Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

Die Reaktionen aus den Schulen zeigen, dass das Vorgehen des Landesschulamtes gegen das Volksbegehren außer der unmittelbaren Behinderung auch einen Kollateralschaden für das Erlernen und das Erleben von Demokratie erzeugt,

(Zustimmung bei der LINKEN)

der weit über den Tag und das konkrete Volksbegehren hinaus reicht.

Vor diesem Hintergrund frage ich: Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen des stellvertretenden Leiters des Landesschulamtes, die Schulen des Landes zu volksbegehrenfreien Zonen zu erklären, statt das Volksbegehren als Unterrichtsgegenstand für eine erlebbare Demokratie in den Schulen aktiv zu nutzen? Was wird die Landesregierung unternehmen, um in den Schulen das beschädigte demokratische Grundverständnis wiederherzustellen, strafbare Handlungen von Schulleitungen - wie das Vernichten von Listen - zu ermitteln und weiteres rechtswidriges Handeln zu verhindern? Wird dieser Schulleiterbrief zurückgezogen?

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Hof- fentlich nicht!)

Vielen Dank, Herr Lippmann. - Herr Minister Tullner hat schon geahnt, dass er jetzt nach vorn kommen soll. Sie dürfen jetzt auf diese Frage antworten. Bitte, Herr Minister Tullner.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich musste den Text der Frage erst einmal in mir wirken lassen. Ich will zunächst einem Eindruck entgegentreten, der offenbar bei Teilen des Hohen Hauses vorherrscht. In den Schulen wird vernünftige Arbeit geleistet. Von Panik und anderen Zuständen ist nicht die Rede. Diese Sorge kann ich Ihnen nehmen. Dieser Eindruck ist völlig falsch.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der AfD)

Soweit ich die Frage richtig verstanden habe, ist es richtig, dass der stellvertretende Leiter des Landesschulamtes Herr D. einen Brief an alle Schulen geschrieben hat, den ich im Nachgang zur Kenntnis erhalten habe. Ich habe mir diesen Brief angeschaut.

Um gleich zu des Pudels Kern zu kommen: An diesem Brief ist aus meiner Sicht nichts auszusetzen, weil in ihm folgende Dinge in den Blick genommen worden sind. Zunächst einmal gab es Anfragen von Schulen, die nicht wussten, wie sie mit Briefen umgehen sollen, die sie mit dem Duktus erhalten haben: Wie von Ihnen bestellt, liefern wir Ihnen hiermit - - Da keine Bestellungen vorlagen, waren die Schulen ein bisschen ratlos. - Dies erwähne ich nur, um ein bisschen zu illustrieren, worin das Problem besteht. Das ist aber eher eine formale Geschichte.

Die entscheidende Frage - sie schwingt in Ihrem Vorwurf, glaube ich, ein bisschen mit - ist, ob das Bildungsministerium oder das Landesschulamt an dieser Stelle aktiv verfassungsrechtliche Möglichkeiten der Willensbekundung, die ein solches Volksbegehren am Ende darstellt, vielleicht sogar widrig bekämpfen. Ich möchte Sie einfach darauf hinweisen, dass es ganz nüchterne Paragrafen im Schulgesetz gibt. Im vorliegenden Fall können Sie sich zum Beispiel § 59 anschauen, in dem die Elternarbeit in den Blick genommen wird. Sie können aber auch viele andere Dinge in den Blick nehmen. Am Ende ist Schule kein Raum für Agitation und Propaganda - im guten oder im schlechten Sinne.

(Zustimmung von Dr. Hans-Thomas Till- schneider, AfD - Dr. Hans-Thomas Till- schneider, AfD: Ja!)

Schule ist ein Raum, in dem wir unseren Kindern Bildung angedeihen lassen wollen

(Zustimmung von Detlef Gürth, CDU)

und sie zu mündigen und demokratisch orientierten Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes erziehen wollen - gemeinsam mit den Eltern und allen, die sich dem Thema verpflichtet fühlen.

