Protokoll der Sitzung vom 29.09.2016

Als Einbringerin hat für die Antragsteller Frau Gorr das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen wurde einmütig formuliert und spiegelt die Inhalte des Koalitionsvertrages fast wörtlich wider. Ich möchte aber gern betonen, dass es ein besonderes Anliegen der CDU Sachsen-Anhalts schon während der Koalitionsverhandlungen und dann der CDU-Landtagsfraktion zu Beginn der Legislaturperiode war, den Status der Förderschulen im Gefüge der gesamten Struktur unseres Schulwesens zu überprüfen und neu zu justieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Entwicklung um das Landesbildungszentrum für Körperbehinderte in Halle zeigt, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Die Formulierung eines Konzeptes käme in diesem Falle schon zu spät. Vor Ort muss es in diesem Fall und auch in den anderen uns zur Kenntnis gebrachten Fällen kurzfristige Lösungen für die Kinder, ihre Eltern und die Beschäftigten an Förderschulen geben, damit der Unterricht und die Betreuung gesichert werden können.

Dazu zähle ich die Absicherung mit medizinisch ausgebildetem Personal, die dringend erforderlich ist. Es kann nicht sein, dass Eltern durch kurzfristige Personalmaßnahmen in eine unhaltbare Situation gebracht werden und ihre Kinder unter Umständen zu Hause betreuen müssen, insbesondere wenn sie berufstätig sind.

Aus genau diesem Grund soll der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration in die Konzepterstellung einbezogen werden; denn einige Lösungsansätze werden sicherlich in diesem Ausschuss mit beraten werden können.

Die gesamte Lage unserer Förderschulen muss genauestens analysiert und inhaltlich neu bestimmt werden. Unser Antrag weist in die richtige Richtung, indem er die Bedeutung der Förderschulen unterstreicht, ohne den Ansatz einer inklusiven Beschulung infrage zu stellen. Dies wird auch durch unsere Begründung deutlich.

Nach meiner Auffassung auch als behindertenpolitische Sprecherin tun wir unseren Kindern und

ihren Eltern keinen Gefallen, wenn wir auf Förderschulen gänzlich verzichten. Im Hinblick darauf hat es im Land Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren schon etwas Bewegung gegeben.

Selbstverständlich hat jedes Kind aber im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention das Recht auf Teilhabe an Bildung. Ich kenne sehr viele Fälle, in denen das bereits problemlos gelingt. Ich verweise nur auf das langsame Aufwachsen der Zahl von Kindern in integrativen Kindereinrichtungen, in denen uns allen dieser Prozess vorgelebt wird.

Aber, wie Herr Aldag und andere Kollegen bereits feststellten, wir haben im Land Sachsen-Anhalt an vielen Schulen eine dramatische Personalsituation. Gerade jetzt eskaliert die Versorgung mit pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter anderem an Förderschulen - wir haben schon darüber gesprochen -, obwohl klar ist, dass an vielen Förderschulen und anderen Schulen eine Verbesserung der Situation eingetreten ist. Wir wollen nämlich nicht nur die eine Seite beleuchten, sondern auch die andere.

Nichtsdestotrotz bleibt die große Frage: Mit welchem nicht vorhandenen Personal wollen wir an jeder Schule Inklusion von oben durchsetzen? - Wir haben uns in zahlreichen Diskussionsrunden gegenseitig versichert, dass dies nur mit zusätzlichen Personal- und Sachmitteln möglich ist. Daran möchte ich noch einmal erinnern.

Dies muss vor allen Dingen in den Blick genommen werden, wenn Inklusion sozusagen als Allheilheilmittel angesehen werden soll, aber so ist es ja bei uns nicht. Vielmehr soll sie der Teilhabe dienen.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, wie wichtig es zum Teil für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf für den Erfolg ihres Schulbesuches ist, wenn sie den Abschluss an einer Förderschule und mithilfe einer Förderschule absolvieren können. Es ist für viele Kinder eine bessere Situation, als wenn sie den Abschluss an einer Regelschule machen müssen.

Ich denke, wir haben in Sachsen-Anhalt in den letzten Monaten festgestellt, dass wir gute Beispiele vorzuweisen haben. Der Ministerpräsident war letztens in Wernigerode an einer Förderschule und konnte feststellen, wie viele junge Leute dort einen guten Abschluss machen und gleich in berufliche Ausbildungsplätze vermittelt werden konnten.

Meiner persönlichen Wahrnehmung nach läuft derzeit aber insgesamt in dem Bereich Inklusion und Förderschulen einiges noch nicht so rund, wie wir uns das wünschen. Dieses liegt zum Teil an den Versäumnissen in der Vergangenheit, wo wir auf dem Auge ein bisschen kurzsichtig

waren. Ich denke, das muss man auch einmal sagen.

