Protokoll der Sitzung vom 30.03.2020

indem Sie sagen, dass der vorgelegte Nachtragshaushalt das Ergebnis Ihres Antrages zur letzten Landtagssitzung sei. Ich glaube tatsächlich - damit appelliere ich an uns alle -, dass die Krise andere Maßnahmen erfordert, als wir sie im üblichen parlamentarischen Verfahren eingeübt haben und praktizieren.

Dazu zähle ich auch, dass diese Situation nicht für Grundsatzreden zur Steuerpolitik zu nutzen ist. Ich glaube, das ist heute einfach nicht der Fall.

(Beifall und Zurufe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich auf die einzelnen Themen eingehe, die wir heute zu einem Beratungspunkt zusammengefasst haben, möchte ich zwei grundsätzliche Bemerkungen zur aktuellen Pandemiesituation machen.

Erstens. Die Beschränkungen, die allen in der Gesellschaft durch die Eindämmungsverordnungen gegen die Coronapandemie auferlegt werden, sind enorm. Bei manchen Problemen im Einzelnen können wir insgesamt sehr froh darüber sein, dass die Aufklärung über die Gefahren einer Pandemie greift, dass unsere Bevölkerung so viel Einsicht, Geduld und Disziplin aufbringt und dass sie das Durchstehen dieser Krise als eine große Gemeinschaftsaufgabe begreift. Sie alle sind Krisenhelden, egal an welcher Stelle.

(Zustimmung)

Das alles ist nicht selbstverständlich. Wir sollten diese Akzeptanz auch nicht dadurch gefährden, dass wir vorzeitig über die Lockerung von Beschränkungen diskutieren, während wir in Wahr

heit, zumindest nach meiner Auffassung, gemeinsam noch mehrere harte Wochen durchstehen müssen.

Ich möchte daran erinnern, dass das Infektionsschutzgesetz harte Auflagen einschließlich der Eingriffe in Grundrechte erlaubt, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, dass also der Gesundheitsschutz an oberster Stelle steht. Das verstehen die Menschen und diese Auffassung teilen sie.

Wenn wir damit anfangen würden, den Schutz der Gesundheit leichtfertig gegenüber anderen Interessen zurückzustellen, dann würden wir den derzeit geltenden Beschränkungen nicht nur moralisch und politisch, sondern auch rechtlich den Boden entziehen.

Zweite Vorbemerkung. Nicht nur die Menschen in Deutschland zeigen gerade, was in ihnen steckt, auch das politische System tut es.

In der Krise erweist sich die Stärke der Demokratie. Das ist nicht nur ein Spruch für Sonntagsreden; das erfahren wir im Moment ganz praktisch. Unsere demokratischen Institutionen und Verfahren erweisen sich als ausgesprochen krisentauglich. Wir brauchen zur Bekämpfung der Pandemie keine Sondergesetze, sondern das schon erwähnte Infektionsschutzgesetz stellt die erforderlichen Instrumente zur Verfügung.

Wir brauchen auch keine Sonderinstitutionen und keine Sondervollmachten, sondern die demokratischen Institutionen erweisen sich als handlungsfähig, entscheidungsfreudig, flexibel und durchsetzungsstark, auch die Institutionen des föderalen Staates.

Ich begrüße nachdrücklich, mit welch besonnenen und eindringlichen Worten sich Ministerpräsident Reiner Haseloff in dieser schwierigen Situation an unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger gewandt hat. Ich bin jeden Tag froh darüber, wie unaufgeregt und zielorientiert unsere Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne das Management der Pandemiebekämpfung im Griff hat. SachsenAnhalt kommt durch die Krise, ohne dass hier jemand den „dicken Max“ markieren muss, und das ist gut so.

(Beifall)

An den Stellen, an denen sich öffentliche Einrichtungen als unzureichend vorbereitet erweisen - auch das gibt es; man muss sich nur die Berichte über fehlende Atemschutzmasken und andere Schutzausrüstungen ansehen -, sehen wir uns in der Auffassung bestätigt, dass es keinen Rückzug des Staates von Aufgaben der Daseinsvorsorge geben darf.

Ich bin mir aber sicher, diese Erfahrung hat gesessen, und hier werden wir in den nächsten Jahren erfolgreich gegensteuern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der Landtag wird heute die Handlungsfähigkeit des Parlaments als zentrale Institution der Demokratie unter Beweis stellen, indem er über den notwendigen Nachtragshaushalt berät. Es war genau der richtige Schritt, dass Finanzminister Michael Richter gleich nach der Verabschiedung des Doppelhaushaltes die Vorlage für einen Nachtragshaushalt auf den Weg gebracht hat.

