Sehr verehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin, die CDU-Fraktion hat den Antrag "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" auf die Tagesordnung gesetzt, weil sie der Auffassung ist, dass seit geraumer Zeit eine Diskussion über dieses weit reichende Papier stattfindet. Wir sind der Meinung, wir müssen uns auch im Landtag mit diesem Thema befassen, denn die Tragweite der Entscheidungen, die dort fallen werden, ist von enormer Bedeutung auch für den Freistaat Thüringen wie für alle anderen Staaten und für alle anderen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland.
Unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Herzog wird dieses Papier erarbeitet und wir haben dankenswerterweise einen Vertreter in dieser Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene. Herr Minister Gnauck hat dort eine führende Funktion, was die Vertretung der deutschen Länder betrifft. Insofern wünschen wir also, dass der Stand hier zur Kenntnis gegeben wird und dass sich das Parlament an dieser Diskussion um die Charta der Grundrechte beteiligen kann.
Zweitens: Es gibt einen Entschließungsantrag der CDUFraktion zu eben diesem Antrag. Wir halten es für besonders wichtig, dass formuliert wird und auch mit einem Beschluss versehen wird, das Subsidiaritätsprinzip in diese Beratung der Charta aufzunehmen. Wir sind der Meinung, dass Entscheidungen auf der niedrigsten Ebene getroffen werden müssen, um bürgernah zu sein. Um diesem Grundsatz folgen zu können, haben wir diesen Entschließungsantrag gestellt. Vielen Dank.
Es ist signalisiert worden, dass die Landesregierung den Sofortbericht erstattet. Herr Minister Gnauck, bitte.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die CDUFraktion hat die Landesregierung gebeten, dem Landtag über den Stand der Beratungen über den Entwurf für eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu berichten. Ich freue mich ganz besonders, dem hohen Haus aus eigener Anschauung einen Bericht über die Arbeit des Konvents geben zu können, der diese Charta derzeit erarbeitet.
Von Anfang an haben die Europäischen Gemeinschaften Hoheitsgewalt ausgeübt. Diese Machtausübung brachte und bringt Eingriffe in die Rechte und Pflichten der Bürger mit sich. Ich möchte Ihnen dafür nur zwei Beispiele nennen. Wenn eine europäische Wettbewerbsbehörde in einer Art Nacht-und-Nebel-Aktion Geschäftsräume eines Unternehmens stürmt, um vermutete Verstöße gegen das europäische Wettbewerbsrecht festzustellen, dann greift sie damit in die Unverletzlichkeit der Wohn- und Geschäftsräume ein. Oder wenn ein Sozialhilfeempfänger gezwungen ist, beim Kauf von verbilligter EG-Weihnachtsbutter seinen Namen und damit seine Identität preiszugeben, dann steht damit sein Persönlichkeitsrecht in Frage. Derartige Fälle haben den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg schon sehr bald dazu gebracht, auch auf europäischer Ebene Grundrechte, und zwar gegenüber der europäischen Hoheitsgewalt, anzuerkennen. Seit Ende der 60er Jahre hat er in mehreren Urteilen eine ganze Reihe von gewissermaßen europäischen Grundrechten entwickelt, um der Machtfülle Brüssels Grenzen zu setzen. Damit hat der Gerichtshof eine Lücke im Rechtsschutz geschlossen. Schon im Jahr 1986 stellte unser Bundesverfassungsgericht fest, der Gerichtshof in Luxemburg gewährleistet durch seine Rechtsprechung einen Grundrechtsschutz, der dem deutschen Grundrechtsschutz im Wesentlichen vergleichbar sei. Das Problem besteht nun darin, dass alle diese europäischen Grundrechte für den Unionsbürger bis heute noch nicht in zusammengefasster Form nachlesbar sind. Sie werden daher oft gar nicht wahrgenommen. Bislang handelt es sich lediglich um ungeschriebenes Richterrecht, wie es in der Sprache der Juristen heißt. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, entstand der Wunsch nach einer Kodifizierung der Grundrechte, die auf europäischer Ebene gelten. Immer wieder gab es Ansätze und Vorstöße dazu, etwa durch eine Erklärung des Europäischen Parlaments im Jahr 1989. Im letzten Jahr hatte schließlich eine deutsche Initiative Erfolg. Es stand gerade Deutschland mit seinen schlimmen historischen Erfahrungen, aber auch mit seiner geradezu vorbildlichen 50-jährigen Grundrechtstradition gut an, für solch eine Charta der Grundrechte einzutreten. Es ist keineswegs ein Zufall, dass die Staats- und Regierungs
chefs der Europäischen Union diese deutsche Anregung gerade auf dem Gipfel von Köln im Juni 1999 und dann von Tampere im Oktober 1999 aufgegriffen haben.
