Damit komme ich zu unserem Antrag. Meiner Fraktion ist es ein wichtiges Anliegen, alles dafür zu tun, damit das Kindeswohl in allen Lebenslagen Berücksichtigung findet.
Es gibt nach wie vor entscheidende strukturelle Benachteiligungen, unter anderem von Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen, mit nichtdeutscher Familiensprache oder mit geringen Bildungsressourcen sowie von Kindern mit Behinderung. Deshalb ist es uns ein wichtiges Anliegen, gerade 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention, auf die fehlende Unterstützung für die Umsetzung elementarer Forderungen aufmerksam zu machen. Zu nennen sind hierbei der Grundrechtsstatus von Kinderrechten, die Bildungsgerechtigkeit und der Kampf gegen Kinderarmut.
Gerade das Kinderrecht auf soziale Sicherung wird in Deutschland verletzt, wie jüngst die Studie über Kinderarmut zeigte. Jedes fünfte Kind in Deutschland und fast jedes vierte Kind in Sachsen-Anhalt sind davon betroffen. Diese Zahlen sind zu hoch und, meine Damen und Herren, ein Armutszeugnis für unser reiches Land.
Sehr geehrte Damen und Herren! In Sachen „Kinderrechte ins Grundgesetz“ bewegt sich auf der Bundesebene so langsam einiges. So wurde im Jahr 2016 angeregt, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzuberufen, die sich der Aufgabe einer entsprechenden Grundgesetzänderung stellt. Im Jahr 2017 nahm eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, der die Justiz- und die Familienministerien angehörten, ihre Arbeit auf. Ein Abschlussbericht dieser Arbeitsgruppe liegt seit geraumer Zeit vor.
Ich war erstaunt, als ich mir die teilnehmenden Länder dieser Arbeitsgruppe näher anschaute. 25 Mitglieder hatte diese Arbeitsgruppe: 21 Mitglieder von der Landesebene und vier von der Bundesebene. Von 16 Bundesländern waren 15 vertreten, manche Bundesländer gleich mit mehreren Ressorts. Nun dürfen Sie einmal raten, wer nicht vertreten war.
Ich kann es Ihnen sagen: Sachsen-Anhalt wirkte als einziges Bundesland nicht in dieser Arbeitsgruppe mit.
Aus Sachsen-Anhalt kam auch keine Zuarbeit hinsichtlich der Erfahrungen der Länder zu Inhalt und Auswirkungen ihrer kinderspezifischen Verfassungsbestimmungen. Damit waren wir wieder einmal die Einzigen, die sich nicht positionierten. Das, was sich unsere Landesregierung hiermit erlaubt hat, meine Damen und Herren, nenne ich ein Armutszeugnis.
Nach allem, was ich in meiner Rede darlegte, ist es umso wichtiger, dass wir heute, einen Tag nach dem 30-jährigen Bestehen der UN-Kinderrechtskonvention, ein Zeichen in Sachsen-Anhalt setzen. Deshalb bitte ich Sie, unseren Antrag zu unterstützen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke. - Ich sehe keine Fragen, deswegen können wir jetzt in die verbundene Debatte zu der Großen Anfrage unter a) und dem Antrag unter b) einsteigen. Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Grimm-Benne.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe höchster Priorität. Dabei betone ich jedes Wort. Wir können uns deshalb nicht oft genug mit dieser Aufgabe befassen - so wie auch heute im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu Kinderschutz und Frühen Hilfen in Sachsen-Anhalt.
Wir alle erinnern uns an die tragischen Kinderschutzfälle im Jahr 2006, die zu einer bundesweiten Debatte über den Kinderschutz allgemein geführt haben. Es gab daraus die folgenden drei wesentlichen Erkenntnisse:
Drittens. Kinderschutz ist eine interdisziplinäre und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er ist nicht nur Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, sondern ebenso des Gesundheitswesens - Hebammen, Ärzte, Klinika -, des Bildungsbereiches und - nicht unwichtig - zum Beispiel auch des Vereinswesens wie Feuerwehr und Sport.
In der Konsequenz verabschiedeten alle Länder Kinderschutzgesetze - Sachsen-Anhalt im Jahr 2009. Wesentliche Inhalte dieser Gesetze sind ein
verbindliches Einladewesen zu den Früherkennungsuntersuchungen und der Aufbau von lokalen Kinderschutznetzwerken sowie von Frühen Hilfen zum Beispiel in Form von Familienhebammen.
In Sachsen-Anhalt haben wir darüber hinaus für alle Kitas eine speziell qualifizierte Kinderschutzfachkraft eingeführt.
Auf Bundesebene begann im Jahr 2009 die Aufarbeitung des Missbrauchs von Kindern in der Heimerziehung. Deren Erkenntnisse sind in das 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz eingeflossen.
