Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

(Beifall bei der PDS; Abg. Pelke, SPD)

Aus den Reihen der Abgeordneten keine weiteren Wortmeldungen - doch, Herr Gerstenberger. Bitte.

Frau Präsidentin! Frau Wackernagel, so machen wir das natürlich nicht. Woher habe ich die Zahlen, Frau Wackernagel? Aus der Statistik, aber nicht aus dem Teil "Lob und Ruhm und Ehre in Prozenten", sondern aus dem Teil "absolute Zahlen", weil Sie ja bestens aus Ihrer Vergangenheit wissen müssten, dass man mit Prozenten oft sehr viel Schindluder treiben kann. Ich denke, es ist einfach ehrlicher mit absoluten Zahlen zu hantieren und ich rufe Sie Ihnen einfach noch mal...

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU)

Herr Jaschke, Sie sind 20 Jahre oder zehn Jahre länger in diesem Land gewesen, wo ab und zu mit der Statistik mal ein bisschen eigenartig umgegangen wurde, übrigens nicht nur in dem. Sie kennen ja den Spruch von Churchill und der war nun wahrlich kein geborener DDR-Bürger.

Deshalb bemühen Sie sich einfach mal, Frau Wackernagel, die Zahlen ehrlich zur Kenntnis zu nehmen, und da rufe ich sie noch mal in Erinnerung: April letzten Jahres 16.500 Arbeitslose und April diesen Jahres 21.000 unter 25-jährige Arbeitslose. Und wenn das für Sie nicht der Anlass ist zu handeln, für uns ist er es. Sie haben als Zweites gesagt, Frau Wackernagel, die Landesregierung braucht keinen Weckruf. Ich wäre ja mitgegangen, wenn es nicht so ein paar Ereignisse aus der Vergangenheit gäbe, die ein bisschen anders sind. Bei der Arbeitsmarktpolitik hat uns der Minister vor nicht allzu langer Zeit gesagt, wir wären das Spitzenland der neuen Bundesländer und wir wären die Besten. Nun hat er aber ausgerechnet in der Arbeitsmarktpolitik im Januar - lesen Sie den Staatsanzeiger Nr. 5 oder 7/2000 - vier Arbeitsmarktprogramme zur Überprüfung nach Effektivität ausgeschrieben und das hat er nicht nur an irgendjemanden gemacht, sondern dafür hat er Forschungsinstitute aufgefordert, dass sie dieses tun möchten.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Wenn er es macht, ist es gut.)

Das schließe ich doch überhaupt nicht aus, Herr Minister, aber ich bin doch der Auffassung, wenn es einen Antrag der PDS gibt, solche Programme zu überprüfen, dann kann man doch wenigstens in Analogie zu dem, was man im Arbeitsmarktbereich so gerne gemacht hätte, diese Evaluierung zu vollziehen, das auch im Ausbildungsbereich tun. Sie müssen es ja nicht so machen wie im Arbeitsmarktbereich. Dort haben Sie die Evaluierung ausgeschrieben, haben allerdings nicht auf das Ergebnis gewartet, haben gemacht, was Sie wollten. Sollte das jetzt bei der Evaluierung zu einer anderen Erkenntnis kommen und die Programme doch für gut befunden werden, haben Sie dann anschließend den Erklärungsnotstand, wie Sie das letzte halbe Jahr Wurstelei auf dem Gebiet wieder bereinigen wollen. Das müssen Sie ja im Ausbildungsbereich nicht machen, aber nichts anderes sagt doch der Antrag, als wenigstens mal von externer Seite reinschauen zu lassen: Macht es noch Sinn? Sind es die richtigen Programme, wenn bei Anwendung dieser Programme und bei Nutzung von jährlich 100 Mio. Steuergeldern für diese Programme am Ende 5.000 mehr arbeitslose junge Leute rauskommen? Die Frage ist doch zumindest berechtigt. Und das Letzte, Frau Wackernagel, es ist eben nicht immer gut, wenn die Prozente bloß purzeln. Wir reden bei diesen 21.000 jungen Leuten von fast 1 Prozent der Thüringer Bevölkerung, dem Sie mit Ihrem Redebeitrag erklärt haben: Macht euch mal keine Sorgen, ihr habt zwar keinen Job, aber wir sind dafür die besten in den neuen Bundesländern.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Da haben Sie aber nicht richtig zugehört.)

