Protokoll der Sitzung vom 01.03.2019

Sie haben die Möglichkeit zu erwidern.

Das können Sie auch sein. Wir werden uns auch daran beteiligen, weil die Rentenfrage wichtig ist.

Man muss auch versuchen, das hier nicht ideologisch zu klären, sondern es für die Bürger draußen zu klären.

(Zuruf von der SPD)

- Ja, das ist so. - Dafür ist es erforderlich, dass man sich Gedanken darüber macht, und die müssen von einer Partei einheitlich vertreten werden. Dazu ist es notwendig, einen Sozialparteitag abzuhalten, auf dem ein komplettes Rentenkonzept beschlossen wird und in das Forderungen, die wir natürlich haben, auch einfließen, also die Forderungen aus den mitteldeutschen Verbänden. Darum haben wir uns zusammengeschlossen und bearbeiten dieses Thema ständig. - Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Herr Gallert ist der Nächste, der seine Frage stellt. Bitte, Herr Gallert.

Herr Kirchner, ich habe eine Bemerkung und eine Frage. Erstens. Wenn es nicht schon seit Jahrzehnten eine massive Einwanderung in unsere Sozialsysteme, vor allen Dingen in das Rentensystem gegeben hätte, wäre es inzwischen längst kollabiert.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Diejenigen, die einwandern, sind nämlich Beitragszahler, und zwar überdurchschnittlich die Beitragszahler.

(Unruhe bei der AfD - Zuruf von der AfD: Was? - Zuruf von Lydia Funke, AfD)

Zweitens. Ich hätte darauf gern einmal eine konkrete Antwort - ich weiß nicht, ob es eine Bundesposition, eine Landesposition oder eine persönliche gibt -: Halten Sie die steuerfinanzierte Unterstützung für private Kapitalanleger zur Rentenversicherung für eine gute Idee oder lehnen Sie diese ab?

(Andreas Steppuhn, SPD: Das kann er gar nicht beantworten!)

Herr Kirchner.

Zuerst muss gesagt werden, dass wir den Topf der Rente so verstärken wollen, indem wir sagen: Alle Einkommensbezieher und Einkommensarten müssen in die Rente einzahlen. Das ist Grundkonsens bei der AfD, einer der wenigen, die es gibt.

Zu der zweiten Frage muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Das lehne ich persönlich ab.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Sie lehnen das ab?)

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Okay, danke!)

Vielen Dank, Herr Kirchner. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abg. Frau Lüddemann. Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erwerbseinkommen und eine entsprechende Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt schützen nicht vor Armut. Arbeit zu haben sichert nicht regelhaft den Bedarf und die Teilhabe von Familien. Schon gar nicht sichert sie eine armutsfeste Rente. Das ist ein klarer empirischer Befund.

Aber einmal normativ gegen den Strich gebürstet: Das muss der Arbeitsmarkt auch nicht leisten. Es ist kein Naturgesetz. Das ist schlicht und ergreifend unserer Sozialarchitektur geschuldet, die eben alles an dem Normalarbeitsverhältnis aufhängt. Dies ist das Nadelöhr für alles, was weiter kommt und worüber weiter zu diskutieren ist.

Mit ihren aktuellen Vorschlägen rüttelt die SPD anfänglich und zaghaft an dem Grundgerüst unseres Sozialstaates. Das finde ich vom Grundsatz her zunächst gut. Wir GRÜNEN denken schon lange jenseits der Arbeitsgesellschaft und gründen soziale Teilhabe prinzipiell auf starke soziale Grundrechte. Kindergrundsicherung, Garantie

sicherung und Garantierente sind dafür die grünen Konzepte.

Dass die SPD nun in eine sehr ähnliche Richtung denkt, ist erst einmal klar zu begrüßen. Das Thema Kindergrundsicherung hat die SPD aufgerufen, wie eben auch die breiter medial diskutierte Forderung nach einer Grundrente. Der Stein des Anstoßes bzw. wirklich neu für die SPD an diesem Konzept ist die Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung. Das muss der Wahrheit halber klar gesagt werden. Dafür bin ich, ehrlich gesagt, schon lange und auch meine Partei. Ich finde, das ist eine richtige und wichtige Debatte. Je mehr Politiker sich ernsthaft dieser Frage stellen, ist es ganz klar ein guter Debattenbeitrag.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Diese Abschaffung sehe ich etwa für die Kindergrundsicherung seit Langem als geboten an.

Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel Wert sein, unabhängig vom Geldbeutel oder - so müsste man heute wahrscheinlich eher sagen - vom Konto der Eltern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Im Bereich der Rente ist eine Abkehr von der Bedürftigkeitsprüfung insbesondere aus dem Grund geboten, niemanden von der Beantragung abzuschrecken. Das ist nämlich etwas, das alle empirischen Studien, die es in diesem Bereich gibt, ganz klar besagen.

Gerade im Bereich der Grundsicherung im Alter wird von einem extrem hohen Anteil der eigentlich Antragsberechtigten ausgegangen, die diese Leistung nicht in Anspruch nehmen, sei es aus Scham, sei es aus Unwissenheit. Mit der Streichung der Bedürftigkeitsprüfung kann man diesen Anteil sicherlich massiv minimieren.

Das sieht auch das grüne Konzept einer Garantierente vor. Seit Jahren streiten wir für eine Garantierente, die langjährig Versicherten, also Menschen, die den größten Teil ihres Lebens gearbeitet haben, Kinder erzogen oder andere Menschen gepflegt haben - auch das müssen wir zunehmend in den Blick nehmen -, zusteht. Eine Garantierente, die deutlich oberhalb der Grundsicherung liegt und eben ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt wird sowie ohne Anrechnung von betrieblicher und privater Altersvorsorge auskommt. 30 Beitragsjahre gleich 30 Rentenpunkte, so die einfache Formel.

