Protokoll der Sitzung vom 01.09.2016

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Striegel. - Ich sehe keine weiteren Anfragen. Dann bekommt Frau von Angern für die Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön, Frau von Angern.

Danke sehr, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Ich nehme meine grundsätzliche rechtliche Einschätzung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf vorweg. Aus unserer Sicht ist dieser Gesetzentwurf sowohl formell als auch materiell verfassungswidrig. Denklogisch werden wir diesen Gesetzentwurf heute ablehnen.

Er ist formell verfassungswidrig, weil wir es hier mit einem Regelungsgegenstand zu tun haben, für den das Land in dieser Absolutheit nicht zuständig ist. Die Zuständigkeit liegt nicht beim Landesgesetzgeber.

Er ist materiell verfassungswidrig, weil er entgegen Ihrer Behauptung in Artikel 4 des Grundgesetzes sowie Artikel 9 der Landesverfassung des Landes Sachsen-Anhalt, in die garantierte Religionsfreiheit unverhältnismäßig eingreift.

Unter den Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit fällt der private Glaube, aber nicht nur der private Glaube, sondern auch das öffentliche Bekenntnis zur eigenen Religion. Der Grundsatz der staatlichen Neutralität gegenüber den verschiedenen Religionen ist dabei ein ganz wesentlicher. Er sichert die friedliche Koexistenz der verschiedenen religiösen Überzeugungen. Ich glaube, es ist heute allen hier im Hause deutlich geworden, dass Sie an dieser Koexistenz nicht interessiert sind.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Nach dieser rechtlichen Bewertung könnte ich eigentlich meinen Redebeitrag beenden, wenn da nicht die Forderung der CDU und ihrer Innenminister in der Öffentlichkeit wäre bzw. - und das ist heute auch noch einmal ganz deutlich geworden - wenn die eigentliche Motivation hinter der Einbringung dieses Gesetzentwurfs der AfD nicht deutlich zu sehen wäre. So haben sich die Innenminister der Union darauf geeinigt, die Vollverschleierung in bestimmten Bereichen zu verbieten. Der Innenminister verwies auch darauf. Herr de Maizière sagte in diesem Zusammenhang: Wir lehnen einhellig die Burka ab. Sie passt nicht nicht zu unserem weltoffenen Land.

(Minister Holger Stahlknecht: Da hat er recht!)

Ja, laut Umfragen befürwortet eine Mehrheit der Deutschen ein solches Verbot. Doch das widerspricht in dieser Absolutheit der Verfassung.

Meine Damen und Herren von der AfD, als Teil eines Verfassungsorgans haben auch Sie die Pflicht und die Verantwortung, diese Verfassung zu verteidigen. Genau hier wird deutlich, wes Geistes Kind Sie tatsächlich sind.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Sie schüren Ängste gegen Fremde und Fremdes. Sie sagen, wer dazugehört, wer nicht dazugehört. Sie erwecken mit Ihren Aktionen den Eindruck, der IS-Terror habe seinen Ursprung unter anderem im Tragen einer Burka - absurd! Mit solchen Scheindebatten, die Sie anzetteln, und mit solchen abstrusen Verboten rüsten wir in Deutschland auf und nicht ab. Jeder weiß aus der Geschichte, dass ein Aufrüsten noch nie Frieden hergestellt oder bewahrt hat.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich bin in meiner Fraktion nicht nur für die Rechtspolitik, sondern auch für die Gleichstellungspolitik zuständig. Wenn ich nicht wüsste, dass die AfD nicht nur frauenfeindlich, sondern auch homophob ist, hätte ich vielleicht ein gleichstellungspolitisches Ansinnen mit diesem Gesetzentwurf unterstellt. Aber das ist natürlich lächerlich.

(Lachen bei der AfD)

- Genau, Sie lachen. - All jenen in diesem Haus, die ich durchaus für gleichstellungspolitische Gedanken für offen einschätze - also alle anderen Fraktionen -, möchte ich klar sagen: Wer Frauen das Tragen der Burka verbieten will, kann sie auch gleich unter Hausarrest stellen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Lachen bei der AfD)

Eine Frau, die aus religiöser Überzeugung eine Burka oder einen Niqab trägt, wird ihre Wohnung nicht ohne diese verlassen. Wer Burkas aus Schutzgründen verbieten will, sollte gleich über ein generelles Kleidungsverbot nachdenken.

Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie. Die im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechte sind ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meines Erachtens ist es unsere Aufgabe, allen zu uns kommenden Menschen diese Grundrechte, die wir hier erstritten haben, bekannt zu machen. Frauen müssen wissen, dass sie sich in Deutsch

land gegen das Tragen der Burka entscheiden können. Die Religionsfreiheit gibt Ihnen auch die Möglichkeit, sich für das Tragen der Burka zu entscheiden.

