Protokoll der Sitzung vom 02.09.2016

Es gab in der letzten Wahlperiode einige Anträge und Gesetzesentwürfe zu dem Thema, auch die damalige grüne Fraktion hat sich beteiligt. Ich freue mich, dass wir einiges davon im Koalitionsvertrag sehr konkret verankern konnten, was, denke ich, die Mitbestimmung junger Menschen verbessern wird.

Wir wollen - das ist jetzt Teil der Koalition - die Stimme der jungen Generation stärken. In einer alternden Gesellschaft halte ich das für immens wichtig; denn wenn die demografische Entwicklung so verläuft, wie sie prognostiziert wird - daran ist leider kein Zweifel zu hegen -, dann ist der Ausbau der Kinder- und Jugendbeteiligung quasi Minderheitenschutz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Beteiligung junger Menschen geht, vor Ort in den Kommunen oder übergeordnet auf Landesebene, stellt sich immer die grundsätzliche Frage nach dem Bild des Kindes, nach dem Bild der Jugend. Welche Vorstellung, welche Urteile, vielleicht sogar Vorurteile herrschen über junge Menschen? Wie wird über sie geredet und gedacht?

Oft, um es auf den Punkt zu bringen, werden sie als quasi unfertige Erwachsene betrachtet, noch in der Entwicklung, noch zu erziehen. In Reden im Plenum und bei Veranstaltungen habe ich vielfach für ein anderes Verständnis von Kindern und Jugendlichen geworben. Nicht nur als unsere Zukunft, nicht nur als Fachkräfte von morgen sollten wir junge Menschen betrachten. Nicht als Menschen, die sich noch entwickeln müssen, um für voll genommen zu werden; denn das hieße, ihnen erst morgen Bedeutung und volle Anerkennung beizumessen.

Nein, wir wollen - das soll der Antrag der Koalitionsfraktionen ausstrahlen - sie hier und heute als eigene Persönlichkeiten ernst nehmen, als eigene Rechtssubjekte anerkennen. Sie sind hier und heute ernstzunehmende Mitglieder unseres gesellschaftspolitischen Gemeinwesens. Sie sind hier und heute auch Handlungssubjekte auch und gerade in der Politik, nicht nur Schutzobjekte und Heranzuziehende, Noch-nicht-Erwachsene. Man könnte sagen, sie sind nicht nur Potenzial, sondern bereits geltende Faktizität.

Der letzte Landtag hat bereits Schritte in diese Richtung unternommen. Es wurde auf eine grüne Initiative hin ein Beschluss zur Erstellung eines jugendpolitischen Programms gefasst und weitgehend von der damaligen Landesregierung umgesetzt.

Sie werden, wenn Sie aufmerksam sind, sehen, dass es einen Unterschied in der Bewertung gibt, ob es denn tatsächlich ein fertiges jugendpolitisches Programm in diesem Land gibt, so wie es der Antrag der Koalitionsfraktionen postuliert, oder ob es, wie es der Antrag, wozu die Kollegin Heiß nachher noch Stellung nehmen wird, der LINKEN suggeriert, noch in Erarbeitung wäre.

Genau das ist das Spannende an dem jugendpolitischen Programm. Bei der Einbringung bin ich damals davon ausgegangen, dass dieses Programm niemals fertig wird, weil es immer im Prozesscharakter mit den jungen Menschen gemeinsam, so wie es erarbeitet wurde, auch fortgeführt und fortwährend weiterentwickelt wird.

Minister Bischoff hat uns damals darüber belehrt, dass es ein fertiges Programm gibt, das 90 Seiten umfasse. Er meinte damit den Ergebnisbericht des Kinder- und Jugendrings.

Es gibt also unterschiedliche Auffassungen darüber, und ich freue mich, dass wir dann im Ausschuss, wenn wir weiter mit den Akteuren am jugendpolitischen Programm arbeiten und in der Fachebene weiter darüber weiter streiten, das Programm weiterentwickeln; denn genau das ist das, was die Koalition will. Ob das Programm fertig ist oder nicht fertig ist, ist, glaube ich, nicht der Punkt. Wichtig ist, dass wir uns alle zu diesem jugendpolitischen Programm in Gemeinsamkeit mit den jungen Menschen im Land bekennen, und genau das tut die Landesregierung, genau das tut die Mehrheit der Koalitionsfraktionen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen - das ist auch erwähnenswert - diese Thematik in die Richtung weiterentwickeln, dass wir diese Planung für den Bereich der jungen Menschen mit den Planungen des Sozialzieleprozesses, also mit Planungsprozessen in anderen sozialpolitischen Bereichen, verknüpfen.

Darüber hinaus ist es aus unserer Sicht wünschenswert, dass wir nicht nur im Bereich der Jugendpolitik planen, nicht nur im Bereich der Zuständigkeit des Hauses, sondern wir wollen darüber hinausgehen. Wir wollen nämlich, dass die Ressortgrenzen an der Stelle im Sinne eines Querschnittsthemas aufgebrochen werden und dass ressortübergreifend alles, was junge Menschen in diesem Land betrifft, geplant wird.

