Protokoll der Sitzung vom 28.09.2018

Wir haben folgendes Ergebnis: zwölf Abgeordnete waren nicht anwesend; mit Ja haben 70 Abgeordnete gestimmt; fünf Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, stelle ich die erforderliche Mehrheit, die einfache Mehrheit aller gesetzlichen Mitglieder und die Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten, fest. Die personelle Umbesetzung des Ausschusses zur Überprüfung der Abgeordneten auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR mit dem in dem Antrag der CDU benannten Abgeordneten ist damit beschlossen worden und der Tagesordnungspunkt 14 ist erledigt.

Wir kommen nunmehr zum

Tagesordnungspunkt 15

Erste Beratung

Schulen mit hohem Anteil von ausländischen Schüler*innen besonders unterstützen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/3363

Einbringer ist der Abg. Herr Thomas Lippmann. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor den Sommerferien hatte die Mitglieder des Bildungsausschusses ein ungewöhnlich deutlicher Brandbrief aus der Gemeinschaftsschule Kastanienallee in Halle erreicht. Er war vom gesamten Kollegium unterschrieben. Es ist ein Hilferuf an die Politik.

Vorangegangen waren Versuche, mithilfe des Bildungsministers und sogar unter Mithilfe des Ministerpräsidenten zu Lösungen zu kommen. Das ist aus der Sicht der Kolleginnen und Kollegen aber gescheitert und hat ihren Frust und auch ein Stück weit ihre Verzweiflung verstärkt.

Die in dem Brief geschilderten Probleme bestehen darin, dass an der Gemeinschaftsschule Kastanienallee ein besonders hoher Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler lernt. Er betrug im letzten Schuljahr nach Angaben des Statistischen Landesamtes etwa zwei Drittel aller Schülerinnen und Schüler der Schule. Das ist landesweit der höchste Wert unter den weiterführenden Schulen.

In den Grundschulen liegt der Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler in der Spitze sogar bei mehr als 70 %. Neben der Gemeinschafts

schule Kastanienallee gab es im letzten Schuljahr noch fünf weitere Schulen, an denen überwiegend, also mehr als 50 %, ausländische Schülerinnen und Schüler unterrichtet wurden.

(André Poggenburg, AfD: Das ist ein Ar- mutszeugnis!)

Insgesamt gab es zuletzt 30 Schulen mit einem Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler von 25 % oder mehr. Über diese Schulen sprechen wir in unserem Antrag, wenn wir von Migrationsschulen sprechen. Etwa zwei Drittel dieser Schulen sind Grundschulen. Das andere Drittel sind Sekundarschulen oder Gemeinschaftsschulen. Etwa zwei Drittel dieser Schulen befinden sich in den beiden Städten Magdeburg und Halle. Das andere Drittel umfasst einzelne Schulen in den Städten Dessau, Merseburg und Stendal sowie Salzwedel, Weißenfels und Zeitz.

Bei genauerer Betrachtung kommt man zu der Einschätzung, dass sich an der Zusammensetzung der Schülerschaft in diesen Schulen auf absehbare Zeit nur wenig ändern wird.

Mit der letzten Änderung unseres Schulgesetzes haben wir das Signal gegeben, dass in Abstimmung zwischen dem Schulträger und dem Landesschulamt stärker auf eine gleichmäßigere Verteilung der ausländischen Schülerinnen und Schüler hingewirkt werden soll. Dem ist aus Gründen eines besseren Spracherwerbs und einer besseren Integration auch zuzustimmen. Es zeigt sich aber, dass die Möglichkeit einer Verteilung auf andere Schulen sehr schnell an Grenzen stößt. Um dies zu vertiefen, fehlt hier die Zeit. Das kann dann aber im Rahmen der Ausschussberatungen geschehen.

Für uns bleibt heute festzuhalten, dass es sich bei der Konzentration von ausländischen Schülerinnen und Schülern an ganz bestimmten Schulen um eine systematische Entwicklung handelt, der wir uns politisch stellen müssen und auf die wir reagieren müssen.

Denn selbstverständlich muss jedem klar sein, dass Schulen mit einem so hohen Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler mit ganz spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind. Dafür müssen wir Bedingungen schaffen, unter denen auch in diesen Schulen erfolgreich gearbeitet werden kann. Denn diese Schüler haben natürlich kein schlechteres Leistungsvermögen als ihre deutschen Mitschüler - ganz im Gegenteil. Die meisten Migranten sind besonders fleißig und lernen außerordentlich schnell. Die besonderen Herausforderungen bestehen auch nicht im Verhalten dieser Schülerinnen und Schüler, wobei die große kulturelle Vielfalt, die in manchen Klassen herrscht, sicherlich auch zu den speziellen Herausforderungen zählt.

