Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir in Thüringen eine klare Linie verfolgen, das ist das Eine. Aber Rechtsextremismus macht nicht vor Ländergrenzen halt. Das zeigt uns nicht nur die weltweite Verbreitung von rechtsextremistischer Propaganda über das Internet. Wenn wir Extremismus und Fremdenfeindlichkeit auf Dauer wirksam zurückdrängen wollen, dann ist ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern erforderlich. Eines der wichtigen Ergebnisse des Treffens der Innenminister in Düsseldorf im August dieses Jahres ist die einvernehmliche Entschlossenheit, mit der die Verantwortlichen, die für die innere Sicherheit geradezustehen haben, bundesweit den Druck auf die braunen Ideologen und ihre Schlägertrupps erhöhen.
Die Zeiten sind vorbei, meine Damen und Herren, in denen die Rechtsradikalen hoffen konnten, die Polizei durch häufiges Überqueren von Ländergrenzen auf dem Weg zu ihren Treffen ausbremsen zu können. Auf Initiative Thüringens bestehen auf Arbeitsebene Absprachen mit unseren Nachbarländern, wonach beispielsweise bei der Verlagerung von Skinheadkonzerten von einem Land in das andere die Polizeikräfte des Ausgangslandes die potenziellen Teilnehmer eines solchen Konzerts so lange begleiten bis ausreichend Polizeikräfte des Ziellandes zur Verfügung stehen. Das Katz- und Mausspiel, das mit der Polizei in den vergangenen Jahren getrieben wurde, hat damit ein Ende.
Thüringen hat im Rahmen des letzten Treffens der Innenminister auch seine Forderungen an den Bund deutlich gemacht: So die Erhöhung der Präsenz des Bundesgrenzschutzes auf den Bahnhöfen - gerade nach den Zwischenfällen in Eisenach und Gotha - wie auch die Fortführung der finanziellen Unterstützung der Bereitschaftspolizei durch den Bund, die dieser, wie bekannt, beabsichtigt zurückzuführen.
Ergebnisoffen haben wir in Düsseldorf auch über die Möglichkeit eines NPD-Verbots gesprochen. Es gibt aktuelle Erkenntnisse, die es in der Tat notwendig machen, ein Verbot der NPD zu bedenken. Dazu gehört insbesondere, dass viele rechtsextreme gewaltbereite Gruppierungen und Organisationen im Umfeld der NPD existieren bzw. neu entstehen und sich bei ihren Aktionen auch
der Privilegien bedienen, die der demokratische Rechtsstaat demokratischen Parteien gewährt. Ein Verbot würde sie dieses Instrumentariums berauben und zugleich auch Rekrutierungswege abschneiden. Allerdings, es muss dabei bedacht werden, dass durch ein Verbot der Partei nicht von heute auf morgen die Auffassung aus den Köpfen ihrer Mitglieder verschwindet. Ich sehe die Gefahr, dass Aktionisten der NPD gegebenenfalls in andere Gruppen abtauchen, noch stärker radikalisiert werden und eine Untergrundarbeit beginnen, die wir dann noch schwerer überwachen können als bisher. Es gilt deshalb, die Chancen und die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren eines solchen Schrittes genau zu erwägen, ehe entsprechende Schritte eingeleitet werden. Die Innenminister werden sich ab Oktober, wenn der Bericht der Arbeitsgruppe vorliegt, intensiv mit diesem Thema noch einmal beschäftigen. Ich denke, dass wir dann spätestens im November zu einer Entscheidung in dieser Frage kommen werden.
Meine Damen und Herren, Gleiches gilt auch für aktuelle Überlegungen, beispielsweise zu einer eventuellen Änderung des Versammlungsrechts oder der Möglichkeit der Videoüberwachung öffentlicher Plätze, Straßen und Räume. Bei all diesen Fragen geht es ganz sicher im demokratischen Rechtsstaat letztlich um einen Balanceakt im Spannungsfeld zwischen den beiden Werten "Freiheit" und "Sicherheit". Freiheit und Sicherheit gehören zusammen. Es ist Aufgabe des Staates, dafür Sorge zu tragen, dass weder die Freiheit des Einzelnen durch zu viel Sicherheit - das heißt im negativen Extrem, durch Fremdbestimmung und Überwachung - noch die Sicherheit durch ein Zuviel an Freiheit - das heißt im negativen Extrem, durch den Missbrauch der Freiheit durch Einzelne - gefährdet wird.