Entscheidend war, dass dieses Gesetz neben der Säule der Intervention den vorbeugenden aktiven Kinderschutz deutlich gestärkt hat. Seit 2012 sind also in Sachsen-Anhalt, wie in allen anderen Ländern auch, die Netzwerke Frühe Hilfen sowie die Hilfen für Risikofamilien nach dem Bundeskinderschutzgesetz etabliert worden.
Nach diesem Aufbauprozess fragte die Fraktion DIE LINKE. Natürlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, gab es unterschiedliche Herangehensweisen, unterschiedliche Geschwindigkeiten und teilweise auch unterschiedliche Personalkapazitäten in den Kreisen. Wichtig ist aber, dass es den Kommunen gelungen ist, die relevanten Netzwerkpartner einzubinden und die Zusammenarbeit, die nach deren eigener Einschätzung grundsätzlich gut ist, zu etablieren. Mit niedergelassenen Ärzten ist sie hingehen noch ausbaufähig und in einigen Landkreisen ist sie auch in Richtung der Schulen noch weiter zu qualifizieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Dieser Rückblick auf die Einrichtung der Netzwerke und auf die Defizite, die eventuell sichtbar wurden, sowie eine ausführliche Erkundung verschiedener Istzustände kennzeichnen einen Teil der Fragen der Fraktion DIE LINKE. Ich bin der Auffassung, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit allein uns nicht weiterbringt. Wir sollten den Blick weiten, interdisziplinär ausrichten und auf die unterschiedlichen Lebensorte der Kinder und Jugendlichen richten.
Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung hat in den letzten Jahren wirklich einiges umgesetzt, was sich sehen lassen kann. Dies gilt zum Beispiel auch für den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt, den wir ausgebaut haben. Nicht dass die Landesregierung dafür den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs gebraucht hätte, aber seine Initiativen und Gespräche, zum Beispiel mit mir und dem Bildungsministerium, haben uns sicherlich in unserem Vorhaben bestärkt. In diesem Zusammenhang ist auch Herr Prof. Voß von der Fachhochschule Merseburg zu nennen, der
So gibt es seit einiger Zeit erstmals ein von meinem Haus gefördertes Therapieangebot der Charité in Berlin für pädophil veranlagte Männer. Für den Haushaltsplan 2020/2021 ist vorgesehen, ein weiteres Projekt der Charité zur Prävention für jugendliche Täter zu fördern.
Wir sagen, Opferschutz ist es gleichermaßen, Kinder in ihrer Persönlichkeit zu stärken. Auch in diesem Bereich ist mein Haus in enger Kooperation mit dem Bildungsministerium aktiv geworden. So bieten wir in Kitas und Schulen kindgerechte Theaterstücke zu Missbrauchsgefahren an und wollen diese auch möglichst dauerhaft fortsetzen. Stücke wie „Die große Nein-Tonne“ oder „Mein Körper gehört mir!“ sollen Mädchen und Jungen zeigen, wie sie sich in und nach einer möglichen Gefährdungssituation adäquat verhalten bzw. zur Wehr setzen können, und sie über ihre Rechte aufklären.
Meine Damen und Herren Abgeordnete! Kinderschutz soll dort stattfinden, wo Kinder und Jugendliche einem besonders hohen Machtgefälle ausgesetzt sind. Das ist ein weiteres Handlungsfeld. Das betrifft zum Beispiel Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe. Auch dort sollen Schutzkonzepte für die strukturell besonders gefährdeten Jugendlichen etabliert werden. Hierzu soll im Rahmen eines Projekts eine Ombudsstelle eingerichtet werden, die Einrichtungen dabei hilft, gute und vor allem wirksame Beteiligungs- und Schutzkonzepte aufzubauen.
Dennoch haben wir seit der Einführung der Statistik im Jahr 2012 eine steigende Anzahl an Verdachtsmeldungen auf Kindeswohlgefährdungen nach § 8a SBG VIII, und zwar bundesweit. In Sachsen-Anhalt lag im Jahr 2012 die Zahl der Verdachtsfälle mit 2 315 Verfahren im Bundesvergleich auf einem relativ niedrigen Niveau. Über die Jahre hinweg lag sie bei 2 004 bis 2 700 Fällen. Aber von 2016 auf 2017 stieg sie auf einmal von 2 557 auf 3 467 Fälle, das heißt um mehr als ein Drittel. Sie haben das vorhin auch erwähnt. Im Jahr 2018 sank diese Zahl auf 3 235 Fälle.
Wir nehmen diese Entwicklung ernst, sind aber bezüglich der Frage, warum in Sachsen-Anhalt dieser Anstieg zu verzeichnen war, mit der Analyse noch nicht fertig. Natürlich ist beim Thema Kinderschutz in jüngster Vergangenheit eine deutlich gestiegene gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung zu beobachten, die auch die Zahl der Anzeigen von Kindewohlgefährdungen beeinflusst. So
steigt die Zahl der Anzeigen und damit auch die Zahl der festgestellten akuten und latenten Kindeswohlgefährdungen. Gleichwohl steigt auch die Zahl der Fälle, in denen im Verfahren keine Kindeswohlgefährdungen festgestellt werden.
