Protokoll der Sitzung vom 30.03.2020

Uns alle erreichen in diesen Tagen umfangreiche E-Mails mit konkreten Forderungen und Hilferufen aus immer mehr Branchen, verständlicherweise vor allem aus dem Bereich Tourismus, Hotellerie und Gastgewerbe.

In besonderer Weise ist aber zum Beispiel auch die Kunst- und Kulturszene betroffen. Die Kulturschaffenden bereichern unser Leben und haben sich mit ihren Leistungen über Jahre hinweg um Sachsen-Anhalt verdient gemacht. Jetzt brauchen die Künstlerinnen und Künstler unsere Hilfe. Jetzt muss die Politik für sie da sein.

(Beifall)

Das 400-€-Hilfsprogramm der Landesregierung ist ein Anfang, aber hier darf man jetzt nicht stehen bleiben. Wir haben in unserem Entschließungsantrag sehr konkrete Forderungen und Möglichkeiten formuliert. Wir hoffen, dass diese Aufarbeitung gewürdigt wird und sich in der Agenda der Landesregierung wiederfindet.

Was bei der Bewältigung der finanziellen Folgen aus der Coronakrise unserer festen Überzeugung nach aber gar nicht geht, ist die Vorstellung, in der größten Not seit dem Zweiten Weltkrieg wieder nur dem Staat und den kleinen Leuten die Lasten aufzubürden und gleichzeitig die großen Vermögen weiter anwachsen zu lassen.

(Zuruf: So ein Quatsch!)

Das Geldvermögen der deutschen Privathaushalte ist allein in den letzten fünf Jahren von 5 Billionen € auf mehr als 6 Billionen € gestiegen. In dieser außergewöhnlichen Notsituation muss zumindest die Hälfte dieser Steigerung dem Staatshaushalt zur Verteilung zugeführt werden.

(Beifall)

Es macht keinen Sinn, das jetzt benötigte Geld den nächsten Haushalten zu entziehen. Man kann die zu kurze Decke nicht immer nur hin und her ziehen und Löcher stopfen, indem man neue Lücken aufreißt. Die Decke muss endlich vergrößert werden; denn ansonsten geht das ganze Elend der letzten 20 Jahre nicht nur weiter, sondern es wird noch verschärft.

(Beifall)

Die Szenarien, also Abbau des Sozialstaates, Unterfinanzierung der Kommunen, Investitionsstau in der gesamten Infrastruktur und Privatisierung der Daseinsvorsorge, wollen wir durchbrechen. Sie sind kein Naturgesetz.

Unsere Haltung zum Nachtragshaushalt hängt deshalb von der Beantwortung der folgenden zentralen Fragen ab:

Wird sich die Landesregierung für eine zeitlich befristete Vermögensabgabe für Millionäre einsetzen, um so die finanziellen Lasten gerecht zu verteilen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken?

(Beifall)

Wird die Rückzahlung der vom Land aufzunehmenden Kredite länger gestreckt, um die Last nicht nur den nächsten Haushalten aufzubürden?

Wird es innerhalb der 500 Millionen € einen Sozialfonds geben, wie wir ihn in unserem Entschließungsantrag zumindest ansatzweise umrissen haben? Werden hieraus schnelle und niederschwellige Hilfen vor allem für die Menschen angeboten, die bereits am Rand der Gesellschaft stehen oder die jetzt verstärkt dorthin abgedrängt werden?

Werden Mittel für die kommunalen Haushalte spürbar aufgestockt, und werden insbesondere Kultureinrichtungen und freischaffende Künstler die Hilfe erhalten, die wir in unserem zweiten Entschließungsantrag vorschlagen?

Werden die Abgeordneten über die Maßnahmen der Landesregierung zur Umsetzung des 500-Millionen-€-Programms und der Bundesprogramme nicht nur umfassend und vor der Öffentlichkeit informiert, sondern an deren Erarbeitung beteiligt?

Wird die Landesregierung ein Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens vorlegen, mit dem in einem Umfang von mindestens 700 Millionen € bis 1 Milliarde € in den kommenden fünf Jahren endlich der Investitionsstau im Gesundheitswesen abgebaut wird?

(Beifall)

Meine Damen und Herren! Das sind zumindest teilweise die Gretchenfragen, die sich uns in dieser Zeit stellen. Es kann jetzt nicht zuerst darum gehen, der Landesregierung freie Hand zu geben. Dringend geboten sind in dieser Krisenzeit die Unterstützung und die Kontrolle durch das Parlament.

Dass dies notwendig ist, zeigt sich beim Kinderförderungsgesetz. Es scheint nicht klar zu sein, dass bei einer staatlich angeordneten Schließung

von Einrichtungen das Land die Elternbeiträge übernimmt, und zwar ohne Wenn und Aber.

(Beifall)

Die Landesregierung hat sich zwar inzwischen zu einer Übernahmeregelung für die Aprilbeiträge durchgerungen. Wir wollen aber nicht, dass das scheinbar eine Ermessensentscheidung ist und dass man dafür 14 Tage Bedenkzeit braucht. Wir wollen auch nicht, dass monatsweise überlegt wird, ob und, wenn ja, was man sich noch leisten kann.

