Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich noch anmerken, dass der im Antrag dargestellte Anstieg der Überschuldungssituation von Frauen, Alleinerziehenden und älteren Menschen, der den Erhebungen der Wirtschaftsauskunftsunternehmen

entnommen wurde, aus den statistischen Angaben der Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt nicht bestätigt werden kann.

(Zustimmung von Guido Heuer, CDU - Oli- ver Kirchner, AfD: Aha!)

Der Anteil der Schuldnerinnen und Schuldner über 60 Jahre, die in den Insolvenzberatungsstellen Unterstützung suchen, liegt in den letzten 15 Jahren immer zwischen 6 % und 10 %. Auch der Anteil der Alleinerziehenden beträgt konstant zwischen 22 % und 24 %, und auch der Anteil der Schuldnerinnen liegt seit Jahren gleichbleibend bei ca. 47 %. Hier sind also andere Daten zugrunde zu legen.

Zu der im Antrag angesprochenen Verkürzung der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens von derzeit sechs auf drei Jahre kann ich darauf verweisen, dass die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz bereits in einer Pressemitteilung vom 7. November 2019 mitgeteilt hat, dass sie im Zuge der Umsetzung der europäischen Restrukturierungs- und Insolvenzrichtlinie plant, die Regulierdauer des Restschuldbefreiungsverfahrens von derzeit sechs auf drei Jahre zu verkürzen. Mit dieser Verkürzung - das haben Sie auch schon gesagt - wird den Schuldnerinnen und Schuldnern ein schnellerer Neustart ermöglicht. Wir werden die Pläne der Bundesjustizministerin im Bundesratsverfahren unterstützen.

Nun, meine Damen und Herren Abgeordnete, zur Finanzierung der Verbraucherinsolvenzberatung in Sachsen-Anhalt. Ich möchte betonen, dass wir die Arbeit der Träger und insbesondere der Beratungsfachkräfte nicht nur schätzen, sondern wir wissen auch, dass in diesen Beratungsstellen diejenigen, die Rat suchen, gut aufgehoben sind.

Die Auseinandersetzungen mit den Schuldnerinnen und Schuldnern sowie den Gläubigern sind nicht einfach. Zunehmend haben die Betroffenen nicht nur Überschuldungsprobleme; Sie haben das bereits angesprochen.

Aber mit der Novelle der Ausführungsverordnung zur Insolvenzordnung zum 1. Januar 2019 haben wir mit allen Akteuren, die daran beteiligt sind, vereinbart, die Finanzierungsregeln an die geänderten Aufgaben der Beratungsstellen und die Kostenerhöhungen anzupassen, den Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten, höhere Beratungsleistungen stärker zu vergüten und überplanmäßige Ausgaben für den Landeshaushalt zu verhindern.

Zur Kürzung der Haushaltsmittel haben wir im Sozialausschuss schon berichtet. Der ursprüngliche Haushaltsansatz beinhaltete die maximal erforderliche Erstattungssumme, die notwendig wäre, wenn alle anerkannten Beratungsfachkräfte zu 100 % Insolvenzberatung machen würden, also gar keine soziale Schuldnerberatung.

Da sich Ende des letzten Jahres gezeigt hat, dass dies nicht der Fall ist, haben wir im Sinne der Haushaltsklarheit und aus Fairness gegenüber anderen Finanzierungsbedarfen eine Anpassung des Budgets vorgenommen. Mit der Finanzierung durch das Land ist dennoch sichergestellt, dass allen Betroffenen in Sachsen-Anhalt Zugang zu einer kostenfreien Verbraucherinsolvenzberatung ermöglicht wird.

Deshalb bitte ich, weil wir es erst zum 1. Januar 2019 umgesetzt haben, die Ergebnisse der in der Verordnung vorgesehenen Evaluierung abzuwarten, bevor wir möglicherweise erforderliche Nach

justierung vornehmen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich danke der Frau Ministerin für die Stellungnahme der Landesregierung. Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abg. Herr Krull. - Herr Krull, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Mitglieder des Hohen Hauses! Mitte November titelte die „Magdeburger Volksstimme“: Etwas weniger Sachsen-Anhalter sind überschuldet. - Basis dieser Meldung waren die Ergebnisse einer Studie eines großen Dienstleistungsunternehmens, welches unter anderem Bonitätsprüfungen anbietet.

Dabei lag Sachsen-Anhalt im Ländervergleich mit einer Überschuldungsquote von 12,71 % bei den Verbrauchern - das betrifft also 240 000 Menschen in unserem Land - auf dem zweiten Platz. Nur in Bremen lag die Quote noch höher. Der Bundesdurchschnitt liegt übrigens bei glatt 10 %.