Meine Damen und Herren, gewaltsame politische Einschüchterung, politischer Extremismus, der sich gegen die unantastbare Würde des Menschen, gegen die persönliche Freiheit und gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung selbst richtet, der ist eine Gefahr für Sicherheit und Freiheit, die die wehrhafte Demokratie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen muss.
Zu Recht, meine Damen und Herren, fordern die Bürgerinnen und Bürger von uns eine Polizei, die präsent ist und durchgreift, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist. Zu Recht fordern die Bürgerinnen und Bürger eine Justiz, die mit schnellen Verfahren die Strafe der Tat auf dem Fuß folgen lässt und über ein Strafmaß den Forderungen des Opferschutzes, der Sühne und der Abschreckung Rechnung trägt. Zu Recht fordern die Bürgerinnen und Bürger einen Strafvollzug, der dem Strafzweck des Schutzes der Allgemeinheit in den Fällen Vorrang einräumt, in denen der Strafzweck der Resozialisierung nicht zu verwirklichen ist. Wer glaubt, er könne das Prinzip Gewalt zu seiner Handlungsmaxime erheben, wer glaubt, er könne ungestraft auf Thüringens Stra
Dafür, meine Damen und Herren, steht in Thüringen nicht nur die Arbeit der Polizei, sondern auch die Arbeit der Justiz.
Ich habe eingangs schon die rasche Aufklärung und Verurteilung im Fall des Brandanschlags auf die Erfurter Synagoge genannt. Es gibt aus den letzten Wochen weitere Beispiele für die effiziente Arbeit von Polizei und Justiz in Thüringen. Am 6. August haben drei beschuldigte Jugendliche im Bereich des Bahnhofs Gotha einen 17-Jährigen geschlagen, ihm neben anderen Verletzungen einen Kieferbruch beigebracht und ihn fast zu Tode gebracht. Bereits am 7. August erging Haftbefehl des Amtsgerichts Gotha für einen der Beschuldigten; am 14. August wurde Anklage durch die Staatsanwaltschaft Gera erhoben. Am 29. Juli haben vier beschuldigte Jugendliche im Bereich des Bahnhofs Eisenach zwei afrikanische Asylbewerber geschlagen und mit ausländerfeindlichen Parolen beschimpft. Bereits am 30. Juli erging Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenach; am 14. August wurde Anklage durch die Staatsanwaltschaft Mühlhausen erhoben. Der Prozess vor dem Amtsgericht Eisenach hat in dieser Woche begonnen; ein Urteil wird für die kommende Woche erwartet. Den Opfern, meine Damen und Herren, gilt nicht nur unsere Solidarität und Unterstützung. Wir sind es ihnen zugleich schuldig, alles zu tun, damit sich solche Anschläge nach Möglichkeit in Zukunft nicht mehr ereignen können. Die Täter bzw. auch deren potenzielle Nachahmer müssen erfahren, dass Rechtsbrüche in Thüringen nicht nur nicht geduldet, sondern nach Möglichkeit bereits im Vorfeld vereitelt werden und dass sie, wo dies nicht gelingt, unnachsichtig verfolgt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Rechtsstaat muss das Grundrecht auf Sicherheit durchsetzen. Aber die erfolgreiche polizeiliche Repression ist dabei nur die eine Seite. Staat und Gesellschaft müssen Extremismus und politisch motivierte Gewalt zugleich mit Maßnahmen entgegentreten, die auf langfristige Änderungen zielen. Dementsprechend hat die Thüringer Landesregierung von Anfang an auf Repression und Prävention gesetzt und dabei großen Wert auf die ressortübergreifende Zusammenarbeit gelegt. Ich habe schon Anfang Mai vor diesem Plenum daran erinnert, dass die Thüringer Landesregierung bereits seit Anfang der 90er Jahre ressortübergreifende Maßnahmen zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Gewalt ergriffen hat. Entsprechend der unterschiedlichen Analysen über die Ursachen des politischen Extremismus sind in Thüringen schon in den letzten Jahren verschiedene Ansätze verfolgt worden, um sowohl präventiv als auch repressiv dem Extremismus begegnen zu können. Insbesondere im Bereich des Thüringer Justizministeriums, des