Sie haben eine Rechtsgrundlage, in der darauf hingewiesen wird, dass von Schulleitungen, von Lehrerinnen und Lehrern und vom Personal der Schulen politische Neutralität erwartet wird und dass Schulen kein Ort sind, in dem vordergründig politische Debatten geführt werden, die sozusagen genau dieses Ziel haben.

Ich will Sie einfach einmal fragen: Welchen Vorwurf würden Sie mir eigentlich unterbreiten, wenn es ein Volksbegehren gäbe, das politische Intentionen hat, die Ihnen nicht gefallen? - Dann gelten die Maßstäbe doch wohl genauso. Es kann doch wohl nicht sein, dass wir unterscheiden und bei Initiativen und demokratischen Willensbildungen, die vielleicht uns oder Ihnen oder wem auch immer gefallen, ganz nonchalant und liberal dabei sind und bei anderen Initiativen deutlich nach der strikten Einhaltung der rechtlichen Rahmengesetzgebung rufen. Das kann nicht sein.

Ich bin - frei nach Kollege Robra - der Hüter des Schulgesetzes. Dieses werden wir einhalten. Deswegen hat der stellvertretende Schulamtsleiter mit seinem Brief meine volle Rückendeckung. Ich sehe keinen Punkt, an dem irgendwelche Kritik zu äußern ist, die am Ende auf politische Marktplätze und vielleicht auch in dieses Haus gehört, aber nicht in die Schulen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Minister Tullner. Es gibt vier Wortmeldungen. Als Erster spricht der Abg. Herr Gebhardt, dann sprechen der Abg. Herr Gallert, der Abg. Herr Lippmann und die Abg. Frau von Angern. - Sie haben jetzt das Wort, Herr Gebhardt.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister Tullner, gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Ich habe Ihnen eben genau zugehört. Zu dem, was Sie eben begründet haben, muss ich sagen: Das ist ein Novum.

Ich will daran erinnern, dass wir schon mehrere Volksinitiativen in Sachsen-Anhalt hatten, unter anderem eine in der letzten Legislaturperiode gegen die Kürzungen im Kulturbereich, die sich „Kulturland Sachsen-Anhalt retten“ nannte. Wäre der zuständige Minister damals genauso verfahren wie Sie jetzt, dann hätte das bedeutet, dass in den Theatern, um die es ging, keine Unterschriften hätten gesammelt werden dürfen. Ich weiß nicht, was im Plenarsaal los gewesen wäre, wenn der seinerzeitige Minister Dorgerloh eine solche Verfügung herausgegeben hätte.

Zu meiner Frage. Es gibt ja immer Entwicklungen im Land. Eine werden wir nachher im nächsten Tagesordnungspunkt im Bereich der Parlamentsreform bereden. Ein Artikel im entsprechenden Gesetzentwurf berührt das Volksabstimmungsgesetz. Eine Änderung soll dahin gehend vorgenommen werden, dass die staatlichen Institutionen künftig im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Einwohner bei Volksinitiativen und Volksbegehren unterstützen sollen. Damit wird also das Gegenteil von dem verlangt, was Sie gerade praktizieren. Wenn der Gesetzentwurf gilt, Herr Tullner, haben Sie dann vor, nach dem Gesetzentwurf zu handeln und dann Ihren Brief zurückzuziehen?

Herr Minister Tullner, bitte.

(Robert Farle, AfD: So ein Quatsch!)

Herr Gebhardt, ehrlich gesagt, kann ich Ihrer Argumentation überhaupt nicht folgen. Wenn Sie den Bereich der Kultur betrachten - wir nehmen einmal den Raum eines Theaters -, dann muss ich zunächst rein formal feststellen, dass wir kein Landestheater mit beschäftigten Landesbediensteten haben. Aus dem Grunde ist es an der Stelle überhaupt nicht der gleiche Duktus.