Ich halte zwei Gründe für ausschlaggebend. Wir erinnern uns alle noch an die monatelange Glaubwürdigkeitskrise der Europäischen Union, die ihren Gipfelpunkt schließlich im Rücktritt der Santer-Kommission fand. Vor dem Hintergrund dieser gravierenden Glaubwürdigkeitskrise ging es den Staats- und Regierungschefs vor allem darum, die Europäische Union für die Bürger wieder als Wertegemeinschaft deutlich werden zu lassen. Denn, vergessen wir nicht, Grundrechte sind zwar in erster Linie Abwehrrechte gegen hoheitliches Handeln, zugleich sind sie aber Ausdruck einer gesellschaftlichen Werteordnung. Die angestrebte Kodifizierung der europäischen Grundrechte könnte mithin einen Konsens der Bürger über die Grundwerte der Europäischen Union herbeiführen. Sie könnte also besonders identitätsstiftend im Sinne einer Stärkung des europäischen Bewusstseins wirken. Darüber hinaus, und dies ist der zweite Grund für die Initiative, geht es darum, auch gegenüber den zahlreichen Beitrittskandidaten ein Zeichen zu setzen, und zwar ein Zeichen, dass diese Länder nicht nur einer Wirtschafts-, sondern auch einer Wertegemeinschaft beitreten werden. Dieser übergeordnete Aspekt darf gegenüber der Anpassung zahlloser technischer und rechtlicher Standards an EURichtlinien nicht vernachlässigt werden. Diese Gründe bewegten den Europäischen Rat dazu, einem Gremium von 62 Persönlichkeiten aus allen 15 Mitgliedsstaaten, dem so genannten Konvent, den Auftrag zu erteilen, eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu entwerfen. Bei dem Konvent handelt es sich um ein bisher einmaliges Gremium. Erstmals werden bei einem wichtigen Projekt der europäischen Integration neben den Regierungen der Mitgliedsstaaten sowohl das Europäische Parlament als auch die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten einbezogen. Ich denke, diese Vorgehensweise sollte für die Zukunft durchaus Modellcharakter haben.
Wie setzt sich nun, meine Damen und Herren, der Konvent im Einzelnen zusammen. Während die Europäische Kommission einen Beauftragten stellt, nämlich den aus Portugal stammenden Kommissar Vitorino, gehören ihm darüber hinaus 15 Bevollmächtigte der Regierungen - von deutscher Seite, der Abgeordnete Schröter erwähnte es bereits, Altbundespräsident Roman Herzog - an. 15 weitere Bevollmächtigte der Regierungen kommen hinzu. 16 Delegierte entsendet das Europäische Parlament. Aus Deutschland kommen die Abgeordneten Friedrich, Schulz und Kaufmann. Weitere 30 Mitglieder stammen aus den nationalen Parlamenten. Und hier hat man sich auf deutscher Seite darauf geeinigt, dass Bundestag und Bundesrat gleichermaßen repräsentiert sein sollen. Den Bundestag vertritt der Kollege Meyer und ich selbst habe die Ehre, den Bundesrat vertreten zu dürfen.
Im Konvent sind zahlreiche Wissenschaftler vertreten. Etwaige Befürchtungen möchte ich aber sofort zerstreuen. Es handelt sich nicht um ein abgehobenes Professorenparlament, das fernab der Gesellschaft und unberüht von den heute brennenden Anliegen, gewissermaßen im Elfenbeinturm, debattiert. Im Gegenteil, der Konvent pflegt den intensiven Dialog mit den Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppierungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten.
In dreifacher Weise beziehen wir Bürgerinnen und Bürger in die Erarbeitung dieses Chartaentwurfs mit ein. Zunächst haben Bundestag und Bundesrat auf meine Anregung hin eine gemeinsame Anhörung durchgeführt, die am 5. April diesen Jahres im Berliner Abgeordnetenhaus stattfand. Hier kamen u.a. Vertreter der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, von Menschenrechtsgruppen, Umweltvereinen, Vertreter der Kirchen und sozialen Verbände sowie der Berufsverbände, etwa des Deutschen Richterbundes oder des Deutschen Anwaltsvereines, zu Wort. Wir deutschen Konventsmitglieder haben bei dieser Anhörung wertvolle Anregungen gewonnen, die wir immer wieder in die Diskussion des Konvents einbringen können. Der Konvent selbst hat am 27. April 2000 Vertreter der auf europäischer Ebene tätigen Organisationen nach Brüssel gebeten. Weit über 60 Angehörige der so genannten Zivilgesellschaften, so heißt das im Amtseuropäischen, kamen zu Wort. Über diese beiden Anhörungen hinaus fand und findet auch ein reger Austausch und das wird sicherlich den Kultusminister ganz besonders freuen - über das Internet statt. Es ist meines Wissens das allererste Mal, dass die Öffentlichkeit sich an einem europäischen Reformprojekt über dieses neue Medium beteiligen kann. Per E-Mail haben schon zahlreiche Organisationen ihre Stellungnahmen, Anregungen oder auch Wünsche der europäischen Öffentlichkeit präsentiert, so auch - um nur ein Beispiel zu nennen - die evangelische Akademie Neudietendorf.
Die Menschen in den 15 Mitgliedsstaaten artikulieren auf diesem Weg unmittelbar ihre Erwartungen an die Charta der Europäischen Union. Ich denke, das ist ein bisher einmaliger Vorgang. Allerdings, und das möchte ich auch heute nicht verschweigen, bedarf es aus meiner Sicht noch einer sehr viel stärkeren öffentlichen Debatte über diese Charta.