Frau Wackernagel, es gab mal eine Zeit, da hat Tucholsky recht bissige Gedichte geschrieben und das war eine Zeit, die war auch sehr stark geprägt von hoher Arbeitslosigkeit. Da gab es ein Gedicht, da endet er jedes Mal in seinem Vers mit den Worten "Merkt Ihr nüscht". Vielleicht sollten Sie sich das mal zu Herzen nehmen und mal darüber nachdenken. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Es hat jetzt das Wort der Herr Minister Schuster. Bitte.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte keinen Bericht geben, sondern gegen den Antrag der PDS sprechen. Herr Gerstenberger, ich nehme Ihr Gedicht gerne auf,

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Nicht meines.)

das eben von Ihnen zitierte, und sage an Sie gerichtet: Merken Sie nicht oder haben Sie noch nicht gemerkt, dass Evaluierung laufend stattfindet in unserem Lande durch die Landesregierung?

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie die jährliche Ausbildungsinitiative gründlich lesen, was ich an sich unterstelle, dann werden Sie feststellen, es findet laufend eine Auseinandersetzung über die Programme statt und über die Ergebnisse der Ausbildung; es finden laufend Überlegungen statt dahin gehend, wie man die Ausbildungspolitik weiterentwickeln sollte.

(Zwischenruf Abg.Gerstenberger, PDS: Ja, aber doch immer nur verbal.)

Und nun zum Detail: Erstens wird laufend die Entwicklung der Nachfrage kontrolliert. Es trifft zu, dass die Nachfrage in den zurückliegenden Jahren gestiegen ist aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge, die auf den Ausbildungsmarkt "getreten" sind. Es trifft auch zu, dass in diesem Jahr 2000 erstmals die Nachfrage wieder zurückgeht (um fast 4 Prozent, genau 3,9 Prozent). Wir verfolgen selbstverständlich auch die Entwicklung des Angebots. Sie wissen alle, dass wir in den vergangenen Jahren zunächst eine betriebliche Ausbildungsquote von 77 Prozent gehabt haben, die dann zurückgegangen ist. Warum ist die zurückgegangen? Bei den geburtenstarken Jahrgängen konnte das betriebliche Angebot nicht so schnell wachsen wie die Nachfrage, so dass die betriebliche Ausbildungsquote etwas zurückging. Jetzt haben wir die umgekehrte Entwicklung. Jetzt sinkt die Nachfrage und das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist bereits jetzt um 7,3 Prozent in unserem Lande gestiegen in diesem Jahr 2000.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, jetzt steigt die Quote der betrieblichen Ausbildungsplätze wieder und dies ist gut und notwendig. Man muss also die Dinge in einen Zusammenhang stellen, dann werden sie erklärbar und vernünftig und dann wird deutlich, was sich verändert in unserem Lande. Haben Sie das noch nicht wahrgenommen von der PDS, so muss ich Sie fragen.

(Zwischenruf Abg. Kretschmar, CDU: Mer- ken die nicht.)

Dass Sie natürlich die Tatsache stört, dass das Angebot und die Nachfrage bei uns ausgeglichen werden wie in keinem anderen Land, dass wir die höchste Vermittlungsquote in ganz Deutschland haben, meine Damen und Herren von der Opposition, das wissen wir. Warum sagen Sie nicht auch einmal, dass das ein Erfolg ist in unserem Lande?

