Protokoll der Sitzung vom 02.09.2016

Ich glaube, es ist eine bundesweit vorbildhafte Möglichkeit, auch in einem Flächenland psychosoziale Arbeit mit Frauen und Kindern in Frauenhäusern gewährleisten zu können.

Zur Barrierefreiheit hat die Kollegin von Angern schon einiges ausgeführt. Ehe dazu Fragen kommen, sage ich: Uns ist klar, dass das eine langfristige und eine sehr große Aufgabe ist. Ich glaube, darin ist sich das Hohe Haus einig. Aber wir müssen einen Einstieg schaffen, denn in der Tat ist die Situation, dass weitergeleitet wird, im Zweifel an das andere Ende des Landes, inakzeptabel.

Die eingeschränkte Mobilität und die Sorge, das stützende soziale Umfeld und den Arbeitsplatz zu verlieren, gegebenenfalls die Kinder aus der Schule zu nehmen oder andere Veränderungen zu bewirken, sind nicht akzeptabel.

Meine Damen und Herren! Gewaltschutz muss auch in Sachsen-Anhalt endlich barrierefrei werden. Hilfsangebote wie Beratung und Frauenhäuser müssen zugänglich für Frauen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen sein. Frauen mit Behinderungen erfahren doppelt so häufig wie andere Gewalt in ihrem Leben.

Schutz vor und Hilfe nach erlebter Gewalt ist ein Menschenrecht. Es darf nicht sein, dass einer Menschenrechtsverletzung wie Gewalt eine weitere Menschenrechtsverletzung folgt, weil Schutzkonzepte nach wie vor nicht barrierefrei zugänglich sind. Schrittweise, langfristig, aber spürbar in den Frauenhäusern die UN-Behindertenrechtskonvention wirksam werden zu lassen, ist das Ziel.

Auch die besondere Situation und die Bedürfnisse von Migrantinnen und deren Kindern mit Gewalterfahrungen sind zu berücksichtigen. Viele Migrantinnen haben ihr familiäres Unterstützungsnetz zurücklassen müssen. In Deutschland treffen sie auf ein ihnen unbekanntes neues Leben, vielfach auch auf Vorurteile oder auf Diskriminierungen.

Darüber hinaus wird Gewalt gegen Frauen in einige Herkunftsstaaten nicht als Straftat gewertet, zumindest nicht als Straftat für den Verursacher. Insofern brauchen Migrantinnen in diesen Situationen besondere Hilfe.

Schließlich ist es entscheidend, dass die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern tarifgerecht entlohnt werden, um eine hohe Qualität zu sichern und - auch an der Stelle will ich realistisch sein - auf dem immer enger werdenden Arbeitsmarkt auch tatsächlich Fachkräfte zu finden.

Zudem wollen wir als Koalition die Pauschalen im Hinblick auf die besondere Situation kleiner Frauenhäuser überprüfen lassen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich reicht es nicht, die Schwierigkeiten bei der Frauenhausfinanzierung zur Kenntnis zu nehmen. Dass es diese gibt, ist unstreitig. Wir brauchen eine grundsätzliche Reform der Frauenhausfinanzierung, die hohe qualitative Standards und auch eine ausreichende finanzielle Ausstattung garantiert - bundeseinheitlich, einzelfall- und tagessatzunabhängig und bedarfsgerecht.

Ich weiß, dass es hierzu auch Irritationen gab, weil in der ersten pdf-Ausgabe des Koalitionsvertrags ein Schreibfehler enthalten war, ein kleiner, aber wesentlicher Unterschied. Natürlich geht es um eine tagessatzunabhängige Finanzierung.

Daher wird die Landesregierung gebeten, sich auf Bundesebene für eine einheitliche gesetzlich verankerte Frauenhausfinanzierung weiterhin einzusetzen mit bundesweit identischen Standards.

Nur mit ausreichenden Mitteln können genügend Plätze bereitgestellt und Qualitätsstandards eingehalten werden. Hierbei ist auch der Bund in der Pflicht oder in die Pflicht zu nehmen.

Die Finanzierung der Frauenhäuser muss im Interesse misshandelter Frauen und ihrer Kinder verlässlich und unabhängig von unterschiedlichen

Haushaltslagen und politischen Mehrheitsverhältnissen gestaltet werden.

Natürlich haben wir diesen Satz unter dem Antrag stehen - wir hätten ihn nicht darunter schreiben müssen; das wissen auch Sie, Kollegin von Angern -, weil alles, was wir inhaltlich beschließen, letztlich in irgendeiner Weise vom Geld abhängt. Das ist selbstverständlich. Insofern kann ich Ihnen an dieser Stelle nur versichern, weil die Haushaltsberatungen im Parlament noch nicht begonnen haben, dass wir an dieser Stelle für ausreichende Haushaltsmittel kämpfen, damit wir Schritt für Schritt die beschriebenen Ziele erreichen können.

Der Antrag, der heute beschlossen wird, ist die inhaltliche Richtschnur, um das haushalterisch nachzuvollziehen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den Weg mutiger Frauen, aus bestehenden Machtverhältnissen in ein gewaltfreies Leben auszubrechen, unterstützen, im Interesse dieser Frauen, im Interesse ihrer Kinder und im Interesse der gesamten Bevölkerung. Denn Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Es gibt eine Nachfrage von Herrn Poggenburg. Möchten Sie sie beantworten?

