Protokoll der Sitzung vom 01.02.2019

Die großen Strukturdebatten zur Zukunft der Deutschen Bahn laufen ja zum Glück aktuell. Der DB-Konzern ist vor allem aufgrund seiner bisherigen Ausrichtung als internationaler Logistikkonzern in der Kritik. So agiert er. Meines Erachtens ist sehr klar geworden, dass das eigentliche Kerngeschäft, nämlich Personen- und Güterverkehr, eben auch zwischen kleinen Gemeinden und Städten, vernachlässigt wird.

Wenn wir dahin wieder kommen wollen, dann hat sich die Deutsche Bahn AG mit ihren mehr als 700 Tochterunternehmen und Beteiligungen von solchen Töchtern zu trennen, die nichts mit dem Kerngeschäft zu tun haben. Da sind Beispiele sehr klar zu benennen, so im Lkw- und Schiffslogistikbereich. Mit Schiffen hat man ja allgemein so seine Probleme. Wir sollten uns überlegen, wie wir insgesamt damit umgehen. In dem Bereich Schiene würde das nicht nur die Fokussierung auf das Kerngeschäft erleichtern und die DB AG wieder zu einem besser steuerbaren Unternehmen machen. Es würde auch Einkünfte generieren, die gut zu gebrauchen wären, um etwa den Wagenbestand zu erneuern.

Das Problem des Schienenverkehrs ist also nicht eine übermäßige Privatisierung. Wir stehen nicht vor dem Scherbenhaufen einer missglückten Privatisierung, einer Gesamtprivatisierung wie etwa England. Hierzulande resultieren die Probleme des Bahnverkehrs aus einer völlig verfehlten Bundespolitik, einer Politik, die die Schiene seit Jahren stiefmütterlich behandelt. Für die Koalition aus CDU und SPD auf Bundesebene und erst recht für den zuständigen CSU-Minister kommt eben immer zuerst die Straße, dann kommt lange nichts, und dann kommt die Schiene. Das ist falsch; hier muss deutlich umgesteuert werden. Unsere Bundestagsfraktion ist an dieser Problematik mit sehr deutlichen Konzepten dran. Es ist eben plakativ: Alle Straßenprojekte bis zur kleinsten Ortsumfahrung sind für den Bundesverkehrswegeplan bewertet und kategorisiert; bei der Schiene sind es die allermeisten Projekte nicht. Das müssen wir ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Königsweg der Mobilität, das Transportmittel der Wahl sollte die Bahn sein. Sie ist klimafreundlich und ressourcenschonend. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Es gibt eine Wortmeldung von Herrn Gallert. Herr Tullner hat sich nun auch gemeldet.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Und zwar als Erster eigentlich! Entschuldigung, Frau Prä- sidentin! - Wulf Gallert, DIE LINKE: Nein, Herr Borgwardt, dann müssen wir - -)

- Herr Borgwardt, dazu sollte ich mich jetzt nicht äußern, nein?

(Siegfried Borgwardt, CDU: Nein! Es war mir entglitten!)

Herr Abg. Gallert, bitte.

Ich habe jetzt aus Ihrer Rede herausgehört: Die Probleme, die wir bei der Bahn haben, bewegen sich aus Ihrer Sicht vor allen Dingen im Schienenbereich. Dazu gehört auch das, was Sie gesagt haben: Schiene und Bahnhof müssten wir in einer nicht gewinnorientierten Infrastrukturgesellschaft haben.

Beim Verkehrsbetrieb selbst ist Wettbewerb völlig in Ordnung. Da sollen sozusagen die Wettbewerber aufeinanderprallen.

Jetzt haben wir doch aber exakt das Problem, dass wir genau in dieser Situation sind, dass wir einen Wettbewerber haben, der aufgrund dessen, wie der Wettbewerb organisiert wird, katastrophale Leistungen erbringt und überhaupt nicht in der Lage ist, die Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Abellio hat die dafür erforderlichen Leute nicht. Abellio hat sie unter anderem deswegen nicht, weil sie schlechter bezahlt werden. Warum werden sie schlechter bezahlt? - Weil sie dadurch im Wettbewerb beim Angebot erfolgreich waren.