Das, was diese Schulen aber ungleich mehr leisten müssen als andere Schulen, ist auf der einen Seite der Spracherwerb und auf der anderen Seite der Ausgleich der teilweise extrem unterschiedlichen Schulkarrieren, die diese Schülerinnen und Schüler hinter sich haben. Neben Sprachkenntnissen fehlen oft auch alle anderen schulischen Voraussetzungen, um dem Unterricht in einer normalen gemischten Klasse folgen zu können. Die Bedingungen in den Herkunftsländern und bei Geflüchteten zusätzlich die Dauer der Flucht sind höchst unterschiedlich. So sitzen Kinder mit unterschiedlichsten Wissensständen gemeinsam in einer Klasse.

Inzwischen hat der Bildungsausschuss im Rahmen eines Selbstbefassungsantrages über die Situation an der Gemeinschaftsschule Kastanienallee diskutiert. Doch greifbare Ansätze für eine Lösung gab es dabei nicht. Den Schulen muss aber geholfen werden, und zwar schnell.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dazu sind wir gegenüber den dort lernenden Kindern und Jugendlichen, aber auch gegenüber den dort arbeitenden Pädagoginnen und Pädagogen verpflichtet. Wir können nicht länger wegschauen und die Schulen mit den benannten Problemen allein lassen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Der Ministerpräsident war an der Gemeinschaftsschule Kastanienallee, aber nach meinen Informationen nicht deshalb, weil es an dieser Schule den höchsten Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler gibt. Er war dort, weil diese Schule einen auffällig großen Anteil an Schulabbrechern, also an Schülern ohne Schulabschluss, hat. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist natürlich eine direkte Folge davon, dass man an Schulen mit besonderer Schülerschaft nicht für entsprechende Rahmenbedingungen sorgt. Das muss hier klar ausgesprochen werden.

Indem wir diese Jugendlichen ohne die notwendige Unterstützung durch unser Schulsystem rutschen lassen und ihnen damit keine faire Chance geben, sich hier entsprechend ihren Möglichkeiten zu entwickeln, schaffen wir für sie und für uns die künftigen Probleme. Bei entsprechender Förderung und unter geeigneten Rahmenbedingungen können die allermeisten dieser ausländischen Jugendlichen am Ende einen schulischen Abschluss erwerben und den Wechsel in eine berufliche Ausbildung schaffen.

Es ist also eine Frage der Menschlichkeit, der Bildungsgerechtigkeit, aber auch der ökonomischen Vernunft, das Potenzial dieser Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu entwickeln.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Da in den hier angesprochenen Migrationsschulen ausländische Schülerinnen und Schüler in großer Anzahl lernen, ist es möglich und sinnvoll, besondere Strukturen und besondere Rahmenbedingungen für den Unterricht und den Erwerb eines schulischen Abschlusses zu schaffen. Welche Überlegungen hier weiterhelfen können, haben wir vor Ort diskutiert und in unserem Antrag zusammengetragen.

Das sind im Wesentlichen drei Bereiche. An erster Stelle steht in der Schule immer das pädagogische Personal. Wir schlagen vor, im Rahmen der Suche für die derzeit unbesetzten Lehrerstellen nach speziellen Lehrkräften für diese Schulen zu suchen. Diese sollen als Migrationslehrkräfte vor allem beim Spracherwerb eingesetzt werden, aber unter anderem auch die Arbeit als Klassenleiter und weitere schulische Angebote übernehmen.

Darüber hinaus schlagen wir vor, die Arbeit der Schulen mit einem besonderen Landesprogramm für Schulsozialarbeit zu unterstützen, für das wir Mittel in den Haushaltsplan einstellen müssen.

In unserem Antrag schlagen wir des Weiteren vor, an diesen Migrationsschulen spezielle Regelungen für den Unterricht und den Erwerb schulischer Abschlüsse zu schaffen. Dafür sollen die bestehenden Regelungen zum Nachteilsausgleich und die langjährigen guten Erfahrungen mit den Klassen im „Produktiven Lernen“ für die spezifische Situation der ausländischen Schülerinnen und Schüler genutzt und entsprechend angepasst werden. Sofern es für den Lernerfolg förderlich ist, soll es die Möglichkeit geben, mit ausländischen Schülerinnen und Schülern stabile eigene Lerngruppen zu bilden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Letztlich sollen sich die Schulen in einem Netzwerk zusammenzuschließen und sich dort kontinuierlich über ihre Erfahrungen, ihre Probleme und Lösungen austauschen. Außerdem soll allen Pädagogen dieser Schulen eine praxisnahe Qualifizierung angeboten werden, um den Anforderungen im Schulalltag bestmöglich gerecht werden zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich setze darauf, dass wir die Herausforderungen in diesen Schulen ernst nehmen und die Vorschläge im Bildungsausschuss zügig und konstruktiv beraten. Wir müssen diese Schulen schnellstmöglich und wirksam unterstützen. Eine monatelange Hängepartie oder nur ein paar leere Versprechungen können wir uns hierbei nicht leisten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich sehe keine Fragen. - Dann treten wir in die Debatte ein. Es handelt sich um eine Dreiminutendebatte. Zunächst spricht der Bildungsminister

Herr Tullner, wenn er sich denn sortiert hat. Herr Tullner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war ein bisschen gebannt. Ich hatte das Ende des Redebeitrages noch nicht wahrgenommen.