Thüringer Kultusministeriums, des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit und des Thüringer Innenministeriums, aber auch der Bereich des TMWFK ist nicht zu vernachlässigen, in diesen Ressorts gibt es seit Jahren eine Fülle von Initiativen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit. Hinzu kommen die vielfältigen Aktivitäten des Thüringer Ausländerbeauftragten, die Publikationen und Veranstaltungen der Landeszentrale für politische Bildung sowie Maßnahmen der Thüringer Frauenbeauftragten. Diese Maßnahmen und Projekte werden wirksam an den Schulen, in den Einrichtungen der Jugendhilfe, an den außerschulischen Lernorten und Universitäten und sie zeigen ihre Wirkung auch in der Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz, Jugendhilfe und Schulen. Um nur einige von vielen Beispielen zu nennen: Bereits im Jahr 1995 hat das Thüringer Justizministerium eine Initiative gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit ins Leben gerufen, in deren Rahmen eine Vielzahl von Projekten mit großer Resonanz durchgeführt wurde. Derzeit betreibt das Thüringer Justizministerium zudem gemeinsam mit dem Thüringer Kultusministerium die Intensivierung von rechtskundlichem Unterricht an Thüringer Schulen durch erfahrene Richter und Staatsanwälte. Die Jugendstation, die in Gera gegenwärtig ihre Arbeit aufnimmt, soll durch eine zügige Reaktion auf Straftaten Jugendlicher ebenfalls einen Beitrag zur Verhinderung rechtsextremistisch und antisemitisch motivierter Kriminalität leisten. Das Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit beispielsweise hat im vergangenen Jahre eine Studie zu den Ausgangslagen und Entwicklungen rechtsextremer Einstellungen und Wahlpräferenzen bei jungen Menschen und daraus abzuleitende Handlungsfelder und Maßnahmen der Jugendhilfe in Auftrag gegeben. Diese Studie wird durch das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Landesbüro Thüringen, und durch die Friedrich-Schiller-Universität Jena erarbeitet. Langfristig sollen auf dieser Grundlage an der Schnittstelle Jugendhilfe/Schule neue Maßnahmen, Handlungsfelder und Kooperationsformen entwickelt werden. Gleichzeitig setzt das Sozialministerium 1999/2000 einen Arbeitsschwerpunkt auf die Fortbildungsreihe "Gegen Extremismus und Gewalt" - diese Fortbildungsreihe, die Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den betreffenden Arbeitsbereichen der Jugendhilfe die Möglichkeit gibt, sich fortzubilden und sich zu qualifizieren, um sich einerseits der theoretischen Diskussion stellen zu können, andererseits aber auch konkrete Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit, Extremismus und Gewalt entwickeln zu können. Die vom Thüringer Kultusministerium genehmigten Lehrpläne sehen für mehrere Fächer eine Auseinandersetzung mit Fragen des Extremismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus vor. Die Umsetzung des im Schulgesetz beschriebenen Bildungs- und Erziehungsauftrags durch die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts wird ergänzt durch die Vermittlung von Sozialkompetenzen im Unterricht und im schulischen Leben insgesamt. Hierfür werden durch das Kompetenzmodell der Thüringer Lehrpläne entsprechende Vorgaben gemacht. Flankierend fördert das Thüringer Kultusministerium
Maßnahmen gegen die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, die u.a. auch der Herausbildung toleranter Denk- und Verhaltensweisen sowie der Aufklärung über Fremdenfeindlichkeit und extremistischer Gruppenbildung dienen. Das Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst hat u.a. im Juni diesen Jahres eine Veranstaltung durchgeführt, in deren Rahmen die vielfältigen Aktivitäten der Thüringer Hochschulen zur Integration von ausländischen Studierenden in der Öffentlichkeit dargestellt wurden. Mit dieser Veranstaltung wurde auch ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gesetzt. Und darüber hinaus gibt es zahlreiche Aktivitäten zum Thema Extremismusbekämpfung an und durch die Hochschulen. Beispielhaft zu nennen sind themenbezogene Lehrveranstaltungen, Vortragsreihen und Forschungsvorhaben. Auch mit den Mitteln der Kulturförderung wurden mehrere einschlägige Projekte unterstützt wie etwa die Jüdisch-israelischen Kulturtage des Europäischen Kulturzentrums in Via Regia e.V. in Erfurt.
