Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

von Wohnraumüberwachung. Selbst da ist nicht ganz klar, ob es der große oder der kleine Lauschangriff ist.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Also gegen null.)

Das ist keine Frage der Quantität, Herr Pohl. Hier handelt es sich um eine andere Angelegenheit und es handelt sich um eine ganz andere quantitative Größe. Unter den Maßgaben des Urteils von Karlsruhe und angesichts der zunehmenden Zahl von überwachten Anschlüssen und Gesprächen, insbesondere des wachsenden Anteils abgehörter Kontaktpersonen, sind die entsprechenden Vorschriften im Polizeiaufgabengesetz dringendst auf Grundrechtsverstöße und den Anspruch auf rechtsstaatliche Prinzipien zu überprüfen. Aber auch - und das haben Sie meiner Erinnerung nach, Herr Pohl, nicht erwähnt - die polizeilichen V-Leute, die verdeckten Ermittler und die nicht offen ermittelnden Beamten entziehen sich sowohl ihrer parlamentarischen wie auch jeder juristischen Kontrolle. Diese Schnüffler sind anscheinend so geheim, Herr Minister, dass ausgerechnet Sie

(Zwischenruf Trautvetter, Innenminister: Da gibt es parlamentarische Gremien...)

sich jetzt hier so ereifern. Ich darf Sie daran erinnern, Sie behandeln...

(Zwischenruf Trautvetter, Innenminister: Die PDS ist in den parlamentarischen Gremien gar nicht vertreten.)

Moment mal bitte. Herr Innenminister, Herr Abgeordneter, einen kleinen Moment Ruhe bitte. Die Debatte sollte so verfolgt werden, dass der Redner, der am Pult steht,

(Zwischenruf Trautvetter, Innenminister: Das ist ja wohl hanebüchen...)

- Herr Innenminister - das Rederecht hat und jeder sich das durch Wortmeldung auch danach noch erringen kann.

Herr Minister, wenn ich mich jedes Mal, wenn ich von Ihnen die Beantwortung einer Kleinen oder Mündlichen Anfrage abgelehnt bekomme, so aufregen würde wie Sie eben jetzt, dann stünde ich wahrscheinlich schon lange nicht mehr hier.

(Heiterkeit bei der CDU)

Aber diese von mir eben erwähnten Schnüffler, Herr Minister, sind ganz offensichtlich so geheim, dass nicht einmal ihre Anzahl in einer Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage von mir preisgegeben wird.

Herr Abgeordneter Hahnemann, der Herr Abgeordnete Fiedler

Am Ende, bitte.

stellt Ihnen am Ende eine Frage.

Hier stellt sich nicht nur die Frage, inwieweit diese Ermittler ihren Fuß in den Kernbereich privater Lebensgestaltung setzen, nein, es kann auch angezweifelt werden, dass Betroffene diese ungewollten Bekanntschaften rechtlich überprüfen lassen können. Denn § 34 Abs. 7 des Polizeiaufgabengesetzes lässt den Behörden gleich mehrere Hintertüren, eine Benachrichtigung zu unterlassen. Da brauchen Sie auf parlamentarische Gremien, Herr Minister, gar nicht hinzuweisen. Damit ist den Leuten nicht geholfen. Revisionsbedarf sehen wir auch hinsichtlich der Schleierfahndung. Unsere Kolleginnen und Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus finden sie in einer Vierparteienkoalition für die Abschaffung verdachtsunabhängiger Kontrollen. Auf dieses Instrument sei auch deshalb zu verzichten, weil es sich als untauglich zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität erwiesen hätte. Auch die Regelungen zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel im Thüringer Verfassungsschutzgesetz gehören auf den Prüfstand. Sie liegen genauso neben den Verfassungsnormen wie die entsprechenden polizeilichen Möglichkeiten. Nicht zuletzt, ich wiederhole es noch mal, muss das Sicherheitsüberprüfungsgesetz kritisch hinterfragt werden. Mindestens die Einbeziehung des engsten Lebensumfelds

und die unzureichenden Auskunfts- und Überprüfungsansprüche gehören aus unserer Sicht auf den Prüfstand. Meine Damen und Herren, unser Antrag fordert die Landesregierung auf, dem Landtag bis Ende Mai einen Bericht über das Ergebnis einer solchen Prüfung vorzulegen. Ob und welche Gesetzesänderungen vorgenommen werden müssen, könnte dann in der Entscheidung des nächsten Landtags liegen.