Wie ich vor Kurzem noch einmal deutlich gemacht habe, war es ein Versäumnis, die großen europäischen Themen den Bürgern nicht oder nicht rechtzeitig zu vermitteln, etwa beim Vertrag Maastricht mit seinen weit reichenden Auswirkungen auf unser tägliches Leben. Ein
solcher Fehler darf sich dieses Mal nicht wiederholen, zumal es gerade um die Rechte und Freiheiten der Bürger und um eine bessere Machtkontrolle der Europäischen Union geht. Wenn es uns gelingt, die Bürger europaweit anzusprechen und in die inhaltliche Debatte über die Charta einzubinden, können wir einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der europäischen Identität leisten.
Wie soll nun der Inhalt dieser Charta aussehen? Hier hat der Europäische Rat, und deswegen stelle ich es voran, drei klare Vorgaben gemacht. Die Charta soll drei unterschiedliche Gruppen von Grundrechten umfassen. Zunächst geht es um die klassischen Freiheits- und Gleichheitsrechte sowie um die Verfahrens- oder justiziellen Grundrechte. Beispiele hierfür sind das Recht auf Religionsfreiheit, auf Gleichbehandlung von Frauen und Männern, die Nichtdiskriminierung von Behinderten oder die Verteidigungsrechte vor Gericht. Der Europäische Rat hat dem Konvent zugleich zwei Maßstäbe an die Hand gegeben, um diese Rechte auszuarbeiten. Zum einen soll sich der Konvent an der 1950 verabschiedeten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der EMRK, orientieren, zum anderen soll der Konvent die gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Mitgliedsstaaten aufgreifen; mit anderen Worten, er soll die Grundrechtskataloge der Verfassungen der einzelnen Mitgliedsstaaten heranziehen und damit selbstverständlich auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Die zweite Gruppe der Grundrechte sind diejenigen, die den Unionsbürgern und damit den Staatsangehörigen der einzelnen Mitgliedsstaaten zustehen, also vor allem die politischen Rechte. Ich nenne das Wahlrecht zu den Kommunalvertretungen, das inzwischen auch den Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten offen steht, das Wahlrecht zum Europäischen Parlament oder auch, ein besonders wichtiges Beispiel, die Freizügigkeit, denn die Unionsbürger dürfen sich ja innerhalb Europas frei bewegen und sich aufhalten, wo sie wollen.
Drittens soll sich der Konvent mit wirtschaftlichen und sozialen Rechten befassen. Da gibt es allerdings eine Einschränkung, nämlich soweit sie - und darauf kommt es an - nicht nur politische Ziele der Union beschreiben; reine Zielbestimmungen oder Programmsätze, die nicht gerichtlich durchsetzbar sind, dürfen also gerade keine Aufnahme in die Charta finden.
Der Europäische Rat hat dem Konvent eine schwierige Aufgabe gestellt. Zugleich hat er den zeitlichen Rahmen sehr eng gesteckt. Wie es in dem Beschluss von Köln heißt, soll der Konvent den für alle Seiten zustimmungsfähigen Entwurf - dafür hat das hohe Haus ja heute schon mehrere Beispiele gezeigt - der Charta so rechtzeitig zur Tagung des Europäischen Rates im Dezember 2000 vorlegen, dass die Charta anlässlich dieses Gipfeltreffens feierlich proklamiert werden kann.
Angesichts dieser Vorgaben möchte der Konvent den kompletten Entwurf bereits Ende September 2000 fertig stellen, um ihn dann spätestens im Oktober dem Europäischen Rat zuzuleiten. Um dieser Zielvorgabe gerecht zu werden, hat sich der Konvent bereits am 17. Dezember letzten Jahres zu seiner konstituierenden Sitzung getroffen und dabei Roman Herzog zu seinem Vorsitzenden gewählt, der seither unabhängig und unparteiisch die Verhandlungen souverän leitet. Seit Anfang dieses Jahres ging es immerhin in acht zweitägigen Sitzungen ans Werk; Sie wissen, Herr Kollege Kretschmer, was dies bedeutet auf europäischer Ebene. Wir haben gerade letzte Woche eine Art erste Lesung sämtlicher Rechte und Bestimmungen abgeschlossen. Diese erste Lesung geschah noch relativ offen, damit wirklich alle Auffassungen aus den unterschiedlichen Rechtskulturen in Europa zu Wort kommen konnten. Gegenwärtig treten wir in die entscheidende Phase der Beratungen ein. Anfang Juni beginnt die zweite Lesung, die sich bis zur letzten Sitzung vor der Sommerpause Mitte Juli erstrecken wird. Am Ende der zweiten Lesung, d.h. bereits in zwei Monaten, wird die zukünftige Gestalt der Charta sehr klar erkennbar sein.
