Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich recht herzlich bedanken, dass wir zu diesem Thema im Ausschuss diskutieren können und auch das Fachgespräch führen können. Ich meine, das Thema ist eigentlich zu wichtig, als dass man da jetzt vorschnell irgendetwas initiieren sollte.
Frau Lüddemann, nur eine kleine Bemerkung. Sie haben eben davon gesprochen, dass Kinder sicherlich auch bei ihren Eltern Kostgeld usw. abgeben müssen. In welcher Höhe weiß ich auch nicht, aber ich wage es, mir nicht vorzustellen, dass das 75 % ausmachen sollte.
Ich erinnere mich nur daran - als ein ganz kleines Beispiel -, als ich das erste Mal Geld in der Tasche hatte, Geld verdient hatte. Ich konnte mir, lange angespart - das ist schon ganz viele Jahre her -, grüne Sandaletten kaufen.
Wenn ich jetzt überlege, mir hätte damals jemand das Geld wieder weggenommen - ich wüsste nicht, warum ich noch sparen sollte, wenn es mir sowieso wieder weggenommen wird.
Auch diese Thematik sollten wir ansprechen. Das sind so bleibende Erinnerungen. Auch bei den Jugendlichen wird das sicherlich das eine oder andere sein. Ich denke, warum sollen wir in Sachsen-Anhalt keine dieser Jugendlichen haben, wo es in anderen Bundesländern welche gibt.
Ich würde darum bitten, dass wir dazu dann Daten vorliegen haben, um zu gucken, wie wir das am besten regeln können. - Danke schön.
Wir kommen zum Abstimmungsverfahren. Ich glaube, Herr Krull hat den Vorschlag unterbreitet, den Antrag in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration zu überweisen. Ich bitte um das Kartenzeichen, um diesen Antrag in diesen Ausschuss zu überweisen. Ich sehe, das sind alle Fraktionen und der fraktionslose Abgeordnete. Wer stimmt dagegen? - Das sehe ich nicht.
Stimmenthaltungen? - Sehe ich auch nicht. Damit ist der Tagesordnungspunkt 22 erledigt und wir führen noch einmal einen Wechsel durch.
Einbringerin ist an dieser Stelle Frau von Angern für die Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort. Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich durfte am letzten Mittwoch anlässlich des 25. Jubiläums unseres hiesigen Landesverfassungsgerichts in Dessau dankenswerterweise an einer Festansprache von Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, seines Zeichens Vizepräsident und Vorsitzender des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, beiwohnen.
Er hat viele kluge, viele eindringliche Sätze gesagt. Einige habe ich für mich persönlich als Einstieg in die heutige Debatte wahrgenommen. Er sagte: Die Professionalität von Abgeordneten führe zu einer gewissen Vernunft des Parlaments. So neige man daher nicht zu schnellen hysterischen Gesetzen in Reaktion auf einen Einzelfall. Man mache sich politische Entscheidungen nicht leicht und denke über den Tag hinaus.
Meine Damen und Herren! Kernfragen unseres in den letzten Jahren immer wieder gestellten Anliegens sind: Hilft oder schadet Jugendarrest Schulschwänzern? Nützt Jugendarrest Schulverweigerern oder bewirkt er eher das Gegenteil?
Sollen unbelehrbare Schulschwänzer in letzter Konsequenz mehrere Tage hinter Gittern sitzen? Was bringt das? - Bildungsminister Marco Tullner sagte im März 2018 gegenüber der Deutschen Presseagentur - ich zitiere -:
„Wir brauchen diese Ultima Ratio, wenn wir das Thema der Schulverweigerung nicht auf die leichte Schulter nehmen wollen.“
„Am Vorrang pädagogischer Mittel im Kampf gegen Schulverweigerer bestehen keine Zweifel. Wir werden weiter daran arbeiten, die Schulverweigerung zu bekämpfen. Der Jugendarrest ist und bleibt dabei [ein] Instrument.“
„Wir halten das für wenig produktiv“, entgegnete hingegen an derselben Stelle die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Angela KolbJanssen.
