Protokoll der Sitzung vom 19.12.2018

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, es gibt, wie gesagt, noch Nachfragen. Herr Philipp hat sich zu Wort gemeldet. - Herr Philipp, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank. - Herr Gallert, ich will das bloß richtigstellen. Ich glaube, wir haben nur ein Verständigungsproblem. Wenn wir ein Haus bauen, dann fangen wir mit dem Fundament an. Das Fundament ist eine prosperierende Wirtschaft.

(Zustimmung von Guido Heuer, CDU)

Dann hat man irgendwann das Dach: den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wollen zuerst das Dach bauen - das ist auch eine Herangehensweise -, aber wir sehen zuerst das Fundament, und auf diesem Fundament bauen wir weiter auf. So ist dieser Antrag auch gemeint. Wir betrachten den Menschen sehr wohl, sehen den Menschen aber sozusagen im Gesamtkontext einer Gesellschaft, zu der die Wirtschaft dazugehört, Herr Gallert.

Herr Gallert, Sie haben noch einmal das Wort.

Dann frage ich mich, wie dieser Antrag zustande gekommen ist. Es geht um den Export. Es geht um die Unternehmen. Es geht um den Warenverkehr, um Import und Export. Es geht um osteuropäische Fachkräfte. Dann geht es noch um Kooperation im Wissenschafts- und Bildungsbereich. Und ganz am Ende geht es um britische Staatsbürger und deren Perspektive.

(Zuruf von Florian Philipp, CDU)

- Wissen Sie, Herr Philipp, ich verstehe ja Ihre Sicht auf die Dinge. Das ist mir schon klar. Das ist die Perspektive auf die Europäische Union, wie sie bisher war - im Grunde genommen eine etwas ausgebaute Freihandelszone. Das Problem ist nur, dass sich der Mensch in dieser Freihandelszone viel zu häufig nicht wiedergefunden hat,

(Beifall bei der LINKEN)

sondern dass er sie als eine Europäische Union begriffen hat, die die Konkurrenz der Menschen, der Nationalstaaten untereinander zu seinen Lasten organisiert. Das sind die Dezentralisierungskräfte, die hier wirken. Deswegen haben wir, glaube ich, kein Missverständnis. Wir haben an

der Stelle einen tief sitzenden inhaltlichen Konflikt, Herr Philipp.

Herr Philipp, Sie haben eine Nachfrage? - Herr Philipp hat eine Nachfrage. - Bitte.

Ich will es nur noch einmal verdeutlichen. Vielleicht sind wir ja gar nicht so weit auseinander.

Ich bin ein Kind der Wende. Ich bin in MagdeburgOlvenstedt groß geworden. Nach der Wiedervereinigung, in den 90er-Jahren, gab es eine sehr, sehr große Arbeitslosigkeit. Daran sehen Sie einmal, was Arbeitslosigkeit, eine nicht funktionierende Wirtschaft mit einer Gesellschaft macht. Das ging übrigens so weit, dass Olvenstedt zu dieser Zeit für einen hohen Grad an Rechtsextremismus bekannt war.

Deswegen stehen in dem Punkt unseres Antrages die Wirtschaft und der Gedanke der Wirtschaft, wohl wissend, dass sozusagen in der Kausalkette auch die gesellschaftliche Entwicklung und das Individuum im Mittelpunkt stehen.

Ja, Herr Philipp, wir werden, wie gesagt, im übernächsten Tagesordnungspunkt mehr Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Aber, wissen Sie, das Problem besteht trotzdem darin: Mit diesem Herangehen können Sie nicht erklären, warum es dermaßen starke Dezentralisierungstendenzen innerhalb der Europäischen Union gibt und warum die Akzeptanz vor allen Dingen in den Bevölkerungsgruppen so stark gesunken ist, die in der letzten Zeit eben nicht auf der Gewinnerseite der neoliberalen Entwicklung stehen.

Lassen Sie uns beim nächsten Tagesordnungspunkt noch einmal darüber sprechen. Dann kann ich auch noch einmal darauf eingehen, was der Kollege Rausch als Perspektive für die Europäische Union skizziert hat.