Lassen Sie mich an dieser Stelle, meine Damen und Herren, einige erläuternde Hinweise zum durchaus ungewöhnlichen Verfahren im Konvent geben. Wir haben uns zu Beginn darauf verständigt, keine gesonderten Arbeitsgruppen zu Einzelthemen oder zu bestimmten Grundrechtskategorien einzurichten, sondern stets alle 62 gemeinsam zu tagen. Eine Geschäftsordnung haben wir uns nicht gegeben. Auch auf Abstimmungen wird bewusst verzichtet, um einen für alle Seiten zustimmungsfähigen Chartaentwurf zu bekommen. Es hat den Anschein, dass Roman Herzog, ein in diesen Dingen äußerst erfahrener Praktiker, insgesamt auf Abstimmungen verzichten will - und seien es auch nur Probeabstimmungen, um ein Meinungsbild zu erhalten. Der Beschluss von Köln gibt dem Vorsitzenden insoweit auch große Freiheiten. Danach genügt es, dass der Vorsitzende im engen Benehmen mit seinen stellvertretenden Vorsitzenden zu der Auffassung gelangt, dass der Chartaentwurf für alle Seiten zustimmungsfähig ist. Für alle Seiten bedeutet offensichtlich, nicht nur für die 62 Konventmitglieder, sondern auch für das Europäische Parlament, für die nationalen Volksvertretungen und für die Regierungen, so dass man schon ergänzen muss, das gleicht einer Herkulesaufgabe. Natürlich arbeitet der Konvent nicht im luftleeren Raum. Gleich zu Beginn hat sich ein Redaktionsausschuss gebildet, das so genannte Präsidium, das gleichfalls unter Vorsitz von Roman Herzog tagt. Dieses Präsidium erarbeitet den Konventmitgliedern Vorschläge für die Formulierung der einzelnen Grundrechte. Hierzu erarbeiten die deutschen Länder in einer Arbeitsgruppe, die von Thüringen geleitet wird, jeweils schriftliche Anmerkungen. Diese Anmerkungen lasse ich dann Roman Herzog vor den entsprechenden Tagungen des Konvents zukommen. Dadurch und durch meine mündlichen Interventionen im Konvent selbst ist gewährleistet, dass die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger, aber besonders auch die Interessen der deutschen
Länder gebührend Berücksichtigung finden. Die Arbeit der Arbeitsgruppe der deutschen Länder ist mit großem Aufwand verbunden. Auch sie hat sich in der letzten Zeit nahezu wöchentlich getroffen, um die aktuellen Beratungen im Konvent zu besprechen und Länderpositionen festzulegen. Dies ist erfreulicherweise nahezu immer im Konsens gelungen, d.h. über alle Parteigrenzen hinweg. Ich füge hinzu, ich würde mir wünschen, dass das auch so bleibt. Im Konvent selbst zeichnet sich in folgenden Punkten eine Mehrheit, wenn nicht sogar ein Konsens ab. Beim so genannten Adressatenkreis ist man sich weitgehend einig, die Charta soll vor allem die Organe der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft binden, aber auch die Mitgliedsstaaten, diese allerdings nur, soweit sie EU-Recht umsetzen oder anwenden. Aus deutscher Sicht ist besonders wichtig, es herrscht Einigkeit darüber, dass die Charta keinesfalls die Kompetenzen der Europäischen Union erweitern soll.
Meine Damen und Herren, und dies möchte ich auch an dieser Stelle ganz klar sagen, die Charta darf die Kompetenzen auf europäischer Ebene nicht ausweiten, sondern ganz im Gegenteil - sie muss der Machtfülle Brüssels Grenzen setzen.
Weiter steht fest, dass die europäische Menschenrechtskonvention der Mindeststandard ist, der nicht unterschritten werden darf. Im Übrigen darf die Charta nicht etwa zu einer Nivellierung oder Harmonisierung der auf nationaler Ebene geltenden Grundrechte führen oder den Versuch dazu starten, etwa die Grundrechte, die in unserem Land verankert sind. Nur ganz wenige Grundrechte sollen ohne Beschränkungen gewährleistet werden. Dies gilt etwa für das Verbot der Folter und der Sklaverei. Die allermeisten Grundrechte können allerdings nicht schrankenlos gewährleistet werden, weil damit automatisch eine Kollision verschiedener Grundrechte vorprogrammiert wäre. Denken Sie nur, um ein Beispiel zu nennen, an die Meinungsfreiheit einerseits, die schließlich mit dem Recht auf Ehre andererseits in Einklang gebracht werden muss, auch dafür hat es ja in den letzten Stunden Beispiele gegeben. Bei der Frage der Grundrechtseinschränkung geht der Konvent einen anderen Weg, als wir ihn in Deutschland kennen. Anstelle von individuellen Schrankenregelungen für jedes Grundrecht nach deutschem Muster soll die Charta in einem allgemeinen Teil, der gewissermaßen vor die Klammer gezogen wird, eine allgemeine Schrankenregelung enthalten. Bei dieser Querschnittsbestimmung orientiert sich der Konvent an der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der Beschränkungen der Grundrechte im Interesse des Gemeinwohls zulässt, allerdings nur, sofern die Einschränkungen erforderlich und zumutbar sind, d.h. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten. Auch ansonsten beschreitet der Konvent durchaus neue Wege. Dies gilt insbesondere für die so genannten modernen Grundrechte oder auch die Grundrechte der zweiten Generation. So fand im Konvent