Wenn ich es kann.

Bitte, Herr Poggenburg.

Sehr geehrte Frau Lüddemann, Sie haben jetzt ausgeführt, dass es keine Gewalt geben darf, insbesondere keine Gewalt gegen Frauen und Kinder. Ich muss sagen, ja, zumindest da haben wir einmal die gleiche Meinung. Ich bin zu später Stunde diesbezüglich richtiggehend elektrisiert.

Meine Frage lautet; Wie können Sie sich aber dann politisch dafür einsetzen, dass Traditionen und Kulturen in Deutschland einsickern, bei denen genau das an der Tagesordnung ist? - Bitte geben Sie eine klare Antwort.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Wir schaffen Sie als Männer doch auch nicht ab, obwohl Sie gewalttätig sind! - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

- Frau Lüddemann war gefragt!

Welche gewaltbefördernden Traditionen meinen Sie? Ich verstehe die Frage nicht.

(Zuruf von André Poggenburg, AfD)

- Ich habe das akustisch nicht verstanden.

Bitte benutzen Sie das Mikrofon.

Scharia, Burka, Islam usw.

(Andreas Steppuhn, SPD: Das ist doch eine Religion!)

Frau Lüddemann, wollen Sie darauf antworten?

Ich weiß, dass Sie in jeder Rede versuchen, gerade die Rednerinnen aus dem grünen und dem linken Lager - das sage ich hier einmal ganz bewusst - zu provozieren. Sie wissen genau, dass ich gegen die Scharia bin, dass ich für den Islam bin, solange er sich auf dem Boden des Grundgesetzes dieses Landes bewegt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD, meldet sich zu Wort)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. - Bevor wir in die vereinbarte Fünfminutendebatte einsteigen, gebe ich Frau Keding das Wort. - Einen Moment, Frau Keding. Herr Dr. Tillschneider, haben Sie noch eine Nachfrage?

Eine Intervention. - Also, gegen Scharia und für Islam, das ist ungefähr so, als ob man gegen Vatikan, Papst und Jungfrauengeburt, aber für den Katholizismus ist.

(Zustimmung bei der AfD - Eva von Angern, DIE LINKE: Das habe ich jetzt nicht ver- standen!)

Frau Kollegin Keding.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Frauen, die zu

Hause verprügelt, vergewaltigt, erniedrigt werden, die von Stalkern verfolgt werden, brauchen professionelle Beratung, Betreuung und Unterstützung. Dieser Schutz wird durch insgesamt 20 Frauenhäuser in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt in Sachsen-Anhalt gewährleistet.

In vier Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt in Dessau, Halle, Magdeburg und Stendal finden Mädchen und Frauen individuelle Hilfe, Betreuung und Unterstützung. In vier Interventionsstellen für Opfer von häuslicher Gewalt oder Stalking können sich Männer und Frauen beraten lassen, auch direkt nach einem Polizeieinsatz, nachts oder am Wochenende.

Das Netzwerk für ein Leben ohne Gewalt verbindet diese Stellen mit der Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel und Zwangsverheiratung Vera und der Beratungsstelle für gewaltanwendende Männer ProMann. Zur Arbeit der Opferunterstützungseinrichtungen gehören auch die Begleitung bei juristischen Verfahren, Vernetzung, Kooperations-, Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit.

Im Jahr 2015 suchten insgesamt 6 923 Personen, davon 95,7 % Frauen und Mädchen, diese Hilfestellen auf. Insgesamt wurden 16 950 Beratungen durchgeführt.

Zur Unterstützung dieser Arbeit stehen allein im Landeshaushalt für das Jahr 2016 mehr als 2 Millionen € zur Verfügung. Die Kommunen beteiligen sich mit Mitteln in Höhe von knapp 770 000 € an der Finanzierung. Die Träger erbringen einen finanziellen Eigenanteil in Höhe von insgesamt 650 000 €. Der kommunale Anteil an den Gesamtausgaben variiert von 1,8 bis zu stolzen 58,6 %. Die Träger leisten einen Eigenanteil zwischen 3,7 und 32 %.

Meine Damen und Herren! Die Schutz- und Beratungseinrichtungen des Netzwerkes für ein Leben ohne Gewalt leisten eine wertvolle und zukunftsgewandte Arbeit. Zur Sicherung dieser Arbeit und zum Ausgleich der Tarifsteigerungen möchte ich dem Landtag eine Erhöhung der Landeszuwendungen für die Haushaltsjahre 2017 und 2018 vorschlagen.

Ich begrüße den Antrag der Koalitionsfraktionen ausdrücklich, greift er doch die Feststellungen des Koalitionsvertrages auf und lenkt die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses auf die wichtige lebensverändernde, manchmal vielleicht auch lebensrettende Arbeit der Frauenhäuser in Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Das Justizministerium hat sich unter der Leitung meiner Vorgängerin Frau Prof. Kolb-Janssen hier

bereits seit Jahren intensiv engagiert. So konnte ich im Juni auf der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz einen Antrag mit Empfehlungen für eine qualitative Weiterentwicklung der Frauenhausarbeit vorlegen.