Weiterhin, wenn ich noch aus der Vergangenheit berichten darf, wurden Kinderrechte in die Landesverfassung aufgenommen, zumindest in einigen Teilen. Es wurde ein - das ist bereits erwähnt worden - ambitioniertes und progressives Bildungsprogramm für Kitas, Krippen und Horte verbindlich festgeschrieben.

Nichtsdestotrotz: Es ist noch viel zu tun. Deshalb freue ich mich, dass wir heute mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen ein gutes konkretes Stück weiter in die Richtung voranschreiten, die junge Generation zu gleichwertigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Beteiligung junger Menschen in den Kommunen wollen wir als Regierungsfraktionen stärken. Was auf Landesebene begonnen wurde, muss mit keimenden Bemühungen in den Kommunen vor Ort verknüpft werden. Junge Menschen direkt in die Erarbeitung des jugendpolitischen Programms auf Landesebene einzubeziehen - ich habe es eben ausgeführt - hat uns allen zu wertvollen Erkenntnissen verholfen. Diese sollen genutzt werden und sie müssen aus meiner Sicht auch genutzt werden. Diese positiven Erfahrungen resultieren auch daraus, dass wir an dieser Stelle jugendgemäße Mittel und Methoden ausprobieren

konnten. Davon können die Praktiker vor Ort positiv partizipieren.

Diese Beteiligung im unmittelbaren Umfeld der jungen Menschen ist uns sehr wichtig; denn sie stärkt die Demokratie. Sie vermittelt jungen Leuten den Wert demokratischer Politik. Dadurch wissen sie sich als Bürgerinnen und Bürger anerkannt. Wir helfen ihnen auf dem Weg, sich zu vollwertigen Bürgerinnen und Bürgern zu entwickeln. Sie lernen durch eigenes Erleben, welchen Wert die Mitbestimmung und die Beteiligung und welchen Wert Bürgerinnenrechte haben. Dadurch können sich mit einer Sphäre der Gesellschaft in Kontakt begeben, die jenseits ihres persönlich-biografischen Horizontes liegt. Darüber hinaus - das ist unter unseren demografischen Prämissen nicht unerheblich - stärkt es die Identifizierung mit ihrer Region.

Das eigene Lebensumfeld ist dann nicht nur die faktische Lebensbedingung, die im wahrsten Sinne des Wortes vorherrscht, sondern das Lebensumfeld wird als gestaltbar anerkannt und erlebt.

Es dürfte wenige Lebenserfahrungen geben, die so wichtig sind wie die Erkenntnis: Ich kann selbst Einfluss nehmen. Ich kann selbst mitbestimmen. Es lohnt sich, sich im demokratischen Gemeinwesen zu engagieren. Dabei geht es eben nicht nur darum, die Menschen auf die Wahl mit 16 oder 18 Jahren vorzubereiten, sondern darum, dass es sehr viele kleinteilige, niedrigschwellige Möglichkeiten gibt, sich einzubringen. Diese positiven Erfahrungen stärken das Vertrauen in unsere Demokratie. Wir zeigen, mitmachen lohnt sich.

Wenn wir Einflussmöglichkeiten ausbauen, dann kann dies mit anderen Worten auch der Politikverdrossenheit vorbeugen. Davon bin ich überzeugt. Ich habe gerade in den letzten Monaten viele positive Beispiele bei der Erarbeitung des jugendpolitischen Programms erlebt.

Die Kinder und Jugendlichen merken, dass nicht irgendwas von oben über sie hinweg bestimmt, sondern sie sind Teil des Prozesses, sie können sich einbringen, sie können Einfluss nehmen, sie haben ein Mitspracherecht und die Möglichkeit mitzuwirken.

Natürlich kann das auch negative Erfahrungen bringen. Aber ich glaube, genau das ist es, was das Vertrauen in Demokratie stärkt: wenn man lernt, dass man sich miteinander austauschen muss, wenn man lernt, dass man nicht immer gewinnen kann, wenn man lernt, Sachinformationen und unterschiedlichste Bedarfslagen miteinander abzuwägen.

Demokratie funktioniert so, dass man sich nicht immer mit seinen klaren Positionen durchsetzen kann. Vielmehr muss man als Effekt von früher

Beteiligung auch lernen, andere Positionen auszuhalten, sich auf demokratischer Ebene miteinander auszutauschen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE, und bei der AfD)

Ich glaube, vielen Mitgliedern des Hohen Hauses hätte es gut getan, das in jungen Jahren einmal auszuprobieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - André Poggenburg, AfD: Jawohl!)

Wenn man demokratische Spielregeln lernt, dann schützt das im Übrigen auch vor Verschwörungstheorien und platten Parolen. Davon bin ich fest überzeugt.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE - André Poggenburg, AfD: Wir auch!)

Verehrte Damen und Herren! Aus den genannten Gründen wollen CDU, SPD und wir GRÜNE die Beteiligung der jungen Generation in den Kommunen unterstützen. Wir sehen die Wichtigkeit einer engen Verzahnung und wir sehen, dass wir die auf Landesebene gesammelten Erfahrungen gut nutzen können, und wollen dies als Dienstleistung den Kommunen zur Verfügung stellen. Dafür werden wir ein entsprechendes Kompetenzzentrum gründen.

