Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Mit Recht!)

ein heuchlerisches Hochspielen der Ereignisse vor und behaupteten, dadurch gewännen künftige Veranstaltungen

dieser Art für die rechte Szene zusätzliche Attraktivität. Einzig die Gegendemonstration stellt nach Ihren Äußerungen an jenem Samstag ein größeres Problem dar. Herr Innenminister, sind Sie denn eigentlich auf dem rechten Auge blind? Ich möchte klarstellen, und das will ich Ihnen auch sagen, dass hier nicht die polizeiliche Arbeit kritisiert wurde. Die Einsatzkräfte haben richtig gehandelt und haben auch richtig agiert. Ihre Arbeit, Herr Innenminister, steht hier im Mittelpunkt der Kritik.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Belehrungen über den Inhalt und die Schranken des Artikels 8 Grundgesetz hören sich zwar souverän und staatstragend an, wenn sie aber wie hier gegeben werden, um die Unzulänglichkeit der Verwaltung zu decken, die es nicht verhindern konnte, dass am 26. Februar zwischen 300 und 400 Neonazis skandierend durch die Landeshauptstadt zogen, tritt das schnell zutage. Herr Innenminister, Ihr Ressort hat versagt, als es um die Aufklärung - und hier müssen wir doch den Schwerpunkt legen - im Vorfeld und die Beratung der Kommunen ging.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt gerade im Zusammenhang mit den Ereignissen in Erfurt offene Fragen, die auch heute nur ausweichend beantwortet wurden. Warum wurde von viel weniger Teilnehmern ausgegangen als tatsächlich kamen? Konnte der Verfassungsschutz wirklich nicht wissen, dass sich hier eine größere Veranstaltung anbahnt? Sehr unwahrscheinlich, wenn man beispielsweise weiß, das haben Sie uns ja eben auch noch bestätigt, dass in Gera die Rechten bei der NDPD-Veranstaltung für diese Veranstaltung am 26. Februar schon geworben haben. Hätte da nicht der Verfassungsschutz weiter aufmerksam werden und Maßnahmen ergreifen müssen? Warum gingen die Ordnungsbehörden der Stadt Erfurt offensichtlich von einer anderen Teilnehmerzahl aus als die zuständige Polizei? Die Ordnungsbehörden der Stadt Erfurt mögen wohl die Hoffnung gehabt haben, die Kundgebung der Interessengemeinschaft gehe im samstäglichen Einkaufsgewühl unter. Dass die Ihnen zur Beratung verpflichteten Rechtsaufsichtsbehörden dies gedacht haben könnten, glaube ich nicht. Tatsache ist doch, die Stadt Erfurt wurde falsch informiert bzw. falsch beraten bzw. überhaupt nicht beraten, erstens hinsichtlich der Teilnehmerzahlen und zweitens bezüglich möglicher weiterer Auflagen. Warum wurde denn z.B. kein anderer Demonstrationsweg festgelegt als eine Auflage, kein anderer Demonstrationsplatz festgelegt als mitten in Erfurt?

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Sie reden zu viel.)

Es stellt sich auch nach meiner Auffassung die Frage nach einem Verbot von Fahnen und Transparenten,

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das nächste Mal ist es das Grundgesetz.)

z.B. auch schon wegen der Straßenbahnoberleitungen in den engen Straßen vom Domplatz bis zum Fischmarkt, oder die Frage, warum die Rechten nach erfolgter Kundgebung mitten durch die Innenstadt wieder zum Bahnhof zurückgeleitet wurden. Aber was hier das besonders Verwerfliche ist, die Rechten konnten wiederum mit ihren Fahnen und mit ihren Losungen diesen Rückweg zu einer Demonstration machen. Das ist doch das Problem dabei. Für mich stand natürlich auch eine andere Frage, Herr Innenminister: Warum wurde den potenziellen Anmeldern der Gegendemonstration eine so geringe Teilnehmerzahl angegeben, so dass sie von einer Kundgebung - nach Ihrer Aussage - absahen? Ich wage nicht darüber nachzudenken, ob diese Auskunft absichtlich gegeben wurde, denn ein solches Vorgehen wäre wirklich der Gipfel der Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das kann doch kein Altersstarrsinn sein.)

Dass ich jetzt nicht falsch verstanden werde, ich halte die wohl geplante Gegendemonstration nicht anzumelden und abzuwarten für falsch.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das ist nicht falsch, das ist gesetzwidrig.)