Die Fraktion DIE LINKE hat die Zunahme der Fallzahlen bei den Hilfen zur Erziehung zum Anlass genommen, in der Großen Anfrage umfängliche Fragen zur Personalausstattung der Jugendämter zu stellen. Wir haben das auf der Basis der Zuarbeit der Landkreise und kreisfreien Städte nach Möglichkeit beantwortet. Grundsätzlich gilt - das möchte ich an dieser Stelle betonen -, dass die Jugendämter für diese Aufgaben der Jugendhilfe nach dem Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz eine angemessene Personalausstattung vorzuhalten haben.
Natürlich ist uns bekannt, dass sich auch in diesem Bereich der Fachkräftemangel bemerkbar macht. Mein Haus hat deshalb - Sie haben es schon angesprochen - zusammen mit dem Landesjugendamt noch für den Dezember eine Fachveranstaltung angesetzt, die diesen Fragen gewidmet ist. Denn es besteht ganz klar Handlungsbedarf, und zwar gemeinsam mit den Kommunen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch ein Thema der Großen Anfrage ansprechen, und zwar das Landeskinderschutzgesetz und seine seit seinem Bestehen entfalteten Wirkungen. Konkrete Aussagen werden aus der Evaluierung des Kinderschutzgesetzes erwartet.
Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich die Aussage treffen, dass sich die Netzwerke Kinderschutz in den Landkreisen und kreisfreien Städten gut entwickeln können. Kommunale Konzepte zum Kinderschutz und zu den Frühen Hilfen wurden erarbeitet. Wir als Gesellschaft stärken unsere Kinder und Jugendlichen aber auch dadurch, dass wir ihre Rechte ernst nehmen und sie bei Entscheidungsprozessen, die Kinder in besonderem Maße betreffen, beteiligen.
Der Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen hat wiederholt und aktuell in seiner Stellungnahme zum Fünften und Sechsten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland empfohlen, die Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen. Im Koalitionsvertrag auf der Bundesebene bekennen sich die regierungstragenden Parteien ausdrücklich zur Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz und damit zur Schaffung eines Kindergrundrechts. Über die Ausgestaltung sollen der Bund und die Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.
Wir reden hierbei über eine Angelegenheit des Bundes, an der die Länder beteiligt sind. Die besagte Arbeitsgruppe mit Vertretern verschiedener
Bundesministerien und mit Ländervertretern hat ihre Arbeit im Oktober beendet und bereits Anfang November 2019 einen Abschlussberichts vorgelegt, der Vorschläge sowohl zur Verortung der Kinderrechte im Grundgesetz als auch zu den Regelungsinhalten enthält.
Der vorliegende Antrag kommt also, was die inhaltlichen Vorschläge für die Aufnahme in das Grundgesetz betrifft, etwas zu spät,
Die Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder hat bereits in ihrer Sitzung am 16. und 17. Mai 2019 einen einstimmigen Beschluss zur ausdrücklichen Normierung der Kinderrechte im Grundgesetz gefasst. In diesen Beschluss sind Regelungsziele aufgenommen worden, die den Forderungen im vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE entsprechen und diese erweitern.
Die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sind nun durch die Bundesregierung zu prüfen. Zu erwarten ist ein entsprechender Gesetzentwurf des zuständigen Bundesministeriums. Die Länder werden sich entsprechend der Regelung im Grundgesetz über den Bundesrat beteiligen. Ich jedenfalls wäre glücklich, wenn wir endlich die Kinderrechte im Grundgesetz verankern könnten.
Sie haben es vorhin deutlich gemacht und es ist richtig, dass Sachsen-Anhalt in dem Bericht der Bund-Länder-AG nicht erwähnt wird. Die Regelungen, die wir zu diesem Thema in unsere Landesverfassung aufgenommen haben, werden sehr wohl im Länderbericht erwähnt. Diese sind im Bericht enthalten. Es ist also nicht so, dass wir uns gar nicht dazu verhalten haben.
Ich kann Ihnen Folgendes versichern: Der Kinderbeauftragte der Landesregierung war persönlich bei mir und hat sich bei mir entschuldigt, dass er - in Anführungsstrichen - bei der Tagung nicht mitbekommen hat, dass er noch einmal gesondert einen Bericht abzugeben hatte. Er hat an der Sondersitzung der Bund-Länder-AG in Berlin im Jahr 2019 teilgenommen. In dieser Sitzung wurde über noch strittige Fragen hinsichtlich der Verortung der Kinderrechte im Grundgesetz, über den Regelungsinhalt sowie über Kompromisslinien diskutiert. Ihm war nicht bekannt, dass die Länderberichte in den Abschlussbericht einzuarbeiten waren. Er hat sich entschuldigt, dass er das nicht gemacht hat. Es steht also nicht im Bericht, aber ich stelle mich vor den Mitarbeiter; denn er hat keine Sitzung dieser Arbeitsgruppe versäumt.