Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

Weitere Illegalisierung von Flucht und Migration verhindern - Hau-Ab-Gesetz im Bundesrat stoppen!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/4506

Einbringerin ist die Abg. Frau Quade. Frau Quade, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon der Name „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ ist ein Euphemismus. Eigentlich - so haben es Men

schenrechtsorganisationen zutreffend genannt - ist es ein Hau-ab-Gesetz. Es ist ein Gesetz, das vor allem diese Botschaft an Schutzsuchende sendet und das verheerende Konsequenzen hat. Es ist mit den Stimmen von CDU und SPD am 7. Juni vom Bundestag beschlossen worden.

Trotz der geballten Proteste der Zivilgesellschaft, von Verbänden und auch der Opposition und trotz zahlreicher kritischer Einschätzungen von Expertinnen wurde damit die drastischste Asylrechtsverschärfung seit 1993 im parlamentarischen Schnellverfahren durchgesetzt.

Dieses Gesetz steht in deutscher Tradition. Es steht in der Tradition der Aushöhlung des Grundrechtes auf Asyl, die 1993 eben auch politisches Ergebnis rassistischer und rechtsextremer Fanale gegen Schutzsuchende war. Es steht in der Tradition der Asylpakete I und II aus den Jahren 2015 und 2016, mit denen eben nicht nur auf eine sich verändernde Migrationsentwicklung, sondern

auch auf die rechtsextreme Stimmungsmache gegen Geflüchtete reagiert wurde.

Es steht in der unseligen Tradition der Opferung elementarer Menschenrechte zugunsten eines Signals: Haut ab!

Nach dem Willen des Innenministers und der ihn nach wie vor stützenden Koalition soll verstärkt auf Abschiebehaft, Zentralisierung sowie zeitliche Ausdehnung der zwangsweisen Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung gesetzt werden. Mit der Möglichkeit der Inhaftierung von Asylsuchenden in regulären Haftanstalten wird eklatant und offensichtlich gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2014 verstoßen, mit dem humanitäre Mindeststandards, wie eben die Trennung von Straf- und Abschiebehaft, festgelegt wurden. Nach dem Willen von CDU und SPD soll das auch Familien mit Kindern betreffen.

Mit der Kürzung von Leistungen unterhalb des Existenzminimums bis hin zur Streichung für Geflüchtete, die über andere EU-Länder eingereist sind oder dort einen Schutzstatus erhalten haben, sollen Menschen de facto ausgehungert werden. Das ist ein drastischer und offenkundig verfassungswidriger Versuch, Menschen zum Gehen zu bewegen, die nichts verbrochen haben, außer ihr Glück zu suchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch das ist ganz offensichtlich verfassungswidrig; denn das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Grundsatzurteil von 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz festgestellt, dass der Grundsatz der Menschenwürde migrationspolitisch nicht relativiert werden darf.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von André Poggenburg, fraktionslos)

Zudem werden die Gründe für eine Abschiebehaft erheblich ausgeweitet. Praktisch alle vollziehbar ausreisepflichtigen Personen können in Abschiebehaft genommen werden, weil ihnen Fluchtgefahr unterstellt wird. Zum Beispiel dient schon die Nichterfüllung der Passbeschaffungspflicht als Indiz dafür. Auch derjenige, der größere Geldmittel aufgewendet hat, um nach Deutschland zu kommen, was für viele unvermeidbar ist, kann dafür mit Haft bestraft werden, selbst wenn er oder sie letztlich legal eingereist ist.

Meine Damen und Herren! Keine Regelung verdeutlicht die Integrationsfeindlichkeit dieses Gesetzes so sehr wie der neu geschaffene prekäre Status der Duldung zweiter Klasse mit. Für Menschen, die keinen Pass oder keine Geburtsurkunde vorlegen können, was zum Beispiel für viele Afghanen keine Frage des Wollens, sondern des Könnens ist, soll nur noch eine Duldung light verfügbar sein. Sie unterliegen damit einer Wohnsitzauflage und ihnen werden Arbeit und Ausbildung verboten. Das trifft alle diejenigen, die auf der Flucht nicht mal eben zum Diktator gehen konnten und nach den Ausweispapieren fragen konnten. Es trifft junge Menschen ebenso wie kranke Menschen. Damit werden Menschen nicht nur ihrer Rechte beraubt, sondern auch ihrer Integrationsmöglichkeiten und der Chance, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften.

