Wir kommen jetzt zum Abstimmungsverfahren. Es ist hier noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass der Antrag zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Umwelt und Energie überwiesen werden soll. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass der Alternativantrag automatisch mit überwiesen wird, falls die Frage hochkommt: Was ist mit unserem Antrag? - Dies ist ja so geregelt.
Also stimmen wir über den Antrag in der Drs. 7/4474 ab. Wer für die Überweisung dieses Antrages ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Ich sehe, das sind alle Fraktionen sowie zwei fraktionslose Abgeordnete.
Wer stimmt dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Sehe ich auch nicht. Dann ist dieser Antrag ebenso - ich sage es noch einmal - wie der Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE überwiesen worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen zum letzten Tagesordnungspunkt der heutigen Sitzung. Dies ist der
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Liste der seit 1994 in Sachsen-Anhalt stillgelegten Eisenbahnstrecken beschäftigte vor zwei Wochen die Medien: 47 Positionen mit insgesamt rund 662 km Länge. Der letzte Eintrag vom Februar 2017 erfasst die Strecke Bad Lauchstädt - Schafstädt.
Mehr oder weniger leise, dafür aber stetig und getragen von dem Grundgedanken einer sogenannten Effizienzverbesserung wurde der Umfang der Beförderungsleistungen von Personen und Gütern auf der Schiene zulasten der Mobilität und damit der Lebensqualität der hier Lebenden verschlechtert.
Neben dieser spektakulären Zusammenstellung gibt es eine weit weniger beachtete. Das ist die Übersicht der zur Stilllegung erlaubten Serviceeinrichtungen der DB Netz AG im Bundesland Sachsen-Anhalt gemäß § 11 Abs. 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Darin heißt es wörtlich: „Wegen derzeitiger Unwirtschaftlichkeit“ - gemeint ist die DB Netz AG - „und eines nicht zumutbaren Weiterbetriebs“ sind beispielsweise allein im Jahr 2017 in den Betriebsstellen Aschersleben, Dessau, Halle, Lutherstadt Wittenberg und Zeitz für den Betriebsdienst nunmehr unrentierliche Teile vom Netz genommen worden.
Sehr geehrte Damen und Herren! Bekanntlich gibt es seit 1920 keine Länderbahnen mehr. Auch Sachsen-Anhalt unterhält kein Bahnunternehmen. Nur - das ist die erste Zielrichtung unseres Antrages -: Sachsen-Anhalt agiert als Auftraggeber und Nachfrager von Bahndienstleistern, und unser Land, vertreten durch das MLV, ist beteiligt an den Entscheidungen des Eisenbahnbundesamtes über die Erlaubniserteilung zu Stilllegungen von Serviceeinrichtungen.
Von Staatssekretär Enak Ferlemann, Bahnbeauftragter der Bundesregierung, war es daher unfair, den Ländern unter Verweis auf die Regionalisierungsmittel die Hauptverantwortung für die Stilllegungen und Kürzungen im Verkehrsangebot zuzuordnen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits im Februar sprach ich von hier aus den kritischen Bericht des Bundesrechnungshofes zur Bahnreform an und gelange auf diese Weise zum zweiten Grundanliegen unseres Antrages.
Trotz des festgestellten Scheiterns der Bahnreform mit ihrem renditegetriebenen und aufgrund des hohen Anteils an zufließenden Regionalisierungsmitteln nur fiktionalen Wettbewerb bleiben Initiativen der Landesregierung zum grundsätzlichen Umsteuern zur Verbesserung des Leistungsangebotes der Bahn gegenüber dem Bund aus.
Herr Minister Webel, Ihrer in dem nunmehr beschlossenen ÖPNV-Plan geäußerten deutlichen Kritik an der Arbeit der DB Netz AG konnte ich zustimmen. Nur, was ist seit Februar dieses Jahres gegenüber dem Bund an Initiativen erfolgt?
Nach Medienberichten will der Deutsche-BahnKonzern, die Spitze, dieser Tage über neue Strategien beraten und bestenfalls die Idee des weltweiten Logistikers aufgeben. Eine eventuelle Neuausrichtung soll das lange vernachlässigte Kerngeschäft stärken - endlich wieder grundgesetzkonform, zum Wohl der Allgemeinheit, den Verkehrsbedürfnissen Rechnung tragend.
Es scheint sich die Einsicht durchzusetzen, dass einem Wirtschaftsstandort, einschließlich der Mobilitätsansprüche der ach so fehlenden Fachkräfte, nicht - wie bisher - entsprochen werden kann. Aber der Weg ist fragwürdig.
