Protokoll der Sitzung vom 02.09.2016

Das heißt: Wir haben an dieser Stelle Einsparungen in Höhe von 15 bis 20 Millionen € in den letzten zehn bis 15 Jahren zu konstatieren. Doch zu welchem Preis? - Zu einem sehr hohen Preis.

Nun schauen wir uns einmal die Frauen an, die in den Frauenschutzhäusern arbeiten. In diesem Bereich sind sehr viele Frauen ehrenamtlich tätig. Es sind aber auch sehr hoch qualifizierte und sehr empathische Frauen in den Häusern tätig. Ich will daran erinnern - das war sehr positiv -, dass wir es in der letzten Wahlperiode geschafft haben, uns entsprechend dem Leistungsspektrum einer tarifgerechten Bezahlung anzunähern.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Annähern!)

- Ja, annähern. - Ich finde, diesen Weg sollten wir unbedingt weitergehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer Punkt unseres Antrages betrifft die Barrierefreiheit. In der Antwort auf die Große Anfrage in der letzten Wahlperiode hat sich gezeigt, dass gerade einmal zwei Frauenschutzhäuser barrierefrei sind. Einige weitere sind zumindest in Teilen barrierefrei. Dieser Stand entspricht natürlich überhaupt der Behindertenrechtskonvention. Wer glaubt, dass Frauen mit Behinderungen nicht Opfer von Gewalt sind, der geht fehl.

Wenn man in die Frauenhäuser hineinschaut, sieht man, welch großer Sanierungsbedarf hier besteht. Als Land könnten wir sagen, wie seien dafür nicht zuständig; wir befänden uns nicht in der Trägerschaft. Aber das hilft uns gar nicht. Wir müssen hinschauen. Wenn wir als Land sagen, wir wollen die Barrierefreiheit kurz- und mittelfristig realisieren, müssen wir gegebenenfalls auch den Sanierungsbedarfen gerecht werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine weitere Gruppe, die nicht im Fokus steht, sind die Kinder, die mit ihren Müttern in Beratungsstellen gehen. Es sind Mütter, die nicht in den Frauenschutzhäusern ankommen. Viele Frauen, die von Gewalt betroffen sind, gehen nicht in Frauenschutzhäuser, sondern lassen sich beraten. Dabei begleiten sie häufig die Kinder. Es sind Kinder, die mittelbar und unmittelbar Gewalterfahrungen haben. An dieser Stelle findet so gut

wie gar nichts statt. Es gibt keine Angebote in Sachsen-Anhalt. Hier müssen wir dringend nacharbeiten; denn diese Leerstelle können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres positives Beispiel gibt es im Land Brandenburg. Ich schaue gern auf die dortige Sozialministerin und die Landesgleichstellungsbeauftrage; sie haben dafür gesorgt, dass es eine Koordinierungsstelle für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder mit Flüchtlingsstatus gibt. Ich fände, es stände es gut zu Gesicht, so etwas auch hier einzurichten. Ich hatte eine Kleine Anfrage an das Gleichstellungsministerium gestellt, aus deren Antwort deutlich hervorging, dass im ersten Halbjahr 2016 bereits 83 Frauen mit Flüchtlingsstatus und 96 Kinder Hilfe in Frauenschutzhäusern gesucht haben. Das ist ein klarer Anstieg gegenüber den Vorjahren.

Die Antwort auf meine letzte Frage fand ich - das muss ich so sagen - einfach nur kühn, nämlich zu behaupten, dass die Frauenschutzhäuser keine Mehrbedarfe haben, obwohl sie von mehr Frauen aufgesucht, und zu behaupten, dass die Frauen keine Aufwendungen für Dolmetscherleistungen haben.

Die Wahrheit ist, sie wussten, dass sie kein Geld bekommen. Sie wussten, dass sie sich selbst helfen mussten. Sie wussten, dass sie auf das Ehrenamt zurückgreifen müssen. Ich sage dazu: Dabei haben uns die Männer mit ihren Vereinen einfach etwas voraus. Sie würden das dann einfach nicht machen. Aber die Frauen in Frauenschutzhäusern suchen nach Möglichkeiten. Sie suchen nach Möglichkeiten im Bereich des Ehrenamts, sie gehen dann an die Universitäten, um dort auch wieder Frauen zu finden, die das im Ehrenamt und kostenfrei machen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Ich muss sagen, ich finde es beschämend, wenn die Gleichstellungsministerin hierzu eine solche Feststellung trifft.

Wir hatten in der letzten Wahlperiode bereits das Thema Kinder in Frauenschutzhäusern im Fokus. Es gab - das nur als Anmerkung - dort unter dem Stichwort Gewaltschutzambulanzen ein kleines Ping-Pong-Spiel zwischen dem Gleichstellungs- und dem Sozialministerium.