Ich habe extra noch einmal in unserer Verfassung nachgesehen. Schauen Sie sich einmal Artikel 91 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt an. Der betrifft die Frage der Neutralitätspflicht, der unsere Bediensteten unterliegen und die Sie in anderen Bereichen ja auch erwarten. Ich frage mich, warum Sie an dieser Stelle eine völlig einseitige Betrachtung von Rechtstatbeständen einleiten. Ich bin kein Jurist, aber letztlich ist es eine Debatte, die man im Hohen Hause ganz vernünftig auch jenseits von Juristen führen kann. Wir erwarten von unseren Bediensteten - das erwarten Sie letztlich auch -, dass sie sich parteipolitisch neutral verhalten.

Dass es bestimmte Mitwirkungsgebote der Gewerkschaften und der Personalvertretungen gibt, ist unbenommen. Das hat, glaube ich, Herr D. in seinem Brief auch sehr korrekt wiedergegeben. Aber dass wir den Schulen Raum und Tür und Fenster und Tor oder was auch immer öffnen, um Debatten zu führen, die Ihnen in diesem Fall vielleicht gefallen mögen, kann nicht Sinn der Sache sein.

Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, was passieren würde, wenn andere politische Initiativen den Schulen Briefe überantworten mit der Bitte, diese zu verteilen und Unterschriften zu sammeln. Sind Sie dann ganz genauso nonchalant dabei und sagen, das ist okay, wenn die Themen oder die Initiatoren aus ganz anderen Ecken des politischen Spektrums kommen? Ich kann Sie nur dringend ermahnen, mit Vernunft und Sachverstand und vielleicht auch mit ein bisschen Distanz zu eigenen politischen Herzensangelegenheiten Rationalität walten zu lassen.

Verwaltung ist nicht dazu da, politische Dimensionen vordergründiger Art zu unterstützen. Und Schulen sind Teil von Verwaltung, was das Personal angeht. Hier geht es darum, dass wir neutral agieren. Was ein Lehrer außerhalb der Schulzeit macht, ist ihm völlig unbenommen. Es wird doch niemand verhaftet, wenn er sich an einen Stand stellt und Unterschriften sammelt. Aber in den Schulen kann doch niemand verlangen, wenn dort unbestellt Briefe ankommen, dass man die auslegt und Unterschriften sammelt. Das wollen Sie doch im Endeffekt. Das kann ja angesichts des von Ihnen verfolgten Ziels bei Ihnen für Sympathie sorgen, aber, wie gesagt, als Hüter des

Schulgesetzes bin ich dazu da, Regeln und Normen einzuhalten, die wir uns selber gegeben haben.

Ich weiß nicht, ob Sie damals der Landesverfassung und den betreffenden Schulgesetznovellen zugestimmt haben. Aber an dieser Stelle hat Herr D. aus meiner Sicht sehr nüchtern und sehr korrekt die Dinge dargelegt, wie sie praktiziert werden müssen und aus meiner Sicht auch praktiziert werden sollten.

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich habe schon angekündigt, dass wir noch mehrere Wortmeldungen haben. Bevor ich aber dem Abg. Herrn Gallert Wort erteile, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Querfurt recht herzlich hier im Hohen Hause zu begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Weiterhin begrüße ich recht herzlich auf der anderen Tribüne unseren Präsidenten des Landesrechnungshofes Herrn Barthel und den Senator Herrn Philipp. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Abg. Gallert, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Minister Tullner, ich glaube schon, dass das eine ausdrücklich strittige Rechtsauffassung ist, die in Ihrem Haus unter diesen Bedingungen vertreten worden ist. Wir hatten mehrere Initiativen, unter anderem zur Kinderbetreuung. Dazu sind massiv Unterschriften in den Kindergärten gesammelt worden. Das wäre nach dieser Auffassung auch alles nicht rechtswirksam oder sogar rechtswidrig gewesen. Deswegen melde ich hier leise Zweifel an.

Die Frage, die ich an dieser Stelle allerdings noch habe, ist folgende. Mich wundert schon, Herr Tullner, dass Ihnen ein Brief in dieser extrem sensiblen und gesellschaftlich umstrittenen Frage erst im Nachhinein zur Kenntnis gekommen ist. Deswegen frage ich Sie zur inneren Organisation im Ministerium zu einem parallelen Fall. Zumindest ist mir bekannt gewesen, dass aus Ihrem Ministerium zu der ganzen Frage der Anhebung der Mindestschülerzahl an Gemeinschaftsschulen usw. ein offizielles Papier herausgegangen ist zur Anhörung an die Landkreise und an den Landeselternrat.

