Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Mündliche Anfrage von Herrn Abgeordneten Döring beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1: Die aufgeworfenen Problemfelder waren in der Vergangenheit Gegenstand der Arbeit in der Arbeitsgruppe
"Ausbildungsfähigkeit" und sie werden auch weiterhin Gegenstand dieser Arbeitsgruppe sein. Die Arbeitsgruppe "Ausbildungsfähigkeit" beim Thüringer Kultusministerium ist das Gremium, in dem auch die Grundpositionen der Thüringer Industrie- und Handelskammern im komplexen Zusammenhang diskutiert werden. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind neben dem Thüringer Kultusministerium, dem Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit und dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur insbesondere auch die Industrie- und Handelskammern, aber auch z.B. der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Deutsche Angestelltengewerkschaft und der Thüringer Beamtenbund. In entsprechenden Expertengruppen dieser Arbeitsgruppe werden Lösungsansätze erarbeitet. In der Maisitzung wurden die Ergebnisse der Arbeit der Expertengruppen durch die Arbeitsgruppe "Ausbildungsfähigkeit" diskutiert. Sie erfuhren bei der Mehrzahl der Mitglieder der Arbeitsgruppe Zustimmung und positive Wertung. Die Gewerkschaftsvertreter der Arbeitsgruppe "Ausbildungsfähigkeit" haben sich mit Nachdruck gegen Gespräche nur mit den Kammern ausgesprochen.
Zu Frage 2: Das wichtigste Ergebnis der gemeinsamen Arbeit in der Arbeitsgruppe "Ausbildungsfähigkeit" ist die "Vereinbarung über die Gestaltung der Zusammenarbeit zur weiteren Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit, insbesondere der Abgänger der Regelschulen im Freistaat Thüringen" vom 1. August 1999. Diese Vereinbarung ist ein Zeugnis des gemeinsamen Willens, die Ausbildungsfähigkeit der Thüringer Schüler zu stärken. Im Ergebnis auch dieser Zusammenarbeit können folgende Beispiele genannt werden, welche die Stärkung der Ausbildungsfähigkeit zum Ziel haben: Einrichtung einer Beratungsstelle in Jena in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung zur Unterstützung der Gründung von Schülerfirmen; Einrichtung des Lehrerbetriebspraktikums für Lehrer der allgemein bildenden Schulen; Vorbereitung eines neuen Medienbildungskonzepts, das wesentlich früher einsetzt als die bisherigen Regelungen zum ITG-Unterricht; Projekt "Mehr Technik für Regelschüler", das Angebote technischer Bildung in bestehende Fach- und Unterrichtsstrukturen integriert; Projekt "Berufswahlentscheidung als Bestandteil des Lebenskonzepts", das speziell Mädchen im Berufsfindungsprozess unterstützt und Schulversuch "Förderung in einem handlungs- und projektorientieren Unterricht in den Klassenstufen 7 und 8 der Regelschule", die so genannte Praxisklasse.
Zu Frage 3: Die Ergebnisse und Entwicklungen werden jeweils in der Arbeitsgruppe "Ausbildungsfähigkeit" ausgewertet und diskutiert. Die letzte Beratung fand am 17. Mai 2000 statt. Wichtiges Ergebnis dieser Beratung ist die Bildung einer speziellen Unterarbeitsgruppe. Sie soll eine unabhängige Untersuchung zur Ausbildungsfähigkeit konzipieren und in Auftrag geben. Die unabhängige Untersuchung zur Ausbildungsfähigkeit soll die Sicht der Wirtschaft, aber auch die Sichtweisen von Gewerkschaften, Verbänden, Lehrern, Eltern und Schülern berücksichtigen. Die Auftragsvergabe hierfür wird im Herbst 2000 erfolgen.
Zu Frage 4: Erst nach Abschluss der durch das Thüringer Kultusministerium initiierten Initiativen und Projekte, insbesondere die Implementation und Evaluation der Lehrpläne, können Aussagen zu Veränderungen im Hinblick auf die Ausbildungsfähigkeit der Schüler getroffen werden.
Herr Minister, können Sie einen ungefähren Zeitrahmen nennen, wann Sie die konkreten Ergebnisse vorlegen?