Das ist sicherlich ein Ergebnis, das Aufmerksamkeit und Reaktion erfordert. Derzeit gibt es natürlich statistische Unsicherheiten. So sind nicht alle Zahlen der Studie durch die Praktiker vor Ort auch nachvollziehbar. Gleichzeitig führt die Bevölkerungsentwicklung in unserem Land ebenfalls zu statistischen Effekten.

Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass die zehn Landkreise und kreisfreien Städte mit den höchsten Quoten an überschuldeten Verbraucherinnen und Verbrauchern in den alten Bundesländern liegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Jahren 1999 und 2013 wurde das Insolvenzrecht in Deutschland jeweils angepasst. Zu den veränderten Regeln gehörte auch, dass das Insolvenzverfahren von sechs Jahren auf drei oder fünf Jahre verkürzt werden kann. Eine Verkürzung auf drei Jahre hat aber unter anderem zur Bedingung, dass 35 % der aufgelaufenen Verbindlichkeiten durch den Schuldner gedeckt werden müssen. Das ist eine Voraussetzung, die nur in relativ wenigen Fällen überhaupt zum Tragen kommt. Deshalb bleibt die Zahl der Fälle relativ klein, in denen diese Richtlinie angewendet werden kann.

Mit der europäischen Richtlinie 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom Juni 2019 wird nun eine reguläre Frist von drei Jahren für die Restschuldbefreiung festgelegt, übrigens nur für Unternehmen. Keine Angst, meine Redezeit reicht nicht aus, um auf die 38 Seiten der dortigen Regelungen einzugehen. Aber

die Zielstellung ist klar: Wer sich überschuldet hat, soll die Chance erhalten, wieder finanzielle Selbstverantwortung zu übernehmen. Das ist grundsätzlich richtig.

Gleichzeitig müssen wir aber auch an die Gläubiger denken, die auf ihre berechtigten Ansprüche verzichten müssen. Das kann für Unternehmen oder auch für private Vermieter durchaus eine sehr ernste Konsequenz haben.

Die Bundesrepublik Deutschland ist nun verpflichtet, diese europäischen Regelungen in eigenes Recht zu übernehmen. Die Frist hierfür endet am 17. Juni 2021 und kann maximal um ein Jahr verlängert werden.

Eine Umsetzung der Neuregelung für die Unternehmen, nicht für die Verbraucher, halte ich aus Gründen der Gleichbehandlung für unrealistisch und gehe davon aus, dass die gesetzliche Umsetzung auf der Bundesebene hier keinen Unterschied machen wird. Diesen Prozess müssen und werden wir als Land entsprechend begleiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ministerin ist in ihrer Rede bereits umfänglich auf die Finanzierung der Beratungsstellen eingegangen. Natürlich müssen diese auskömmlich finanziert werden und die Angebote müssen in Quantität und Qualität den Bedürfnissen entsprechen.

Auf die Ausführungsverordnung zur Insolvenzordnung wurde ebenfalls in den bisherigen Redebeiträgen eingegangen.

Bevor wir vorschnell, vor der Präsentation der Auswertung der angekündigten Evaluierung, entsprechende Beschlüsse fassen, sehe ich weiteren Beratungsbedarf. Daher bitte ich um die Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration.

(Zustimmung von Dr. Verena Späthe, SPD)

Herr Krull, ich sehe eine Frage. - Frau Lüddemann, Sie haben jetzt das Wort.

Kollege Krull, Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie die dreijährige Frist, die für Unternehmen gilt, auch in der Privatinsolvenz für sinnvoll halten?

Das ist der Antrag, der vorliegt. Eine Ankündigung der Bundesministerin in diese Richtung gibt es auch schon. Ich sehe hier noch Beratungsbedarf. Ich gehe aber davon aus, dass der Bundesgesetzgeber an dieser Stelle, wie er es bisher bei anderen Vorschriften, die aus dem europäischen

Recht übernommen worden sind, auch getan hat, gleiche Fristen anbieten wird, dass er also nicht nur für die Unternehmensinsolvenzen, sondern auch für die Privatinsolvenzen eine Frist von drei Jahren vorsehen wird.

Ich weiß, dass das in dem Antrag steht. Wir hätten als Koalition ja sozusagen selber schon in Vorleistung gehen können. Das ist aus einigen bekannten Gründen nicht geschehen. Deswegen freue ich mich, wenn ich jetzt zumindest hier schon einmal inhaltlich eine klare Positionierung wahrnehme. Dessen wollte ich mich noch einmal vergewissern.

Um das zu ergänzen: Wir sehen an der Stelle noch Diskussionsbedarf. Aber ich gehe davon aus, dass aufgrund entsprechender Äußerungen, die auf anderer Ebene schon gefallen sind, der Bundesgesetzgeber diese Dreijahresregelung

auch für die Verbraucher anwenden wird.