Ich frage mich, warum Sie dieses Problem überhaupt völlig ignorieren und sagen: Beim fröhlichen Wettbewerb machen wir weiter, dann kriegen wir eine glückliche Zukunft. Ich verstehe es nicht.

Frau Abg. Lüddemann, bitte.

Dann habe ich das an dieser Stelle nicht deutlich genug gesagt, wenn Sie das nicht verstehen, Herr Kollege Gallert. Ich habe gesagt: Der Wettbewerb an sich ist nicht das Problem und ist nicht zu verteufeln. Darin, wie wir den Wettbewerb ausgestalten, wie wir die Ausschreibungen gestalten - dazu habe ich sehr klar gesagt, da werden wir mit der Nasa sprechen müssen -, liegt für mich das Problem.

Wir setzen doch die Rahmenbedingungen und wir können in die Rahmenbedingungen auch etwas hineinschreiben, was zum Beispiel die Bezahlung von bestimmten Berufsgruppen zur Erfüllung des Auftrages betrifft. Das ist aus meiner Sicht das Problem. Den Wettbewerb an sich kann man schlecht finden. Wir tun das an dieser Stelle nicht. Für die Infrastrukturgesellschaft, für die Hardware sozusagen - das haben Sie richtig wiedergegeben -, wollen wir eine in der öffentlichen Hand befindliche, nicht gewinnorientierte Infrastrukturgesellschaft.

Ich sehe, dass Sie eine Nachfrage haben, Herr Abg. Gallert.

Frau Präsidentin, eine kurze Nachfrage. - Ja, aber so einfach ist es halt nicht. Die Probleme von Abellio kommen eben daher, dass es Ausschreibungen gibt, die überhaupt nur einen bestimmten Zeitraum erfassen. Es geht ab einem bestimmten Zeitpunkt los, dann ist es zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Ende. Dazwischen gibt es sämtliche Ausschreibungsformalien. Dieser Zeitabstand ist zum Teil so groß, dass - egal, ob Abellio oder sonst wer, egal, was wir in die Ausschreibung hineingeschrieben haben - die Rekrutierung des Personals erst zu einem Zeitpunkt anfangen kann, der viel zu spät ist. Das bekomme ich durch eine andere Ausschreibungsregelung nicht hin.

Wenn ich den Wettbewerb organisieren will, wenn ich sagen will, es muss unklar sein, wer dort in den nächsten drei Jahren fährt, habe ich genau in diesem Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge das Problem. Es ist nicht ein Problem der Ausschreibung, es ist ein Problem des Wettbewerbssystems.

Vielen Dank, Herr Gallert. Es war allerdings doch nicht ganz kurz. - Frau Lüddemann.

Ja, es war auch nicht wirklich eine Frage, wenn man genau hingehört hat. Es war eine kurze Beschreibung des Kernproblems.

Nehme ich an, dass wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, und nehme ich an, dass ich als Politiker Marktpunkte setze, um diesen Kapitalismus zu strukturieren - das ist das, was wir tun, indem wir die wichtigen Teile herauslösen, sie nicht dem Markt überlassen und den Wettbewerb organisieren wollen -, oder sagt man so wie Sie, das muss alles komplett und in Gänze in der öffentlichen Hand bleiben?

Was das konkrete Problem betrifft, dass wir zu wenig Personal haben, gebe ich Ihnen recht. Die Bezahlung ist in der Tat ein Problem. Auch Abellio hat im Ausschuss sehr deutlich dargestellt, dass das, was wir da kritisieren, richtig ist. Aber wir müssen ehrlicherweise sagen: Das Personalproblem insbesondere im Triebfahrzeugführerbereich haben ja alle Bahnunternehmen.

(Zuruf von Wulf Gallert, DIE LINKE)

Da haben wir insgesamt ein strukturelles Problem. Weil wir ja dieses Problem, wenn wir es jetzt im großen Ganzen angehen wollen - Sie sind ja immer der Freund des großen Ganzen -, im Rahmen von Fachkräftemangel betrachten müssen, sagen wir: Das ist kein Beruf mit Zukunft. Ich kann heute nicht guten Gewissens einem jungen Menschen im Alter von 17 Jahren sagen: „Lerne diesen Beruf, dann hast du dein Leben lang ausgesorgt.“ Deswegen müssen wir gucken, wie wir an dieser Stelle umsteuern. Da ist eben im Moment das Mittel der Wahl, so wie ich den Markt betrachte, das automatisierte Fahren.

