Protokoll der Sitzung vom 24.10.2018

Die Zielsetzung beider Pläne ist gleich: die Versorgung mit ausreichend Pflegepersonal und damit eine gute Pflege zu sichern. Die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sollen verbessert und so eine bessere Versorgung von Patientinnen und Patienten garantiert werden.

Diese Pläne, wenn man sie dann genauer betrachtet, und einige begleitende Zitate des Bundesgesundheitsministers, die einen enormen Interpretationsspielraum eröffnet haben, treiben Pflegerinnen und Pfleger in unserem Land, aber auch uns um, und dies mit wachsendem Unmut.

In Dokumenten, die das Bundesgesundheitsministerium der Öffentlichkeit vorenthält, vertritt es die Rechtsauffassung - ich zitiere -, dass die geplanten Pflegepersonaluntergrenzen nur eine Minimalbesetzung verlangen sollen, die lediglich ausreicht, eine Patienten gefährdende Pflege zu verhindern.

Dies muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn dies der angestrebte Maßstab für die Personalbemessung ist, ist dies ein Skandal, und der gehört öffentlich ausdiskutiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Folgt man nun dieser beschriebenen Herangehensweise, so ist es auch nicht anders zu verstehen, dass die Untergrenzen in den relevanten Bereichen - Sie wissen: Intensivmedizin, Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie - lediglich dadurch ermittelt werden sollen, dass die 25 % der in der Personalbesetzung am schlechtesten abschneidenden Krankenhäuser quasi diese Untergrenze definieren. Unter diese Marke soll dann kein anderes Krankenhaus mehr fallen.

Damit wird deutlich, mitnichten ist der tatsächlich anfallende pflegerische Bedarf die Marge für die Personalbesetzung, sondern die bestehende Personalsituation in 25 % der Häuser.

Wenn wir uns dazu dem europäischen Vergleich stellen, müssen wir für die Relation Patienten zu

Pflegekraft feststellen, dass in Deutschland von einer Pflegekraft 13 Patienten betreut werden müssen. In Polen sind es 10,5 Patienten, in Griechenland 10,2 Patienten, in den Niederlanden sieben und in Norwegen kommen auf eine Pflegekraft 5,4 Patienten. Da müssen wir doch hin!

Bleibt es bei dieser Berechnungsgrundlage, wird damit lediglich ein neuer Anreiz zum Stellenabbau für die bis dahin besser mit Pflegepersonal besetzten Häuser geschaffen. Das kann doch nicht im Sinne des Erfinders sein.

Bestärkt werden wir, wird dieser Antrag, durch die aktuellen Ergebnisse der Untersuchungen der Hans-Böckler-Stiftung. Sie tritt den Nachweis an, dass gegenwärtig mehr als 100 000 Pflegekräfte, also mehr als 100 000 Vollzeitäquivalente, in unseren Krankenhäusern fehlen - und dies nur in den Krankenhäusern.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang fand die Kostendämpfung in unseren Krankenhäusern bei der pflegerischen Ausstattung in den Kliniken statt. Es ist nachgewiesen, dass die Zahl der im Krankenhaus behandelten Fälle seit Anfang der 90er-Jahre um mehr als 20 % gestiegen ist und bis heute vermehrt Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten Pflegebedarf ins Krankenhaus kommen. Demgegenüber wurden in den Jahren 2002 bis 2007 rund 33 000 Arbeitsplätze in der Pflege gestrichen. Nicht zuletzt ist dafür die Einführung des DRG-Systems mitverantwortlich.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Selbstverständlich findet der aufmerksame Betrachter auch durchaus vorwärtsweisende Details im Pflegepersonalstärkungsgesetz. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Tariferhöhungen endlich voll refinanziert und die Pflegekosten aus den Fallpauschalen in eigene Budgets überführt werden sollen.

So ist für die Ermittlung des Pflegebudgets ein System vorgesehen, das ohne größere Rechtsänderungen bundesweit auf ein System einheitlicher Pflegepauschalen umgestellt werden kann. Dabei sind bundesweit einheitliche Bewertungsrelationen für die Pflegepersonalkosten vorgesehen und ab 2020 soll dann ein krankenhausindividueller Pflegeentgeltwert ermittelt werden. Dieser ist die Grundlage für die Pflegepersonalkostenvergütung.

Allerdings bleibt abzuwarten, ob die so ermittelten Pauschalen den tatsächlichen Bedarf abbilden und auch gegenfinanziert werden, folgt doch dieser Ansatz dem geltenden und von Anbeginn an in Kritik stehenden System der DRG-Fallpauschalen.

Darüber hinaus bleibt offen, mit welchem Instrumentarium der tatsächlich notwendige Pflege

bedarf ermittelt wird. So ist bisher an keiner Stelle von der durch die Praxis erprobten Pflegepersonalberechnung die Rede, die bis in die 90er-Jahre hinein allen Krankenhäusern die Ermittlung des notwendigen Pflegepersonalbedarfes nach einheitlichen Kriterien und nach einem einheitlichen Maßstab stationsbezogen ermöglichte. Sie ist wohl heute noch Bestandteil des Krankenhausinformationssystems und könnte damit schnell und unbürokratisch wieder für diesen Zweck genutzt werden.