Ich will auch sagen, dass es in meiner Fraktion kritische Stimmen hierzu gibt, die bezweifeln, ob die dreijährige Verjährungsfrist wirklich das Optimum ist. Daran gibt es bei uns starke Zweifel. Ich denke zum Beispiel an den klassischen Mietnomaden oder an den Handwerker, der auf einer Rechnung von 10 000 € sitzen geblieben ist, was einen kleinen Handwerksbetrieb in Sachsen-Anhalt stark schädigen würde.

Ob in diesen Fällen drei Jahre tatsächlich das Optimum sind oder ob man nicht lieber bei den sechs Jahren bleiben sollte, ist bei uns noch nicht ausdiskutiert. Aber wie gesagt, meine Vermutung ist, dass der Bundesgesetzgeber Unternehmer und Verbraucher gleichstellen wird.

Ich sehe keine weiteren Fragen. Dann danke ich Herrn Krull für den Redebeitrag. Für die AfD-Fraktion spricht jetzt der Abg. Herr Kirchner. - Herr Kirchner, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Werte Abgeordnete! Hohes Haus! Betrachtet man den Schuldneratlas von Creditreform oder Boniversum, kommt man schon gewaltig ins Grübeln. Dort ist Sachsen-Anhalt tiefrot dargestellt mit gerade einmal zwei orangenen Flecken. Das bedeutet, dass der Schuldneranteil dort zwischen 10 % und 11 % liegt. Überall sonst im Land ist der Anteil höher, teils über 14 %. Insgesamt gab es zum Stichtag 1. Oktober 2019 fast 242 000 Erwachsene in Sachsen-Anhalt, die nicht in der Lage waren, ihre

Schulden pünktlich zu bezahlen. Das sind die bekannten Fälle. Vermutlich ist die Dunkelziffer noch viel höher.

Mit Ausnahme der Freien Hansestadt Bremen sieht es im restlichen Bundesgebiet besser bzw. viel besser aus, so auch in unseren mitteldeutschen Nachbarländern Thüringen und Sachsen. Somit selbstverständlich, werte LINKE, geben wir Ihnen recht: Das ist alarmierend.

Aber Sie ziehen unserer Meinung nach die falschen Schlüsse daraus; denn Sie fordern, die Entschuldungsfrist auf drei Jahre zu senken. Das wäre eine Halbierung gegenüber der aktuellen Frist von sechs Jahren. Dem können wir nicht zustimmen.

Gleichwohl wissen wir, dass eine Reduzierung der Entschuldungsfrist auf drei Jahre zukünftig wahrscheinlich ist. Die Vorgaben der EU-Richtlinie schreibt die Dreijahresfrist für Unternehmen vor. Durch den Gleichheitsgrundsatz unseres Grundgesetzes wird es dann wahrscheinlich zu verfassungsrechtlichen Debatten komme. Und am Ende könnte es auch für die privaten Verbraucher heißen: Schuldenfrei nach drei Jahren.

Nochmals: Dafür sind wir nicht; denn - das vergessen Sie, werte LINKE, in ihrem Antrag leider völlig - jedem Schuldner steht auch ein Gläubiger gegenüber. Überlegen wir doch einmal, welcher zusätzliche Anreiz geschaffen wurde, insbesondere zum Schaden der Schuldner, wenn Verbraucher wüssten, dass sie nach einem kurzen Verfahren und nach nur drei Jahren finanziell gesehen wieder eine weiße Weste hätten.

Bereits jetzt verschulden sich junge Menschen durch beispielsweise mehrere Handyverträge immer wieder oder ältere Menschen durch den Kauf von Automobilen oder teurer Elektronik. Durch eine Herabsetzung der Entschuldungsfristen und die gleichzeitige Nichtbekämpfung eines ungesunden Überkonsumieren werden die Probleme nur noch schlimmer statt besser.

Auch in einem weiteren Punkt gehen Ihre Schlüsse bzw. Forderungen fehl, werte LINKE. Wir brauchen nicht mehr Schuldner- und Insolvenzberatung, sondern wir brauchen mehr Eigenverantwortung der Bürger im Land. Jedem muss klar sein, dass man sich nur das kaufen kann, was man sich auch leisten kann.

(Zustimmung bei der AfD)

Selbstredend gibt es auch Fälle, in denen sich Menschen tatsächlich nicht selbst verschuldet verschulden. Denen muss natürlich geholfen werden. Dafür sind im aktuellen Haushaltsplanentwurf jeweils 2,5 Millionen € für die Jahre 2020 und 2021 geplant. Das sollte reichen; mehr lehnen wir ab.

Leider haben wir in der Debatte nur jeweils drei Minuten Redezeit. Da es zu diesem Thema aber doch noch einiges zu sagen gibt, ist es sicherlich richtig, dass wir diesen Antrag in den Ausschuss überweisen. Wir überweisen ihn gern mit. - Vielen Dank für Ihre hat Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der AfD)

Ich danke Herrn Kirchner für den Redebeitrag. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Lüddemann das Wort. - Frau Lüddemann, Sie haben das Wort.