Das kann man nur differenziert beantworten. Sehr kurzfristig wird z.B. auf das Positionspapier der IHK eine Antwort des Ministeriums erfolgen, diese befindet sich im Geschäftsgang und längerfristig wird natürlich diese Untersuchung durch die unabhängige Arbeitsgruppe sein.
Gibt es weitere Nachfragen? Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich die Beantwortung der Frage fest und wir haben damit auch unser Zeitvolumen für die heutige Fragestunde erschöpft. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7
Bundesratsinitiative zu gesetzlichen Veränderungen, um die Aushöhlung des Solidaritätsgedankens durch den Kassenwettbewerb zu beenden Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/701 dazu: Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/733
Wünscht die antragstellende Fraktion eine Begründung? Das ist nicht der Fall, dann eröffne ich die Aussprache und rufe Frau Abgeordnete Arenhövel ans Rednerpult.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, in dem Antrag in der Drucksache 3/701 wird die an sich schon berechtigte Sorge einer zunehmenden Risikoselektion durch so genannte, ich will es einmal hier so ausführen - virtuelle Krankenkassen zum Ausdruck gebracht. Nur, meine Damen und Herren, zu diesem Antrag ist schon Folgendes zu bemerken:
1. Meine Damen und Herren der PDS-Fraktion, Sie versuchen hier durchaus auf populistische Art und Weise auf einen Zug aufzuspringen, der bereits in voller Fahrt ist, denn die Problematik steht bereits auf der Tagesordnung der Gesundheitsministerkonferenz, zu der aus den Län
dern bereits unterschiedliche Anregungen zur Lösung dieses Problems vorliegen und umso notwendiger erscheint es deshalb der CDU-Landtagsfraktion, dass in dieser Frage der Landesregierung freier Handlungsspielraum belassen werden muss.
2. Die CDU-Landtagsfraktion setzt sich, und zwar mit Nachdruck, für wettbewerbliche Elemente in der Gesundheitspolitik ein. Gerade die freie Kassenwahl ist ein noch junges, aber dafür umso schätzenswerteres Gut; denn gerade deshalb müssen Krankenkassen sich ja dem Wettbewerb stellen und deshalb in Beiträgen, Service und Leistungen ihren Versicherten auch entsprechende Bedingungen bieten. Auch die Politik muss fragen, wie Krankenkassen mit den Beiträgen ihrer Versicherten umgehen. Meine sehr verehrten Kollegen von der PDS-Fraktion, ich habe von Ihnen noch nie großartige kritische Fragen dazu gehört, wie geht eigentlich die AOK mit den Geldern der Versicherten um. Dazu muss man sich doch auch mal Gedanken machen, gerade wenn man sich das Bild im Freistaat Sachsen einmal anschaut. Heute stand ja auch ein großer Artikel im "Freien Wort" und dazu ist halt zu sagen, dass die sächsische Staatsregierung nicht nur eine stringente Krankenhausplanung betrieben hat, sondern auch sehr intensiv die AOK in Sachsen kontrolliert und dass dadurch ein ordentliches Finanzmanagement zustande gekommen ist, und das ist ein Verdienst dieser Landesregierung.
3. Die CDU-Landtagsfraktion wird den in Ihrem Antrag enthaltenen pauschalierten Vorwürfen gegen Betriebskrankenkassen ganz entschieden entgegentreten, denn viele Betriebskrankenkassen leisten eine ganz hervorragende und für ihre Versicherten kostengünstige Arbeit.
Außerdem wollen wir auf gar keinen Fall betrieblich sozialpolitisches Engagement unterdrücken, sondern - ganz im Gegenteil - wir begrüßen und unterstützen es, wenn es solche betrieblichen Systeme gibt, die die Fürsorgepflicht ihren Mitarbeitern gegenüber wahrnehmen.