Darüber hinaus werden die Dienstpläne in der Zwischenzeit auch zunehmend elektronisch erstellt und sind ebenfalls Bestandteil des Krankenhausinformationssystems. Beides miteinander verbunden ließe es zu, ohne großen Mehraufwand als Grundlage für die Personalbesetzung und die Ermittlung des notwendigen Personalbedarfs tages- und schichtaktuell und stationsbezogen genutzt zu werden.

Die durch die Hans-Böckler-Stiftung vorgenommene Bewertung der Gesetzesvorhaben macht deutlich, dass wir so weder eine bedarfsgerechte und ausreichende Personalbesetzung noch eine gute Pflege zu erwarten haben. Dies steht ja wohl im krassen Gegensatz zu den Ankündigungen des Bundesgesundheitsministers und zum Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Fraktionen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt tatsächlich eine Berufsgruppe, die genau weiß, welche Veränderungen notwendig wären, um gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zu erreichen und damit eine erhöhte Patientensicherheit zu gewährleisten. Das sind die Pflegekräfte selbst. Aber keiner ist bis jetzt auf den Gedanken gekommen, sie zu fragen, sie in die Überlegungen einzubeziehen und gemeinsam mit ihnen neue Wege zu beschreiten. Dabei muss es doch in unser aller Interesse liegen, die notwendige, bedarfsgerechte Personalbesetzung auf allen Stationen über den gesamten nötigen Zeitraum der Betreuung im Krankenhaus sicherzustellen.

Unserer Meinung nach ist der Pflegebedarf zukünftig zwingend zuallererst aus der konkreten Feststellung des individuellen Pflegebedarfs von Patientinnen und Patienten zu ermitteln. Hierbei kann auf die verbindliche Personalbedarfsermittlung und die Verpflichtung zur bedarfsgerechten Personalbesetzung, die Bestandteil des Gesundheitsstrukturgesetzes von 1992 war und die ich bereits kurz beschrieben habe, zurückgegriffen werden.

Eine weitere Variante, auf die der Gesetzgeber zugreifen könnte, wäre es, die Personaluntergrenzen auf der Grundlage des individuellen Pflegebedarfs festzustellen, sie mit dem Verfahren

der Ermittlung des Pflege- und Personalbedarfes zu kombinieren und so für alle Arten von Stationen und alle Schichtsysteme Personaluntergrenzen zu ermitteln und festzulegen.

Für alle Variationen, die genutzt werden sollten, gilt jedoch: Sie müssen höchsten Anforderungen der Transparenz gerecht werden und alle anfallenden Personalkosten müssen tatsächlich ohne Wenn und Aber vollständig refinanziert werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Egal für welche Variante sich letztendlich der Gesetzgeber entscheidet, es muss eine andere als die beabsichtigte werden. Bei diesem neuen Verfahren ist es wichtig, zum einen die Beteiligung von Pflegerinnen und Pflegern innerhalb der notwendigen Prozesse zu gewährleisten. Zum anderen müssen ernsthaft, nachvollziehbar, glaubwürdig und realistisch Schritte unternommen werden, die die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegerinnen und Pflegern zum Ziel haben. Nur so kann die Garantie für mehr Patientensicherheit auf allen Stationen den ganzen Tag über für 365 Tage im Jahr erfüllt werden.

Ja, und die Personalbedarfsermittlung ist wichtig, keine Frage, aber sie ist nicht die Ursache für den bestehenden Personalmangel. Der Pflegeberuf muss attraktiver werden. Politik muss Entscheidungen treffen für eine bessere Ausbildung. Mit einer verbesserten Ausbildung sind die Pflegerinnen und Pfleger auch bereit, mehr Verantwortung an ihrem Arbeitsplatz zu übernehmen.

Die Pflegerinnen und Pfleger wünschen sich unabhängig vom Einsatzort, mehr Zeit für die Aufgaben an den Patientinnen und Patienten zu haben. Studien weisen nach, dass ein Mehr an Pflegepersonal die Sterblichkeitsrate senkt.

Und, meine Damen und Herren, auch mehr Lohn für alle Pflegekräfte gehört zu den Fragen nach der Attraktivität des Berufsstandes. Dies wäre ein Spiegel für eine andere, bessere Achtung des Pflegeberufs durch die Gesellschaft.

Durch die Vielzahl von unterschiedlichen Maßnahmen wird es möglich, die Attraktivität der Pflegeberufe ernsthaft zu steigern, die aktuell angespannte Situation in der Ausbildung und Beschäftigung von Pflegekräften positiv zu gestalten, Pflegekräfte länger gesund im Beruf zu halten, die Rückkehr in den Beruf neu zu verhandeln und den Pflegeauftrag in hoher Qualität zu erfüllen. Dem muss sich der Bundesgesetzgeber stellen.

