Protokoll der Sitzung vom 01.09.2016

Deswegen sagen wir es noch einmal: Die Annexion der Krim war nicht legitim, sie war eine Annexion. Sie wird auch in Zukunft nicht legitim, aber wir können sie nicht zurückdrehen, das müssen wir wissen. Deswegen müssen wir sehen, wie wir vorankommen und die Situation wirklich entspannen. Das ist ein sehr pragmatischer Ansatz, aber der ist in der Außenpolitik nun einmal notwendig.

Herr Lehmann, Sie haben das Wort.

Herr Gallert, das waren interessante Ausführungen über die Situation auf der Krim. Ich werde aber den Verdacht nicht los, dass irgendwie mit zweierlei Maß gemessen wird. Ich vermisse den Aufschrei oder das Entsetzen in der Politik, als vor nicht einmal 20 Jahren durch NATO-Luftangriffe auf Serbien der Kosovo in die Demokratie und Selbstständigkeit gebombt worden ist.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Haben Sie nicht zugehört? Nicht so viel Kopfbedeckung vielleicht, dann kann man besser hören! - Birke Bull, DIE LINKE: Das hat er doch eben erzählt!)

Das fällt mir dazu ein. Da stelle ich fest: Das ist eine unterschiedliche Behandlung gegenüber der Krim-Annexion.

Herr Gallert, bitte.

Ja, Herr Lehmann, das mag jetzt einfach einmal daran liegen, dass Sie damals noch nicht so nah an der Landespolitik waren. Genau um diese Frage haben wir uns hier - ich möchte jetzt keine militärischen Ausdrücke nennen - in diesem Landtag außerordentlich hart gestritten.

Wenn Sie unsere Beiträge aus der Landtagsdebatte zum Kosovo-Krieg nicht kennen, kann ich Ihnen nur sagen: Der Kollege Gysi hat damals darauf hingewiesen: Wer dieses Vorgehen der Europäischen Union und der NATO in Jugoslawien legitimiert, der braucht sich infolgedessen nie wieder über die Verletzung eines Völkerrechtes aufzuregen. Das war die Position von Gregor Gysi und er hat im bitteren Sinne Recht behalten.

Dieser Jugoslawien-Krieg ist aus unserer Sicht der Beginn einer Kette gewesen, die das legitimiert hat. Natürlich wissen wir, dass die russische Seite ihr Vorgehen auf der Krim genau mit dem Jugoslawien-Krieg legitimiert. Und es gibt verdammt schlechte Argumente, die man dem entgegensetzen kann.

Übrigens ist die Situation im Kosovo heute das allerletzte Argument, das geeignet wäre, um der Kritik an dem damaligen Militäreinsatz dort etwas entgegenzusetzen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Ich sehe keine weiteren Anfragen. Damit kommen wir zum nächsten Debattenredner. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN spricht Herr Meister. Sie haben das Wort, Herr Kollege.

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

Bei kleinen Fraktionen ist man öfter mal dran, das ist schon richtig. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag fordert die sofortige Beendigung der bestehenden Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation und entsprechende Aktivitäten der Landesregierung beim Bund.

Die bestehenden Sanktionen sind ausgesprochen ärgerlich. Ich meine, gerade auch vor dem Hintergrund unserer eigenen und der europäischen Ge

schichte ist eine tiefe Aussöhnung mit Russland ein zentrales Anliegen unserer Außenpolitik.

Die große Leistung der bundesdeutschen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg ist eigentlich, dass sie es geschafft hat, aus ehemaligen Feinden Nachbarn zu machen, mit denen wir so eng verbunden sind, dass wir in einer gemeinsamen Europäischen Union zusammenarbeiten, dass wirklich Freundschaften entstanden sind. Noch die Generation meiner Großväter sprach von Erbfeinden, wenn man auf Frankreich blickte, und heute haben wir eine ganz tiefe Zusammenarbeit.

Ich meine tatsächlich: Dieser Aussöhnungsprozess in Europa ist erst dann beendet, wenn uns dasselbe auch in östlicher Richtung gelungen ist. Und das ist noch nicht abgeschlossen.

Aber so schlicht, wie der Antrag daherkommt, ist es auch nicht. Wir müssen uns zunächst klar machen: Wieso hat die Europäische Union zu dem ungewöhnlichen Mittel der Sanktionen gegriffen? - Ein ganz wesentlicher Grund, wieso wir in Europa auf sieben Jahrzehnte Frieden zurückblicken, ist ein Prinzip, auf das sich die Staaten verständigt haben: die Unverletzlichkeit der Grenzen. Das klingt nach einer banalen Selbstverständlichkeit, das war es aber in der europäischen Geschichte nicht.