4. Lassen Sie mich zum Änderungsantrag der SPD Ausführungen machen. Ich glaube, meine Damen und Herren, Sie machen es sich ein wenig einfach. Denn, wissen Sie eigentlich, was Sie tun, wenn Sie das Fass des Risikostrukturausgleichs wieder aufmachen wollen? Gerade eben ist der Risikostrukturausgleich zum Vorteil für die jungen Länder ausgehandelt worden. Und wissen Sie denn, was passiert, wenn ausgerechnet der Freistaat Thüringen anfängt, an diesen Dingen jetzt zu drehen. Das können Sie doch im Ernst nicht wollen, denn das wäre wirklich zum Schaden für das Land; der Risikostrukturausgleich ist sehr mühsam, aber am Ende erfolgreich ausgehandelt worden. Ihr Antrag würde bedeuten, dass das alles wieder in Frage gestellt wird. Deswegen wäre ein solches Vorgehen negativ für die jungen Bundesländer. Gerade wenn man über den Risikostrukturausgleich redet, auch da muss man, denke ich, vorsichtig sein, denn man darf nicht vergessen, dass
die Betriebskrankenkassen Geberkassen im Risikostrukturausgleich sind, ganz im Gegensatz zu anderen Krankenkassen.
Die CDU-Fraktion hier in diesem Landtag möchte, und das will ich hier zusammenfassen, eine durchaus solidarische selbstverwaltete und wettbewerbliche Krankenversicherung und natürlich müssen die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Man muss dem Vorgehen dieser virtuellen Betriebskrankenkassen natürlich entgegentreten, aber dafür ist in erster Linie die Bundesregierung verantwortlich, meine Damen und Herren. Es ist schon bemerkenswert, dass dieses Thema von Frau Fischer ständig verschlafen wird, und das kann man bei Gott nicht den Ländern überlassen. In einer Demokratie gibt es Zuständigkeiten und diese sind erst mal zu wahren. Aber man hat schon den Eindruck, meine Damen und Herren von der PDS, dass Sie eigentlich diesen Wettbewerb überhaupt nicht wollen, sondern Sie wollen zurück zu einem staatlich organisierten Gesundheitssystem. Das ist der eigentliche Krebsschaden, den wir nicht möchten, und in dieser Frage trennen uns einfach Welten. Da werden wir, denke ich, auch nicht übereinkommen, denn wenn der Staat alles überlagert, dann sind die negativen Konsequenzen ja nun allseits bekannt. Es wird dann unwirtschaftlich und Rationierung hält Einzug. Deshalb fordern wir, meine Damen und Herren, eine umfassende Reformpolitik, die alle Punkte und das Ganze auch im Auge behält. Meine Fraktion wird beide Anträge deshalb ablehnen und ich bitte dieses hohe Haus auch diesem Votum zu folgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, der vorliegende Antrag in Drucksache 3/701 zielt auf die Richtung einer notwendigen Organisationsreform bei den gesetzlichen Krankenkassen ab. Im Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 wurden aufgrund der Forderungen der SPD die freie Wahl der Krankenkasse und damit das überholte, berufsständische Gliederungssystem in Arbeiter und Angestellte beseitigt. Es sollten die Grundlagen für einen unverzerrten Wettbewerb zwischen den Krankenkassen geschaffen werden. Wie immer gab es auch hier Kompromisse. Diese waren z.B. die Sonderrechte für die Betriebs- und Innungskrankenkassen. Um es gleich zu sagen: Wir sind für einen fairen Wettbewerb und es sind nicht alle Betriebskrankenkassen, die sich im Wettbewerb unsolidarisch verhalten. Aber wer sich neu gründet und bei den pozentiellen Bewerbern aus dem Kreis der Versicherten eine Risikoselektion betreibt, unterhöhlt das System der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherungen.
Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Weiterhin zahlen neu gegründete Kassen in den ersten Jahren nichts in den Risikostrukturausgleich, da ja die Zahlenbasis fehlt. Dadurch kann man natürlich den Beitragssatz auch niedrig halten. Wenn der Risikostrukturausgleich dann auf den Beitragssatz durchschlägt, wird meist fusioniert oder Konkurs angemeldet. Unser Änderungsantrag macht deutlich, dass beim Risikostrukturausgleich, den es ja erst seit sechs Jahren gibt, nachgebessert werden muss. Auch die Finanzergebnisse des I. Quartals 2000 zeigen, dass hier Änderungen notwendig sind. So haben die allgemeinen Ortskrankenkassen in den fünf neuen Ländern, alle sind Zahlungsempfänger aus dem Risikostrukturausgleich, einen Überschuss von 50 Mio. DM erwirtschaftet. Bei den Ersatzkassen, ebenfalls nur neue Länder, ist im gleichen Zeitraum ein Defizit von 149 Mio. DM entstanden. Diese mussten aber als Geberkassen 3,8 Mrd. DM in den Risikostrukturausgleich einzahlen. Wenn man dann noch hört, dass die AOK Sachsen überlegt, ob sie ihren Beitragssatz senkt, zeigt sich hier deutlich eine Schieflage und die Reformbedürftigkeit des Risikostrukturausgleichs. Mit der Gesamtvergütung nach § 85 SGB V zahlen die Krankenkassen an die Landeskassenärztlichen Vereinigungen ihren Beitrag für die Vergütung der medizinischen Leistungen als Kopfpauschalen, die unterschiedlich hoch sind. Aber schon hier gibt es extreme Unterschiede. Nach der Pressemitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 6. Juni 2000 erhält die Kassenärzteschaft von einer BKK ganze 32 DM pro Monat pro Patient für die volle ambulante Versorgung, von den Ersatzkassen dagegen sind es 85 DM. Solange die Kassen ihre Struktur nach den Ländern organisiert haben, ist die Kopfpauschale eine handhabbare Methode der Finanzierung, aber wenn der Kassensitz z.B. in Hessen ist und die Mitglieder in Thüringen oder Sachsen wohnen, gibt es massive Probleme für die Kassenärztliche Vereinigung Thüringens oder Sachsens. Denn die Kopfpauschale, auch der thüringischen und sächsischen Mitglieder, geht dann an die Kassenärztliche Vereinigung Hessen. Nimmt der Versicherte aber an seinem Wohnsitz in Thüringen medizinische Leistungen in Anspruch, was der Normalfall ist, so wird nur im Umfang der wirklichen Leistungen erstattet. Der Rest der Kopfpauschale, der z.B. auch die Praxiskosten enthält, verbleibt bei der KV, in deren Bereich die Kasse ihren Sitz hat. Kurz gesagt: Die einen haben die Arbeit und die anderen haben das Geld.
Die negativen Auswirkungen dieser Regelung spüren ganz besonders die Kassenärztlichen Vereinigungen in den neuen Ländern. Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, mit den anderen Ländern und der Bundesregierung über die notwendigen gesetzlichen Änderungen in einen konstruktiven Dialog zu treten. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Frau Arenhövel, so richtig scheinen Sie nicht zu wissen, was Sie wollen. Sie bezeichnen den Antrag als populistisch, auf der anderen Seite wollen Sie freien Handlungsspielraum, wenn wir Ihnen freien Handlungsspielraum geben, beklagen Sie sich, dass wir das nicht getan haben ganz konkret. Es ist ja immer das Gleiche, muss ich an der Stelle sagen. Und Sie haben natürlich auch gesagt, was ich sehr bemerkenswert finde, dass wir gegen Wettbewerb sind usw. Ich glaube, da trennen uns Welten, da haben Sie ganz genau Recht. Aber ich möchte natürlich an der Stelle mal etwas von Ihrem Minister vorlesen, der dazu sagt: "Das Gesundheitswesen ist ein Wirtschaftszweig, der für einen freien Markt wesentlich ungeeigneter ist als andere Wirtschaftszweige."
Gut, das kann man auslegen, sicherlich, aber zumindest ist doch hier die Erkenntnis da, dass es eben so wie in anderen Wirtschaftszweigen nicht geht.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung im Gesundheitswesen, insbesondere im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, macht es notwendig - und das werden wir dann auch tun, Frau Arenhövel, ob Ihnen das passt oder nicht -, dass wir uns in diesem hohen Hause immer wieder dieses Themas annehmen.
Hören Sie gut zu, das ist nämlich nicht von uns - ich zitiere jetzt: "Der Wettbewerb macht aus Krankenkassen kranke Kassen", titulierte vor wenigen Tagen eine Zeitung. Eigentlich wäre dem aus unserer Sicht nichts mehr hinzuzufügen, aber ich muss natürlich sagen, uns geht es nicht generell um den Wettbewerb der Krankenkassen. Wenn es um die Qualität geht, um die Qualität für die Patienten, dann halten wir natürlich diesen Wettbewerb für ungemein sinnvoll. Es stellt sich jedoch die Frage, wie sinnvoll ist dieser Wettbewerb, wie er im Moment existiert, wenn er gerade die traditionell gewachsenen Krankenkassen - und Frau Arenhövel, hören Sie da auch zu, da meine ich die Betriebskrankenkassen natürlich mit an dieser Stelle - vor bedrohliche Probleme stellt.