Meine Damen und Herren, der Thüringer Ausländerbeauftragte beispielsweise fördert seit 1993 jährlich ca. 70 Projekte, die der Begegnung von Einheimischen und Zugewanderten dienen und zum verständnisvollen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten beitragen sollen. Auch die Landeszentrale für politische Bildung leistet durch ihre Veranstaltungen und Publikationen Beiträge zu mehr demokratischem Bewusstsein und Toleranz sowie zur Auseinandersetzung mit der Geschichte, so auch durch die Gedenkstättenarbeit. 1992 starteten die Innenministerien von Bund und Ländern unter dem Motto "Verständnis - Menschenwürde achten - gegen Fremdenhass" eine bundesweite Aufklärungskampagne gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Ziel dieser vom Thüringer Innenministerium auch im Jahr 2000 fortgeführten Kampagne ist es, über den Extremismus und seine Gefahren sowie über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aufzuklären. Ebenfalls Bestandteil der Aufklärungsarbeit ist die gemeinsame Wanderausstellung der jungen Länder "Demokratie - aber sicher", die seit 1995 vom Thüringer Innenministerium vorwiegend in Schulen gezeigt wird. Hinzu kommen zahlreiche weitere Programme und Aktionen der genannten Ministerien, die der Prävention von Jugendkriminalität, der Aufklärung und Schulung von Multiplikatoren dienen. Ausdrücklich möchte ich mich an dieser Stelle auch bei den Kommunen des Landes bedanken, die seit Jahren sehr intensiv und auf sehr vielfältige Weise sich dieser Problematik widmen und durch eigene Aktionen und Initiativen, aber auch als Partner für Programme der Landesregierung wichtige Beiträge leisten, um junge Menschen zu erreichen, noch ehe sie in die Kriminalität abgleiten.
Meine Damen und Herren, ich denke, die wenigen - es ist ja nur ein Teil - hier genannten Beispiele machen deutlich, dass sich die Landesregierung seit Jahren auf viel
fältige Weise im Geschäftsbereich der einzelnen Ministerien wie auch ressortübergreifend in der Bekämpfung von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit engagiert. Dass die Landesregierung präventiven Maßnahmen gegenüber dem Extremismus und Fremdenfeindlichkeit hohe Bedeutung beimisst, das wird beispielsweise auch in den entsprechenden Ansätzen zum Doppelhaushalt 2001/2002 deutlich. Ein Landesprogramm aufzulegen, erschiene vor diesem Hintergrund in der Tat wie Aktionismus. Es geht vielmehr darum, die schon in den vergangenen Jahren geübte ressortübergreifende Zusammenarbeit weiterzuführen und zu intensivieren, beispielsweise auch im Dialog und in der Zusammenarbeit mit den Kommunen.