Die europäischen Staaten - und damit meine ich nicht nur die Staaten der EU - haben mit diesem Prinzip einen grundlegenden Paradigmenwechsel vollzogen. An die Stelle der Herrschaft des Stärkeren, des momentan Stärkeren, möchte man sagen, trat die Herrschaft des Rechts. Jedes Land, ob groß oder klein, kann sich danach sicher sein, dass auch im Fall schlimmster diplomatischer Krisen und Konflikte niemand auf die Idee kommt, die Angelegenheit durch rollende Panzer klären zu lassen. Egal, ob Russland oder Liechtenstein, alle profitieren davon.

Wir in Europa haben nicht mehr darüber diskutiert, wo die Grenzen verlaufen, sondern wie durchlässig sie sind. Wir haben so nicht nur eine dauerhafte Friedensordnung geschaffen, sondern zugleich den Menschen neue Freiheiten gegeben und nicht zuletzt einen wichtigen Grundstein für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Kontinents gelegt.

Die Russische Föderation hat diesen Grundkonsens mit der Besetzung der Krim und der verdeckten Kriegsführung in der Ostukraine ohne Not und völlig überraschend aufgekündigt. Das muss einem klar sein. Das ist verheerend für die europäische Friedensordnung und übrigens in besonderem Maße für die russische Außenpolitik, da durchweg alle russischen Nachbarn - Herr Gallert ist darauf eingegangen - sich eine naheliegende, besorgniserregende Frage stellen müssen: Kann das auch mir passieren?

Die Staatengemeinschaft muss darauf reagieren. Dass sich militärische Optionen und Säbelrasseln verbieten, bedarf hier keiner Erläuterung. Dass der Austausch von schlichten Protestnoten keine angemessene Reaktion auf einen so großen Einschnitt darstellt, auch nicht.

Es bleibt neben der Diplomatie mit Verhandlungen und Gesprächen das Mittel der Sanktionen. Diese sind als besonders harte Mittel der Reaktion so lange erforderlich, wie nicht ernsthaft an den Ursachen gearbeitet wird, die zu der Situation geführt haben. Das betrifft alle Beteiligten, nicht nur Russland, aber eben auch. Russland ist ein ganz wesentlicher Faktor.

Wenn gesagt wird, sie seien ein untaugliches Mittel - so steht es im AfD-Antrag -, so muss ich feststellen: Ich habe weder bei deren Verhängung noch jetzt einen brauchbaren andersartigen Vorschlag gehört. Sie sind ein wichtiger Teil des diplomatischen Handwerkszeugs, kein schöner, aber sie sind es.

Trotz ihres eher geringen Umfangs - sehen Sie sich an, was für Sanktionen von der Europäischen Union verhängt wurden - haben sie einen ganz zentralen Zweck erreicht, zumindest ist diese Vermutung naheliegend: Eine Ausweitung des Konfliktes - es gab da sehr, sehr laute Gedankenspiele, die schreckliche Dinge beinhalteten, was da passieren kann - ist unterblieben, möglicherweise weil der politische und wirtschaftliche Preis zu hoch war.

Als Wirtschaftspolitiker sei mir die Anmerkung erlaubt, dass der deutliche Rückgang des Handelsvolumens mit der Russischen Föderation nur zu einem kleinen Teil auf den EU-Sanktionen und den insbesondere für Russland problematischen Gegensanktionen beruht. Die russische Wirtschaft läuft schlecht, da sie einseitig auf den Export unveredelter Rohstoffe setzt und dementsprechend anfällig für Kursentwicklungen ist. Ihr Problem ist im Moment vor allem ein Ölproblem.

Sie läuft schlecht. Dort fehlen rechtsstaatliche Strukturen. Es gibt Korruption, staatliche Willkür und Vetternwirtschaft, die in- wie ausländische Investitionen behindern. Als Investor einen Prozess gegen einen staatsnahen russischen Konzern vor russischen Gerichten führen zu wollen oder inhaltliche Kritik an der dortigen Verwaltung zu üben, das ist nur eine mittelgute Idee.

Wenn wir über den Rückzug von Unternehmen reden, die Russland verlassen - die gehen nicht wegen der Sanktionen. Das ist natürlich Teil des Problems. Die gehen, weil die Sicherheit, die man für Investitionen braucht - über die wir hier auch regelmäßig reden: Wie können wir das machen? Wie sichern wir das in Europa? -, dort nicht gegeben ist.

Ich hoffe, dass die europäische, die russische und die ukrainische Diplomatie einen Ausweg aus dem Ukraine-Konflikt bahnen. Dazu gehört es aber auch, die eigene Position in Verhandlungen nachdrücklich zu vertreten und nicht ergebnislos zu räumen. Dass die schlichte Aufhebung der Sanktionen den Durchbruch bringt, erscheint mir fern zu liegen. Welche Anzeichen gibt es denn dafür? - Wenn es so wäre, dann sollte es gern sofort passieren. Das sehe ich aber nicht.