Sehr geehrte Damen und Herren, der so krank machende Wettbewerb führt zu Mitgliederwanderungen, die die unterschiedlichen Risikostrukturen der Krankenkassen noch verstärken und mittel- und langfristig, Frau Arenhövel, möglicherweise das Ende der solidarisch finanzierenden Krankenversicherung ist. Anzeichen dafür sind zumindest für uns deutlich. Die Betriebskrankenkassen hatten im Zeitraum von Januar 1999 bis Januar 2000 ihren Bestand um 971.000 Mitglieder bundesweit erhöht. In Thüringen haben etwa 120 Mitglieder die Ersatzkassen verlassen. Der Mitgliederzuwachs der Betriebskrankenkassen lag bundesweit damit fast doppelt so hoch wie im Zeitraum von Januar 1998 bis Januar 1999. Ein Blick auf die Entwicklung bei den einzelnen Mitgliedergruppen macht deutlich, so das Bundesgesundheitsministerium in einer Pressemitteilung vom März dieses Jahres, dass sich die Zuwächse fast ausschließlich auf jüngere Mitglieder konzentrieren. So haben die Betriebskrankenkassen ihren Mitgliederbestand im Bereich der aktiven Pflichtmitglieder und der freiwilligen Mitglieder um 935.000 erhöht, bei den Rentnern jedoch nur um 18.000 Mitglieder. Ich sage die Dinge deshalb so, um nicht Frau Heß noch mal zu wiederholen mit ihren Argumenten, die natürlich aus meiner Sicht alle sehr richtig sind. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die Rentnerquote, gemessen an der Gesamtmitgliederzahl, bei den Betriebskrankenkassen zurückgegangen ist. Diese extremen Zuwächse aber bei den jüngeren Mitgliedern konzentrieren sich eindeutig auf den Bereich der geöffneten Betriebskrankenkassen mit niedrigen Beitragssätzen. Es soll eine Reihe dieser Kassen geben, wo der Rentneranteil sogar bei unter 3 vom Hundert liegt. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Rentenanteil in der GKV insgesamt lag zum 1. Januar 2000 bei 29,9 vom Hundert und bei den AOK in den neuen Bundesländern sogar bei 51,3 vom Hundert. Und hier eine Bemerkung zu den AOK, Frau Arenhövel, ich glaube nicht, dass Sie uns da gehört haben - am Ende, Frau Arenhövel, bleiben Sie ruhig erst einmal sitzen.
Dem hohen Mitgliedergewinn der Betriebskrankenkassen stehen Verluste, insbesondere bei den Ersatzkassen, aber auch bei den anderen traditionell gewachsenen Kassen, auch bei den traditionell gewachsenen Betriebskrankenkassen gegenüber. Die so genannten - so haben Sie sie auch bezeichnet, obwohl es sicherlich nicht der richtige Ausdruck ist -, virtuellen Betriebskrankenkassen entziehen den großen Kassen Mittel, indem sie in den vergangenen Jahren vor allem jüngere und fast ausschließlich gesunde Mitglieder von den großen Kassen gewonnen haben. Dadurch hat zum einen eine Risikoentmischung stattgefunden, die die großen Kassen mit höherer Morbidität und mit ganz speziellen Krankheitsbildern zu bezahlen haben, andererseits wird dadurch die Einnahmestruktur, das muss man auch bemerken, der großen Kassen erheblich verändert und belastet. So zahlen Ältere ab der Verrentung nur halb so hohe Beiträge wie die Erwerbstätigen. 1997 kürzte außerdem der Gesetzgeber den Beitrag der Rentenversicherung zu den Krankenkassen auf 11 Prozent - Kostenpunkt für die Krankenkassen: 12 Mrd. DM
pro Jahr. Ab 1995 wurde die Beitragsbemessungsgrundlage für die Kassenbeiträge der Arbeitslosen auf 80 Prozent gesenkt - Entlastung der Arbeitslosenversicherung und Belastung der Krankenkassen: 5 Mrd. DM. Seit 1999 ist der Rentenzuwachs auf die Inflationsrate begrenzt. Entsprechend geringer fallen demzufolge die Zuwächse aus, die Rentner an die Krankenkassen bezahlen. Die Barmerkasse hat analysiert, mehr als zwei Drittel der Wechsler von der Barmer sind jünger als 30 Jahre. Der Kasse gehen also vor allem die Nettozahler verloren. Dramatischer aber wirkt sich außerdem aus, dass stets nur die Gesunden die Krankenkasse wechseln. Die Ausgaben für die Nichtwechsler liegen je nach Alter um zwei Drittel bis zum Doppelten über den Ausgaben der Wechsler. Damit konzentrieren sich die Risiken weiter bei einzelnen Krankenkassen, deren Ausgabenentwicklung unverhältnismäßig gegenüber den so genannten virtuellen Betriebskrankenkassen steigt. Diese Risikoselektion führt möglicherweise zu einer Unterversorgung in verschiedenen Bereichen, auch das muss bedacht werden.