Am Ende noch eine kurze Bemerkung zum SPD-Änderungsgesetz. Mit dem Entwurf wird dem Antrag des Bundesverfassungsgerichts entsprochen. Die in der Praxis hoffentlich schon abgeschalteten Wanzen und Mikrophone würden damit einer Beerdigung durch die Legislative zugeführt. Aber Ihnen, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, steht die Rolle des Reparaturteams übrigens auch besonders gut. Schließlich waren es nicht wenige SPDAbgeordnete, die im Bundestag den Weg für den großen Lauschangriff frei gemacht haben.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Erzählt keinen Mist.)

Den Schaden beheben, Herr Pohl, für den man selbst mit verantwortlich ist, das ist eine Rolle, der Sie sich öfter stellen sollten.

(Beifall bei der PDS)

Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleben wir es ja dann auch noch, dass Sozialdemokraten die Reste des Sozialstaats, den sie derzeit demontieren, wieder zusammenfügen.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Machen Sie Ihren Wahlkampf woanders, Herr Hahnemann.)

Wir werden Ihrem Gesetzentwurf unsere Zustimmung nicht verwehren. Es ist sicher eine der seltenen Gelegenheiten, die SPD dabei zu unterstützen, dass sie ihre eigene Politik korrigiert. Politik, meine Damen und Herren, und damit komme ich auf die Frage, die Sie gestellt haben, Herr Pohl, was soll man denn machen, wie soll man denn umgehen mit diesen Angelegenheiten, insbesondere Innen- und Sicherheitspolitik. Man sollte darüber nachdenken,

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD:... nach Hause schicken.)

Herr Döring, Innen- und Sicherheitspolitik muss ehrlich und realistisch sein. Natürlich kann man den Weg so genannter innerer Sicherheit weitergehen. Gesetze lassen sich ändern, selbst das Grundgesetz. Meinungen und Mehrheiten dafür würden sich finden. Man kann über Panzer vor dem Bundestag nachdenken, die Folter androhen, den Verfassungsschutz zentralisieren, die Bürger vermessen und einscannen, den Verdacht zum ausreichenden Tatbestand

erheben oder die Schutzhaft einführen. Alles das ist vielleicht möglich, nur eines nicht, meine Damen und Herren, Terroranschläge werden damit nicht verhindert. Nein, den Bürgern wird nur mehr Sicherheit vorgegaukelt. Die Regierenden entledigen sich so elegant der Verantwortung, über politische Antworten auf den internationalen Terrorismus nachzudenken. Verlieren können wir in diesem Prozess alles das, was uns von denen...

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Bleiben Sie doch beim Thema, wir haben hier einen konkreten Antrag vorliegen.)

Herr Pohl, wenn Ihnen nicht gefällt, was ich hier rede, können Sie doch rausgehen. Wir können in diesem Prozess

(Zwischenruf Abg. Dr. Pietzsch, CDU: Er hat doch den Auftrag, Wahlkampf zu machen.)

alles das verlieren, was uns von denen unterscheidet, die das Leben und die Demokratie verachten und mit Füßen treten und mit Bomben bedrohen. Das gleiche Denken, das meint, der Terrorismus dürfe keine Wahlen gewinnen, wirft demselben Terrorismus die demokratischen Errungenschaften des Grundgesetzes zum Fraße vor. Am Ende sind es die Sicherheitsapologeten, die den Ausverkauf der demokratischen Zivilgesellschaft betreiben. Aber der Preis, meine Damen und Herren, für die vermeintliche so genannte innere Sicherheit ist hoch. Es sind der Rechtsstaat, die liberalen Grundwerte, die Freiheitsrechte, oder, historisch betrachtet, das Erbe der zweihundert Jahre zwischen 1789 und 1989.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Na den- ken Sie doch mal an das Erbe vor 1989.)