Ändern sich so die Rahmenbedingungen, wird auch die gestaltende Arbeit in einer EnqueteKommission zielführender und einfacher. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich sehe keine Fragen. Deswegen können wir nun in die Debatte einsteigen. Dies ist eine Fünfminutendebatte. Für die Landesregierung wird die Ministerin Frau Grimm-Benne von Minister Herrn Prof. Dr. Willingmann vertreten. Er hat das Wort dazu.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich darf Frau Kollegin Grimm-Benne, die erkrankt ist, vertreten und verlese die Rede.

Es waren - Sie können sich sicherlich daran erinnern - auch die Äußerungen eines jungen Mannes im September 2017 während des Bundestagswahlkampfes im Fernsehen an die Adresse der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Kranken- und Altenpflege in der 19. Legislaturperiode zu einem politischen Thema von höchster Priorität gemacht haben. Inzwischen hat Gesundheitsminister Jens Spahn den Gesetzentwurf für ein Pflegepersonalstärkungsgesetz vorgelegt. Hiermit sollen zusätzliche Pflegestellen in Kliniken und Heimen finanziert werden und es sollen mit einer besseren Personalausstattung und mit besseren Arbeitsbedingungen spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte in der Kranken- und Altenpflege erreicht werden.

In Kurzform: Dem Sofortprogramm Kranken- und Altenpflege zufolge sollen in Zukunft im Krankenhaus jede zusätzliche Pflegekraft finanziert, Tarifsteigerungen voll refinanziert und ebenso die Vergütung der Azubis in der Krankenpflege im ersten Ausbildungsjahr abgebildet werden. In Altenpflegeeinrichtungen sollen ebenfalls zusätzlich 13 000 Stellen geschaffen werden.

Auch das Kostentableau für die Krankenkassen steht jetzt fest. Mit rund 4,5 Milliarden € Mehrausgaben bis zum Jahr 2021 muss die gesetzliche Krankenversicherung rechnen, mit knapp 800 Millionen € die Pflegeversicherung. 640 Millionen € jährlich machen allein die Kosten für die zusätzlichen Stellen in den Pflegeheimen aus, die von der GKV getragen werden sollen, weil als Behandlungspflege deklariert. Erste Erfolge sind also sichtbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten im Juli 2017 erhielten der GKV-Spitzenverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft den Auftrag, bis zum 30. Juni 2018 Pflegepersonaluntergrenzen für pflegesensitive Bereiche in Krankenhäusern festzulegen.

Nachdem die Verhandlungen der Selbstverwaltung gescheitert waren, ist am 11. Oktober 2018 die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung in Kraft getreten. In vier pflegesensitiven Krankenhausbereichen gelten ab dem 1. Januar 2019 Pflegepersonaluntergrenzen: in der Intensivmedizin, in der Geriatrie, in der Kardiologie und in der Unfallchirurgie. Das ist ein Anfang.

Eine sichere und gute Behandlung muss aber im gesamten Pflegebereich sichergestellt werden. Daher werden ab dem Jahr 2020 Vorgaben für die gesamte Pflege im Krankenhaus erwartet. Bereits heute gibt es einen Fachkräftemangel in der Pflege. Das wissen Sie, das wissen wir alle.

Allein durch die Einführung von Personaluntergrenzen wird die Situation in der Pflege nicht verbessert werden können. Folglich muss die Einführung von verpflichtenden Personaluntergrenzen durch weitere Maßnahmen begleitet werden. Wir müssen mehr Ausbildungsplätze schaffen, um unterschiedliche bzw. differenzierte Einstiege und Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten. Wir müssen neue Formen der Delegation in den Krankenhäusern schaffen, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten und Pflegekräfte entsprechend ihrer Qualifikation optimal einzusetzen. Dabei müssen Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungssituation und eine Erhöhung der Absolventenzahlen Hand in Hand gehen mit Maßnahmen zur besseren Fachkräfterekrutierung und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Vor uns liegt keine einfache Aufgabe. Es gibt keine einfache Lösung. Aber wir sind auf dem Weg. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Minister. Ich sehe keine Fragen.

(Minister Prof. Dr. Armin Willingmann: Das beruhigt mich sehr!)

- Er konnte eine gewisse Nervosität nicht verbergen, sagte er gerade.

Wir kommen nunmehr zur Debatte der Fraktionen. Bevor wir aber loslegen, begrüßen wir zunächst zwei Besuchergruppen. Zum einen haben wir Damen und Herren aus der Verbandsgemeinde Beetzendorf-Diesdorf auf unserer Zuschauertribüne ganz herzlich willkommen zu heißen.

(Beifall im ganzen Hause)

Und ich meine gesehen zu haben, dass wir heute auch eine große Delegation des Sehschwachen- und Blindenverbandes Sachsen-Anhalt auf unserer Südtribüne zu Gast haben. Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im ganzen Hause)