Ich bitte Sie inständig, liebe Koalitionsfraktionen, lassen Sie das hierbei nicht zu. Idealerweise, würde ich sagen, kommt tatsächlich alles aus einer Hand. Die Erfahrungen - ich erinnere Sie wirklich gern an die Diskussion zur Rechtsmedizin und zu den Gewaltschutzambulanzen - zeigen, dass wirklich alles in einem Ressort gebündelt werden sollte. Das macht Sinn; denn das Geld kommt bei

einem Träger an und es muss dort verteilt werden. Deswegen bitte ich auch hierbei darauf achten, dass das in einem Ressort bleibt.

Nun noch ein paar Worte zu dem Antrag der Koalition, der sich natürlich dem Grunde nach erst einmal gut liest. Es sind ja ähnliche Ziele, die auch wir mit unserem Antrag verfolgen.

Wir begrüßen absolut den Ansatz, dass wir in Deutschland eine bundesweite Regelung brauchen. Die frühere Gleichstellungsministerin Frau Prof. Kolb hat sich sehr stark dafür gemacht.

Muss man auch sagen, die Konferenz der Gleichstellungsministerinnen und Frauenministerinnen hat weitreichende Beschlüsse hierzu gefasst. Wir wissen aber auch, wie das mit solchen Beschlüssen ist und wer sich daran hält oder auch nicht daran hält.

Wir haben keine Regelung auf Bundesebene. Das ist auch der Grund dafür, dass wir den Antrag im Land stellen. Denn wir brauchen eine Regelung im Land.

Ein Problem haben wir natürlich mit dem letzten Satz in Ihrem Antrag. Ja, natürlich brauchen wir zur Umsetzung dieser Vorhaben Geld. Wir reden hierbei ungefähr über 1 Million €, wenn man die einzelnen Personalstellen sowohl für die Angebote in den Frauenschutzhäusern als auch in den Beratungsstellen berechnet. Aber ich finde, dafür muss das Geld vorhanden sein.

Der Antrag ist bezeichnenderweise von Ihnen veröffentlicht worden, als durch den Finanzminister die Veröffentlichung kam, dass uns 400 Millionen € pro Jahr im Land fehlen. Dazu müsste ich sagen: Dann wissen wir schon jetzt, dass das Geld dafür nicht vorhanden ist. Aber auch hier ist meine Erfahrung aus dem Gleichstellungsausschuss bzw. aus dem Finanzausschuss des letzten Landtags: Wenn wir etwas wollen, ist das Geld dafür auch vorhanden. Wir wissen auch, 1 Million € wird dieses Land nicht umhauen. Ich bin daher in Bezug auf die Haushaltsberatungen sehr positiv eingestellt.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend einfach nur noch einmal sagen: Wir müssen alle gemeinsam diese Gewaltkreisläufe durchbrechen. Wir werden die Gewalt nicht grundsätzlich verhindern. Das ist ein Irrglaube. Aber ich finde, wir müssen zumindest den Kindern die Chance geben, ein Leben ohne Gewalt zu führen und dieses Trauma zu überwinden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. - Zur Einbringung des unter Buchstabe b aufgeführten Antrags wird Frau Lüddemann sprechen.

Stellen Sie die Uhr noch um?

Ja. Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet. Sie findet zu Hause, in der Öffentlichkeit oder auch im Internet statt. Das Ausmaß dieser Gewalt zeigt ein Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte FRA, welcher im Jahr 2014 die Ergebnisse der weltweit größten Erhebung über Gewalt gegen Frauen vorstellte.

33 % der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. 22 % der Frauen haben körperliche und/oder sexuelle Gewalt in der Partnerschaft erlebt. 43 % der Frauen waren entweder durch den aktuellen oder einen früheren Partner psychischer Gewalt ausgesetzt.

Die Ergebnisse dieser Erhebung können und dürfen nicht ignoriert werden. Ich verspreche Ihnen, dass ich auch in dieser Legislaturperiode nicht nachlassen werde, auf diese für eine zivilisierte Gesellschaft beschämenden Befunde hinzuweisen.

Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt gegen Frauen ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung.

(Zustimmung im ganzen Hause)

Unsere politische Verantwortung ist es, Gewalt gegen Frauen - egal wo, ob im häuslichen oder im öffentlichen Raum - nicht nur nicht aus dem Blick geraten zu lassen, wir alle haben vielmehr eine politische Verantwortung, etwas dagegen zu unternehmen. Dieser Verantwortung stellt sich die schwarz-rot-grüne Koalition.

Auch an dieser Stelle darf ich versprechen: Ich werde nicht nachlassen, für tatsächliche Verbesserungen zu streiten. Diese sind zuvörderst im Interesse der betroffenen Frauen und ihrer Kinder, sie sind aber auch im Interesse von uns allen; denn von den mittelbaren Auswirkungen sind wir alle betroffen.

Gewalterfahrungen haben meist nicht nur weitreichende negative Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit der Frauen. Sie beeinträchtigen oft auch massiv ihre familiären und sozialen Beziehungen.

Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, haben unter den Folgen nicht selten ein Leben lang zu leiden. Zutiefst traumatisierte Frauen,

verstörte Kinder, zerrüttete Familien - dies hat nachhaltige Auswirkungen.

Ich selbst habe in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts im Dessauer Frauenhaus gearbeitet und war Gründungssprecherin der LAG der Frauenhäuser. Wenn ich heute vor Ort bin, begegnet mir oft schon die Enkelgeneration. Das ist ein zutiefst trauriges, verstörendes Erlebnis und ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Mit etwas psychologischem Engagement, wenn psychosoziale Arbeit mit den Kindern möglich gewesen wäre, hätten wir vermutlich die sich hier drehende Gewaltspirale durchbrechen können.

Frauenhäuser sind eine zentrale Säule beim Schutz von Frauen vor Gewalt. Sie sind Zufluchtsstätten, die misshandelten Frauen und bedrohten Kindern zu jeder Tages- und Nachtzeit bereitstehen und ihnen Schutz und Hilfe gewähren. Es sind Orte, wo Bedrohung, Angst und Gewalt vor der Tür bleiben.

Frauenhäuser sind aber mehr als Schutzorte. Sie sind Orte der Aufarbeitung, der Erkenntnis, des Helfens und des Findens neuer Handlungsmuster, wenn die Frauen und Kinder Fachpersonal an ihrer Seite haben. Dabei geht es grundsätzlich um zwei Bereiche. Da dies in der Öffentlichkeit öfter falsch verstanden wird, erlaube Sie mir, dass ich das hier näher ausführe.

Zum einen geht es zunächst um Entlastung, Entlastung der Mütter, und um sachgerechte Betreuung der Kinder. Um das zu verdeutlichen, bitte ich Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich einmal vor, Sie könnten aufgrund ihrer Angsterfahrung nicht schlafen, ihnen ist ständig zum Heulen zumute, Sie sind überall grün und blau geschlagen und wollen ihrem Kind so nicht unter die Augen treten. Sie haben ein permanent schlechtes Gewissen, weil Sie Ihrem Kind das eigene Zuhause entrissen haben, Sie wissen nicht, wie Sie Ihren Kindern die Abwesenheit des Vaters erklären sollen. Sie sind nicht in der Lage, Verrichtungen des täglichen Lebens selbst zu leisten, für sich nicht und schon gar nicht für Ihre Kinder.

In dieser Situation wären auch Sie zutiefst dankbar und es wäre für die weitere Entwicklung extrem hilfreich, wenn die Kinder im Frauenhaus von einer sachkundigen Erzieherin betreut würden. Den Frauen stehen - Gott sei Dank! - Sozialarbeiterinnen zur Seite.

Die Kinder geschlagener und misshandelter Frauen weisen, wenn sie nicht ganz und gar selbst betroffen sind, Verhaltensauffälligkeiten auf und benötigen zeitnah unbürokratische, spezifische und individuelle Hilfsangebote. Kindertages

stätten, Jugendämter, Erziehungsberatungsstellen oder andere ambulante Angebote können dies in akuter Weise und nach dem spezifischen Bedarf

nicht abdecken. Sie haben auch ganz andere Aufgaben und stehen schon gar nicht nachmittags, an Wochenenden oder an Feiertagen zur Verfügung.

Es ist von großer Bedeutung, im neuen Lebensumfeld - so traurig es auch ist, aber das ist dann tatsächlich erst einmal das neue Lebensumfeld der Kinder - aufarbeitend, entlastend und präventiv wirksam zu werden. Die Arbeit mit den Kindern darf nicht nur sporadisch und punktuell durchgeführt werden, sondern muss fest in den Tagesablauf integriert werden und sofort mit der Ankunft in der akuten Krisensituation beginnen. Daher müssen wir die sachgerechte Arbeit und spezifische Hilfsangebote für in Frauenhäusern untergebrachte Kindern sicherstellen. - Dazu haben wir den Punkt 1 im Antrag formuliert.

Neben der beschrieben Krisenintervention und Betreuung ist es wichtig, möglichst schnell mit fachlicher psychosozialer Arbeit zu beginnen. An der Stelle zeigt sich im Antrag der Koalition ein gewisser Realismus, zu dem ich mich durchaus bekenne; denn wir werden natürlich nicht in jedem Frauenhaus eine Psychologin installieren können, und schon gar keine spezialisierte Fachkraft für Kinder- und Jugendlichentherapie. An der Stelle bin ich realistisch. Deshalb wollen wir mobile Teams zur psychosozialen Betreuung und Arbeit mit den Frauen vorschlagen. Hierbei geht es um in höchstem Maße fachliche Hilfe, die jedem Frauenhaus zur Verfügung stehen soll, aber nicht an jedes Haus tatsächlich angedockt wird. - Das führt unser Punkt 2 des Antrags aus.

Ich glaube, es ist eine bundesweit vorbildhafte Möglichkeit, auch in einem Flächenland psychosoziale Arbeit mit Frauen und Kindern in Frauenhäusern gewährleisten zu können.