Wir wollen schon gar nicht, dass Eltern für die Notbetreuung bezahlen. Wir haben uns gerade eben bei all den Menschen bedankt, die wegen ihrer systemrelevanten Tätigkeiten derzeit unverzichtbar sind. Und weil sie ihre Kinder mangels Betreuungsalternativen weiter in die Einrichtungen bringen müssen, sollen diese Eltern weiter bezahlen. - Wir wollen das nicht. Wertschätzung sieht anders aus.

(Beifall)

Die Landesregierung hat alle Kindertageseinrichtungen geschlossen. Der Rechtsanspruch aus dem KiFöG ist aufgehoben und damit kann es auch keine Elternbeiträge geben. Die Notbetreuung ergibt sich aus der Eindämmungsverordnung und nicht aus dem KiFöG. Die Landesregierung sieht das offenbar anders. Genau deshalb müssen solche Selbstverständlichkeiten jetzt in das KiFöG geschrieben werden.

(Beifall)

Erheblichen Regelungsbedarf sehen wir derzeit beim Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die von der Bundes- und der Landesregierung verordneten Maßnahmen für den privaten Bereich werden im Arbeitsleben noch zu oft nicht als Maßstab für die Arbeitsorganisation in den Betrieben angesehen.

Dadurch werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verunsichert, und das Ziel, die Pandemie zu verlangsamen, wird unterlaufen. An dieser Stelle sind dringend klare und verbindliche Regelungen erforderlich, die auch eine Unterscheidung zwischen systemrelevanten und nicht systemrelevanten Bereichen vornehmen.

(Beifall und Zurufe)

Die derzeitige Regelung zum Kurzarbeitergeld, das 60 % bzw. 67 % des letzten Nettoverdienstes ausmacht, bedeutet für viele Beschäftigte vor allem in Niedriglohnbereichen, dass sie bei einem solchen Einschnitt ihre täglichen Ausgaben nicht mehr bestreiten können. Miete, Kredite, Stromzahlungen usw. müssen ja weiter in voller Höhe geleistet werden. Das wird in vielen Fällen in die Verschuldung führen. Eine Auf

stockung der Leistungen auf 90 %, besonders im Niedriglohnbereich, ist daher dringend geboten.

(Beifall)

Letztlich sollte zu unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Volksabstimmungsgesetzes nicht mehr viel gesagt werden müssen. Unglücklicherweise trifft die Coronapandemie das laufende Volksbegehren mitten in der Eintragungsfrist, in der Unterschriften gesammelt werden können. Diese Frist ist eben auf sechs Monate begrenzt.

Die Landesregierung war durch die Coronakrise gezwungen, die Kontakte unter den Menschen soweit wie möglich zu begrenzen. Unter diesen Bedingungen kann das Volksbegehren nicht mehr regulär durchgeführt werden. Deshalb darf die Dauer, in der das Volksbegehren den Einschränkungen unterworfen ist, nicht auf die Eintragungsfrist angerechnet werden.

Im Volksabstimmungsgesetz gibt es bisher keine Regelung, um auf solche gesellschaftlichen Ausnahmesituationen zu reagieren und die verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerinnen und Bürger auch unter solchen schwierigen Bedingungen in vollem Umfang zu gewährleisten.

Mit der beantragten Änderung soll deshalb eine Fristverlängerung zugesichert werden, wenn äußere Ereignisse die Volksgesetzgebung einschränken oder unmöglich machen. Die beste Lösung wäre es, die Frist ganz zu streichen, aber zumindest muss man sie jetzt verlängern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der Sitzung haben wir uns unter anderem beim medizinischen Personal für seine aufopfernde Arbeit symbolisch bedankt. Doch allein mit Standing Ovations kann man nach der Krise keine Rechnungen bezahlen.

(Beifall)

Dieser Aussage eines Ameos-Pflegers kann man nur zustimmen. Wir müssen über die Krise hinaus deutlich machen, dass die medizinischen Berufe mehr finanzielle Anerkennung, mehr Tarif und weniger Privatisierung verdienen.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Corona geht uns alle an und wir dürfen niemanden mit den Folgen alleinlassen. Deshalb sollten wir in der kommenden Zeit alle sehr kooperativ und kreativ handeln.

Die heute zu behandelnden Regelungen werden mit Sicherheit nicht die letzten sein. Es sollte dabei weniger denn je darauf ankommen, wer den ersten Aufschlag macht. Die Menschen im Land erwarten von uns jetzt schnelle, zielführende und gerechte Lösungen. Wir LINKE

wollen dabei mit allen Kräften mithelfen. - Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Abg. Lippmann. - Als nächste Debattenrednerin spricht Frau Dr. Pähle für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank. - Hohes Haus! Bevor ich in meinen Redetext einsteige, möchte ich eine Vorbemerkung machen. Sehr geehrter Herr Kollege Lippmann, Sie haben am Ende Ihrer Rede gesagt, dass die Krise einen großen Zusammenhalt auch hier im Parlament erfordere, ohne die Frage zu stellen, wer als Erstes die Idee eingebracht habe. Dass es Ihnen darum nicht geht, haben Sie mit Ihrer Rede deutlich gezeigt,

(Starker Beifall)

indem Sie sagen, dass der vorgelegte Nachtragshaushalt das Ergebnis Ihres Antrages zur letzten Landtagssitzung sei. Ich glaube tatsächlich - damit appelliere ich an uns alle -, dass die Krise andere Maßnahmen erfordert, als wir sie im üblichen parlamentarischen Verfahren eingeübt haben und praktizieren.