Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Durch die geplante Änderung werden dem Schienenpersonennahverkehr erneut dringend benötigte Mittel entzogen. Der Investitionsbedarf auf Thüringer Eisenbahnstrecken ist hoch, die Sicherheit auf einigen Strecken Besorgnis erregend. Die jüngsten Unglücke sprechen eine deutliche Sprache. Alles das hindert diese Landesregierung nicht daran, weiter gierig in Richtung Bundesmittel zu greifen. Die Ergebnisse, die sich die Landesregierung durch diese Gesetzesänderung verspricht, sind andere, als sie uns glauben machen will. Nicht die Absicherung des Schülerverkehrs ist das Ziel, diese suggerierte Zielvorgabe soll nur Mittel zum Zweck sein. Die wahren Ziele sind ganz andere. Die erste Gesetzesänderung spricht da eine deutliche Sprache. Die Landesregierung hat es in ihrer damaligen Begründung verstanden, die Abgeordneten davon zu überzeugen, dass es mit der vorgesehenen Gesetzesänderung möglich sei, die Fahrpreise im straßengebundenen ÖPNV stabil zu halten. Die Umwidmung von Regionalisierungsmitteln sei dafür die geeignete und deshalb notwendige Maßnahme. Zweieinhalb Jahre nach der Änderung müssen wir feststellen, das Fahrpreisniveau konnte nicht gehalten werden. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wird aufgrund von Tariferhöhungen durch viele Menschen als unattraktiv bewertet. Die Folgen sind mehr Individualverkehr und eine Verschlechterung der Verkehrssicherheit. Der Innenminister hat eine Verkehrssicherheitsbilanz des letzten Jahres vorgelegt, die Ihnen eigentlich den Schreck in die Glieder jagen müsste.

Dieses, meine Damen und Herren, sind die Ergebnisse. Das versprochene Ziel hätte dabei durchaus erreicht werden können,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Was hat das denn damit zu tun?)

aber dazu wäre es nötig und sinnvoll gewesen, wenn die Landesregierung die durch die Gesetzesänderung frei gewordenen Gelder aus den Regionalisierungsmitteln als Kofinanzierung zum Ausgleich der Betriebskostendefizite verwandt hätte. Diese Landesregierung hat die Änderung genutzt, um sich aus der Verantwortung zu stehlen und die dafür vorgesehenen Landesmittel anders einzusetzen.

(Beifall bei der PDS)

Wo sind eigentlich die von der Landesregierung eingesparten Mittel geblieben? Ich will es Ihnen sagen. Sie sind in den großen Haushaltslöchern verschwunden, die diese Landesregierung mit ihrer verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik erzeugt.

(Heiterkeit bei der CDU)

Die ungebremste Abwanderung von Thüringerinnen und Thüringern wegen fehlender Ausbildungs- und Arbeitsplätze führt dazu, dass Steuereinnahmen nicht im erhofften Umfang erzielt werden können. Ihre verfehlte Politik führt zu enormen Mindereinnahmen.

(Beifall bei der PDS)

Die dadurch entstandenen Haushaltslöcher stopfen Sie über die Zweckentfremdung von Bundesmitteln. Ihre verfehlte Verkehrspolitik war und ist immer noch Schuld daran, dass die Betriebskostendefizite so hoch sind wie sie sind. Ein Nahverkehr unter Ihrer Verantwortung ist nicht so, wie Sie ihn hier gezeichnet haben. Ein Nahverkehr unter Ihrer Verantwortung ist gekennzeichnet durch Tarifsteigerungen, durch Streckenausdünnung, Streckenstilllegung, durch schlechte Vernetzung und Vertaktung, Abkopplung des ländlichen Raumes und vieles andere ließe sich noch aufzählen. Die Folge davon sind verunsicherte Fahrgäste. Sie haben mit Ihren Entscheidungen dafür gesorgt, dass die Nutzung des ÖPNV auf Schiene und Straße für die Menschen in Thüringen immer unattraktiver geworden ist. Sie sind verantwortlich für den Fahrgastschwund, und damit haben Sie es zu verantworten, dass die Unternehmen weniger Einnahmen zu registrieren haben.