Mit Wirkung vom 16. August dieses Jahres wurde im Thüringer Innenministerium aus diesem Grund eine Koordinierungsstelle als Nachfolgegremium der interministeriellen Arbeitsgruppe Gewaltprävention eingerichtet. Diese Koordinierungsstelle wird eine Reihe von Aufgaben übernehmen, die ich an dieser Stelle nur kurz skizzieren möchte. Sie wird Beratungs-, Informations- und Koordinierungsstelle sein. Sie wird den Aufbau von kommunalen Netzwerken gegen Extremismus und Gewalt fördern und unterstützen, wobei die Kommunen, die örtliche Polizei, aber beispielsweise auch die Schulen in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium eng mit einbezogen werden. Die Koordinierungsstelle wird neue Präventionsmaßnahmen und Projekte initiieren und sie zusammen mit den anderen Ressorts koordinieren, so beispielsweise auch die Zusammenarbeit mit den Multiplikatoren der Wirtschaft. Es geht uns darum, auf diejenigen extremistisch gesinnten Heranwachsenden einwirken zu können, die in einem Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnis stehen. Denn entgegen häufig geäußerter Auffassungen sind Jugendliche mit extremistischer Haltung nicht im überdurchschnittlichen Ausmaß beschäftigungslos. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch die Initiative des Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Erfurt, von Herrn Chrestensen, sowie die Bemühungen des Thüringer Wirtschaftsministeriums in dieser Frage.
Insgesamt, meine Damen und Herren, soll durch die Arbeit dieser Koordinierungsstelle das Entstehen von Sicherheitspartnerschaften gefördert werden. Es geht uns dabei auch um eine Stärkung des Bewusstseins dafür, dass ein gesellschaftliches Klima der Toleranz nur dann gewahrt bleiben kann, wenn alle gemeinsam dafür Verantwortung übernehmen. Weiterhin wird bei der Koordinierungsstelle ein Infotelefon eingerichtet, das zur besseren Information der Bürger beitragen soll, aber eben auch dazu, dass auf Besorgnis erregende Entwicklungen noch schneller als bisher reagiert werden kann.
Meine Damen und Herren, die Thüringer Landesregierung nimmt den Verfassungsauftrag, die Demokratie gegen ihre Feinde zu schützen, sehr ernst. Und sie wird, wie schon in den vergangenen Legislaturperioden, weiterhin
alles ihr Mögliche tun, um Extremismus und politisch motivierte Gewalt in Thüringen konsequent und wirksam zu bekämpfen. Wir haben, so denke ich, in Thüringen in den vergangenen zehn Jahren ein solides Fundament geschaffen, auf dem wir aufbauen können. Das gilt gerade auch für die innere Sicherheit. In Thüringen zu leben, meine Damen und Herren, bedeutet sicherer zu leben als in vielen anderen Ländern der Bundesrepublik.
Wir wissen aber auch, die Erhaltung des demokratischen Rechtsstaats kann nicht allein von staatlicher Seite geleistet werden. Und es ist schon häufig und zu Recht in der öffentlichen Diskussion der letzten Monate darauf hingewiesen worden, dass die Bekämpfung von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Wir brauchen zusätzlich zur staatlichen Repression und Prävention eine Gegenwehr aller in der Gesellschaft. Dazu gehört auch, dass wir nach den Ursachen von Extremismus fragen. Sie wissen, der Erklärungsversuche gibt es viele: Nachwirkungen des DDR-Erziehungssystems, das Fehlen einer wirklich offenen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu Zeiten der DDR, Enttäuschung aus dem Prozess der Wiedervereinigung, Überforderung angesichts des tief greifenden Wandels, der in den letzten zehn Jahren in den jungen Ländern zu gestalten, aber auch erst einmal zu verarbeiten und zu bewältigen war, Orientierungslosigkeit und Protesthaltung der Jugend gegenüber einer Gesellschaft, die von vielen unter dem Gesichtspunkt eines zunehmenden Konkurrenzdruckes als kalt empfunden wird, in der viele traditionelle Bindungen drohen verloren zu gehen und gruppendynamische Prozesse, für die gerade junge Menschen auf der Suche nach Erfolgserlebnissen, Gemeinschaft und Identität empfänglich sind. Fehlende politische Bildung und Identifikation mit demokratischen Werten. All das sind Versuche, Extremismus, Rechtsradikalismus zu erklären.