Herr Abgeordneter Dr. Hahnemann, Sie hatten erst einmal zugesagt, dass der Herr Abgeordnete Fiedler Ihnen eine Frage stellen kann. Einen kleinen Moment mal, Herr Abgeordneter Schemmel, hatten Sie eine Redemeldung angezeigt oder auch eine Frage? Sie möchten reden, also bitte erst einmal die Frage von Herrn Abgeordneten Fiedler.

Herr Kollege Hahnemann, Sie bezweifelten vorhin oder haben in Frage gestellt die parlamentarische Kontrolle gerade zum Verfassungsschutz. Ihnen müsste doch bekannt sein, dass die Parlamentarische Kontrollkommission die Überwachung des Verfassungsschutzes im Namen des Parlaments vornimmt. Ich frage Sie, warum hat Ihre Partei, die SE..., Entschuldigung, jetzt hätte ich mich beinahe versprochen, die PDS, ich sage es schon im Vorfeld, wo ich beinahe gestolpert wäre, warum haben Sie sich in dieser Legislatur verweigert? Wir hatten ja schon mal die Zeit, wenn ich mich recht entsinne, hat Kollege Dietl dort

mitgemacht und dort mitgewirkt. Wir haben auch ein Zweites, die G 10, wo das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis kontrolliert wird, wenn es denn angewandt wird. In dieser Kommission ist aus Ihrer Fraktion der Kollege Nothnagel tätig. Wie stehen Sie dazu, dass das Parlament die Kontrolle hier ohne weiteres wahrnimmt und auch sehr ernst wahrnimmt. Warum verweigern Sie sich?

Lassen Sie mich, Herr Fiedler, die Frage, was die PKK angeht, beantworten und zwar mit drei Gründen. Erstens ist es sehr wohl politisch konsequent, wenn man die Abschaffung des Verfassungsschutzes, die Abschaffung aller Geheimdienste fordert, und das mit der Begründung, dass sie eben auch nach der Erfahrung nicht kontrollierbar sind,

(Zwischenruf Abg. Dr. Pietzsch, CDU: Na die Erfahrung zeigt, dass Sie nicht kontrol- lierbar sind.)

(Beifall bei der PDS)

dann ist es politisch konsequent, wenn man sagt, wir gehen

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Sie waren aber drin.)

in die Parlamentarische Kontrollkommission nicht hinein. Zweitens

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: MfS, da haben Sie Recht!)

habe nicht nur ich, sondern auch die anderen Kolleginnen und Kollegen der Fraktion schon mehrere Berichte der Parlamentarischen Kontrollkommission hier im Landtag gehört, und die haben eindrucksvoll bewiesen, dass man den Verfassungsschutz nicht kontrollieren kann. Drittens haben wir mit dieser Einrichtung so viel erlebt, Herr Fiedler, dass ich denjenigen nicht mehr verstehen kann, der glaubt, ein Geheimdienst ließe sich kontrollieren.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter Fiedler, Sie möchten jetzt eine weitere Redemeldung anzeigen. Ich muss jetzt mal die Landesregierung fragen, Herr Innenminister, Sie hatten Ihre Wortmeldung bereits signalisiert. Möchten Sie den Abgeordneten noch vorher reden lassen? Dann Herr Abgeordneter Schemmel für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Mensch ärgert sich eigentlich, wenn er langsam alt wird, aber ein fortschreitendes Alter hat wohl auch

einige Vorteile, ich brauche mir zumindest in der nächsten Legislaturperiode die Ausführungen von Herrn Dr. Hahnemann nicht mehr anzuhören.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Es ist aus meiner Sicht unbegreiflich, wie man die Geschichte kennend, und ich rede jetzt nicht von der DDRZeit, das erspare ich mir, eine Partei wie die Sozialdemokratische Partei in Frage stellt bezüglich ihres Engagements für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

(Beifall bei der SPD)