Jetzt schlage ich heute Morgen die „Volksstimme“ auf und gewinne den Eindruck, dass irgendjemand ein Papier eines Referenten von einem Schreibtisch irrtümlicherweise nicht in den Papierkorb geworfen, sondern zur Poststelle gebracht

und an viele verschiedene Interessenten im Land versandt hat mit der ausdrücklichen Aufforderung, dazu Stellung zu nehmen. Jetzt sagen Sie mir bitte, was ist denn jetzt die Wahrheit? Ist dieses Papier des Ministeriums mit Ihrer Kenntnis an die entsprechenden Träger öffentlicher Belange und Interessenten herausgegangen mit der Bitte um Stellungnahme, oder ist es aus Versehen durch die Poststelle ins Land emittiert worden? Darauf hätte ich gern eine Antwort.

Herr Minister Tullner, jetzt haben Sie das Wort. Bitte.

Herr Gallert, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für die Frage. Ich hatte gehofft, dass mir jemand diese Frage stellt, damit ich auch diesen Teil der letzten Woche hier vorn noch ein bisschen reflektieren darf.

(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Vertiefen!)

Ich habe noch 30 Minuten Redezeit; ich denke, wir schaffen das.

Zunächst zu dem Brief. Richtig ist, dass das Schulamt als nachgeordnete Einrichtung mit den Schulen das organisiert, was zu organisieren ist. Wenn sich Schulen offenbar an das Schulamt gewandt haben und um eine Klarstellung gebeten haben und Herr D. einen Brief schreibt, dann ist es im Sinne der Arbeitsteilung ohnehin besser, wenn das so läuft. Ich bin sowieso ein Anhänger davon, dass wir an dieser Stelle mit Vertrauen und Autonomie arbeiten. Deswegen habe ich mir den Brief im Nachgang geholt. Ich finde ihn auch völlig okay; denn mir geht es am Ende darum, dass wir uns politisch mit der Frage auseinandersetzen, wie viel Ressourcen und welche Maßstäbe wir für die Organisation von Schulen zur Verfügung stellen. Das ist eine Debatte, die wir führen müssen. Ich freue mich auch sehr darauf, dass wir diese Debatte bis zum Sommer führen können.

Aber die Frage, wie Rechtstatbestände, Verfassungstatbestände und Mitbestimmungstatbestände, Mitwirkungsfragen usw. in den Schulen zu organisieren sind, sollten wir aus meiner Sicht der Verwaltung überlassen. Ich habe mir das angeguckt und habe daran nichts auszusetzen.

(Zustimmung von Frank Bommersbach, CDU)

Jetzt zur Schulentwicklungsplanung. Das ist eine Debatte, die ich in der letzten Woche ein bisschen mit Staunen, aber auch mit einer gewissen Mehrung von Erkenntnissen verbunden habe. Richtig ist, das Schulgesetz hat in einem Paragrafen, den

ich jetzt nachgucken müsste, hinterlegt, dass wir regelmäßig eine Schulentwicklungsplanung vorlegen müssen. Mit der sind wir überfällig - das wissen die Bildungspolitiker auch -, vor allem deshalb, weil wir lange darum gerungen haben, wie Förderschulen in diesem Lande zukünftig organisiert werden sollen und wie sich diese Änderung wesentlich in der Schulentwicklungsplanung wiederfindet.

Ich habe den Auftrag, dem Kabinett die Schulentwicklungsplanung vorzulegen, die dann ihre offiziellen Wege über Anhörung und Beteiligung in allen Kreistagen nimmt. Sie sind länger dabei als ich. Sie wissen, wie das alles läuft. Nach einem längeren Prozess, der über mehrere Jahre dauert, gibt es Entscheidungen darüber, wie Schulträger und Land gemeinsam eine Schullandschaft organisieren, die den Herausforderungen von Schülerzahlen, Lehrerversorgung etc. entspricht.