(Heiterkeit bei der CDU)

Bei der uns nun vorliegenden Gesetzesänderung kommt zu den bereits genannten politischen Fehlleistungen noch eine völlig verfehlte Bildungspolitik dazu.

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Junge, Junge, setzen Sie sich hin!)

Durch Schulschließungen werden die Wege für Schülerinnen und Schüler immer weiter.

(Beifall bei der PDS)

Damit ist ein höherer Bedarf an Ausgleichszahlungen für den Schülerverkehr die logische Folge. Ihre Reaktion auf die von Ihnen zu verantwortende Fehlentwicklung ist nicht etwa die Revidierung dieser falschen Entscheidung. Nein, Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre politischen Fehler durch Bundesmittel auszugleichen. Meine Damen und Herren der Landesregierung, wir werden Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Gott sei Dank!)

Mit dem, was Sie uns hier vorgelegt haben, haben Sie erneut einen Beweis dafür geliefert, dass Sie politisch am Ende sind.

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich hoffe, die Wählerinnen und Wähler haben am 13.06.2004 ein Einsehen und entlassen Sie aus der Sie überfordernden Verantwortung für dieses Land.

(Beifall bei der PDS)

Und, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, obwohl zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu erkennen ist - aus dem Redebeitrag des Ministers auch nicht -, wie Sie diesen Gesetzentwurf noch so qualifizieren wollen, dass man ihm zustimmen kann, werden wir uns trotzdem einer Ausschussüberweisung nicht verschließen, denn die Hoffnung stirbt zum Schluss. Vielleicht kommt ja tatsächlich noch etwas Sinnvolles, Niveauvolles für das Land dabei raus. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Lippmann, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kollegen, ich werde mich aus guter Tradition so präzise und so kurz wie möglich fassen, aber das, was gesagt werden muss, muss gesagt werden. Ich habe auch nicht den Optimismus, Kollege Lemke, den Sie am Ende geäußert haben. Es wird sich an den ganzen Dingen natürlich nichts ändern, das wissen Sie auch. Also rede ich gar nicht davon, es wird so kommen wie es kommt, aber ein paar Sätze müssen dazu gesagt werden.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung hat einen Punkt B, da steht immer "Alternativen", Sie wissen es ja, und dahinter steht "keine". Das ist ganz einfach unwahr. Alternativen gibt es sehr wohl dazu. Es gibt Alternativen, nämlich die, dass Sie sich als Land, als Freistaat Thüringen nicht völlig aus der Verantwortung für unseren ÖPNV stehlen, nicht völlig.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Unsere Aufwendungen, die das Land für den ÖPNV hat, die sind ja nicht erst seit gestern im Sinkflug, aber seit heute sind sie im Sturzflug.

(Beifall bei der PDS)

Was haben wir eigentlich als Land noch auszugeben? Das will ich Ihnen gar nicht vorrechnen. Jeder kennt die Zahlen, zumindest die, die sich ein bisschen mit Verkehr und mit Haushalt befassen. Wir geben ja schon fast nichts mehr aus. Dass die Zuweisungen für die anteilige Deckung der Betriebskostendefizite, wo wir ja schon eine Novelle des ÖPNV-Gesetzes hatten, unsere Zustimmung fanden, das hielt ich für richtig, denn das waren freiwillige Leistun