Es wäre in diesem Konflikt nicht zu verantworten, als deutsches Bundesland völlig unreflektiert eine eigene außenpolitische Linie zu verfolgen, die im deutlichen Widerspruch zur Außenpolitik des Bundes und Europas steht.

Wir haben mehrere Alternativanträge vorliegen. Beim Antrag der Linken ist mir aufgefallen, dass er fast einen Widerspruch zu dem aufweist, was Herr Gallert gesagt hat. Ich halte es für einen wichtigen Punkt, dass man die Annexion der Krim, also den Verstoß gegen die Unantastbarkeit der Grenzen, als Ursache benennt. Das sehe ich in Ihrem Alternativantrag nicht, das wird nicht erwähnt.

Herr Meister, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit überschritten ist.

Der Antrag der Kenia-Koaltion ist differenziert. Er ist ohne Säbelrasseln. Er ist mit offener Hand geschrieben, aber sieht nicht eine Aufgabe unserer Prinzipien vor. - Danke.

Vielen Dank. Ich habe Ihnen schon eine Minute mehr Redezeit gegeben, weil der Kollege Uli Thomas überzogen hatte und auch Herr Gallert etwas länger reden durfte.

Es gibt zwei Wortmeldungen, zum einen von Herrn Gallert und zum anderen von Frau Funke. - Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Herr Meister, ich bin auf die Debatte eingegangen, die wir bisher geführt haben. Ich will eines sagen: Schon die Frage, ob die Ukraine-Krise und die Annexion der Krim wirklich der Grund für die Wirtschaftssanktionen waren, ist interessant. Sie sind als Anlass und Argument herangezogen worden, aber ob das nicht genau die nächste Stufe der Eskalation vor den Raketenschirmen, die man in Polen stationiert hatte, und vor all den anderen Dingen ist? - Wir müssen uns sehr genau überlegen, dass die Dinge eben nicht so eindimensional sind.

Deswegen, glaube ich, ist es auch falsch zu sagen, aus der Annexion der Krim mussten zwingend die Wirtschaftssanktionen erfolgen. Nein, die Dinge sind komplexer und sie sind auf beiden Seiten eskaliert. Deswegen ist es wichtig, die Eskalation zurückzuschrauben. Beide Seiten

müssten sich zurückschrauben. Deswegen müssten die Wirtschaftssanktionen auch von beiden Seiten aufgehoben werden. Das ist unsere unterschiedliche Sicht auf die Dinge.

(Beifall bei der AfD)

Herr Gallert, ich habe keine Fragestellung gehört. Ich werte Ihren Beitrag als Intervention.

Das können Sie.

Frau Funke, bitte.

Vielen Dank. - Ich habe eine Frage an Herrn Meister. Sie sagten vorhin, die Sanktionen gegen Russland seien ärgerlich. Wie erklären Sie einem Unternehmen, beispielsweise unseren Milchbauern, die von den Russland-Sanktionen stark betroffen sind und schon vor der Existenzgefährdung stehen, dass das ärgerlich ist?

Ich bin der Meinung, die Landesregierung bekommt den Auftrag zu agieren in Richtung Bundesrat und sollte dies auch tun, weil hieran die Existenzen sehr vieler Menschen hängen. - Danke.

Herr Meister, bitte.

Ich weiß nicht genau, ob es eine Frage war. In unserem Antrag sagen wir ja nicht, es solle alles so bleiben und das sei eine feine Sache. Vielmehr sehen wir das Problem. Die Sanktionen wollen wir nicht. Aber man muss akzeptieren, dass die Sanktionen Ursachen haben, und an diesen Ursachen muss man arbeiten und in diesem Prozess muss man sie mit betrachten. Daher führt es in die falsche Richtung, einseitig zu sagen, wir machen nichts mehr, nehmen die Sanktionen zurück und dann gucken wir mal, was sich entwickelt.

Herr Gallert sagt, er könne sich vorstellen, dass es die Sanktionen gegeben hätte ohne eine Annexion der Krim und ohne den Einmarsch in die Ostukraine - so habe ich das verstanden. Ich

kann mir nicht vorstellen, dass die Europäische Union einfach von sich aus sagt, jetzt verhängen wir mal Sanktionen gegen Russland. Das liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in den politischen Prozessen in irgendeiner Form durchsetzbar gewesen wäre.

Herr Meister, es gibt eine weitere Anfrage von Herrn Raue. Wollen Sie diese auch beantworten?

Ja, gern, wenn ich es kann.