etwa der wohl aus Skandinavien stammende Vorschlag für ein Recht auf ordnungsgemäße Verwaltung großen Anklang. Wir sind das natürlich seit vielen Jahren, auch mit Blick auf die Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze oder der Verwaltungsgerichtsordnung, gewohnt, aber in Skandinavien scheint das so offensichtlich nicht der Fall zu sein. Weiter geht es darum, neuen Gefährdungen des Menschen, etwa durch die Gentechnologie, angemessen zu begegnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die leidvollen und schrecklichen Erfahrungen des letzten Jahrhunderts haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes dazu bewogen, den Schutz der Menchenwürde an den Anfang des Grundgesetzes zu stellen. Die Menschenwürde gehört zum christlichen wie zum humanistischen Fundament unserer europäischen Kultur. Sie ist untrennbar mit dem europäischen Menschenbild verbunden. Auch der Konvent betrachtet die Würde des Menschen als Fundament aller Grundrechte. So haben wir uns darauf geeinigt, dem Katalog der Grundrechte einen Artikel 1 mit der Überschrift "Würde des Menschen" voranzustellen. Der Artikelvorschlag hierzu lautet: "Die Würde des Menschen wird unter allen Umständen geachtet und geschützt." Diese Formulierung macht deutlich, weder die staatliche Gewalt noch die europäische Hoheitsgewalt dürfen die Würde des einzelnen Menschen antasten. Gerade wir Deutschen und auch wir Thüringer halten hier die Erinnerung an Verbrechen wach, die sich niemals wiederholen dürfen. Auf dem Fundament der Menschenwürde bauen dann die klassischen Abwehrrechte gegen die öffentliche Gewalt, d.h. der Schutz von Freiheit und Eigentum, die Gleichheitsgarantien und der harte Kern der sozialen Rechte, auf. Und mit den sozialen Rechten bin ich bei einem Stichwort, zu dem im Konvent bislang nur eine eingehende Beratung stattgefunden hat. Trotz unterschiedlicher Auffassungen zeichnet sich bei aller Vorsicht die Möglichkeit eines Konsenses ab. Ausgangspunkt muss auch hier das eindeutige Mandat von Köln sein. Bloße Handlungsziele oder Programmsätze dürfen eben keine Aufnahme in die Charta finden. Damit wäre aus meiner Sicht niemandem gedient, denn einklagbar wären solche Postulate nicht. Vor keinem Gericht könnten bloße Ziele durchgesetzt werden. Und unverbindliche Verfassungslyrik hat im Entwurf der Charta nichts verloren. Ich bin aber durchaus dafür, in die zukünftige Präambel der Charta den Grundsatz der Solidarität aufzunehmen. Damit würden wir eine Werteentscheidung treffen, die allen Mitgliedsstaaten und selbstverständlich auch allen deutschen Ländern wie allen demokratischen Parteien gemein ist - Solidarität gegenüber den Schwachen, Kranken, Behinderten und allgemein Schutzbedürftigen. Zu all den genannten Fragen und Problemkreisen wird, da bin ich sicher, der Konvent eine Lösung finden und auch vorschlagen.
Eine wesentliche Frage, die auch Ihnen möglicherweise auf den Nägeln brennt, wird und darf der Konvent allerdings nicht entscheiden. Ich meine die Frage, ob die Charta eines Tages auch rechtsverbindlich wird. Den entschei
denden Schritt zur Verbindlichkeit hat sich wohlweislich der Europäische Rat selbst vorbehalten. In dem Beschluss von Köln steht ausdrücklich, dass der Europäische Rat erst nach der feierlichen Proklamation der Charta im Dezember 2000 prüfen wird, ob und ggf. auf welche Weise die Charta in die Verträge, d.h. in das bestehende EU-Vertragswerk, aufgenommen werden soll. Der Konvent enthält sich dazu jeder Diskussion in dieser Frage und, ich denke, er tut gut daran. Über eines müssen wir uns allerdings im Klaren sein: Selbst wenn es bei einer feierlichen Proklamation - also keine rechtsverbindliche Umsetzung - bleiben sollte, wird die Charta ganz erhebliche mittelbare Wirkungen entfalten. So wird der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Charta bei seiner Rechtsprechung zumindest als Auslegungsmaßstab heranziehen. Mit anderen Worten, der Konvent betreibt also kein Glasperlenspiel, seine Arbeit verläuft nicht im Sande, sondern, egal wie es ausgeht, sie hat in jedem Falle erhebliche Außenwirkungen. In diesem Bewusstsein setze ich mich innerhalb und auch außerhalb des Konvents für die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger und für die Belange der deutschen Länder nachhaltig ein. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Mit den Redeanmeldungen der Fraktionen ist die Aussprache quasi beantragt worden. Ich rufe als ersten Redner in der Aussprache auf den Abgeordneten Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister, ich möchte Ihnen danken für den Bericht. Teile dessen waren uns ja aus dem zuständigen Ausschuss schon bekannt, aber vieles ist auch darüber hinausgegangen und auch dafür danke ich Ihnen. Den größten Teil dessen, was Sie auch wertend oberhalb der Berichterstattung über die Arbeit selbst hier gesagt haben, können wir ohne jede Not mittragen. Erlauben Sie mir aber dennoch einige Bemerkungen, teilweise bedenkender, teilweise kritischer Natur, teilweise auch fragender. Nach meiner Auffassung, und dies habe ich ja im Ausschuss auch geäußert, haben unsere Debatten und hat unsere Arbeit im zuständigen Ausschuss einen grundlegenden Mangel, den wir ganz schwer beheben können. Das ist der Mangel, dass wir im Grunde genommen durch die Art und Weise, wie Europapolitik gestaltet wird, immer ein bisschen hinter den Entwicklungen hinterherhinken. Dass die Landesregierung dabei eine besondere Verantwortung hat, diese Spanne gering zu halten, davon bin ich überzeugt. Das wissen Sie. Es gibt aber auch darüber hinaus noch weitere Ursachen für die Schwierigkeit, solchen Prozessen zu folgen, aus denen sich auch eine etwas andere Auffassung von uns gegenüber dem ergibt, was Sie vorhin hier gesagt haben, und zwar hinsichtlich
der Tatsache, wie öffentlich und wie einsehbar der Europadiskurs speziell in Deutschland eigentlich ist. Mag sein, dass die Möglichkeit, eine solche Diskussion am Internet zu verfolgen, ein qualitativer Zugewinn ist - das will ich gar nicht in Abrede stellen -, aber Sie, Herr Minister, haben gesagt, den ansonsten eigentlich durchgreifenden Mangel öffentlicher Debatte wollten Sie nicht wiederholen. Ich wage die Behauptung, dass bei der Kürze der Zeit und bei der Ferne, die europapolitische Debatten zum großen Teil von dem ebenso großen Teil der Bevölkerung haben, dass es auch in dieser Angelegenheit nicht gelungen ist, nicht gelingen konnte. Es gibt keinen öffentlichen Diskurs über diese Fragen und es kann ihn eigentlich noch aus einem anderen Grund nicht geben und der liegt darin, dass die Europafragen weitestgehend eine Angelegenheit politischer Eliten sind. Es sind eben keine von den Bürgerinnen und Bürgern wirklich primär diskutierten Probleme.
Lassen Sie mich meine Äußerung zu Ihrem Bericht anhand des Entschließungsantrags vornehmen, denn Ihre Auffassungen kristallisieren ja im Grunde genommen in den drei Punkten des hier vorliegenden Antrags. Natürlich ist die Charta ein ehrgeiziges Projekt und das Anliegen der Charta findet auch unsere Unterstützung und es ist auch ehrgeizig, nicht im Oktober, sondern schon Ende September den ersten Entwurf vorlegen zu wollen. Wir haben ja in Brüssel die Gelegenheit gehabt, die Konventsarbeit zu verfolgen, und die Leistung, die da erbracht werden muss, sowohl von Herrn Herzog als auch von allen Diskutierenden, die lag da auf der Hand. Trotzdem habe ich ein Problem mit dem Umstand, dass der Konvent sich nicht zu der Frage äußert, ob die Charta Bestandteil des Vertragswerks wird, denn diese Frage in der Erarbeitung offen zu lassen, schränkt den Konvent automatisch ein. Es hätte zum Beispiel Rückwirkungen darauf, wie wichtig denn die Beantwortung der Frage, ob Handlungsziele oder politische Erklärungen Eingang finden sollen, wie wichtig die von Ihnen geäußerte Position dann wäre. Die Wertigkeit hängt wesentlich davon ab, ob es eine Aufnahme in die Verträge gibt oder nicht. Insofern sollte der Konvent sich also einer Meinung, glaube ich, nicht enthalten. Eines kann ich Ihnen, meine sehr geehrten Kollegen von der CDU-Fraktion, allerdings auch nicht ersparen.
Das ist - ob es ein Wunder ist, weiß ich nicht, aber ich will es einfach mal sagen -, der Entschließungsantrag hat einen etwas peinlichen Anstrich. Der resultiert daraus, dass wir uns einfach der Tatsache bewusst sein müssen, dass die Entscheidungen über die Erarbeitung der EU-Charta Anfang Juni letzten Jahres bzw. die Klärung der Modalitäten Mitte Oktober letzten Jahres getroffen worden sind und der Thüringer Landtag heute die Entscheidung der Europäischen Union begrüßt. Das ist, meine Damen und Herren, zu spät und man hätte vielleicht darauf, auf die
se Komponente des heutigen Tagesordnungspunkts, verzichten und es bei einer Aussprache zum Bericht belassen sollen.