(Zustimmung von Birke Bull, DIE LINKE, und von Doreen Hildebrandt, DIE LINKE)

Deswegen soll ein Konzept, wie wir es vorsehen, die Grundlage für eine funktionierende und stabile Struktur unserer Förderschulen bilden - neben dem Ansinnen der Inklusion. Wir wollen dabei mit Vertretern der Schulen - so steht es in unserem Antrag -, der Schulträger, des Landeselternrates, des Landesschülerrates, des Verbandes der Sonderpädagogik, den Schulleitungsverbänden, aber auch mit der notwendigen wissenschaftlichen Expertise an die Sache herangehen.

Wir als Parlamentarier behalten uns eine gewisse Einflussnahme auf die Inhalte des Konzeptes vor; denn es soll zukunftsfähig und langfristig tragfähig sein. Das neue Bildungsministerium hat schon signalisiert, dass es bis Mitte des kommenden Jahres ein solches Konzept vorzulegen in der Lage ist. Ich denke, das ist ein sehr gutes und wichtiges Signal.

Ich freue mich auf die Erarbeitung der Konzeption und möchte an dieser Stelle ausdrücklich auf Punkt 3 unseres Antrages hinweisen, dass bis dahin, also bis zur Erstellung oder bis zur Inkraftsetzung des Konzeptes, der Vollzug der Maßnahmen der Schulentwicklungsplanung befristet ausgesetzt wird, sofern unzumutbare Schulwege entstehen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir den umfassenden Ansatz unseres Antrages durch eine engagierte und konstruktive Beteiligung in den Ausschüssen unterstreichen würden.

Ich wäre jetzt mit meiner Einbringungsrede schon am Ende. Damit haben meine Kolleginnen und Kollegen aus den beiden Koalitionsfraktionen die Möglichkeit, sich hierzu umfangreich zu äußern. Ich würde am Ende zum Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE noch einmal das Wort ergreifen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Herzlichen Dank. Ich muss jetzt nachfragen, Frau Gorr. Gibt es eine Verabredung, die gemeinsame Einbringung durch alle drei Fraktionen aufzuteilen?

Dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass der Verzicht Ihrerseits die anderen nicht in die Lage versetzt, länger zu reden.

Es ging um das Inhaltliche.

Sie reden also nicht länger, sondern sie kommen schneller dran. Dann sind wir uns einig. Das ist wohl wahr. Aber bevor das passiert, frage ich die Landesregierung - - Die Landesregierung steht in Form des Ministers bereits auf. Der Kollege Tullner hat, wenn er das will, jetzt das Wort.

Herr Präsident, ich konnte Ihrem charmanten Werben nicht widerstehen und stehe jetzt hier vorn und würde mir erlauben, einen Redebeitrag zu halten.

Wir haben es - das klang heute Morgen schon an - auch bei anderen Debatten schon öfter erlebt, dass wir Probleme im Bildungsbereich miteinander entdecken, diskutieren und um Lösungen ringen. Diese sind manchmal nicht immer plötzlich entstanden, aber manche Wahrnehmung ist gelegentlich etwas schlaglichtartig.

Ich beklage mich ausdrücklich nicht über diese Wahrnehmungen, weil sie uns helfen, a) die Realitäten in den Blick zu nehmen und b) darum zu ringen, die bestmögliche Bildung im Land Sachsen-Anhalt zu organisieren. Das eint uns, glaube ich, alle. - So viel zu meiner versöhnlichen Vorrede.

Wenn ich dies so sage, dann habe ich mich bemüht, auch etwas dabei zu denken, und will jetzt in die Kurve einschwenken, in der ich sage, ich freue mich, dass es einen Antrag der Koalitionsfraktionen gibt, der die Themen proaktiv aufgreift, einen Antrag, der nicht auf ganz akuten Problemlagen beruht, sondern eine Entwicklung in den Blick nimmt, die uns alle auf der einen Seite, glaube ich, eint, aber auf der anderen Seite gleich wieder auseinanderdifferenziert. Er greift die Frage auf: Wie gehen wir mit dem hehren Anspruch um, Inklusion im Land Sachsen-Anhalt zu organisieren, dies mit den personellen und sächlichen Rahmenbedingungen, die wir haben, abzugleichen und daraus den Anspruch auf eine gute Schule abzuleiten?