Denn ich bin mir darüber auch bewusst, dass am 18.02. bereits Plakate in Erfurt zu dieser Antifa-Aktion aufgerufen haben, und das ist gesetzwidrig.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Günter, du bist ein einziger Hektiker.)

Meine Damen und Herren, die Aufforderung des Ministerpräsidenten an die Kommunen, ihren Ermessensspielraum voll auszuschöpfen, mutet als ein weiteres Abschieben von Verantwortung an. Ich kann verstehen, dass sich die Kommunen in dieser Frage, mit diesem Ereignis vom Land allein gelassen fühlten. In der Vergangenheit erfolgte die Vorbereitung einer solchen Veranstaltung stets in enger Zusammenarbeit der Verantwortlichen auf staatlicher und kommunaler Ebene. Die betroffenen Kommunen wurden ständig konkret über die Veranstalter der verschiedenen Aufmärsche informiert, denn so ist es doch eigentlich auch nur möglich, über entsprechende Auflagen und, ich sage, eventuelle Veranstaltungsverbote zu entscheiden.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Jetzt wirst du besser!)

Dass CDU-Fraktionsvorsitzender Althaus und auch der Präsident des Verfassungsschutzes im Nachhinein einmütig verkündeten, dass ein verbesserter Informations

fluss zwischen den Behörden notwendig sei, dem gibt es nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Aber man hätte danach handeln müssen. Ich denke, in diesem Zusammenhang steht für mich auch, Herr Innenminister, die Kritik des Gemeinde- und Städtebundes, der Sie sich auch stellen sollten. Ich zitiere mit Genehmigung:

Der Gemeinde- und Städtebund sagt: "Um solche Aufmärsche verhindern oder die Spielräume der Veranstalter einengen zu können, benötigen wir die Unterstützung und Beratung durch die Landesbehörden." Und an einer weiteren Stelle: "Wenn die Städte das wirkungsvoll tun sollen, dann müssen sie vom Verfassungsschutz und dem Innenministerium aber auch ausführlich über die Veranstalter entsprechender Aufmärsche und die zu erwartenden Teilnehmerzahlen informiert werden, denn nur mit den richtigen und umfassenden Informationen könne ein effektives Vorgehen der Ordnungsämter geplant werden." Ich glaube, hier gibt es nichts hinzuzufügen.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Sie zitie- ren doch gar nicht den Gemeinde- und Städ- tebund, das stimmt doch gar nicht.)

Ich habe eine Presseerklärung dazu gelesen, Herr Jaschke.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich gebe dem Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Recht, wenn er sagt, dass es keine Patentrezepte für Extremismusbekämpfung gibt und die Bekämpfung von Extremismus als gesamtgesellschaftliches Problem zu begreifen ist. Aber hinter dieser Feststellung kann sich der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz nicht verstecken; er hat eben auch und dieses Amt hat eben auch konkret seinen Beitrag zur Bekämpfung des Extremismus zu leisten. Hier gab es in Erfurt augenscheinlich Pannen. Nicht Worte, sondern Taten sind gefragt.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Wo denn?)

Und genau, Herr Innenminister, diesen Blick auf diese präventiven gesamtgesellschaftlichen Aspekte vermisse ich gerade auch bei der von Ihnen vorgestellten Konzeption zur Bekämpfung des Extremismus. Es ist richtig, Sie haben diese Konzeption anlässlich der Aktuellen Stunde zu Schorba angekündigt, aber eine Konzeption kann nach meiner Auffassung nur Teil eines Gesamtkonzepts der Landesregie

rung sein. Thüringen ist eben, und das ist eine Tatsache, das einzige neue Bundesland, das kein Programm gegen Rassismus hat und auch nicht plant.

Meine Damen und Herren, Herr Innenminister, in der Aktuellen Stunde zu den Ereignissen in Schorba erklärten Sie, dass Sie zwei Tage nach den Ereignissen in Schorba, also am 15. November, angewiesen haben, eine Konzeption zum präventiven Vorgehen der Polizei gegen die rechte Szene in Thüringen auszuarbeiten. Sie sprachen z.B. damals unter anderem von der Schaffung eines permanenten Überwachungsdrucks auf die erkannten Mitglieder der rechten Szene. Aber ich hätte mir gewünscht, dass schon während der Erarbeitung dieses Konzepts,

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Was Sie sich wünschen.)