Fest steht, meine Damen und Herren, gerade in den jungen Ländern haben wir es mit einer schwierigen Gemengelage zu tun, die keine einfachen Antworten zulässt. Beispielsweise haben aktuelle Untersuchungen entgegen häufig geäußerten Vermutungen eben keinen direkten Zusammenhang zwischen der sozialen Situation eines Jugendlichen und seiner rechtsextremen Orientierung ergeben. So ist Arbeitslosigkeit der Eltern keinesfalls wie von selbst der Hintergrund für rechtsextreme Einstellung. Auch zeigt die Statistik, ich habe es schon erwähnt, dass rechtsradikal eingestellte Jugendliche keinesfalls überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit oder Ausbildungsplatzmangel betroffen sind. Sicherlich ist es richtig und wichtig, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen. Dass manche Jugendliche bei ihrer Suche nach Identität zu radikalen Ab- und Ausgrenzungen neigen, das ist allerdings ein gesamtdeutsches und kein ostdeutsches Phänomen. Hinzu kommt die steigende Gewaltbereitschaft, die wir bei einem Teil der Jugendlichen und Heranwachsenden feststellen. Diese Gewaltbereitschaft hat auch zu mehr politisch motivierten
Gewalttaten geführt. Meine Damen und Herren, hier sehe ich das eigentliche Problem bei den mittlerweile ganz alltäglichen Gewalttätigkeiten, die uns in den vergangenen Jahren, Monaten, Wochen und Tagen gleichgültig gelassen haben. Denn seien wir doch ehrlich, der Bazillus Gewalt ist schon längst unser alltäglicher Begleiter. Wir begegnen ihm nicht nur in den schrecklichen Vorfällen der letzten Wochen bei Gewaltstraftaten mit fremdenfeindlichem oder extremistischem Hintergrund. Wir begegnen ihm auch bei den feindlichen Sprechchören bei Sportveranstaltungen, wir begegnen ihm in aggressiven und die anderen Verkehrsteilnehmer gefährdenden Verhalten im Straßenverkehr, das alljährlich vielen Tausend unbeteiligten Menschen in Deutschland das Leben kostet, meine Damen und Herren. Und der Bazillus Gewalt ist auch wirksam in bestimmten Videospielen und Filmen, in der gewalttätigen Prügelei auf dem Schulhof und er ist auch wirksam im so genannten Humor mancher Stammtische.
Diese Gleichgültigkeit gegenüber einer alltäglich werdenden Gewalt vor Augen, meine Damen und Herren, diese Gleichgültigkeit vor Augen ist eine junge Generation herangewachsen, von der uns nun Einzelne, gar nicht die Masse, aber Einzelne zeigen, was es heißt, ohne Verständnis, ohne Mitgefühl für andere, ohne Geduld, ohne Kommunikation miteinander auch in streithaften Situationen, ja, was es heißt, ohne Toleranz zu leben. Ich meine, es ist diese zunehmende Selbstverständlichkeit der Gewaltanwendung und die Rücksichtslosigkeit in unserem Alltag, die sich übrigens in allen Generationen, nicht nur bei den Jugendlichen, findet. Dieser müssen wir entgegentreten. Und zu Recht fordern die Bürgerinnen und Bürger, dass Polizei und Justiz gegen die radikalen Gewalttäter in unserem Land mit Härte und Konsequenz vorgehen, und ich kann Ihnen versichern, wir werden auch in Zukunft alles tun, um Gewalt mit den Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen. Aber wir werden politischen Extremismus und die daraus erwachsende Gewalt letztlich doch nur dann wirksam eindämmen können, wenn sich alle, die in unserer Gesellschaft Verantwortung tragen, dieser Aufgabe stellen. Ohne ein solches Bemühen aller um eine Stärkung der demokratischen Kultur und des Respekts im Umgang miteinander können Polizei und Justiz letztlich nur Symptome bekämpfen, nicht aber die Ursachen. Ich sehe hier eine ganz wichtige Aufgabe der Erziehungsarbeit in den Familien und in den Schulen. Neben den Eltern haben insbesondere die Lehrer die besondere Chance, positiven Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen zu nehmen, ihnen Vorbild zu sein, ihre Talente zu erkennen und zu fördern, auf sich abzeichnende Aggressivität und Gewaltbereitschaft frühzeitig zu reagieren. Meine Bitte an die Lehrer ist es daher: Lassen Sie sich nicht entmutigen durch eine oftmals schwierige Aufgabe, haben Sie auch weiterhin den Mut, sich in diesem Sinne für Ihre Schüler und mit Ihren Schülern einzusetzen, meine Damen und Herren.