(Beifall bei der CDU)

Und sicherlich kann man der Landesregierung nicht vorwerfen, dass sie bei ihren Haushaltsplanungen nicht immer wieder auf den Bedarf, insbesondere im überbetrieblichen Bereich, keine Vorkehrungen getroffen hat, jedem jungen und ausbildungsfähigen Menschen einen Ausbildungsplatz auch zu vermitteln. Dies, denke ich, kann man im Ernst nicht in Abrede stellen. Nun sagen Sie, es würden immer nur Globalzahlen genannt und betrachtet. Das stimmt nicht. Es werden auch Defizitbereiche laufend ermittelt. Und weil Sie die Zahlen bei der Jugendarbeitslosigkeit genannt haben, diese Zahlen deuten in aller Regel nicht darauf hin, dass es einen Mangel an Ausbildungsplätzen gibt, sondern dass es Defizite gibt in der Ausbildungsfähigkeit bei bestimmten jugendlichen Bewerbern. Das ist ein Problem. Es gibt immer mehr Unternehmen, die bestimmte Bewerber nicht mehr "abnehmen", weil es Defizite in der Qualifikation gibt. Und dies hat die Landesregierung in der neuesten Ausbildungsinitiative veranlasst, zusätzliche Maßnahmen im berufsvorbereitenden Bereich anzukündigen, um die Ausbildungschancen von lernschwächeren Jugendlichen zu verbessern. Das ist eine Konsequenz der Evaluierung, die wir laufend vornehmen. Ein weiterer Schwerpunkt ist der, darauf zu achten, dass die neuen Berufe stärker im Ausbildungsangebot vorkommen, als dies bisher der Fall ist. Bisher sind die neuen Berufe mit etwa 8 Prozent im Angebot vertreten, das ist zu wenig. Ihr Anteil muss deutlich gesteigert werden. Sie haben auch die zweite Schwelle genannt. Auch damit haben wir uns ausführlich beschäftigt. Wenn man der Zahl nachgeht, wie viele es sind, die nach abgeschlossener Ausbildung arbeitslos sind, dann kommt man zu ganz anderen Erkenntnissen. Dann stellt man nämlich fest, dass die tatsächlich Arbeitslosen so große Zahlen nicht ausmachen, da sind die Sucharbeitslosen und jene Jugendlichen rauszurechnen, die eine weitere Ausbildung machen wollen, und das haben wir alles getan.

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Das ist falsch.)

Ich habe davon geredet, dass wir evaluieren. Ihre statistischen Hinweise sind ein Sonderkapitel.

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Da waren Sie gerade dabei.)

Jetzt kommen wir zu den überbetrieblichen Maßnahmen. Auch dazu gibt es ja laufende Überlegungen. Wenn man die Entwicklung dieser Maßnahmen sieht, dann kann man feststellen: Klar war von Anfang an, dass hier eine Ergänzungsaufgabe wahrzunehmen ist, weil das betriebliche Angebot nicht ausreicht. Es hat anfangs Maßnahmen im außerbetrieblichen Bereich gegeben, über deren Misserfolg man sich heute glücklicherweise im Klaren ist. Dagegen hat es vielfältige Anstrengungen gegeben im Bereich des Handwerks über die ÜLU-Maßnahmen, den Ergänzungsbedarf ebenfalls zu decken. Hier ist viel erreicht worden

und wo die Ausbildungsverbünde viel Erfolg erzielt haben und hohe Vermittlungsquoten vorweisen können. Es gibt seit neuestem Überlegungen, von der Gewerkschaft angesprochen, das Trabbi-plus-Modell zu erproben im Rahmen der überbetrieblichenVollzeitmaßnahmen. Also hier wird fortlaufend reagiert auf veränderte Situationen, auf veränderten Bedarf.

Meine Damen und Herren, man kann weiter feststellen, dass die Ausbildungsverbünde in ihrer Aufgabenstellung weiterentwickelt werden. Ihre Ausbildungsaufgaben werden um Beratungsfunktionen und um Qualifizierungsfunktionen ergänzt. Auch hier finden laufend Diskussionen und Evaluierungen statt.

Herr Minister, darf ich fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Ja.

Herr Minister, darf ich dann Ihren Worten entnehmen zu "Trabbi Plus", dass Sie im Laufe der nächsten zwei, drei Monate "Trabbi Plus" als Landesprogramm zumindest in die Erprobung führen?

Wir haben vereinbart, dass wir einige wenige Modelle erproben wollen, aber nicht flächendeckend, sondern als Pilotprojekte.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Jetzt ist er schockiert.)

Bitte?

(Zuruf Abg. Kretschmer, CDU: Er ist schockiert. Das hätte er nicht gedacht.)