bezogen auf die Ereignisse in Erfurt und Gera, es erste Erfolge gegeben hätte, aber es war Fehlanzeige. Herr Innenminister, die Konzeption ist unseres Erachtens eine unausgereifte Ansammlung von vielen Einzelmaßnahmen, die außer dem reichlich selbstverliebten Titel der Presseerklärung "Köckert will die harte Linie" nicht viel zu bieten hat. Einmal besteht sie aus einer Reihe von Maßnahmen wie die Beratung der Ordnungsämter, die in der Vergangenheit, das habe ich vorhin schon einmal erklärt, eigentlich selbstverständlich waren und es heute auch noch sein müssten. Dass man gerade diese Erkenntnis als eine neue Erkenntnis verkauft, das ist schon einmalig. Zum anderen sind eben auch in dieser Konzeption Maßnahmen enthalten, die auch aus anderen Aspekten fragwürdig sind. Als Beispiel nenne ich hierbei nur das Zerren unpolitischer Mitläufer aus der Anonymität. Mit solchen Maßnahmen, Herr Köckert, kann oft eher auch das Gegenteil erreicht werden, eben auch ein Solidarisierungseffekt.

Herr Innenminister, anlässlich Ihrer Pressekonferenz bei der Vorstellung des Konzepts gingen Sie auch davon aus, dass die Polizei vor Ort für diese Maßnahmen um 300 bis 400 Beamte verstärkt werden müsste. Aber, Sie sprachen auch davon, Sie planen keine Neueinstellungen. Nur, Herr Innenminister, mit Umschichtungen ist das Problem nicht zu lösen. Ein entsprechendes Personalentwicklungskonzept, um diese Misere zu lösen, lag bereits in der vergangenen Legislaturperiode vor. Hier hätte man damals auch schon zugreifen müssen.

(Zwischenrufe aus der CDU-Fraktion: Luft- nummer!)

Die Vorstellung, die Sie vor 14 Tagen gegeben haben, Herr Innenminister, dient auch nur der Beruhigung der Öffentlichkeit. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, auch das Problem der inneren Sicherheit, Herr Innenminister, liegt bei Ihnen nicht in besonders kompetenten Händen.

(Beifall bei der SPD)

Hier auch ein entsprechendes Brecht-Zitat: "Nur wer die Wirklichkeit erfasst, kann die Wirklichkeit verändern." Bemühen Sie sich, Herr Innenminister, diese Wirklichkeit auch zu erfassen. Thüringen darf nicht zum Aufmarschgebiet radikaler Kräfte werden. Das schulden wir den Bürgern unseres Landes, das schulden wir auch dem Wirtschaftsstandort Thüringen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Gut gebrüllt Löwe!)

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Fiedler, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr ehemaliger Justizminister, Sie sagten gerade hinten so locker vom Hocker, die Feuerwehr muss eingesetzt werden mit Strahlrohr. Vielleicht ist das Ihr Wille, dass Sie das so haben wollen. Wir halten uns jedenfalls nach wie vor an den Rechtsstaat. Hätten Sie vielleicht damals ein bisschen mehr gemacht, hätten wir vielleicht manche Dinge noch besser im Griff.

(Beifall bei der CDU)

Sie sollten auch diese lockeren Bemerkungen immer einmal ein bisschen für sich behalten.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Pohl, Sie hatten sich wahrscheinlich versprochen oder Sie waren noch so sehr an Ihren alten Dingen verhaftet, dass Sie vorhin von der NDPD sprachen. Sie haben es vielleicht nicht gemerkt, vielleicht waren Sie da zu lange drin, und der Herr Innenminister hat Ihnen doch noch einmal deutlich gemacht, dass Sie vielleicht noch in Ihren alten Dingen stecken geblieben sind und vielleicht den Rechtsstaat noch nicht ganz verstanden haben.

(Unruhe bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einmal versuchen auf die Fakten einzugehen. Aus Anlass des Demonstrationsgeschehens in der Landeshauptstadt Erfurt am 12. Februar dieses Jahres liegen uns Anträge bzw. Berichtsersuchen aller im Thüringer Landtag vertretenen Fraktionen vor. Was mich erfreut, in allen Anträgen kommt die Besorgnis über extremistische Tendenzen zum Ausdruck. Wir befinden uns hier im Thüringer Parlament, um diese Dinge zu erörtern. Deshalb unterstelle ich einmal, dass es die Stunde der Demokraten ist, die heute schlägt,

(Unruhe im Hause)

dass es die Demokraten sind - hören Sie doch erst einmal zu -, die von der Landesregierung über die geschehenen Ereignisse informiert werden wollen. Das hat der Thüringer Innenminister Christian Köckert gerade vor kurzem hier getan. Er hat es sehr explizit und, ich glaube, auch vollständig getan. Ich brauche darauf nicht mehr im Einzelnen einzugehen.