Sie stützt sich in ihrer Argumentation auch auf einen Passus im Koalitionsvertrag, in dem es heißt: „Schulschwänzer gehören in die Schule und nicht in den Jugendarrest.“ Aber derzeit scheint das Papier des Koalitionsvertrags noch sehr geduldig zu sein.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen parlamentarischen Rückblick. Es war der 14. März 2012 - also vor mehr als sechseinhalb Jahren -, als die Drs. 6/918 unter dem Titel „Jugendarrest in Sachsen-Anhalt - modern und zukunftsfähig gestalten“ das Licht der Welt - genauer des Parlaments - erblickte. Ich zitiere aus Nr. 10 der Drucksache:
„Der Landtag von Sachsen-Anhalt fordert die Landesregierung auf, künftig Schulpflichtverstöße (Schulverweigerungen) nicht mehr als Ordnungswidrigkeit mit der letztendlich möglichen Sanktion, der Verhängung von Beugearrest zu ahnden. Demzufolge ist das Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt in § 84 Abs. 1 durch die ersatzlose Streichung der Nr. 1 zu ändern.“
In der Begründung stellte meine Fraktion ausdrücklich klar, dass kaum eine förderliche Wirkung auf das Bildungsverhalten im Rahmen der Schulpflicht durch diese Sanktion entfaltet wird.
Einige von Ihnen werden sich daran erinnern, dass dieser Antrag damals in die zuständigen Ausschüsse, zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung, überwiesen wurde. Dieser Ausschuss beschloss am 7. September 2012 einstimmig, eine öffentliche Anhörung zum Anliegen des Antrags durchzuführen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um an dieser Stelle einige Zitate aus der Anhörung vorzutragen und Sie damit alle auf denselben Kenntnisstand zu bringen. Prof. Dr. Walkenhorst von der Uni Köln sagte damals:
„Wir müssen diese jungen Menschen einfach für unser fragiles Projekt Demokratie gewinnen, und das ist nicht nur mit Grenzsetzung möglich. Wir müssen ihnen immer wieder die Sinnhaftigkeit von Recht, Gesetz
und allem, was damit zu tun hat, auseinandersetzen. Das ist ein mühsames Geschäft, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Sonst glauben sie uns nicht.“
Klaus Breymann, Oberstaatsanwalt im Ruhestand, vom DVJJ, sagte damals: Der Arrest verfolgt drei Strafzwecke: Abschreckung, Besinnung und Erziehung. Alle drei Aspekte werden unter der Bedingung von ständiger Fluktuation bzw. einem völlig unkalkulierbaren Sammelsurium von Problemlagen von Jugendlichen im Jugendarrest gar nicht zu leisten sein. Der Bundesgerichtshof hat im 32. Band resümiert, der Arrest diene letztendlich nur der Einübung eines Formalgehorsams.
Wir wollen junge Menschen, die im Zuge des Erwachsenwerdens lernen, was recht und was unrecht ist, die lernen, für sich und andere Menschen Verantwortung zu übernehmen. Das ist das, was moderne Pädagogik im 21. Jahrhundert ausmacht. Die Zeit des Karzers ist endgültig vorbei.
Ich sage Ihnen auch, wenn eine sogenannte Ultima Ratio nichts bringt - und alle wissen, dass sie nichts bringt -, dann ist es keine Ultima Ratio. Dann gehört es abgeschafft.
Ich war entsetzt über die Wortwahl des Sprechers des Amtsgerichts Halle. Ich zitiere aus der „Mitteldeutschen Zeitung“:
„‚Unwilligkeit muss gebeugt werden‘ […]. Das verlange das Gesetz und auch die Bevölkerung von den Richtern.“
Dazu kann ich nur sagen, da hat jemand den Grundsatz des Jugendstrafrechts absolut nicht verstanden.
Ich muss davon ausgehen, dass dieser Satz vorher wohl überlegt gewesen ist. Da hat jemand nicht verstanden, dass Rechtsprechung - auch wenn über jedem Urteil steht „Im Namen des Volkes“ -