Mit der Deklaration des gesamten Abschiebeprozesses zum Staatsgeheimnis werden schließlich auch diejenigen, die wichtige und unverzichtbare Beratungs- und Unterstützungsarbeit für Asylsuchende leisten, kriminalisiert und bedroht. Jede Information über anstehende Anhörungen oder andere Amtstermine kann künftig dazu führen, des Geheimnisverrates verdächtigt zu werden mit einer Haftandrohung von bis zu fünf Jahren. So wird denen, die ganz wesentlich das leisten, was in den Jahren 2015 und 2016 als Willkommenskultur propagiert wurde, die Arbeit und das Leben schwer gemacht. Das Hau-ab-Gesetz ist menschen- und integrationsfeindlich. Schon und vor allem deshalb lehnt DIE LINKE es ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber, meine Damen und Herren, auch wenn Sie diese Fragen ganz anders beurteilen, als meine Fraktion es tut, so müssen Sie eigentlich doch unserem heute hier vorliegenden Antrag zustimmen. Denn dieses Gesetzes ist auch noch teuer. Mit dem Gesetzespaket werden den Ländern erhebliche Kosten aufgebürdet, ohne dass die Bundesregierung die Länder im Bundesrat dazu entscheiden lassen will. Denn entgegen den auf der Hand liegenden Kosten für die Länder und auch entgegen einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages behauptet die Bundesregierung ernsthaft, es bedürfe keiner Zustimmung der Länder im Bundesrat.

Das müsste einen Finanzminister und einen Ministerpräsidenten eigentlich auf die Barrikaden treiben. Nun wissen wir, dass sie heute andere Probleme zu lösen hatten. Die Entscheidung ist aber auch schon ein paar Tage alt. Schauen wir uns die Dinge im Einzelnen an.

Das Gesetz erweitert die Pflicht zur Unterbringung von Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen auf bis zu 18 Monate und unter Umständen sogar unbegrenzt.

Darüber hinaus verbietet es das Gesetz dieser Personengruppe, für neun Monate eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Für abgelehnte Asylbewerber gilt das Beschäftigungsverbot auch darüber hinaus, bei Duldung und beim Verbleib in einer Erstaufnahmeeinrichtung sogar noch länger.

Die Veränderungen bei den Leistungsansprüchen nach §§ 1 und 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes erzeugen neben den damit verbunden grundrechtswidrigen Eingriffen in die Menschenwürde der Betroffenen auch einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Leistungsbehörden hier im Land. Zur Prüfung der Leistungsvoraussetzungen müssen die Leistungsbehörden noch mehr aufenthalts- und asylrechtliche Sachverhalte in ihr Verwaltungshandeln einbeziehen.

Darüber hinaus werden die Länder mit neuen Leistungsarten, zum Beispiel sogenannten Überbrückungsleistungen sowie Rückreisekosten als Darlehen, belastet.

Außerdem werden den Ländern Schutzmaßnahmen für zahlreiche Personengruppen in Erstaufnahmeeinrichtungen auferlegt. Das betrifft insbesondere Minderjährige, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Schwangere, Lesbische, Schwule, bi-, transsexuelle, intersexuelle Personen, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Personen mit schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen. Das alles sind sinnvolle und überfällige Maßnahmen, unionsrechtlich geforderte Maßnahmen, die nicht neu sind, die aber etwas kosten.

Dass dadurch ein Aufwand entsteht, kann wirklich jeder sehen - außer der Bundesregierung. Es gehört zur Wahrheit auch dazu, dass man an dieser Stelle besonders gut die Perfidie dieses Gesetzes sehen kann. Innenminister Seehofer macht sich nicht nur erneut finanziell einen schlanken Fuß auf Kosten der Länder, vielmehr zeigt er, dass ihm für Desintegration nichts zu teuer ist, während er Krokodilstränen über angeblich zu hohe Integrationsposten vergießt.

Genauso perfide und schlicht wahrheitswidrig ist: Für die Notwendigkeit von Verschärfungen bei Asyl- und Abschieberecht wird argumentiert mit gestiegenen Zahlen von Ausreisepflichtigen, die

ihrer Pflicht nicht nachkämen. Das ist vertraut. Auch wir kennen die Forderung von Innenministern nach einer Verdopplung der Zahl der Abschiebungen. Fakt ist aber, dass es unabhängig davon, wie legitim man Abschiebungen grundsätzlich findet, kein Defizit bei Abschiebungen und Ausreisen gibt. Im Gegenteil ist die Zahl der Ausreisepflichtigen in den letzten Jahren kaum angestiegen.

Im letzten Jahr war die Zahl der ausgereisten und abgeschobenen abgelehnten Asylsuchenden mit 41 500 weitaus höher als die Zahl der im Jahr 2018 vollziehbar ausreisepflichtig gewordenen abgelehnten Asylsuchenden mit 19 000. Für die geplanten drastischen Verschärfungen gibt es deshalb nicht einmal im Ansatz eine logische Begründung. Stattdessen gibt es zahlreiche Berichte über sich brutalisierende, unverhältnismäßige und inhumane Abschiebungen, etwa auch im Umgang mit psychisch kranken Flüchtlingen. Die geplanten Maßnahmen imaginieren also politisch motiviert einen Notstand, den es nicht gibt.