Vielen Dank, Frau Abg. Lüddemann. - Jetzt kommt der Abg. Herr Tullner.

Liebe Kollegin Lüddemann, nach den sehr grundsätzlichen Ausführungen von Kollegen Gallert komme ich sehr viel kleinteiliger daher und wollte Ihnen zunächst für die sehr ausgewogene Reflexion, soweit ich es verstanden habe - ich bin ja kein Verkehrsexperte -, der Probleme mit Abellio danken.

(Zustimmung von Frank Scheurell, CDU)

Aber ich wollte auch einmal dafür werben, dass man bei aller Sicht auf einzelne Probleme gelegentlich das ganze Bild in den Blick nehmen sollte. Da ich auch Freunde und Bekannte habe, die bei Abellio sehr engagiert und tatkräftig arbeiten, will ich nur kurz über ein Beispiel berichten,

Frau Präsidentin, das ich als Bahnnutzer selber erlebt habe.

Ich bin vor Kurzem - ich fahre ab und zu ja auch mit Abellio - von Sangerhausen aus gefahren. Der Zug hatte Verspätung. Als der Zug planmäßig kommen sollte, tauchte trotz Ansage plötzlich ein Zug auf. Ich fragte: Was ist denn hier los? - Da wurde mir erzählt, man habe extra aus Halle per Taxi einen Lokführer nach Sangerhausen beordert, damit hier ein Zug eingesetzt werden konnte, der dann auch pünktlich losfuhr.

Meiner Meinung nach sollten solche Beispiele auch einmal erzählt werden und man sollte zur Kenntnis nehmen, dass wir durchaus leistungsfähige Unternehmen in diesem Lande haben,

(Frank Scheurell, CDU: Mehr Positives! - Beifall bei der CDU)

die Probleme haben, die man angehen muss. Ich glaube, Thomas Webel ist zusammen mit ihnen dabei, diese Probleme zu lösen. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass man gelegentlich auch über solche Beispiele berichtet. Das wollte ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich tun.

Vielen Dank, Herr Abg. Tullner; das war gerade noch an der Grenze von zwei Minuten. - Bitte, Frau Lüddemann.

Ich bedanke mich im Namen des Hohen Hauses für dieses persönliche Beispiel aus dem Leben des Herrn Bildungsministers

(Marco Tullner, CDU: Und des Bahnfah- rers! - Zuruf von der CDU: Und des Abge- ordneten!)

und des Bahnfahrers und des Abgeordneten. Ich will das trotz allem auch noch einmal in den großen Kontext einordnen. Im Sinne des Arbeitnehmers - so habe ich jetzt die Einlassung verstanden - ist es nicht unbedingt wünschenswert, dass man eine solch lange Anreise hat. Sie müssen oft übernachten usw. Das ist ein Teil des Preises, dass man jetzt eben verschiedene Unternehmen hat.

Deswegen sage ich: Wir müssen grundsätzlich an den Arbeitsbedingungen etwas ändern. Welcher Bereich in der Verkehrslogistik ist prädestinierter als der schienengebundene Verkehr, um automatisiertes Fahren voranzutreiben? - Da sind andere Länder deutlich weiter.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist auch ein Teil - dazu kommen wir in der nächsten Debatte noch -, für den wir die Zukunftsgelder - so sage ich jetzt einmal, weil sich

„Kohlegelder“ immer so gestrig anhört - investieren sollten, um auch hier in Sachsen-Anhalt sehr modern aufgestellt zu sein. Dann werden solche Sachen gar nicht mehr nötig sein.

Vielen Dank, Frau Abg. Lüddemann. Ich sehe jetzt keine weiteren Fragen mehr.

Doch bevor ich den letzten Debattenredner aufrufe - für die CDU-Fraktion spricht dann der Abg. Herr Scheurell -, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, die zweite Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Ganztagsgemeinschaftsschule G. E. Lessing aus Salzwedel recht herzlich hier im Hohen Hause zu begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Abg. Scheurell, Sie haben jetzt das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir zurück zum Leben.