Das ist ein Vorhaben, das man gelegentlich auch als Quadratur des Kreises bezeichnen könnte, wenn man polemisch unterwegs ist. Das bin ich ausdrücklich nicht; das bin ich auch sonst nicht. Ich würde mir an dieser Stelle wünschen, dass wir uns dem Thema sachlich nähern. Wenn uns das Thema Inklusion - abgeleitet von der UN-Behindertenrechtskonvention und anderen Dingen - eint, dann sind wir doch zugleich mit der Frage konfrontiert: Was ist eigentlich das Beste für das konkrete Kind, das wir vor Augen haben?

Es gibt tolle Beispiele. Ich durfte mir neulich in der Saaleschule, die einen Inklusionspreis bekommen hat, davon ein Bild machen. Ich hatte mit Müttern einer Selbsthilfegruppe von Autisten ein Gespräch, bei dem mir eine Mutter sehr eindringlich berichtet hat, was es heißt, inklusiv auf dem Gymnasium ein Kind zu begleiten, auch gegen Widerstände und Skepsis in den Schulen.

Daneben gibt es Rückmeldungen, dass Kinder aus behüteten Atmosphären von Förderschulen in ein System von Schule gesetzt werden, in dem sie nicht klarkommen, in dem sie überfordert sind, und man mit dem Anspruch, Inklusion zu leben, in der Realität nicht dort ankommt, wo wir alle hinwollen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns diesem Thema ein bisschen grundlegend nähern. Auf der einen Seite wollen wir die Förderschulen im Land erhalten. Dies hat etwas mit der Schulnetzplanung zu tun, also mit den ganzen Themen, die uns die Demografie aufgibt. Auf der anderen Seite wollen wir zugleich dem Anspruch der Inklusion gerecht werden.

Der Elternwille ist ein wichtiges Thema und vor allem auch der individuelle Bildungserfolg der einzelnen Kinder, der uns alle umtreibt, dass wir möglichst viele Kinder zu möglichst guten Schulabschlüssen führen, um sie zu befähigen, im Leben voranzukommen.

Deswegen müssen wir dabei ganz viele Dinge beachten. Wir müssen, glaube ich, die regionalen Perspektiven der Schulwegplanung stark in den Blick nehmen. Wir müssen uns zudem das unterschiedliche Anwahlverhalten in den einzelnen Förderschwerpunkten angucken. Wir haben an dieser Stelle einen erheblichen Diskussionsbedarf.

Ich bin den Koalitionsfraktionen dankbar, dass sie diesen Antrag gestellt haben und freue mich besonders über die Diskussion, die wir im Ausschuss dazu führen können, und liege jetzt mit 40 Sekunden noch im Zeitplan. - Vielen Dank.

Ich sehe keine Wortmeldungen. Insofern könnten - - Herr Tullner, Sie haben noch ein Problem?

Eine Frage, dachte ich.

Vizepräsident Wulf Gallert

Sie haben noch eine Frage?

Nein, ich dachte, es gibt eine Frage. Einfach so.

Herr Tullner, ich muss Sie enttäuschen. Niemand wollte etwas von Ihnen wissen. Punkt. - Dann können wir in die Debatte der Fraktionen eintreten. Als Erster spricht dazu der Vertreter der AfD-Fraktion, der Abg. Herr Dr. Tillschneider. Bitte sehr.

Jetzt werde ich das zweite Mal ermahnt. Herr Dr. Tillschneider, warten Sie bitte kurz. Wir begrüßen ganz herzlich in unserer Mitte die Damen und Herren der Selbsthilfegruppe Parkinson aus dem Landkreis Harz. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Tillschneider, jetzt haben Sie das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Konzept zur zukünftigen Gestaltung von Förderschulen“ - ginge es nur nach dem Titel des vorliegenden Antrages, könnte man denken, hier werde ein klares Bekenntnis zu den Förderschulen abgelegt, und das wäre in der Tat sehr zu begrüßen.

Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass der Schein trügt. Sie schreiben zwar: „Förderschulen werden auch weiterhin ein fester und wichtiger Bestandteil unseres Schulsystems sein“, jedoch erklären sie im selben Atemzug, dass Sie die Inklusionsquote stetig erhöhen wollen. Sie sehen es gern, dass behinderte Kinder mehr und mehr an normalen Schulen unterrichtet werden, und Sie nehmen in Kauf, dass dadurch die Förderschulen an die Grenzen ihrer Bestandsfähigkeit geraten.

Außerdem wollen Sie, dass Förderschullehrer, anders als bislang, künftig auch an Regelschulen eingesetzt werden können. Ich frage mich, wie kann man einerseits die Förderschulen erhalten wollen, wenn man andererseits erklärt, die Inklusionsquote steigern zu wollen, wenn man Eltern ermuntert, ihre behinderten Kinder an Regelschulen zu schicken und wenn man den Lehrern an Förderschulen den Weg in die Regelschule öffnet.