Dieser Nachtragshaushalt erfüllt eine dreifache Funktion: Wir stärken den Kampf gegen die Pandemie, wir federn soziale Folgen ab, und - das ist aus meiner Sicht das wichtigste Signal - wir stellen die Mittel bereit, um Unternehmen und Selbstständige, auch Soloselbstständige und

Künstler, gegen die Folgen der Pandemie zu schützen.

Ab heute können bei der Investitionsbank unbürokratisch die Soforthilfen abgerufen werden. Das Programm, das Wirtschaftsminister Armin Willingmann auf den Weg gebracht hat, ist ein Baustein für die Zukunftsfähigkeit Sachsen-Anhalts. Dafür gebührt allen, die daran gearbeitet haben, inklusive des Ministers, Respekt und Dank.

(Zustimmung)

Ohne die staatlichen Hilfen, die Bund und Länder jetzt gewähren, drohen Struktureinbrüche, die weit über die akuten Liquiditätsprobleme der Unternehmen hinausreichen.

Gerade angesichts der kleinteiligen Wirtschaftsstruktur, die wir in Sachsen-Anhalt haben, müssen wir darauf achten, dass die Potenziale von Existenzgründern, von Kreativen, von Unternehmen der Tourismusbranche und der Kulturwirtschaft erhalten bleiben. Würden sie wegbrechen, hätte Sachsen-Anhalt beim wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Pandemie das Nachsehen. Das darf nicht geschehen.

Welchen Maßnahmen im Einzelnen die Mittel aus dem Nachtragshaushalt zugutekommen, wird im Finanzausschuss nicht nur heute, sondern auch nach der Verabschiedung sowie im Verwaltungsvollzug zu klären sein. Das gilt auch für die Vielzahl von Einzelvorschlägen, die in den beiden Entschließungsanträgen der Fraktion DIE LINKE enthalten sind.

Wir werden in dieser Woche nicht zum letzten Mal über die Auswirkungen der Pandemie auf den Landeshaushalt reden.

Meine Damen und Herren! Für mich steht fest: Wir müssen auch in der weiteren Entwicklung alles daran setzen, die Bewältigung der Folgen

zusätzlich zu den bestehenden und bereits beschlossenen Aufgaben des Landes zu stemmen.

Es wäre genau der falsche Weg für unsere wirtschaftliche Zukunft, wenn wir durch unsere Haushaltspolitik staatliche Nachfrage zurückfahren und Kaufkraft schwächen würden. Deshalb gehen wir heute mit dem Nachtragshaushalt, der aus Rücklagen und neuen Krediten finanziert wird, in dieser Situation genau den richtigen Weg.

Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir bei der Bewältigung der Krise zu einer anderen Zeit, nicht heute, über einen fairen Lastenausgleich diskutieren müssen, und zwar sowohl zwischen Bund, Ländern und Gemeinden als auch zwischen starken und schwachen Schultern.

Zu einem neuen Lastenausgleich wird aber auch gehören, dass die Menschen in Pflegeberufen, die für unser aller Leben und unsere Gesundheit einstehen, in Zukunft ganz anders bezahlt werden müssen als bisher. Das sind aber Themen, über die wir nach der Krise miteinander diskutieren müssen.

Meine Damen und Herren! Ich möchte noch kurz auf die weiteren Gesetzentwürfe und Anträge eingehen. Zum Thema Kita-Beiträge. Das Problem ist durch den gemeinsamen Runderlass des Innenministeriums und des Sozialministeriums in der Sache gelöst worden. Die Landesregierung schafft damit ein Ärgernis beiseite, das in den Städten und Gemeinden für viel Unmut gesorgt hatte, und zwar zu Recht.

Wenn Menschen ihren gesamten Alltag umkrempeln und auf Einkommen verzichten müssen, weil von einem Tag auf den anderen Tag Kinder zu Hause betreut werden müssen, dann wollen sie nicht auch noch für die geschlossene Kita bezahlen müssen.

Ich bin mir sicher, dass in diesem Zuge auch die Frage der Notbetreuung geregelt wird. Die Koalitionsfraktionen befinden sich dazu bereits im Austausch mit den Häusern. Ich freue mich, dass eine unbürokratische Lösung gefunden wurde, die auch die Kommunen finanziell entlastet.

Zum Thema Volksbegehren. Unser Volksabstimmungsgesetz haben wir erst in der Sitzung des Landtages im Februar mit breiter Mehrheit geändert. Dabei ging es darum, mehr direkte Demokratie in Sachsen-Anhalt zu fördern, indem wir Quoren gesenkt und es Initiativen erleichtert haben, die Hilfe der Behörden in Anspruch zu nehmen.