Das ist übrigens gar nicht so weit weg von dem, was die britischen Konservativen als Position zur Europäischen Union in die Brexit-Ausein

andersetzung eingebracht haben und mit der sie krachend gescheitert sind. Aber dazu später mehr. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe, es gibt keine weiteren Fragen. Ich danke Herrn Gallert für den Redebeitrag. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Meister. Herr Meister, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Der zu befürchtende Brexit wirft seine garstigen Schatten voraus. Das gibt in mehrfacher Hinsicht Anlass zur Sorge.

Ich fange einmal im Großen an. Die aktuell in Europa bestehende Friedensordnung hat uns allen auf diesem Kontinent eine in dieser Länge noch nicht vorgekommene Zeit des Friedens beschert. Bei allen Problemen, die es auf dem Kontinent gab und gibt: Die Staaten Europas haben sich nach den verheerenden Weltkriegen entschlossen, an die Stelle der Herrschaft des Stärkeren die Herrschaft des Rechts zu setzen. Die Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union ist ein ganz zentraler Bestandteil dieser Verrechtlichung der Zusammenarbeit.

Die allerorten stärker gewordenen Kräfte, die diese Zusammenarbeit infrage stellen, besorgen mich. Gravierender ist doch der geradezu absurde Anachronismus, der solchen Austrittsbestrebungen innewohnt.

Unsere Zeit, die aktuelle Entwicklung der internationalen Gesellschaft ist vor allem davon geprägt, dass es immer mehr zentrale Problemfelder gibt, die mit den Mitteln der Nationalstaaten nicht mehr zu bewältigen sind. Das wird die einzelne staatliche Ebene nicht überflüssig machen, aber wir haben zum Beispiel globale Umweltprobleme, die wir nur gemeinsam lösen können. Die Wirtschafts- und Finanzströme sind weltweit, aber vor allem in Europa in extremer Weise miteinander verflochten. Wenn wir diese Probleme und viele weitere soziale Fragen, wie Migration, Digitalisierung bis hin zu den Urheberrechten usw., lösen oder auch nur bearbeiten wollen, brauchen wir internationale Zusammenarbeit, brauchen wir internationale Gremien, brauchen wir eine Europäische Union.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der CDU und von Minister Marco Tullner)

In dieser Situation als Land auf Gegenkurs zu gehen, ist nicht nur nicht sinnvoll, es ist tragisch. Dass die EU dabei nicht fehlerfrei ist, das ist uns allen klar. Ich kenne niemanden, der sagt: So, wie sie jetzt ist, ist es schön; bitte nicht anders. Es gibt Bürokratie; die Transparenz, die soziale Frage kann man ansprechen. Sie aber zu zerschlagen - das ist ja letztlich die Konsequenz in dem einzelnen Staat; die Bewegung gibt es aber in allen Staaten -, das wäre ein katastrophaler Fehler.

(Minister Marco Tullner: Sehr richtig!)

Natürlich ist diese Zusammenarbeit auch Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft. Ein ungeregelter Austritt Großbritanniens wird zu Wohlstandsverlusten führen, hier bei uns und in der EU, besonders stark aber im Vereinigten Königreich.

Auch der britischen Politik ist angesichts der massiven Probleme scheinbar nun doch der eine oder andere Zweifel gekommen, ob das, was sie da tun, sinnvoll ist. Das ist tatsächlich ein Problem. Ich habe immer noch nicht verstanden, wieso die Kollegen in Großbritannien davon ausgehen, dass sie, obwohl sie nicht mehr Mitglied im Klub sein wollen und die Pflichten nicht mehr tragen wollen, die Vorteile haben können.

Jetzt habe ich von Herrn Rausch zu meiner Verblüffung gehört, dass diese Rosinenpickerei, die wir da erleben, von Ihnen tatsächlich noch unterstützt wird,

(Zuruf von André Poggenburg, AfD)

das Herauspicken bestimmter Punkte. Andere Punkte, bei denen man Verantwortung tragen muss - das sind eben immer die zwei Seiten der Medaille -, werden abgelehnt. Ich verhehle nicht, dass ich ein wenig auf ein Wunder und auf den Exit vom Brexit hoffe. Wahrscheinlich ist das leider eher nicht; wir werden es sehen.

Als Land Sachsen-Anhalt können wir das Ob des Brexits nicht beeinflussen, wir können uns aber für den Fall vorbereiten, dass er kommt. Das ist das Ziel des vorliegenden Antrags und letztlich auch des vorliegenden Gesetzentwurfs. Es soll geklärt werden, welche negativen Folgen wir zu erwarten haben und wie wir ihnen begegnen können, sei es im Bereich der Wirtschaft oder der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, sei es für die einzelnen Menschen.