Genau in dieser Entscheidungsfreiheit wollen wir Frauen stärken. Das entspricht dem grundrechtlich garantierten Staatsziel der Gleichstellung von Mann und Frau und dem Garantiegehalt der Menschenwürde. Jeder Mensch soll befähigt sein, sich selbst zu bestimmen und zu entfalten. Das verlangt im Übrigen auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von uns. Eine Befreiung durch ein Verbot ist unmöglich.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren der AfD, Sie können sich sehr gern für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzen, indem Sie sich für Lohngleichheit einsetzen - das machen Sie auch nicht -, indem Sie sich für mehr weibliche Abgeordnete in Ihrer Fraktion einsetzen, indem Sie sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzen, indem Sie sich für einen besseren Schutz vor Gewalt und vor sexueller Belästigung einsetzen. Das sind wichtige Punkte.

(André Poggenburg, AfD: Machen wir!)

Alles andere, wie der heute vorliegende Gesetzentwurf, schürt nur Ressentiments und fördert ausdrücklich nicht die Gleichstellungspolitik in diesem Land. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. - Bevor ich dem nächsten Debattenredner das Wort erteile, möchte ich die ehrenvolle Aufgabe übernehmen, Landwirtschaftspraktikantinnen und Landwirtschaftspraktikanten aus dem nigerianischen Bundesstaat Osun zu begrüßen.

(Beifall im ganzen Haus)

Sehr geehrter Herr Kollege Erben, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Einbringer von der AfD, Sie leben von der Angst der Menschen in unserem Land,

(Zuruf von der AfD: Das kennen wir!)

- wenn Sie es kennen, kann ich ja aufhören -, seien diese Ängste nun objektiv berechtigt oder auch nur gefühlt. Wenn vor etwas die Angst geringer wird, dann brauchen Sie ein neues Angst

thema. Das ist Ihr Geschäftsmodell, von dem Sie politisch leben. Das haben Sie zunächst mit der Euro-Krise so gehandhabt. Im letzten Jahr rettete Sie der Flüchtlingsstrom vor dem politischen Niedergang.

(Lachen bei der AfD)

Als dieser versiegte, brauchten Sie ein neues Thema. Erst Frau von Storch, dann Ihre ganze Truppe schürte fortan die Angst vor dem Islam. Als Symbol haben Sie sich den Schleier auserkoren.

Ich will das vorwegnehmen: Auch für mich sind Burka und Niqab Symbole der Unterdrückung der Frau. Sie sind ein Frauengefängnis aus Stoff. Sie haben vor Gericht, in öffentlichen Ämtern, in Schulen, in Kitas oder auch am Steuer von Kraftfahrzeugen nichts zu suchen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der AfD)

Doch das, meine Herren von der AfD, interessiert Sie gar nicht. Sie wollen Angst schüren.

(Zuruf von der AfD: Das hatten wir schon!)

Das ist dort besonders leicht, wo es wie bei uns so gut wie keine Moslems gibt. Deswegen ist es sicherlich kein Zufall, dass Sie nahezu wortgleiche Gesetzentwürfe in die Parlamente von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen einbringen. Wir kennen ja Ihre Copy-and-paste-Arbeitsweise. Deswegen wurden ja heute vergleichbare Reden in Magdeburg, in Dresden und in Erfurt gehalten.

(André Poggenburg, AfD: Das ist sehr effi- zient!)

Die Akteure haben sich etwas geändert. Frau Muhsal in Erfurt ist mit Niqab aufgetreten. Herr Lehmann hat es nur bis zu seinem Hütchen geschafft.

Ihr Problem ist nur: Wo sind die Burka-Trägerinnen in unseren mitteldeutschen Ländern, denen Sie das Tragen derselben im öffentlichen Raum verbieten wollen? - Ich habe in unserem Land noch keine Burka-Trägerin getroffen.

Meine eigenen Begegnungen mit vollverschleierten Frauen hatte ich in Kabul, in Masar-e Scharif und auf dem Flughafen in Dubai. So weit reicht der Einfluss dieses Hohen Hauses nun einmal nicht. Halt, in der Münchner Maximilianstraße habe ich sie auch durch die Schaufenster von Geschäften gesehen, in denen vielleicht die erfolgreichen Unternehmer unter Ihnen einkaufen könnten, ich mir einen Einkauf allerdings nicht leisten könnte.

Was soll also Ihr Klamauk hier im Landtag von Sachsen-Anhalt? - Ein Burka-Verbot in SachsenAnhalt verändert die Realität in etwa genauso, wie

ein Nachtflugverbot für den Flughafen Cochstedt sie verändern würde.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn Sie diese Gründe schon nicht von Ihrem Tun abhalten können, so sind es vielleicht die Vorgaben des Grundgesetzes. Möglicherweise haben Sie die jüngsten Äußerungen von Bundesinnenminister de Maizière zum sogenannten Burka-Verbot vernommen, den ich für seine sachlichen und nüchternen Ausführungen zu diesem Thema ausdrücklich loben möchte.