Wir gehen davon aus, dass es vielfach durchaus den guten Willen gibt, die junge Generation einzubeziehen, aber es fehlt an Erfahrung, wie man das macht, Beteiligungsformate sind nicht eingeübt, es fehlt an entsprechenden Fachkompetenzen und an neuen Ideen. Hierbei wollen wir Abhilfe schaffen. Wir wollen, dass die Kommunen im Land einen kompetenten Ansprechpartner haben, um Beteiligung vor Ort weiter entwickeln zu können.

Das kann sehr unterschiedlich sein. Das kann in die Gründung eines Kinder- und Jugendringes, eines Jugendgremiums münden, altersgerechte Beteiligungsformen bei konkreten Planungsvorhaben können es sein oder auch das verbindliche Festschreiben von mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Gemeindesatzung.

Das ist alles kein Hexenwerk. Das braucht Knowhow. Das wollen wir über das Kompetenzzentrum im Land weiter verankern.

(Zustimmung von Dorothea Frederking, GRÜ- NE, und von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Dazu braucht es aber auch stabile Strukturen auf allen Ebenen. Eigenständige Jugendpolitik und Jugendarbeit brauchen professionelle Unterstützung.

Neben der direkten Beteiligung und Beratung von Kommunen in Sachen Kinder- und Jugendbeteiligung soll dieses Zentrum auch der Vernetzung

dienen. Es soll etwa durch Veranstaltungen kommunalpolitische und administrative Akteurinnen und Akteure im Bereich der Kinder- und Jugendbeteiligung an einen Tisch bringen, den Erfahrungsaustausch fördern. Im besten Fall wird möglicherweise die Schaffung eines landesweiten Online-Portals zum Informationsaustausch und zur Präsentation von kommunalen Beteiligungsverfahren die landesweite Diskussion vorantreiben.

So können wir Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auf der Landesebene und in der Fläche erreichen und gemeinsam vernetzen. Damit soll letztlich auch eine Sensibilisierung der kommunalpolitischen Akteure in der Verwaltung und im ehrenamtlichen Bereich erfolgen.

Schließlich sehen der Koalitionsvertrag und auch der Antrag vor, einen im Zweijahresrhythmus zu vergebenden Preis für vorbildliche Kinder- und Jugendbeteiligung auszuloben. Das ist ein kleines Stück, ein Mosaikstein, aber ich glaube, es braucht manchmal auch Symbolpolitik, um zu sagen, dass uns das wichtig ist. Dabei fühlen sich Menschen und Jugendliche, die sich vor Ort engagieren, die vielleicht etwas entwickelt haben, ein Stück wert geschätzt. Ich glaube, das ist im besten Sinne Symbolpolitik.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

Ich will an der Stelle noch sagen: Ich wünsche mir, dass das zuständige Ministerium vielleicht einen Weg findet, wie man die jungen Menschen auch bei diesem Preis mit einbeziehen kann, beispielsweise als Teil der Jury oder dass sie bestimmte Dinge vorschlagen können. Ich denke, wir werden einen guten Weg finden.

Ich glaube, dass dieses Kompetenzzentrum mit all seinen Möglichkeiten zur Erfolgsgeschichte der Beteiligung junger Menschen in diesem Land beitragen kann. Ich denke, wir haben dann sehr viel geschafft; denn es geht auch darum, zwischen den Generationen zu vermitteln, auch auf der Seite der älteren Generation mehr Wahrnehmung für junge Menschen zu entwickeln und dort neue Erfahrungen reifen zu lassen.

Ich hoffe, dass sich damit auch das Bild über junge Menschen wandelt und es auf andere Gesetzesvorhaben in diesem Land Einfluss haben wird. Ich kann nur hoffen, dass das Kompetenzzentrum - ich bin mir sicher, von der kommunalen Ebene wird es so sein - gut angenommen wird. Ich hoffe, dass es auch von der Landesebene auf die Kommunen wieder zurückstrahlt.

Ich denke, auch die jungen Menschen werden es nutzen. Ich kann sie nur dazu auffordern, sich an der Stelle einzubringen, mitzusprechen. Ich glaube, seit 1989 hatten wir nie eine Situation, wo es

so wichtig war wie heute, dass sich Menschen einbringen, dass sie sich demokratisch engagieren. Dafür bieten wir hiermit einen konkreten Beitrag. Das ist ein konkretes Angebot der regierungstragenden Fraktionen, damit sich junge Menschen in diesem Land verlässlich einbringen können. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)

Danke, Frau Lüddemann. Ich habe keine Nachfragen gesehen. - Wir würden deshalb in der Debatte fortfahren können. Ich frage jetzt einmal die Landesregierung. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Partizipation junger Menschen an gesamtgesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sollte und muss zur Selbstverständlichkeit werden. Das ist immer noch eine schwierige Herausforderung, der sich auch die Landesregierung stellen wird. Ich bin den Regierungsfraktionen sehr dankbar, dass sie sich in einem ihrer ersten gemeinsamen Anträge genau diesem Thema widmen.