Es geht aber auch darum, welcher Nutzen sich möglicherweise für uns eigennützig realisieren lässt; auch das gehört dazu. Ich denke insbesondere an die Fachkräfte, die das Vereinigte Königreich bereits jetzt verlassen und eine neue Zukunft suchen.

Herr Gallert ging darauf ein, dass individuelle Schicksale dabei nicht vorkommen. Das hat natürlich bestimmte Gründe. Zum einen wird die Europäische Union im Februar 2019 nicht aufhören zu existieren; das ist so. Insofern müssen wir uns jetzt nicht mit der Frage an die Regierung wenden, was sozial bei uns im Land passiert. Das wird mit Großbritannien nur sehr bedingt zu tun haben.

Das Schicksal der Menschen aus Sachsen-Anhalt in Großbritannien kann man natürlich hinterfragen. Ich weiß nicht, ob ich die Regierung nicht maßlos überfordere, wenn ich jetzt sage: Entwickelt doch bitte einmal für unsere Menschen, die dort sind, unter landsmannschaftlichen Gesichtspunkten eine Regelung. Das ist schwierig. Ich meine, das ist dann doch Aufgabe der Bundesebene.

Dass eine Beeinträchtigung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich für uns

nachteilig sein wird, liegt auf der Hand. Großbritannien ist der zweitwichtigste Partner für den Export aus Sachsen-Anhalt mit einem Volumen von 1,2 Milliarden €.

Der Export in die Russische Föderation hat ein Volumen von 0,34 Milliarden € und liegt damit auf Platz 14. Auch früher war das übrigens so. Im Jahr 2010 waren es nur 0,27 Milliarden €, etwa Platz 11. Ich sage das, weil immer die Mär kursiert, es sei alles ganz schrecklich geworden.

Wenn diese Beziehungen einbrechen, kann es schmerzhaft für uns werden. Wir haben einiges zu verlieren. Wir sollten uns, so gut es mit unseren Mitteln geht, auf den schlimmsten Fall vorbereiten. Das Gesetz ist sinnvoll. Es regelt die Fortgeltung von Rechten in Bezug auf das Vereinigte Königreich für den Fall, dass wir diesen Übergangszeitraum bekommen, der in Rede steht.

Ich hoffe, es wird anders kommen. Wir müssen aber abwarten, wie es sich entwickelt. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU)

Herr Meister, es gibt noch eine Frage von Herrn Gallert. - Herr Gallert zieht seine Frage zurück. Herr Meister, dann danke ich Ihnen für Ihren Redebeitrag. - Wir fahren fort. Für die CDU-Fraktion spricht noch einmal der Abg. Herr Thomas. Herr Thomas, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst haben wir, glaube ich, heute hier über ein Thema debattiert und werden noch weiter darüber debattieren, bei dem auch dem Letzten klar geworden ist, dass es, egal was passiert, für Sachsen-Anhalt nicht ohne Auswirkungen bleiben wird. Ich glaube, der beste Brexit aus der Sicht des Landes Sachsen-Anhalt ist ein NoBrexit.

(Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN - Minister Marco Tullner: Sehr richtig!)

Das Beste wäre in der Tat, wir müssten diese Debatte nicht führen. Ich möchte jetzt nicht der Versuchung erliegen, wie es einige Vorredner getan haben, eine Grundsatzdebatte über die Daseinsberechtigung der EU zu führen. Es geht vielmehr um einen Antrag, der sich insbesondere im wirtschaftspolitischen Bereich bewegt.

Dazu haben wir heute mehrfach gehört: Wirtschaftspolitisch würde Sachsen-Anhalt nicht gewinnen, sondern stark verlieren. Deswegen, Kollege Rausch, hoffe ich, dass ich Sie, auch die

AfD, missverstanden habe. Denn hierbei geht es wirklich um ureigenste Interessen des Landes Sachsen-Anhalt und darüber hinaus der Bundesrepublik Deutschland.

Wir wären einer der Verlierer. Das sollten wir uns nicht zumuten. Deswegen sollten wir schon darüber debattieren, wie wir dieses Verfahren eventuell so begleiten, dass wir eben nicht zu den großen Verlierern gehören.