Ich möchte noch zu der Frage der neuen Kompetenzen, Herr Minister, einige Bedenken äußern über die Frage der Aufnahme in die Verträge hinaus. Ich glaube, die Herangehensweise, a priori keine solchen Erklärungen aufzunehmen, obwohl man noch nicht geklärt hat, ob das Ganze Bestandteil der Verträge werden soll, birgt die Gefahr, dass wir einen Stillstand des europäischen Prozesses, einen Stillstand des europäischen Entwicklungsprozesses befördern, und zwar eines qualitativen Fortentwicklungsprozesses, nicht des quantitativen Fortentwickungsprozesses, der mit Erweiterung und anderem verbunden ist. Und insbesondere vor dem mangelnden europäischen Denken und vor der mangelnden europäischen Identifikation vieler Bürgerinnen und Bürger in Deutschland habe ich davor eine gewisse Furcht. Was den Punkt 3 des Entschließungsantrags angeht, muss ich schon sagen, dass man gegen Subsidiarität im Grundsätzlichen eigentlich nichts einwenden kann. Zweierlei muss man allerdings bedenken: Sie darf als Grundsatz nicht dazu führen, dass ausgenutzt werden kann, existierende Gemeinschaften vollständig zu entantworten. Zweitens muss man im Blick haben, dass Subsidiarität sich natürlich schon in den Verträgen befindet, dass sie dort schon verankert ist, vielleicht unter europäischem Aspekt in einer anderen Bedeutung, aber dann, wenn das so ist, dann erhält dieses Bekenntnis unter Punkt 3 natürlich ein ganz anderes Gewicht. Und eines ist mir beim Lesen des Entschließungsantrags eingefallen im Zusammenhang mit anderen Auseinandersetzungen, die wir in Ausschüssen hatten: Wir müssen uns natürlich, wenn wir solche Forderungen erheben, auch bewusst sein, dass wir von uns selbst Konsequenz verlangen müssen. Sie haben, ich weiß jetzt nicht mehr ganz genau, ob vorhin oder im Ausschuss, gesagt, dass es Ihnen darum geht, die Regionen und die Länder zu stärken. Das ist richtig, nur glauben wird man uns die Lauterkeit dieses Ansinnens nur dann, wenn wir das auf anderen Gebieten auch tun. Das heißt, unser Festhalten oder unser Kampf um Kompetenzen für Regionen, in unserem Falle für die Länder, ist nur dann glaubwürdig, wenn wir die gleichen Bemühungen der Bundesebene gegenüber an den Tag legen, und da geschieht natürlich zu wenig sowohl von Bundesseite, vielleicht auch von unserer Seite und das ist keine Frage, wie die Bundesregierung jeweils zusammengesetzt ist. Das ist eine allgemeine Frage, die wir als Beiprodukt in diesem Prozess liefern müssen, wenn Forderungen, wie sie hier im Entschließungsantrag erhoben werden, glaubwürdig sein sollen. Ich will keinen Hehl daraus machen, wir haben recht wenig Not, über die etwas peinliche Komponente des Punkts 1 hinaus, recht wenig Not, dem Punkt 1 der Entschließung zuzustimmen, da sind wir uns alle einig, das ist im Kern die Grundlage der Arbeit im Ausschuss. Bei den Punkten 2 und 3 will ich nicht verhehlen, dass ich die Gefahr sehe, dass sie vielerorts und bei größeren Teilen der Gesellschaft als eine Komponente des jetzt zu beobachtenden Renationalisierungspro
zesses verstanden werden könnten. Ich habe manchmal den Eindruck, dass ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt, wo die Fragen der Erweiterung der EU zur Debatte stehen, die Frage der neuen Strukturen der EU zur Debatte stehen, hier in Deutschland die politischen Kräfte im engeren Sinne, die für den europäischen Prozess verantwortlich waren und sind, die Anstrengungen reduzieren, weil die politischen Kräfte im weiteren Sinne, sprich - die Bereiche der Wirtschaft an erster Stelle zu nennen, zufrieden mit dem Erreichten sind, sprich - mit dem Handelsraum und dem Währungsraum. Und deswegen haben die Punkte 2 und 3 für mich einen etwas - zusätzlich zu dem, was sie wörtlich sagen - hintergründigen Anstrich, der mir die Zustimmung zu ihnen verwehrt.
Ein letzter Punkt, Herr Minister, den ich gar nicht kritisch meine. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie ein paar Worte verloren hätten zu den jüngsten Äußerungen von Außenminister Fischer. Das war nicht Bestandteil der Forderung des Antrags, insofern ist es auch keinerlei Versäumnis. Nur, ich glaube, man kann es nicht losgelöst betrachten, dass ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt dieser Vorschlag kommt, denn er passt im Grunde genommen genau in die Kritikstrategie, die ich Ihnen eben vorgestellt habe. Für mich gehört das also eigentlich thematisch hinein, obwohl es thematisch in den Antrag nicht gehört. Eventuell sind Sie in der Lage, in einer Reaktion auf die Beratung dazu noch etwas zu sagen. Ich empfehle meiner Fraktion, die Antragsteller zu bitten, eine geteilte Abstimmung des Antrags zu ermöglichen, so dass wir dem Punkt 1 des Entschließungsantrags zustimmen könnten und uns bei den Punkten 2 und 3 der Stimme enthalten. Danke schön.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, der Vertrag von Amsterdam enthält wie seine Vorläufer keinen Grundrechtekatalog und man sollte meinen, dass gerade die Europäische Union sich diesen Werten doch verbunden fühlt. Man sollte auch meinen, dass sie hier entsprechenden Raum einräumt, in den EUVerträgen und in den EG-Verträgen darüber etwas zu führen. Die Mühe kann man sich sparen, denn wenn man mal die 53 Artikel des EU-Vertrags und die 314 Artikel des EG-Vertrags durchschaut in Bezug auf Grundrechtekatalog - Fehlanzeige. Die Grundrechte der Unionsbürger werden weiterhin durch nationale Verfassungen gewährleistet. So hat der Europäische Rat von Köln im letzten Jahr den Beschluss zur Erarbeitung der Charta gefasst, die, wie vorgetragen, Freiheits-, Gleichheits- und Verfahrensgrundrechte umfasst, wie sie sich auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und den gemeinsamen
Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten ergeben. Nach meiner Überzeugung ist das ein wichtiger Schritt zum Europa der Bürger. Grundrechte sind eben Ausdruck grundlegender gemeinsamer Werte und Rechtsüberzeugungen innerhalb der Europäischen Union. Die Charta, wie von Minister Gnauck erwähnt, wird zur weiteren Identitätsbildung der Union beitragen und, was für mich auch sehr wichtig ist und für uns, denke ich, auch in der besonderen Verantwortung im Zuge der Erweiterung der Union für Osteuropa, kann auch eine Orientierung für die Beitrittskandidaten sein. Es gibt natürlich in den deutschen Ländern Befürchtungen, dass Stück für Stück durch die europäische Ebene Befugnisse entzogen werden. Es muss klar sein, dass die in den nationalen Verfassungen verbrieften Grundrechte ihre ungeschmälerte Wirkung und Bedeutung beibehalten. Und hier geht es auch um den Umfang der Charta. Mit Blick auf die angestrebte Integration der Charta in ein europäisches Vertragswerk, in welcher Form es auch immer sein wird, was heute ja kein Mensch weiß, stellt sich schon die Frage: Könnte der Konvent sich vielleicht darauf beschränken, nur solche Grundrechte in die Charta aufzunehmen, die nach der derzeitigen Zuständigkeitsbegrenzung zwischen den Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union relevant werden könnten? Die Aufnahme, denke ich, auch solcher Dinge, wie aus der Vergangenheit bekannt, der schlimmen Ereignisse im Kosovo, haben uns doch gezeigt, wie wichtig es ist, den Schutz von Minderheiten zu verbessern, Vertreibungen zu verbieten. Könnte man in der Charta ein Recht auf Heimat als fundamentales Menschenrecht und Bestandteil des universellen Völkerrechts aufnehmen? Ich denke, so wie das in der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen schon formuliert worden ist. Die Aufnahme politischer Handlungsziele, also bestimmter Staatsziele, in die Charta muss man ablehnen. Sie bieten in ihren Formulierungen immer wieder Gefahr, dass der Kompetenztransfer gerade auf die europäische Ebene vergrößert wird, aber für den Bürger daraus überhaupt keine Ansprüche abgeleitet werden können. So würde man Hoffnungen wecken, die nicht erfüllt werden können. Ich denke hier zum Beispiel ganz konkret an das Recht auf Arbeit, Recht auf Gesundheit und verweise in dem Zusammenhang, auch mal für viele hier im Raum interessant, auf die Stellungnahme des DGB während der Anhörung, Herr Minister, die Sie erwähnt haben. Bei der Gestaltung und Ausformulierung der einzelnen Rechte muss darauf geachtet werden, dass daraus keine neuen Handlungsermächtigungen für die Organe und Institutionen der EU entstehen. Der Kollege Hahnemann hat es ja bereits erwähnt, es war durchaus interessant für die Ausschussmitglieder, im Konvent dabei zu sein und mal mitzuerleben, wie gerungen wird, und ich denke, auch hier an der Stelle mal einen Dank an die Landesregierung und die Mitstreiter auszusprechen. Es ist nicht einfach, in der kurzen Zeit die Länder zu koordinieren und die Meinung der Länder in Brüssel vorzutragen. Viele kennen das und wissen, dass das in der Kürze dieser Zeit ein wirklicher Fleißakt ist. Damit die Rechte der Bürger und die Stellung der deutschen Länder gestärkt werden, haben wir als CDU-Fraktion einen Entschließungsantrag
vorgelegt. Wir setzen uns in diesem Antrag dafür ein, dass die EU subsidiär, föderalistisch, freiheitlich-demokratisch gestaltet wird. Herr Kollege Dr. Hahnemann, sicherlich kann man darüber diskutieren oder anderer Meinung sein gerade im Punkt 1, warum man jetzt kommt wir haben ja im Parlament die Gelegenheit, wir haben im Ausschuss die Gelegenheit; ich bin noch ein junger Abgeordneter -, aber wenn das seit dem vorigen Jahr geht, hätte sicher durchaus im Vorfeld zu diesem Punkt etwas gesagt werden können. Ich bin froh, dass wir es heute tun, dass wir hier die Gelegenheit haben.
Das Subsidiaritätsprinzip - und darum geht es in unserem Antrag eigentlich hauptsächlich - soll ausdrücklich in der Charta verankert sein. Es garantiert nämlich Bürgernähe und weist auf die Bedeutung der kommunalen und auch der regionalen Bezüge hin. Was auf regionaler oder nationaler Ebene sachgerecht geregelt werden kann, das kann und darf nicht auf europäischer Ebene entschieden werden und schon gar nicht dann zentralistisch reguliert werden.
Ich denke, ein vereintes Europa, das muss die nationale Identität, das muss die Kultur, die Lebensweise eines jeden Volkes schützen und fördern. Ich bin überzeugt auch meine Fraktion ist überzeugt -, dass wir den Entschließungsantrag nur in der Gesamtheit so behandeln können,