Nun noch ein Wort zum Risikostrukturausgleich - das haben ja beide Rednerinnen vor mir auch aufgegriffen - Sie wissen ja, wie wir zum Risikostrukturausgleich gestanden haben, wir waren von Anfang an für einen gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich, das wissen Sie, und der Risikostrukturausgleich, der jährlich 23 Mrd. DM innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung umverteilt, ist durchaus äußerst umstritten, Frau Arenhövel, und darüber muss man einfach reden.
Meine Damen und Herren, der Gesetzgeber hat 1996 die Möglichkeit zum uneingeschränkten Kassenwechsel eingeräumt. Ich frage Sie an dieser Stelle: Ist dieses Wahlrecht tatsächlich ein Akt der Verbraucherinnensouveränität oder der Patientensouveränität, wie Sie es so gerne darstellen? Beweisen diese neuartigen Verwerfungen nicht, dass Markt in der Form, wie er geführt wird, und Wettbewerb im Gesundheitswesen kontraproduktiv sind? Wenn ich den Minister richtig verstanden habe in seinen Aussagen, dann meint er damit auch etwas anderes. Wer heute von mehr Wettbewerb redet und diesen Wettbewerb, den Sie vielleicht meinen, propagieren, der muss sich deshalb sagen lassen, dass er möglicherweise die gesetzliche Krankenversicherung mittel- und langfristig aufs Spiel setzt.
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister Dr. Pietzsch, wie gesagt, ich glaube, verstanden zu haben, dass auch Sie gegen diese Art des Wettbewerbs etwas einzuwenden haben. Wir sehen dringenden Handlungsbedarf und warum soll Thüringen hier nicht der Vorreiter sein mit Unterstützung des Parlaments, das sehe ich gar nicht ein. Den Änderungsantrag der SPD haben wir zugelassen, wir sehen ihn als günstige Untersetzung und wir werden dem natürlich auch zustimmen und ich denke, es gibt allen Grund, diesem Antrag der PDS zuzustimmen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, in allen Redebeiträgen ist eigentlich die Sorge um unsere solidarisch finanzierte gesetzliche Krankenversicherung zum Ausdruck gebracht worden. Ich teile diese Sorgen mit Ihnen und ich sehe durchaus, und nicht erst seit dem Antrag, Handlungsbedarf. Es hat dazu von meiner Seite mit den verschiedensten Krankenkassen Gespräche gegeben und es hat unter den Sozialministern oder den Gesundheitsministern intenvise Beratungen gegeben.
Meine Damen und Herren, dieses Problem ist längst den Fachkreisen, aber auch sämtlichen Landesregierungen bekannt und erkannt worden. Das Bedauerliche ein weiteres Mal ist, dass die einzige Institution, die offensichtlich die Brisanz der Problematik noch nie begriffen hat, das Bundesgesundheitsministerium ist. Wir haben das ja beim Arzneimittelbudget, wir haben das beim Psychotherapeutengesetz erlebt - ich habe auch hier den Eindruck, als wolle man versuchen dieses auszusitzen.