gen des Landes. Es ging darum, unsere Verkehrsunternehmen, die Träger, in einen Stand zu versetzen, es war also eine politische Entscheidung, bezahlbare Fahrpreise anzubieten für die Bevölkerung und auch ein flächendeckendes Netz zu erhalten. Das war eine politische Entscheidung, die war richtig, die haben wir mitgetragen und zu der stehen wir auch heute. Nun muss ich Ihnen sagen, dass der Bund und das Land - nicht so, wie es der Herr Minister dargestellt hat, nur der Bund - der Bund und die Länder haben eine Fürsorgepflicht für den ÖPNV. Die haben eine Fürsorgepflicht, und das darf ja nicht nur auf dem Papier stehen sonst wäre es das Papier nicht wert, auf dem es steht -, es muss sich auch im Haushalt niederschlagen. Sie wälzen jetzt zum erneuten Male Pflichten, die eigentlich freiwillige Pflichten oder eine gesetzliche Pflicht der Landesregierung sind, über die 45a-Mittel ganz einfach - die Finanzministerin, Frau Diezel, wird es freuen - auf den Bund ab, auf den immer gescholtenen Bund; er soll für alles zahlen. Ich warte eigentlich - na ja, ich habe ja nicht mehr viel Zeit zu warten - auf noch andere Dinge, die da vom Land auf den Bund übergewälzt werden, damit sich die Kassen des Landes so langsam wieder füllen. Sie gehen mit den Mitteln in diesem Bereich so sorglos um, wie wir es kürzlich, Sie erinnern sich, in einer Debatte hatten, und zwar über die Verwendung der Mittel für das Sonderprojekt Ganztagsschulen. Ich entsinne mich noch ganz ausdrücklich - und die vergesse ich auch nicht - an diese beschämende Debatte, die wir hier in diesem Hause hatten, wo sich Abgeordnete der Mittelfraktion hingestellt und gesagt haben, wir brauchen doch das Geld überhaupt nicht. Ganztagsschulen wollen wir sowieso nicht, also nehmen wir es doch für irgendetwas anderes. Ich habe ja gar nichts dagegen, wenn wir Schulen damit bauen. Aber bitte schön, Schulbau ist Sache des Landes, nicht Sache des Bundes und schon gar nicht aus diesen Mitteln. Das findet jetzt Widerstand. Man kann eigentlich, wenn man böswillig ist, ich will es nicht sein, auch von einer Veruntreuung von Mitteln des Bundes in beiden Fällen sprechen. Es ist eine Veruntreuung von Mitteln des Bundes, die zweckgebunden für andere Dinge ausgereicht werden.

(Beifall bei der SPD)

Um es kurz zu machen und schmerzlos zum Abschluss zu bringen: Wir werden in diesem Fall der Zweiten Änderung des ÖPNV-Gesetzes zu diesem Zwecke nicht zustimmen, tragen selbstverständlich die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik mit, das ist klar, aber ich prophezeie Ihnen, da wird sich auch nicht viel ändern. Es wird auch zu keinem Erkenntniszuwachs kommen. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Schugens, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, werter Kollege Lippmann, ich teile natürlich Ihre Auffassung in vielen Punkten nicht, wie Sie ja erwarten können. Denn die Fürsorgepflicht für den öffentlichen Personennahverkehr als eine öffentliche Aufgabe, das sagt schon der Bund und das Landesgesetz, ist auch Aufgabe der Landkreise, kreisfreien Städte, des Landes, des Bundes in Gemeinsamkeit. Das kann man in den Gesetzen nachlesen. Ich erinnere an den § 3 des Thüringer ÖPNV-Gesetzes, in dem dies dokumentiert ist. Auch ein Teil des ÖPNV ist die Frage des Schülerverkehrs, da wir ja in Thüringen gemeinsam die Linien nutzen, um auch zeckmäßig die Auslastung und damit die wirtschaftliche Verbesserung herbeizuführen.

Meine Damen und Herren, Herr Minister hat die Fakten, Zahlen und die Gründe genannt, die will ich nicht wiederholen. Aber eines steht fest, die Sparzwänge, verursacht durch die chaotische Bundespolitik, bedingen im Haushalt 2003/2004 sowie in den entsprechenden Regelungen zu Einsparungen von Landesmitteln, auch das ist sicher eine Ursache. Dies betrifft eben auch die Schülerbeförderung nach § 45 a des Personenbeförderungsgesetzes. Innerhalb des ÖPNV - eine öffentliche Aufgabe - ist die Beförderung von Auszubildenden erforderlich und auch in Thüringen integriert. Im Sinne des § 2 des Regionalisierungsgesetzes ist allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr zu befriedigen. Somit kann im weitesten Sinne der Einsatz von Regionalisierungsmitteln zum Gewähren von Ausgleichsleistungen nach § 45 gesehen werden und dies sehen wir so. Das Personenbeförderungsgesetz sieht für die Unternehmen, die im Linienverkehr Personen mit Zeitfahrausweisen, also Ausbildungsverkehr, fahren, dementsprechende Mittelausstattung vor, wenn die Gesetzesvorlage so entschieden wird. Nach einer Drucksache des Deutschen Bundestages 12/62229 besteht einerseits der Tatbestand der Mischfinanzierung und andererseits heißt es dort, die Mittel dienen den erforderlichen Leistungen des ÖPNV. Die Länder können diese Finanzmittel sowohl für den Ausgleich von Betriebskostendefiziten als auch für Investitionen einsetzen und dies praktizieren wir erfolgreich in Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

