Außerdem wollen Sie, dass Förderschullehrer, anders als bislang, künftig auch an Regelschulen eingesetzt werden können. Ich frage mich, wie kann man einerseits die Förderschulen erhalten wollen, wenn man andererseits erklärt, die Inklusionsquote steigern zu wollen, wenn man Eltern ermuntert, ihre behinderten Kinder an Regelschulen zu schicken und wenn man den Lehrern an Förderschulen den Weg in die Regelschule öffnet.
Die Wahrheit ist: Sie wollen die Förderschulen zwar nicht von heute auf morgen abschaffen, es geht Ihnen aber ganz klar darum, das Förderschulwesen zu schleifen, um es langfristig in einem inklusiven Schulwesen aufgehen zu lassen. Nichts anderes ist die Stoßrichtung Ihres Antrages.
Genau diesem Ansinnen erteilen wir eine klare Absage. Die AfD-Fraktion bekennt sich zu Erhalt und Ausbau des Förderschulwesens und spricht
Einzig und allein die Förderschulen können gewährleisten, dass behinderte Kinder optimal betreut werden. Nur an Förderschulen kümmern sich speziell dafür ausgebildete Sonderschulpädagogen, abgestimmt auf die unterschiedlichen individuellen Behinderungen, die ganze Unterrichtszeit um die Kinder. Förderschulen sind nüchtern und objektiv betrachtet das Beste, was wir für behinderte Kinder tun können.
Da die Förderschule aber mit dem Stigma behaftet ist, noch unter der Hauptschule die schlechteste Schulform zu sein, denken Eltern, sie würden ihrem behinderten Kind etwas Gutes tun, wenn sie dafür sorgen, dass es an einer normalen Schule unterrichtet wird.
Inklusion verspricht ihnen, die Behinderung ihres Kindes zum Verschwinden zu bringen. Ein ebenso verführerisches wie trügerisches Heilsversprechen. Hier täte Aufklärung Not.
Anstatt die Hoffnungen der Eltern behinderter Kinder für das Gesellschaftsexperiment Inklusion auszunutzen, sollten wir den Eltern verdeutlichen, dass eine gute Förderschule das Beste für ihr Kind ist und dass keine Politik dieser Welt die Behinderung ihres Kindes heilen kann. Die Gesellschaft ist in der Pflicht, Behinderten das Leben so leicht wie möglich zu machen. Die AfD-Fraktion bekennt sich zur Solidarität mit Behinderten. Genau deshalb sind wir dagegen, sie in Schulen für Normalbegabte zu stecken.
Von Inklusion profitiert niemand. Die behinderten Kinder, die statt von geschulten Sonderpädagogen von Lehrern unterrichtet werden, die dafür nicht ansatzweise ausgebildet sind, profitieren nicht. Die normal begabten Kinder profitieren auch nicht, denn die behinderten Kinder werden den Unterricht aufhalten und dafür sorgen, dass das Niveau sinkt.
Die Sonderschulpädagogen, die nun von Klasse zu Klasse und von Schule zu Schule pendeln, um zwischen Tür und Angel den dort verteilten behinderten Kindern ein paar Betreuungsstunden zu verabreichen, profitieren von dieser Situation ebenso nicht.
Und die normalen Lehrer, die versuchen müssen, trotz allem noch einen halbwegs geregelten Unterrichtsablauf aufrechtzuerhalten, werden überfordert.
Weshalb das Ganze? Ist das Ganze ein ideologischer Selbstläufer? Oder verbirgt sich hinter dem Inklusionszirkus vielleicht doch eine neoliberale Agenda, wie der Professor für Linguistik Clemens Knobloch vermutet? - Knobloch argumentiert in etwa so: Inklusion soll einmal die Förderschule überflüssig machen und ermöglicht so dem Staat, sich einer kostspieligen Aufgabe zu entledigen. Sodann trägt Inklusion dazu bei, dass sich der Ruf des öffentlichen Schulwesens weiter verschlechtert.
Während die Eltern behinderter Kinder verlockt werden, ihr Kind in eine Regelschule zu schicken und dadurch den Inklusionsprozess voranzutreiben, werden all diejenigen Eltern normal begabter Kinder, die sich das leisten können, ihre Kinder aus der staatlichen Schule nehmen und auf Privatschulen schicken. Am Ende steht ein gründlich ruiniertes öffentliches Schulwesen. Wahrlich eine Schule für alle, und zwar für alle, die sich nichts Besseres leisten sollen.
Ich halte das für durchaus plausibel; aber auch falls entscheidende Akteure keine solche Absicht mit der Inklusion verbinden sollten, gilt: Die Auswirkungen von Inklusion sind allseitig destruktiv. Was wir brauchen, ist kein Förderschulkonzept, das sich halbherzig zu den Förderschulen bekennt, im Übrigen aber erklärt, die Inklusion vorantreiben zu wollen. Was wir brauchen, ist ein ebenso gut ausfinanziertes wie ausdifferenziertes mehrgliedriges Schulwesen mit starken Förderschulen für alle, die besondere Förderung benötigen.
Ihr Antrag weist in eine andere Richtung und deshalb lehnen wir den Antrag der Koalitionsfraktionen ab. Den Antrag der LINKEN lehnen wir sowieso ab; denn er geht komplett in die falsche Richtung.
Herr Tillschneider, Frau Hohmann hat eine Intervention bzw. eine Frage. - Frau Hohmann, Sie haben das Wort.
Ich habe das Glück gehabt, dass ich in der letzten Legislaturperiode mit dem Bildungsausschuss eine Delegationsreise nach Südtirol machen konnte. Und in Südtirol gibt es nicht eine einzige Förderschule. - Fakt eins.