Auch hier wird weiterentwickelt, auch hier wird dem Bedarf entsprechend angepasst. Oder nehmen Sie die Anstrengungen im Bereich der Ausbildungsordnungen. Auch hier wird permanent weiterentwickelt und auf die Entwicklung der Technik, auf die Entwicklung der Betriebe, auf die Entwicklung neuer Berufe usw. reagiert.

Ein ganz neuer Bereich kommt hinzu und wird immer deutlicher in den Vordergrund treten, das ist der Bereich der Qualifizierungsmaßnahmen. Auch hier geschieht einiges, denken Sie etwa an die Einrichtung der Qualifizierungskoordinatoren, die wir als erstes Bundesland über

haupt eingeführt haben. Summa summarum, denke ich, werden Sie in dem Bericht zur Berufsausbildung 2000, der Ende Juni erscheinen wird, nachlesen können, dass es Evaluierungen laufend gibt und dass es immer wieder Fortschreibungen der Programme gibt, um dem Bedarf unserer jungen Menschen und unserer Wirtschaft zu entsprechen. Wer dies nicht wahrhaben will, der will es nicht wahrhaben. Und mir scheint, Sie wollen die Erfolge nicht wahrhaben, die wir auf diesem Gebiet erreicht haben. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt hat sich Frau Abgeordnete Pelke, SPD-Fraktion, gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich bin dem Herrn Minister eigentlich sehr dankbar für seine Ausführungen, weil er im Prinzip mit all dem, was er gesagt hat, bestätigt hat, dass evaluiert werden muss. Insofern verstehe ich überhaupt nicht, warum man diesem Antrag nicht zustimmen kann.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Sehen Sie es doch einfach einmal anders herum: Nehmen Sie diesen Antrag als Bestätigung dessen, was Sie tun. Wir wollen doch gemeinsam in der Sache etwas verändern und es hat doch keiner auch von den Vorrednern hier irgendetwas infrage gestellt, was bisher passiert ist, sondern wir haben alle immer gesagt, es ist notwendig. Wir stehen nach wie vor dazu, dass staatliche Ergänzungsprogramme von Bund und Ländern notwendig sind, nur, man muss doch ständig neu darüber nachdenken und genau das haben Sie bestätigt. Insofern habe ich immer das Gefühl, wenn auf irgendeinem Antragspapier SPD oder PDS draufsteht, dann bekommt man einen fürchterlichen Schreck und dann wird von vornherein abgelehnt und über alles Weitere braucht man nicht mehr reden. Und das ist schade, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der PDS, SPD)

hier geht es nämlich um weitaus mehr. Sie, Herr Minister, haben auch von Defiziten bei den Ausbildungsbewerbern geredet. Ich meine, das Thema hatten wir im Prinzip fast vorher gehabt, das muss man auch einmal deutlich sagen. Und wenn man, was Defizite bei Bewerbern, bei jungen Menschen nach der Schulausbildung angeht, erst dann darüber reden will, wenn es um die Berufsvorbereitung geht, dann finde ich das ein bisschen schwierig. Vielleicht sollte man einmal überministeriell darüber reden, dass der Wirtschaftsminister mit dem Kultusminister mal einen Kaffee trinken geht, woran liegt es denn, was muss denn auch in gemeinsamen Gesprächen zwischen Schulen, im Übrigen

von der Grundschule beginnend über die Berufsschule, was wir vorhin diskutiert haben, bis hin auch zu dem Gesamtkonzept mit den Bereichen der Ausbildung, sei es überoder außerbetrieblich, was muss sich denn verändern und an welchen neuen Anforderungen müssen wir uns messen lassen. Insofern, auch das bestätigt wieder, es soll evaluiert, es soll über Programme nachgedacht werden.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Das ist Geschichte.)

Ja, dann ist es doch aber nicht verwundernswert; dann ist es eher verwundernswert, dass es noch Defizite gibt, dann ist doch endlich etwas zu verändern im Bereich der Schule und der Berufsschulen oder darüber hinaus. Nur das Feststellen, dass es Defizite gibt und dann machen wir mal ein bisschen was im Bereich der Berufsvorbereitung, das kann es doch nicht sein.