Um die Probleme zu lösen, setzt die Bahn dem Vernehmen nach auf neue Fahrzeuge, Leit- und Sicherungstechnik. Also bei gleichem Streckennetz soll ein Kapazitätsaufwuchs erfolgen. Es soll gerade keine Wiederinbetriebnahme von alten Strecken geben. Das heißt: Nur dort, wo etwas zu holen ist, wird investiert.
Unter diesem Eindruck vermag ich nicht einmal davon zu träumen, das vor 30 Jahren noch existierende dichte Bahnnetz zu reaktivieren. Aber allenthalben werden der Lkw-Verkehr, die hohe Verkehrsdichte, Staus auf Autobahnen und in Innenstädten, Maut-Umgehungsverkehre, Lärm und Umweltbelastungen beklagt. Gleichzeitig bleibt der alternative Verkehrsträger Schiene weitgehend unbeachtet und wurde reduziert.
Es ist schon schlechte Ironie, wenn Radwege auf aufgegebenen Bahntrassen als umweltpolitische oder touristische Glanzleistungen gefeiert werden müssen.
Es gibt also nicht umfassende Mobilitätsgarantien, sondern immer noch bestimmen hier renditeorientierende Entscheidungen das Handeln. Ein Beispiel:
In den vergangenen Wochen erfolgte die Streckensanierung Magdeburg - Wolfsburg. Weichenanlagen gelten immer noch als Kostentreiber. Denn die Wiederinbetriebnahme an den Haltepunkten aufgegebener Begegnungs- und Ausweichstellen, die Überholungsverkehr ermöglichen und eine lange Haltedauer bei Störungen im Betriebsablauf mindern könnten, erfolgte genau nicht. Eventuell hätten dann ja auch die alten Bahnsteige als Betriebsanlagen hergerichtet werden müssen, womöglich noch barrierefrei.
Diese Strecke gehört noch zu den gut ausgelasteten und vom Land bestellten Strecken. Bedarfs- oder mobilitätsorientiert sind diese Baumaßnahmen nicht gewesen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Nun zu den volkswirtschaftlichen Überlegungen einer auch vom Fahrgastverband Pro Bahn in dieser Woche geforderten Revitalisierung des flächendeckenden Bahnangebots und damit zum dritten Ziel dieses Antrages.
Auch die Allianz Pro Schiene verwies in dieser Woche auf die im europäischen Vergleich geringen deutschen Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur.
Über Steuern entscheidet der Bund, und das ist gut so. Eine Kerosinsteuer im Luftverkehr gibt es nicht. Steuerprivilegien für Bahnangebote? - Die umgekehrte Fehlanzeige.
Aber: Schon im vergangenen Jahr hatte ich von hier aus erwähnt, dass jährlich 8 Milliarden € für Dieselkraftstoffsubventionen im Straßenverkehr und 4 Milliarden € für das Dienstwagenprivileg aufgewendet werden. Ergänzt wurde die Gesamtschau durch Einsparungen bei Gesundheitsbehandlungen und Kostensenkungen wegen geringeren Individualverkehrs, bei Straßenbau und -unterhaltung, bei Parkflächen, beim Lärm- und Klimaschutz und bei der wirtschaftlich noch zu berechnenden vergeudeten Zeit im Stau.
Mehr Bahnangebote bedeuten weniger Unfälle im Straßenverkehr, weniger Unfalltote und weniger Unfallverletzte sowie weniger Versicherungsschäden.
Auch die Maßnahmen zur Bekämpfung von Feinstaub aufgrund von Brems- und Reifenabrieb durch teure Moosränder oder andere staubabsorbierende Maßnahmen könnten analog zum steigenden Bahnverkehrsaufkommen vermindert werden. Der volkswirtschaftliche Gesamtgewinn ist größer als die anstehenden Investitionskosten. Hierzu verweise ich auf den gestrigen Redebeitrag meiner Kollegin Kerstin Eisenreich zu der Drs. 7/4494.
Eine vorbehaltlose Erfassung der Gesamtkosten für den Individualverkehr ergibt nach Berechnungen von Prof. Becker von der TU Dresden, dass 80 % aller deutschen Mobilitätsinvestitionen besonders dem motorisierten Individualverkehr zugutekommen. Es liegt also nicht am fehlenden Geld. Das sind heruntergerechnet jährlich 2 000 € pro Privat-Pkw, auch wenn man das als Verkehrsteilnehmer individuell nicht so empfindet.