Zweitens. Als die PISA-Ergebnisse veröffentlicht worden sind, waren die Ergebnisse in Südtirol im oberen Drittel, während wir weiter hinten waren. Wie erklären Sie sich, dass es dort, in einem anderen Land, wo es keine Förderschulen gibt, höhere Bildungsergebnisse gab als in Deutschland mit Förderschulen? Denn nach Ihrer Rede heißt es, wir müssen die Schülerinnen und Schüler sortieren, sonst haben wir keine vernünftigen Ergebnisse. Dazu würde ich gern Ihre Erklärung wissen.
Wissen Sie, was soll man dazu sagen? Südtirol ist nicht Sachsen-Anhalt. Wenn Sie Einzelbeispiele herausgreifen, können Sie alles begründen, weil es für alles irgendwo auf der Welt ein Beispiel gibt, wo etwas funktioniert.
Das ist offensichtlich die Antwort von Herrn Tillschneider auf die Frage von Frau Hohmann gewesen. - Gibt es noch weitere Wortmeldungen? - Die haben wir nicht. Soweit ich sehe, können wir in der Diskussion fortfahren. Als Nächste hat Frau Prof. Kolb-Janssen für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die AfD erwartet von der Regierungskoalition ein klares Bekenntnis zu den Förderschulen. Sie verkennt dabei, dass in Deutschland seit 2009 das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Kraft ist. Ich zitiere aus Artikel 24 dieser Konvention. In Absatz 1 heißt es:
„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleis
ten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen […]“
„Bei der Verwirklichung dieses Rechtes stellen die Vertragsstaaten sicher, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht und vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden.“
Ich zitiere das hier so ausführlich, weil es offensichtlich in diesem Hohen Hause eine Fraktion gibt, die bestehende Gesetze gern ändern möchte oder sie jedenfalls nicht ihren Ausführungen zugrunde liegt, und weil es mir wichtig ist, um hier in diesem Hohen Hause die Tragweite dieses Anspruches auf Inklusion auch im Hinblick auf den Weg, auf den wir uns gemacht haben, deutlich zu machen.
Inklusion bedeutet für mich, bedeutet für die SPDFraktion, aber auch für die anderen Regierungsfraktionen den konstruktiven und ausgewogenen Umgang mit Vielfalt, Unterschiedlichkeit und - das ist der entscheidende Punkt - die Ermöglichung einer uneingeschränkten Teilhabe. Inklusion ist also eine Frage von Rechten und nicht von Chancen oder Grenzen.
Ja, wir wissen auch, der Weg, auf den wir uns gemacht haben, ist nicht leicht. Wir werden das nicht von heute auf morgen umsetzen, aber mit unserem Antrag wollen wir ganz bewusst einen deutlichen Schritt in Richtung Schulstrukturen, Schulorganisation gehen, die auf diesem Weg schrittweise angepasst werden muss. Wir müssen auf diesem Weg auch diejenigen mitnehmen, die es unmittelbar betrifft, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und auch Schülerinnen und Schüler. Auch hier müssen wir sensibilisieren und für die neuen Methoden werben.
Viele Pädagoginnen und Pädagogen in SachsenAnhalt haben sich bereits auf diesen Weg gemacht. Es gibt entsprechende Weiterbildungen, die auch gut angenommen werden, und wir unternehmen Anstrengungen, um die Schulgebäude barrierefrei zu gestalten.
Ein Stück des Weges ist bereits zurückgelegt. Seit 2012 gibt es den gemeinsamen Unterricht, seit 2013 ein entsprechendes Landeskonzept mit dem Schwerpunkt der pädagogischen Diagnostik und dem Inklusionspool seit dem letzten Schuljahr. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bei den Lehrerinnen und Lehrern für ihr
Wir haben das Elternwahlrecht und wir können für Sachsen-Anhalt feststellen - Sachsen-Anhalt ist im Hinblick auf die Inklusionsquote bundesweit nicht unbedingt Vorreiter, um es einmal freundlich zu formulieren -, dass die Quote der Schülerinnen und Schüler, die im gemeinsamen Unterricht lernen, gestiegen ist. 2011/2012 waren es 21 %, im letzten Schuljahr bereits 34 %. Die Zahl zeigt mir deutlich, dass wir wirklich auf einem guten Weg sind.
Das heißt aber auch, dass die Schüler, die im gemeinsamen Unterricht sind, nicht mehr in den Förderschulen unterrichtet werden. Das heißt, dort sind Kapazitäten frei geworden. Natürlich müssen wir über Standorte sprechen, wir müssen über die Neuverteilung der Aufgaben und über Schwerpunkte sprechen.
Ich freue mich, dass sich Herr Bildungsminister Tullner, der im Moment gerade nicht im Plenarsaal ist, auch über den Antrag gefreut hat und diese Aufgabe annimmt. Wir haben das im Koalitionsvertrag so vorgesehen.
Ich denke, wir können auch die Anregungen der LINKEN, was die konkreten Inhalte des Konzeptes betrifft, in die Beratungen einbeziehen. Natürlich werden wir uns mit Inhalten, Weiterbildung und der entsprechenden Ausstattung mit Fachkräften im Ausschuss auseinandersetzen. - Vielen Dank.
Frau Prof. Kolb-Janssen, ich habe noch eine Frage; nicht ich habe eine Frage, sondern ich habe eine Wortmeldung, die auf eine Frage gerichtet ist. Diese kommt von Herrn Schmidt, der nunmehr das Wort hat.