Protokoll der Sitzung vom 07.07.2000

(Unruhe bei der CDU)

Das zeigt die Bilanz der Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung, die Sie vorgelegt haben. Sie ist schlicht und einfach schlecht. Nehmen wir Ihr Wort, Herr Minister, aus der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1999. Ich zitiere: "Die beste Arbeitsmarktpolitik ist eine Politik, die auf die Entstehung von zusätzlichen Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt gerichtet ist."

(Beifall bei der CDU)

So ist festzustellen, dass die Zusammenlegung von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik keinen Synergieeffekt hatte. Im Gegenteil, die Zahl der Arbeitslosen, saisonbereinigt, steigt und die Zahl der geförderten Arbeitnehmer sinkt. Thüringen und Sachsen, die beiden Länder mit einer allein regierenden CDU, verursachen allein gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung der Arbeitslosenzahl um 13.830 Arbeitslose.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Haben Sie die Arbeitslosenstatistik gelesen?)

Habe ich gelesen. Sachsen-Anhalt konnte im selben Zeitraum die Arbeitslosenzahl um 879 senken.

(Unruhe bei der CDU)

Und, Herr Althaus, die Entwicklung des Arbeitsmarkts, die haben Sie als positiv bewertet. Dies zeigt, dass Sie eigentlich von Realitätsferne geprägt sind. 4.382 arbeitslose Jugendliche unter 25 mehr im Verhältnis zum Vorjahresmonat sind eben keine positive Entwicklung.

Zur Behauptung, dass Thüringen im Jahr 2000 im Haushalt mehr Geld als im Vorjahr eingestellt habe, wie es immer wieder aus dem Hause des Ministers zu hören ist, kann nur gesagt werden: Auch das Lesen von Haushaltsplänen muss gelernt sein. Wenn man mehrere Titel zusammenfasst, wie es z.B. im Titel "arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Maßnahmen der beruflichen Bildung" geschehen ist, so gibt es hier keine Basis für einen exakten Vergleich. Oder will man uns bewusst für dumm verkaufen?

(Beifall bei der SPD)

Vergleicht man den Haushaltsansatz von 1999 mit rund 560 Mio. DM zu dem des Jahres 2000 mit rund 550,5 Mio., so gibt es für dieses Jahr eindeutig weniger Geld durch das Land.

Frau Abgeordnete Heß, lassen Sie eine Frage der Abgeordneten Vopel zu?

Nein. Die Kofinanzierung durch das Land ist von rund 394 Mio. DM auf 317 Mio. DM gesunken. Nun kommen Sie nicht und sagen, aus dem SAM-Titel von 1999 wurden aber auch 18 Mio. DM für die Jugendpauschale genommen. Das mag zwar stimmen, aber hier gab es für 1999 einen Haushaltsrest von 58 Mio. DM und eine überplanmäßige Ausgabe von 20 Mio. DM. Das kam noch zu den Mitteln des Landes für Arbeitsmarktpolitik hinzu. Jetzt werden aus dem SAM-Titel 15 Mio. DM für verstärkte Förderung bei ABM, 4 Mio. DM für den ehrenamtlichen Teil sowie 20 Mio. DM für das weitere Programm "50 PLUS"

entnommen. Rechnet man die jeweils zur Verfügung stehenden Mittel im SAM-Titel für 1999 bzw. 2000 zusammen, so stehen 246 Mio. DM des vorigen Jahres zu 114 Mio. DM für dieses Jahr gegenüber. Von mehr eingesetzten Mitteln bei SAM durch die Landesregierung kann also keine Rede sein. Die Klage über weniger zugewiesene Mittel durch die Bundesanstalt bei SAM für Thüringen ist scheinheilig und der Versuch, von den wirklichen Fakten abzulenken.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Der Zuschuss der Bundesanstalt für Arbeit ist für SAM von 2.180 auf 1.937 gesunken. Dieses war schon lange Zeit bekannt und für alle, die es noch nicht mitbekommen haben sollten, die Berechnung des Lohnkostenzuschusses nach § 275 SGB III ist keine Erfindung der jetzigen Bundesregierung. Es ist allerdings das erste Mal, dass der danach errechnete Lohnkostenzuschuss durch die Automatisierungsregelung gesunken ist.

Meine Damen und Herren, Änderungen bei den SAMOst für Wirtschaftsunternehmen sind ebenfalls schon seit langem von den verschiedensten Seiten gefordert worden. Wettbewerbsverzerrungen durch reine Mitnahmeeffekte mussten unterbunden werden, wie es nun durch das Zweite SGB III-Änderungsgesetz geschieht. Nehmen wir die Zahlen vom Arbeitsmarkt Mai der Landesregierung, so erfolgt der Rückgang bei SAM durch das Auslaufen der bisher bewilligten SAM/OFW April 15.037, im Mai 12.950. Die SAM in den anderen Bereichen haben eine zunehmende Tendenz, fangen den massiven Abbau aber nicht auf.