So wichtig es ist, jungen Menschen Wissen über die Geschichte und über unser politisches System zu vermitteln, so wichtig ist es auch, dass wir jungen Menschen in der Familie und in der Schule und auch in der außerschulischen Jugendarbeit Werte vermitteln, dass wir es uns zur Aufgabe machen, dass sie Anstand, Rücksicht, Toleranz lernen. Gewalt hat in der politischen Auseinandersetzung, aber auch ganz allgemein bei der Durchsetzung der eigenen Interessen nichts verloren. Auch das müssen wir Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden vermitteln und vorleben. Gerade mangelnde Toleranz und Gewaltbereitschaft lassen sich langfristig nur bekämpfen, wenn allgemein der Respekt vor dem anderen, auch dem anders Denkenden wieder zunimmt. Wir müssen die Debatte über politisch motivierte Gewalt deshalb ganz sicher auch als Wertediskussion führen, meine Damen und Herren. Wenn in diesen Tagen viel von Zivilcourage die Rede ist, dann gehört für mich auch dazu, dass jeder in seinem Umfeld ein positives Beispiel gibt: in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, im Verein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir die Gleichgültigkeit gegenüber anderen, die sich ja auch im schlimmsten Fall als Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Kindern zeigen kann - und verschließen wir davor die Augen nicht, meine Damen und Herren -, dass wir diese Gleichgültigkeit gegenüber anderen überwinden könnten und wenn Zivilcourage wieder zu einem gelebten Wert würde im Sinne eines allgemeinen Aufstehens gegen die Gewalt in unserer Gesellschaft. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Thüringen auf dem richtigen Weg sind. Wir werden ihn auch in Zukunft mit Augenmaß und Realismus weiterverfolgen. Nur, meine Damen und Herren, vor Utopien muss man in diesem Zusammenhang warnen.
Ich denke, wir können ganz einer Meinung sein mit Klaus von Dohnanyi, der kürzlich in einem viel beachteten Artikel festgestellt hat: "Kein gesellschaftlicher Konsens zur Gewaltlosigkeit schließt jemals alle Mitglieder ein. Jede friedliche Gesellschaft bedarf starker Ordnungskräfte Gesetz, Polizei, Gerichte -, um latente und offene Gewaltpotenziale in Schach zu halten."
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden auch in Zukunft mit Extremisten leben müssen, aber es ist an uns, ihnen immer wieder deutlich zu machen, dass die Gesellschaft sich gegen Gewalt und Extremismus stellt. Und es ist an uns, um jeden Jugendlichen zu kämpfen, der in der Gefahr steht, für die Demokratie verlorenzugehen. Extremismus und Gewalt wirksam einzudämmen kann nur gelingen, meine Damen und Herren, wenn wir uns alle gemeinsam darum bemühen, in den jungen wie auch in den alten Ländern. Ich würde mir wünschen, dass wir uns nach zehn Jahren deutscher Einheit auch in diesem Bemühen einig sind. Danke.
Vielen Dank für diesen Bericht. Damit kommen wir jetzt zur gemeinsamen Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 1 und 16. Als Erster hat das Wort Herr Abgeordneter Pohl, SPD-Fraktion. Ich wollte nur auf die Redezeit hinweisen, durch den gemeinsamen Aufruf ist diese dann auch entsprechend doppelt anzuwenden. Sie haben also reichlich Zeit, aber es muss nicht sein, nein.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, soeben hat der Innenminister aus der Sicht der Landesregierung über den Stand der Bekämpfung von Extremismus und politisch motivierter Gewalt einen Zwischenbericht gegeben.