Übrigens gestalten dies auch andere Bundesländer, alte wie neue, der Minister hat sie bereits genannt. Da dies wiederum nur in Vernetzung von Schiene und Straße tragfähig wird, ist es erforderlich, die Mittel auch in diesem Sinne zu sehen und bei der Anwendung zum Einsatz zu bringen.

Meine Damen und Herren, bei einem Flächenland wie Thüringen haben wir in den Flächenlandkreisen kaum noch

Schienenpersonenverkehr und so lässt das Gesetz zu, dass wir Versorgungsleistungen auch auf der Straße organisieren und mitfinanzieren. Im Übrigen sind die Nahverkehrspläne und das koordinierte Verkehrskonzept der Aufgabenträger ebenso Grundlage einer solchen Vorgehensweise. Ich erinnere daran, andere Länder haben diese Aufgabe weit fester gezurrt, indem die kommunalen Körperschaften Zweckverbände zu bilden haben. Wir sind in Thüringen großzügig und geben in der Gesetzesgrundlage die Möglichkeit, auf der freiwilligen Basis zu arbeiten.

Meine Damen und Herren, deshalb soll das ÖPNV-Gesetz in § 8 Abs. 5, das die zweckgebundene Verwendung von Regionalisierungsmitteln für den ÖPNV bereits in einer früheren Novelle festgelegt hat, um die Ausgleichszahlungen entsprechend des Personenbeförderungsgesetzes erweitert werden. Nach § 5 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz steht den Ländern ein jährlicher Betrag aus dem Mineralölsteueraufkommen zur Verfügung, dies für den öffentlichen Personennahverkehr einzusetzen. Damit ist insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren, aber es sind eben auch andere Leistungen möglich. Das insbesondere lässt die Spielräume für Finanzierungen über den SPNV hinaus zu. In den meisten anderen Bundesländern ist dies anderweitig definiert und in der Verwendung zum praktischen Handeln gegeben.

Meine Damen und Herren, die Zahlen sind genannt, die in Thüringen auch in diesem Jahr für den ÖPNV bereitgestellt werden. Dass hier drastisch zurückgefahren würde, ist nicht die Wahrheit. Der Minister hat die Zahlen genannt. Natürlich haben wir auch Einsparungen in diesem Zusammenhang im Bereich

(Zwischenruf Abg. Lippmann, SPD: Sie müssen mal in den Haushalt gucken, gu- cken Sie mal die letzten drei Jahre an.)

der Investitionen. Die letzten drei Jahre, Herr Lippmann, ruhig bleiben, ruhig bleiben. Wir wissen genau, dass die beiden Haushalte 2003 und 2004 schon unter Finanzzwängen, die durch die Bundespolitik verursacht wurden, zustande gekommen sind. Das muss man einfach wiederholen und dann kann man doch nicht einfach alles umdrehen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, um dies weiter zu erörtern, schlagen wir vor, dass der Gesetzentwurf natürlich im Ausschuss weiterbehandelt wird, und wir gehen davon aus, dass in der nächsten Sitzung, in einer Sondersitzung am 28.04., die Zustimmung erfolgen wird. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Kretschmer, noch ein Redebeitrag? Ja? Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Kollege Lemke, man merkt, dass Sie lange Zeit abwesend waren hier in dem Landtag. Die Rede, die Sie gehalten haben, ist wahrscheinlich in der Asservatenkammer konserviert gewesen und jetzt, nachdem Sie zurückgekommen sind, haben Sie sie wieder hervorgeholt.