Die gewünschte Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene gelingt nur, wenn es genug im Betrieb befindliche Gleisanlagen in der Fläche gibt.
Fazit: Für die Menschen hierzulande und interessanterweise auch für die hier angesiedelten Unternehmen benötigen wir eine Ausweitung der Mobilitätsangebote für alle - steuer- und somit kostenbegünstigt, bestenfalls fahrscheinlos und bei flächendeckenden, eng vertakteten Angeboten mit einem starken Schienenverkehr für Menschen und Güter. Das muss unser Ziel sein. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Damit ist der einführende Beitrag beendet und wir können in die Debatte einsteigen. Für die Landesregierung spricht Herr Minister Webel. Es ist eine Debatte mit drei Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Herr Henke, Ihr Antrag geht an einigen Stellen von einer falschen Annahme aus. Er suggeriert, dass der unbedingte Erhalt einer Bahnverbindung per se positiv ist.
Diese Annahme ignoriert, dass die Eisenbahn aufgrund ihrer Ausgestaltung mit aufwendiger Infrastruktur ein Massenverkehrsmittel ist, welches einer gewissen Mindestnachfrage bedarf. Da hat das Land nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien gehandelt. Denn betriebswirtschaftlich positive Ergebnisse würde in Sachsen-Anhalt kein einziges Angebot bringen. Dafür sind die Vorhaltungskosten für die Infrastruktur einfach viel zu hoch. Vielmehr hat das Land immer unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt, welches Verkehrsmittel unter Abwägung vielfältiger Randbedingungen und Aspekte das beste ist.
Eisenbahn ist dort erfolgreich, wo Zentren miteinander verbunden und deren Umfeld erschlossen werden kann. Dort kann die Eisenbahn selbst wieder der Motor der Entwicklung sein. Aber eine Eisenbahn, die nur von wenigen Menschen genutzt wird, kann nicht unser gemeinsames Ziel
sein. Genau dies haben wir alle gemeinsam 1994 nicht nur in Sachsen-Anhalt vorgefunden. Das Land hat seit 1994 den Verkehr auf rund 900 km Eisenbahnstrecke eingestellt.
Was nutzt uns eine Eisenbahn mit niedriger Geschwindigkeit, extrem hohem Investitionsbedarf und ungünstig gelegenen Stationen, vor allem dann, wenn diese nur von wenigen Menschen genutzt werden kann? Mit dem Bus kann man in solchen Fällen gleichwertige, oft bessere Angebote gestalten, die nur 20 bis 25 % der Kosten der Bahn verursachen. Das Land hat daher den Verkehr auf einigen Linien schrittweise eingestellt.
In Sachsen-Anhalt soll jedes Verkehrsmittel seiner Rolle gerecht werden: im Mix von Bahn, Bus und flexiblen Bedienformen. Grundlage dafür ist unser Landesnetz mit Bahn- und Busverbindungen, die zentrale Orte nach dem Landesentwicklungsplan verbinden. Die Vorgehensweise lässt uns auch mit entsprechenden finanziellen Mitteln die Eisenbahn dort stark machen, wo sie im Sinne des Klimaschutzes auch wirklich etwas erreichen kann.
Entlang der Hauptachsen haben wir die RE- und S-Bahn-Verkehre ausgebaut. Wir werden dies auch weiterhin tun, und zwar im Sinne des Klimaschutzes. Würden wir hingegen mit den verfügbaren Mitteln massiv Strecken reaktivieren, würden uns die Instrumente fehlen, um die notwendigen Schwerpunkte zu setzen.
Das Land hat sich der Prüfung von Reaktivierungen nicht verweigert. Das zeigt sich auch daran, dass wir im ÖPNV-Plan mit Blick auf den Güterverkehr auch die Verbindung über die Elbbrücke Barby als Prüfbedarf aufgenommen haben. - Vielen Dank.
Danke, Herr Webel. Es gibt keine Nachfragen. - Demzufolge können wir jetzt in die Debatte der Fraktionen eintreten. Für die SPD-Fraktion spricht der Abg. Herr Dr. Grube. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Ende Mai haben die Allianz Pro Schiene und der Verband deutscher Verkehrsunternehmen die Forderung erhoben, bundesweit 186 Strecken mit einer Länge von insgesamt 3 072 km für den Personen- und den Güterverkehr wiederherzurichten.