Die Grundrente der SPD ist, wenn ich das richtig verstehe, etwas anders gestrickt, aber folgt dem gleichen Ziel, nämlich jahrzehntelange Erwerbstätigkeit und familiäres wie soziales Engagement in eine normale Rente zu überführen, ohne beim Sozialamt anklopfen zu müssen. Aber neben dem Bereich der Existenz- und Teilhabesicherung, die letztlich ad hominem, also als Grund- und Menschenrecht zu begründen ist, gibt es eine zweite sozialpolitische Herausforderung, die es neu zu regeln gilt, Stichwort Lebensstandardsicherung.

Das ist die eigentliche Krux des bestehenden Hartz-IV-Systems neben den unseligen Sanktionen. Die Sicherung des Lebensstandards wird in der Regel für ein Jahr gewährt. Dann fällt man zurück auf die Mindestsicherung. Diese steht natürlich jedem zu, ganz egal, wie hoch der Lebensstandard zuvor war, ob vormaliger - einmal übertrieben gesagt - Einkommensmillionär oder Mensch ohne Schulabschluss. Das wird nicht jeder Erwerbsbiografie, nicht jeder Biografie gerecht.

Ich kann nachvollziehen, dass das Frust produziert. Wer im höheren Alter arbeitslos wird, dann nach einem Jahr zur Existenzsicherung sein Vermögen abbauen muss, dann Hartz IV bezieht und

dann zwangsverrentet wird mit den Einbußen bei der Rentenzahlung, der erlebt die ganze Unwucht des Sozialstaates. Ich sage extra „Unwucht des Sozialstaates“, weil das etwas ist, bei dem man nachsteuern kann.

Ich meine, das ist das Trauma, unter dem die SPD seit Jahren leidet; denn das ist - so wird es von denjenigen, die es betrifft, auch empfunden - Verrat an der Erwerbsbevölkerung. Hier wieder Vertrauen aufzubauen ist schwierig; denn so schnell, wie man Vertrauen zerstören kann, so schwierig ist es und so lange braucht man, um es wiederherzustellen.

Als GRÜNE sage ich erstens, wir müssen eine Mindestexistenzsicherung und die grundlegende Teilhabe an der Gesellschaft von der Erwerbsarbeit entkoppeln. Die Kindergrundsicherung, die Garantierente, aber auch eine sanktionsfreie Grundsicherung und möglicherweise auch ein unabhängiges Eltern-BAföG gehören dazu. Oder - das ist ein neues Wort, aber Sie werden es kennen - man kann es auch als Grundeinkommen beschreiben.

Zweitens haben wir die Diskussion zu führen, wie stark und wie lange die von unserer politischen Gemeinschaft eingerichteten Sozialsysteme endlich einmal erworbenen Lebensstandard, also letztlich eine bestimmte Einkommenshöhe, sichern sollen. Das ist eine schwierige Debatte; das ist eine diffizile Debatte; das ist ganz klar. Aber es ist absolut wichtig, die Angst vor dem materiellen Abstieg im viertreichsten Land der Welt deutlich zu minimieren. Solange das Schreckgespenst Hartz IV und Altersarmut auch in der Mittelschicht spukt, kommt unsere Gesellschaft nicht zur Ruhe.

Selbstverständlich ist aber auch, wir können und dürfen nicht gegen jede Unbill des Lebens Vorkehrungen treffen, klar. Persönliches Scheitern und gebrochene Lebensläufe wird es in einer freien Gesellschaft immer geben. Aber wir müssen als Politik festlegen, wie tief jemand fallen kann. Wir können festlegen, was als soziales Grundrecht jedem zusteht und welches Sicherheitsniveau jede und jeden schützt.

Die Lebensstandardsicherung fungiert wie ein Fallschirm. Auch mit einem Fallschirm schwebt man langsam nach unten; das ist unbestritten. Aber man schlägt - das ist der große Unterschied - eben nicht so brutal auf.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Okay!)

Genau das ist der Unterschied. Man landet im Normalfall sachte und geplant. Auch hier zirkulieren SPD-Vorschläge, die eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I fordern; das ist mir bekannt. Ich denke, in diese Richtung muss es gehen. Wenn sich die Mehrheiten in diesem Land

neu sortieren, wird es auch in diese Richtung gehen.

Grundsätzlich haben wir jetzt eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die geführt werden muss. Grundsätzlich am Ende gesagt und vielleicht auch mit ein bisschen Pathos: Welche Aufgabe für uns als Politik könnte denn aber auch edler sein, als hier diese Diskussion zu führen? Welch einen großen zivilisatorischen Sprung bedeutet es, wenn wir als Gemeinschaft uns aufmachen, um existenzielle und ganz individuelle, aber doch existenzbedrohende Ängste vor Hunger, Kälte und sozialem Ausschluss zu beseitigen, wenn wir allen Mitgliedern unseres Gemeinwesens ein Mindestmaß an Versorgung, Teilhabe und auch Würde, die damit untrennbar verbunden ist, sichern?

Das ist eine der vornehmsten Aufgaben, die wir eben noch nicht abgearbeitet haben. Das ist erst erreicht, wenn der Mensch in seiner Würde und Freiheit sozialpolitisch anerkannt wird und nicht lediglich in seiner Funktionsfähigkeit als Marktteilnehmer. Es ist das Ziel, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, die Teilhabe garantiert. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. Es gibt eine Wortmeldung. Möchten Sie eine Frage beantworten?

Herr Abg. Schumann, Sie haben jetzt die Möglichkeit dazu.