Meine Damen und Herren, in diesem Sommer wurde offenbar, was vielen, die sich seit Jahren mit dieser Problematik beschäftigen, seit langem klar war: Um eine vorurteilsfreie gemeinsame Suche nach kurz-, mittel- und langfristigen Lösungswegen aus dieser Problematik kommt die deutsche Nachwendegesellschaft nicht herum. Nicht erst die Ereignisse dieses Jahres - für Thüringen nenne ich exemplarisch den Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt, die Hatz auf zwei Asylbewerber in Eisenach oder den rechten Aufmarsch in Erfurt - hätten uns aufrütteln müssen. Schon spätestens seit den Ereignissen in Mölln, in Hoyerswerda hätte in einer breiteren gesellschaftlichen Debatte um Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden müssen. Die zunehmende Gewaltbereitschaft der rechten Kräfte führt in weiten Kreisen unserer Bevölkerung zu großen Verunsicherungen. Die Übergriffe auf Ausländer, Menschenjagden auf Straßen, Überfälle auf politisch anders Denkende, Schalten von rechtem Gedankengut im Internet und rechte Aufmärsche haben unserer Gesellschaft klar vorgegeben, wir müssen handeln. Wir müssen eine Stimmung gegen den latenten Rechtsextremismus, gegen Ausländerfeindlichkeit an den Stammtischen und in den Wohnstuben führen, damit sich diese rechtsextremistischen Kräfte nicht noch bestätigt fühlen. Gegen diese Stimmung müssen wir angehen und das nicht nur durch Statistiken schönreden.
Gemeinsames Handeln, meine Damen und Herren, ist angesagt. Ich denke, dass dieser 3. Thüringer Landtag dem Ziel, gemeinsame Handlungskonzepte zu finden, im vergangenen halben Jahr näher gekommen ist. Und die gemeinsame Erklärung aller drei im Landtag vertretenen Parteien als Reaktion auf den Brandanschlag der Synagoge hier in Erfurt demonstrierte doch, dass in diesem Haus ein Prozess des Umdenkens stattgefunden hat.
Gemeinsam müssen wir gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenhass vorgehen. Die breite Unterstützung, die das Ansinnen meiner Fraktion gefunden hat, eine übergreifende Anhörung über Ursachen und Handlungskonzepte zu veranstalten, zeigt doch, dass die Parlamentarier in diesem Haus willens sind, das Problem gemeinsam anzugehen.
Meine Damen und Herren, die Ankündigung des Ministerpräsidenten, es werde kein Landesprogramm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus geben, ist einfach kontraproduktiv. Und das als Aktionismus, wie es eben der Herr Innenminister sagte, zu bezeichnen und darzustellen, ist schädlich.
Mit parlamentarischen Mehrheiten sollte an dieser Stelle keine Politik gemacht werden. Wir Parlamentarier müssen doch die Vorreiter sein, wir stehen in der Verantwortung zu handeln und das können wir nicht nur auf die Landesregierung abschieben. Lassen Sie uns über gemeinsame Handlungsmöglichkeiten nachdenken. Lassen Sie uns doch darüber nachdenken, wie alle gesellschaftlichen Gruppen in diesen Prozess eingebunden werden können. Lassen Sie uns darüber nachdenken, welches Landesprogramm für Thüringen das richtige sein wird.
Meine Damen und Herren, Herr Innenminister, wir nehmen erfreut zur Kenntnis, dass auch dieses Thema für die Landesregierung ein äußerst wichtiges ist und dass sie sich kurzfristig entschlossen hat, einen Zwischenbericht zu geben, dem ein Bericht des Regierungschefs folgen soll, spricht doch dafür. Wir wissen, die Anzahl der rechten und fremdenfeindlichen Delikte ist im Freistaat zweifellos gestiegen. In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch, dass der Verfolgungsdruck, wie eben auch dargestellt wurde, auf die politische Rechte wieder erhöht wurde. Hatte man Ende des letzten Jahres immer noch den Eindruck, dass in dieser Beziehung eine gewisse Schludrigkeit in diesem Freistaat eingerissen ist, zeigen doch die vom Innenminister vorgetragenen Zahlen Erfolge. In dem Zusammenhang ist selbstverständlich das Engagement unserer Polizei hervorragend.