Umsturzzeit herbeizureden.