Das Hau-Ab-Gesetz ist verfassungswidrig und verstößt gegen Europarecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es bürdet den Ländern Kosten auf und hindert Asylbewerber daran, einen Beitrag zu ihrem Lebensunterhalt zu leisten. Es ist menschen- und integrationsfeindlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Gesetz beruht zudem auf einer kontrafaktischen Lageeinschätzung. Außerdem ignoriert es die föderalen Kompetenzen des Bundesrates und ist ein Fall für das Bundesverfassungsgericht. Dieses Gesetz ist ein weiteres Beispiel dafür, wie durch die Bundesregierung mit zweifelhaften ideologischen Zielstellungen der Rechtsstaat beschädigt wird. Dieses Gesetz muss im Bundesrat beraten und gestoppt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Darum geht es bei unserem Antrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine Fragen an die Einbringerin. Deshalb hat jetzt für die Landesregierung Herr Minister Stahlknecht das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen zu einem ähnlichen Teil die AfD gehört, die gerne jeden, der sich der Abschiebung entzieht, in Justizvollzugsanstalten unterbringen wollte, obwohl wir noch kein Bundes

gesetz haben. Das war die eine extreme Position. Und wie das so ist, es geht dann zur anderen extremen Position, nämlich zu der LINKEN, die ein Bundesgesetz als „Hau-Ab-Gesetz“ deformiert und deklassiert. Das ist genauso populistisch und am Ende, liebe Frau Quade, genauso extrem, wie Sie das im Duktus gelegentlich den anderen, die rechts von mir sitzen, vorwerfen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie die Zahlen zurücklegen, weil Sie von kontrafaktisch reden und immer so wunderbare Begriffe verwenden: Wir haben 6 370 ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer, die eigentlich unser Land verlassen müssten, und auf der anderen Seite - damit das auch klar ist - haben innerhalb der letzten vier Jahre 5 400 Ausländerinnen und Ausländer unser Land freiwillig verlassen, weil sie keinen anerkannten Grund hatten, in unserem Land zu bleiben. Außerdem haben wir 3 400 Abgeschobene. Wenn Sie diese Zahlen zusammennehmen - weil Sie uns gelegentlich vorwerfen, wir täten zu wenig -, haben rund 10 000 Menschen Sachsen-Anhalt verlassen. Aber wir würden uns wünschen, dass auch die rund 6 000 Menschen, die ich genannt habe, die immer noch bei uns sind, dem nachkommen würden, was im Gesetz steht, nämlich unser Land zu verlassen, wenn kein Anerkennungsgrund vorliegt.

(Beifall bei der CDU)

Wenn jemand daran nicht mitwirkt, wenn sich jemand einer Abschiebung als Ultima Ratio entzieht, widersetzt er sich dem in unserer Bundesrepublik Deutschland und damit in Sachsen-Anhalt geltenden Recht. Da ist es doch ausdrücklich richtig, wenn ein Staat zur Wahrung seiner Rechtsordnung dafür Sorge trägt, dass geltendes Recht umgesetzt wird und diejenigen, die bei uns zu Gast sind, sich erst recht daran halten. Insofern ist das ein völlig richtiger Ansatz. Wer dieser gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, wer seine Identität nicht nachweist oder täuscht, muss in einem Rechtsstaat damit rechnen, dass das geahndet wird.

(Beifall bei der CDU)

Das, was Sie vorschlagen, ist, dass eigentlich jeder hierbleiben kann. Das ist eine völlig andere Auffassung, die nicht der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, die nicht dem Grundgesetz entspricht, wofür Sie eine völlig andere Rechtsordnung in dieser Bundesrepublik Deutschland brauchen.

Zu der Frage der Abschiebehaftplätze können Sie das nachlesen, was ich der AfD gesagt habe. Die AfD macht das zwar unter einem anderen Gesichtspunkt. Aber Sie können alles das nachlesen, was ich zur Rechtsprechung des EuGH vorhin

schon vorgetragen habe. Ich fände es etwas langweilig für uns alle, das noch einmal wiederholen zu müssen.

Insofern habe ich für Ihren Antrag, den ich aus Ihrer parteipolitischen Position heraus möglicherweise verstehen mag, für das Land Sachsen-Anhalt und damit für die Bundesrepublik Deutschland kein Verständnis. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Quade hat eine Frage.