(Thomas Lippmann, DIE LINKE: Ich habe nur zehn Minuten!)

- Sehen Sie es als Kompliment an, Herr Lippmann, dass ich Ihrer Rede so gebannt gefolgt bin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde aus aktuellem Anlass meinen Redebeitrag in zwei Teile untergliedern. In dem ersten Teil würde ich den Antrag im engeren Sinne beleuchten. In dem zweiten Teil würde ich den Beitrag, der heute im Lokalteil der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu lesen ist, etwas einordnen, damit Sie an den Erkenntnissen teilhaben können, die ich habe und die vielleicht auch für die Debatte wichtig sind.

Zunächst zu dem Antrag selbst. Dass die Bildung, beginnend in den Kindertagesstätten und fortführend an den Schulen unseres Landes, einen entscheidenden Beitrag zu einer gelingenden Integration leistet, ist unbestritten. Dass hierfür die notwendigen Rahmenbedingungen bereitgestellt werden müssen, wird ebenfalls nicht infrage gestellt.

Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE suggeriert, dass die ausländischen Schülerinnen und Schüler keine ausreichende Hilfe und Unterstützung durch unsere Pädagoginnen und Pädagogen erfahren. Dies weise ich entschieden zurück. Der Erfolg der Integration ausländischer Schülerinnen und Schüler ist an erster Stelle den Akteuren vor Ort, also den Schulleitungen, den Lehrkräften und den Erzieherinnen zu verdanken. Aber auch unsere Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern leben die Willkommenskultur.

Ich finde es zudem verwerflich, jedem Schüler mit ausländischen Wurzeln einen besonderen Förderbedarf zu unterstellen. Nicht alle ausländischen Schüler müssen eine besondere Förderung in Anspruch nehmen. Viele dieser Schüler leben bereits seit mehreren Jahren in Deutschland. Die Realität zeigt, dass viele dieser Kinder ein hohes Maß an Lernbereitschaft und Wissbegier mitbringen. Ich habe bereits im Ausschuss gesagt, lieber Kollege Lippmann, dass es Schulen in diesem Lande gibt, an denen ich mir, was Motivation und Lernbereitschaft angeht, von Kindern, die keinen Migrationshintergrund haben, mehr Engagement wünsche als von denen, die aus anderen Teilen dieser Welt kommen. Auch das gehört zur Lebenswirklichkeit dazu.

Meine Damen und Herren! Von den 871 öffentlichen und freien allgemeinbildenden Schulen unseres Landes weisen 26 Schulen einen Anteil an

ausländischen Schülern von 25 % und mehr auf. Betroffen sind 16 Grundschulen und zehn Sekundar- und Gemeinschaftsschulen. Der Hauptteil dieser Schulen befindet sich naturgemäß in den Städten Magdeburg und Halle.

Nach der Erhebung der endgültigen Schülerzahlen erhalten derzeit 5 322 Schüler eine Sprachförderung. Der Vergleich mit den Stichtagsdaten des letzten Schuljahres zeigt eine rückläufige Tendenz. Im letzten Schuljahr erhielten 6 022 Schüler eine Sprachförderung.

Auch wenn der Förderbedarf leicht zurückgeht, ist die Belastung vor Ort natürlich hoch. Viele betroffene Schulen gehen mit der besonderen Belastungssituation sehr engagiert um. Als Beispiel sei eine Grundschule im Magdeburger Stadtteil Neustadt genannt, die in sehr kurzer Zeit einen sprunghaften Zuwachs rumänischsprachiger Kinder erfahren musste. Das Schulkollegium hat es mit einer Mischung aus verschiedenen Präventionsmaßnahmen geschafft, das Problem zu benennen und in Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Landesschulamt abzuarbeiten. Im Übrigen hat auch die Evangelische Schulstiftung Bernburg einen großen Anteil daran, dass es dort ganz gut funktioniert.

Im Einzelfall benötigen Schulen auch eine engmaschige Unterstützung durch das Landesschulamt, wie die im Antrag der Fraktion DIE LINKE genannte Gemeinschaftsschule Kastanienallee in Halle, auf die ich gleich noch zurückkomme. Über die unterstützenden Maßnahmen seitens des Landesschulamtes habe ich im Ausschuss bereits informiert. Aber ich werde das hier noch einmal tun.

Meine Damen und Herren! Eingangs meiner Rede habe ich über notwendige Rahmenbedingungen gesprochen. Das Ministerium für Bildung hat für die Beschulung von Kindern mit Migrationshintergrund bereits gesonderte Regelungen getroffen und Maßnahmen ergriffen.

So bietet das Schulgesetz nunmehr die Möglichkeit, den Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund an einzelnen Schulen im Sinne einer gelingenden Integration zu steuern. Dies setzt jedoch die Bereitschaft der Schulträger voraus, dies auch umsetzen zu wollen. Ich bin dazu in engen Gesprächen mit den betroffenen Schulträgern, damit wir hierbei vielleicht auch ein bisschen stärker vorankommen.