Meine Damen und Herren, die Aussage, dass der erste Arbeitsmarkt die von Ihnen, Herr Schuster, so betitelten Reduzierungen bis auf 7.000 Arbeitslose aufgefangen hätte, ist zwar ein schöner Wunschtraum, aber leider nicht Realität. Nach dem medialen Aufwand, der mit dem Programm "50 PLUS" betrieben worden ist, müssten Sie das bisherige Ergebnis eigentlich als niederschmetternd betrachten. Vor ungefähr einem Jahr haben Sie dies als Weisheit letzter Schluss verkündet und heute sind gerade einmal 117 Menschen in Arbeit oder 119. Statt ein halbes Jahr lang die Träger von SAM zu verunsichern, dann erst zu der Erkenntnis zu kommen, dass z.B. die Verwaltung den Aufwand gar nicht schaffen kann, sollten Sie lieber Akzente anderer Art durch unterstützende Landesarbeitsmarktprogramme setzen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Abschließend kann nur festgestellt werden, die Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung dümpelt vor sich hin, von einer zielgerichteten Arbeit kann keine Rede sein. Die neue Arbeitsmarktpolitik der Thüringer Landesregierung ist gekennzeichnet von Herzenskälte und sozialer Ungerechtigkeit.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Sie wird geprägt von Menschen, die sich nicht in die Situation eines der 181.000 Menschen in Thüringen hineinversetzen können, die arbeitslos sind und von denen die meisten wieder in Arbeit wollen. Arbeitsmarktpolitik bei Herrn Schuster ist der Verlust von 27.000 Beschäftigungsmaßnahmen im Lande. Eine erschreckende, eine böse Bilanz.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Frau Abgeordnete Heß, lassen Sie eine Nachfrage der Abgeordneten Vopel zu? Nein. Herr Minister Schuster, Sie haben um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, was ich eben gehört habe, das war schon Spitze,

(Heiterkeit im Hause)

(Beifall bei der CDU)

aber bezüglich Dummheit, Unwissenheit und Unverfrorenheit.

(Beifall bei der CDU)

(Unruhe bei der SPD)

Herr Minister Schuster! Einen Moment, Herr Minister Schuster, bevor Sie fortfahren, wären Sie jetzt als Abgeordneter hier vor dem Rednerpult, dann hätte ich Sie zur Mäßigung bei Ihrer Wortwahl aufrufen müssen. Das nur zu Ihrer Information.

Aber da dieser Beitrag von der SPD-Fraktion kam, will ich noch ein paar Informationen nachlegen: Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, wie die Realität im Jahre 1998 war, wie die Mittelbindung und der Mittelabfluss damals war. 51,9 Prozent der Mittel, die im Haushalt bereitgestellt waren, sind abgeflossen. In den Jahren 1995 bis 1998 sind 200 Mio. Mark nicht abgeflossen für SAM, die im Haushalt zur Verfügung standen. Ich will verhindern, dass sich das wiederholt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster hat sich Herr Abgeordneter Gerstenberger zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zur Bilanz der Arbeitsmarktpolitik hat meine Kollegin Frau Thierbach schon einiges gesagt. Bevor ich zu vier Punkten komme, Frau Vopel, würde ich ganz gern auf ein paar Dinge eingehen, die Sie hier gesagt haben: Sie haben gesagt, Ihnen wären amerikanische Verhältnisse ganz recht mit 4 Prozent Arbeitslosigkeit

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Nein, das habe ich nicht gesagt.)

und wir sollten darauf hinarbeiten. Wenn Sie zugehört haben heute früh, Herr Dittes hat Ihnen heute früh erklärt, die Personalbeschäftigungsquote in den USA liegt 2 Prozent höher. Man kann das auch noch ein bisschen weiterrechnen. 1 Mio. Arbeitsplätze in Deutschland zusätzlich im staatlichen Bereich, würden ungefähr das ausgleichen und wir hätten von den 7 Mio. Nichtbeschäftigten schon ein Siebentel des Problems gelöst.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Von Amerika lernen, heißt siegen lernen.)

Herr Ramelow setzt das fort, von Amerika lernen, heißt siegen lernen - warum nicht. An dieser Stelle wäre ich ja gerne bereit, darüber nachzudenken. Frau Vopel, den zweiten Gedanken, den Sie geäußert haben mit dem Zivildienst, Abschaffung des Zivildienstes bzw. der Probleme in der Genehmigung von Zivildienststellen aufgrund der fehlenden Mittelbereitstellung. Da haben wir, wenn ich mich richtig erinnere, ungefähr 90.000 Zivildienststellen und da sehen Sie mal wieder, wie das ist, wenn man ohne nachzudenken streicht, wenn nur Streichorgien in der Politik vollzogen werden, anstatt darüber nachzudenken, wie man aus diesem Aufgabenfeld, was nicht über feste Arbeitsplätze realisiert wird, feste Arbeitsplätze macht. Dann hätten wir die nächsten 90.000 Arbeitsplätze im Rahmen der Finanzierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, die wir zurzeit in dieser Bundesrepublik haben und brauchten dazu noch nicht einmal mehr Geld. Herr Dittes hatte darauf hingewiesen, dass er Ihnen die Studie gern zur Verfügung stellt. Das sind schon zwei Einsparpotenziale, die Sie nicht ins Gegenteil verkehren können in Ihrer Argumentation.