Doch für eine solche Krise, wie wir sie gegenwärtig zu bewältigen haben, ist das Volksabstimmungsgesetz nicht ausgelegt. Das ist eine Fehlstelle im Gesetz, deren Beseitigung auch die SPD-Fraktion für notwendig hält. Deswegen

sehen wir den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE auch mit gewisser Sympathie.

Aus unserer Sicht ist es allerdings notwendig, nicht nur eine Problemlösung für das Volksbegehren des Bündnisses „Den Mangel beenden!“ zu suchen. Vielmehr müssen wir auch im Blick haben, dass der Volksinitiative gegen Straßenausbaubeiträge durch die Landtagspräsidentin die Gelegenheit gegeben worden ist, die Mängel innerhalb der maximal möglichen Frist von drei Monaten zu beheben. Auch diese Volksinitiative ist vermutlich zurzeit daran gehindert und wir sollten auch ihr die Möglichkeit einer Fristverlängerung eröffnen.

(Zustimmung)

Zum Thema Personalratswahlen. Auch in öffentlichen Verwaltungen findet der Arbeitsalltag heute unter Ausnahmebedingungen statt. Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in öffentlichen Verwaltungen, in den Jobcentern, in den Arbeitsagenturen und an all diesen Stellen möchte ich an dieser Stelle noch einmal den herzlichen Dank meiner Fraktion und, so denke ich, auch des Hohen Hauses übermitteln.

(Beifall)

Viele Bedienstete sind bis zum Anschlag mit der Bekämpfung der Pandemie, mit dem Schutz von Sicherheit und Ordnung und mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur beschäftigt. Andere gehen ihren Aufgaben im Homeoffice nach und kommen selten oder nie in ihre Arbeitsstätte oder mit Kolleginnen und Kollegen zusammen.

Die Durchführung von Personalratswahlen und ein fairer Wahlkampf sind unter diesen Bedingungen nicht möglich. Wir haben deshalb in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Verschiebung der Personalratswahlen vorsieht.

Gleichzeitig schaffen wir für die bestehenden Personalräte die Möglichkeit, für die Dauer der Krise Beschlüsse im Umlaufverfahren oder online zu fassen. Vereinfachte Verfahren werden mit dem Gesetz auch für die Verkündung von Verordnungen und Allgemeinverfügungen im Krisenfall geschaffen.

Zum Thema Arbeitsschutz. Natürlich können die Beschränkungen, denen das öffentliche Leben derzeit unterliegt, nur dann nachhaltig gegen die Ausbreitung des Coronavirus wirken, wenn auch in Betrieben und Büros die größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden. Das gilt insbesondere für Abstandsregeln, für Hygienemaßnahmen und für die Ausschöpfung der Möglichkeiten des Homeoffice.

Ich würde es deshalb begrüßen, wenn der Sozialausschuss zeitnah über den Antrag der Fraktion DIE LINKE berät, sich aber auch mit den darüber hinaus bereits geltenden Bestimmungen und ihrer Umsetzung beschäftigt und dazu eine Beschlussempfehlung fertigt.

In einem Punkt möchte ich dem Antrag der Fraktion DIE LINKE allerdings ausdrücklich widersprechen. Der Bundestag hat die Möglichkeiten zur Nutzung des Kurzarbeitergeldes erheblich ausgeweitet und damit einen ganz wichtigen Beitrag zur Abfederung der Krise geleistet.

Sie fordern jetzt die Anhebung des Kurzarbeitergeldes auf 90 % des letzten Nettogehalts. Ich sehe demgegenüber ausdrücklich auch die Arbeitgeber, soweit sie dazu finanziell in der Lage sind, am Zug, durch die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes zur Absicherung der Beschäftigten und ihrer Familien und damit auch zur Fachkräftesicherung beizutragen.

Unternehmen, die ein Interesse daran haben, ihre Mitarbeiter gut durch die Krise zu bringen, um sie hinterher auch weiterhin als gute und motivierte Mitarbeiter zu halten, werden diesen Weg sicherlich gehen. Für den Arbeitnehmer entstehen dadurch keinerlei Nachteile.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit. Ich betone an dieser Stelle noch einmal, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns in der Krise gemeinsam an den notwendigen Dingen arbeiten. Es gilt „first things first“, also die wichtigsten Sachen zuerst. Verschiedene Diskussionen können wir nach der Krise auch hier im Hohen Haus ausgiebig und umfassend führen. - Vielen Dank.

(Zustimmung)