Herr Gerstenberger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Vopel?

Wenn Frau Vopel gern möchte.

Ich möchte gern. Herr Gerstenberger, wollen Sie mich falsch verstehen oder haben Sie es wirklich nicht verstanden? Die Zeit des Zivildienstes ist reduziert worden und wird weiter reduziert und das macht den Trägern Probleme. Wissen Sie das, oder wissen Sie das nicht?

Frau Vopel, nicht nur die Zeit wird reduziert, sondern auch die Stellen wurden reduziert. Wissen Sie das nicht?

(Beifall bei der PDS, SPD)

Und nun kommen wir zur Krönung: Meine Damen und Herren, ich grüble immer noch, wie ich das interpretieren soll. Also in der Arbeitsmarktpolitik ist der Bund zuständig. Nun habe ich 1994 wirklich dem Ministerpräsidenten, hier saß er damals, heute ist er nicht da, geglaubt, als er sagte, er will mit seiner Landespolitik die Arbeitslosenzahlen in Thüringen halbieren. Was hat sich, meine Damen und Herren, zwischen 1994 und 1999 geändert, dass plötzlich das Land nicht mehr zuständig ist und die alleinige Verantwortung an dieser Stelle beim Bund liegt? Oder hat denn wirklich Herr Ministerpräsident Vogel geglaubt, dass Kohl seine Probleme löst und nun macht er den Rückzieher, weil Kohl nicht mehr da ist, und delegiert die Verantwortung auf andere. Meine Damen und Herren, das müssen Sie den Arbeitslosen erklären, dass dieser Minister, der für Arbeitsmarktpolitik zuständig sein will, plötzlich, wenn es um die negative Bilanz der Arbeitsmarktpolitik geht, alle Verantwortung auf andere abschiebt. So kann es meiner Meinung nach nicht sein.

Aber nun zu vier Punkten, ich will gleich den ersten aufgreifen, weil der Minister Schuster eine so nette Vorlage gegeben hat. Er hat nämlich deutlich gemacht, dass er eine sehr differenzierte Informationspolitik betreibt. Er hat nämlich klar gesagt, weil diese Aussage von der SPD kam, will er mal ein paar Informationen nachlegen.

Ich will mal eine andere Geschichte erzählen, meine Damen und Herren, die dürfte Ihnen eventuell noch in Erinnerung sein, wie man nicht nur nicht antwortet, sondern wie man auch noch falsch antwortet. Konkret geht es mir um den Informationsstand leitender Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums. Am 18. Mai habe ich hier im Plenum die Landesregierung nach Änderungen bei SAM seit der Pressekonferenz des Wirtschaftsministers vom 12. April gefragt. Staatssekretär Richwien hatte im Namen der Landesregierung geantwortet. Seit der Pressekonferenz seien erst wenige Wochen vergangen. Weiter sagte er - und hier zitiere ich: "Folgerichtig kann es

keine Erkenntnisse über die Notwendigkeit der Aufnahme und Umsetzung von Änderungen geben. Eine schnelle Veränderung bereits zum jetzigen Zeitpunkt ist nach unserer Meinung sachlich noch nicht gerechtfertigt."

Meine Damen und Herren, das war eine klare Antwort und mit der sollten wir eigentlich erst einmal zufrieden sein. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich im Staatsanzeiger Nr. 27/2000 eine neue SAM-Richtlinie gefunden habe, übrigens interessanterweise mit dem Datum vom 26. Mai, also acht Tage später. Nun wird sicher niemand behaupten wollen, dass am 18. Mai nicht an Änderungen bei SAM gedacht wurde, und am 26. Mai aber vom Minister eine neue Richtlinie unterschrieben und bereits veröffentlicht vorliegt.

Meine Damen und Herren, jähe Wendungen sind also in der CDU-Politik offensichtlich nicht ausgeschlossen, denn so schnell glaube ich eigentlich nicht, dass ein Wirtschaftsministerium arbeiten kann. Frau Vopel, sehen Sie, wenn Sie an der Stelle sagen, Bewegung ist an dieser Stelle alles, dann frage ich Sie, ob Sie diese Art von Bewegung gemeint haben. Für eine Richtlinie, Frau Vopel, "50 PLUS" brauchte man in diesem Ministerium ein Jahr, so war jedenfalls kürzlich zu vernehmen, denn so eine richtige Richtlinie soll es ja zuerst im März nächsten Jahres werden. Ich will nicht unterstellen, dass der Herr Richwien hier im Parlament im Namen der Landesregierung die Unwahrheit gesagt hat. Also bleibt bloß die andere Schlussfolgerung, er hat es nicht besser gewusst. Das heißt, ein Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur weiß offensichtlich nichts über die wichtigen Entscheidungen in der Arbeitsmarktpolitik und offenbart seine Wissenslücken dann namens der Landesregierung im Plenum dieses Landtags. Das aber scheint zumindest sehr bedenklich zu sein. Noch bedenklicher, meine Damen und Herren, ist allerdings, dass in diesem Haus heute kein Wort der Entschuldigung fiel.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Woll- ten Sie jetzt anfangen?)