Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Ein weiteres Problem ist die wieder zunehmende Abwanderung junger Leute aus Thüringen. Auf die Gesamtzahl hat Herr Kretschmer gestern Abend in seiner bemerkenswerten Rede aufmerksam gemacht. Bemerkenswert deshalb, weil mir der Zusammenhang mit dem Regierungswechsel etwas visionär vorkam, um nicht zu sagen, fragwürdig. Und wenn ich schlechte Laune hätte, würde ich sagen, das war einfach platt. Aber ich habe keine schlechte Laune. Seine Aussage lautete: "Unter Kohl war die Abwanderung gering, seit Schröder steigt sie rasant an." Ich meine, dass bei beiden die Chefsache Ost ziemlich verkommen ist. Das nur nebenbei. Die hohe Abwanderung könnte so gesehen auch mit der absoluten Mehrheit der CDU zu tun haben

(Heiterkeit bei der CDU)

oder mit der verlorenen Fußball-Weltmeisterschaft von 1998. Was ich damit sagen will: Der rationale Kern dieser ganzen Geschichte ist, immer mehr Menschen in Thüringen, vor allem junge Menschen, verlassen Thüringen, weil sie hier keine Perspektive sehen, und es ist fraglich, ob sie wiederkommen. Wir erleben hier im Hause ein permanentes Schulterklopfen der Mehrheitsfraktion auf die schmalen Schultern der Landesregierung über das Erreichte. Offensichtlich haben aber viele Jugendliche, viele junge Thüringer eine andere Wahrnehmung. Sie stimmen über Ihre Politik genauso mit den Füßen ab wie vor zehn Jahren.

(Unruhe im Hause)

Ich hoffe, dass dieses Thema Gegenstand der nächsten Ausbildungsinitiative sein wird, sollte es sie geben. Die Abwanderung hat originär etwas mit den Perspektiven des Freistaats Thüringen zu tun. Die Landesregierung ist unserer Auffassung nach gefordert, diese Thematik stärker auf die Tagesordnung zu setzen, damit Thüringen nicht zum Abwanderungsland wird.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sind Sie sicher, dass Sie zum Thema vorbereitet sind?)

Ja, ich denke schon, Herr Althaus. Untätigkeit ist hier völlig fehl am Platze. Wir dürfen uns nicht auf den demographischen Wandel allein verlassen. Schon deshalb nicht, weil zunehmend die "2.-Schwelle"-Problematik durchschlägt. Notlösungen der vergangenen Jahre führen jetzt zu steigender Jugendarbeitslosigkeit, wir haben im Sommer dazu einiges gehört, 25.000 Jugendliche im September. Dies ist gesellschaftspolitisch nicht hinzunehmen. Wir unterstützen daher Ansätze, die verschiedenen Formen beruflicher

Ausbildung gleichzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles in allem, das wichtigste Ziel der Ausbildungsinitiative wurde nicht erfüllt. Es bedarf endlich grundlegender Überlegung zur Finanzierung der Berufsausbildung. So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Dies sind wir vor allem den jungen Menschen in Thüringen schuldig. Schönen Dank!

(Beifall bei der PDS, SPD)

In der Aussprache hat sich weiterhin zu Wort gemeldet der Abgeordnete Wehner, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Huster, als erstes kann ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen, dass es mittlerweile, ich zitiere "schon natürlich ist, dass sich die PDS der SPD anschließt", das verwundert mich doch etwas. Also vielleicht setzen Sie sich gleich zusammen oder machen den Laden gleich zusammen. Es ist auf jeden Fall vielsagend, dass das mittlerweile schon natürlich ist. Sie geben sich ja gar keine Mühe mehr, noch eigene Konzepte zu entwickeln.

(Zwischenruf: Abg. Pelke, SPD: Das ist doch nicht Ihr Problem, mein Gott noch einmal.)

Wir reden heute über den Antrag der Fraktion der PDS zur Ausbildungssituation in Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Wir reden über den Bericht.)

Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Schwäblein?

Aber selbstverständlich.

Herr Kollege Wehner, weil Sie gerade Herrn Huster ansprachen. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass sein Vergleich der Situation der Jugendlichen von heute mit der Situation vor zehn Jahren eigentlich eine Frechheit ist?

Herr Schwäblein, ich stimme Ihnen da voll und ganz zu, dass dies eine Frechheit ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte aber doch zunächst noch einmal zum Inhalt des Antrags ein paar Worte sagen und als Erstes möchte ich mit einem Dank hier beginnen. Dass wir in Thüringen mittlerweile erreicht haben, dass 80 Prozent der Jugendlichen in betrieblichen Ausbildungsplätzen sind, ist für mich erst mal ein ganz entscheidender Punkt.

(Beifall bei der CDU)

Die Thüringer Wirtschaft erkennt zunehmend, dass die betriebliche Ausbildung ihre eigene Zukunft, ihre eigene Perspektive sichert. Ich möchte von dieser Stelle die Wirtschaft noch einmal deutlich dazu aufrufen, ihre Anstrengungen noch zu vermehren. Sie wissen alle, dass in Kürze geburtenschwächere Jahrgänge in die Berufsausbildungszeit kommen, und jeder, der heute an die Zukunft seines Unternehmens denkt, müsste eigentlich mittlerweile an verstärkter betrieblicher Ausbildung ein Interesse haben. Und das spiegelt sich ja auch in diesen Zahlen, mit diesen 80 Prozent letztendlich wider. Herr Huster, auch dass Sie beklagen, dass noch 20 bis 25 Prozent in überbetrieblicher Ausbildung sind, da stimme ich Ihnen ja zu, ich beklage das auch. Aber was sollen wir denn tun? Wollen Sie nun etwa mit dieser Forderung erreichen, dass wir, solange es erforderlich ist, die überbetriebliche Ausbildung nicht mehr machen? Also da kann ich Ihnen nicht folgen. Man kann doch nicht die überbetriebliche Ausbildung beklagen und auf der anderen Seite ihre Notwendigkeit einfordern. Zum anderen ist aus meiner Sicht vor allem der Zeitpunkt jetzt noch völlig verfrüht, um in irgendwelche Panik zu verfallen. Wir haben Zahlen vorliegen, die sich auf den 30. September beziehen. 30. September, das ist aus meiner eigenen Erfahrung bei weitem noch nicht der Abschluss an neuen Lehrverträgen. Wir haben noch bis Ende November, teilweise in den Dezember hinein, immer Lehrlinge in den ersten Lehrjahren aufgenommen. Es werden nach meiner festen Überzeugung noch weitere Ausbildungsplätze hinzukommen.

(Zwischenruf: Abg. Dittes, PDS: Wir warten im Dezember auf Ihren Antrag.)

Herr Dittes, Sie können doch im Dezember Anträge aufstellen, was Sie wollen. Ich stelle doch nur einfach fest, dass der Zeitpunkt 30. September verfrüht ist, und wenn Sie das nicht begreifen wollen, dann informieren Sie sich mal bei den IHKs und bei den entsprechend zuständigen Arbeitsämtern.

Zu einem anderen Punkt möchte ich auch noch einige Ausführungen machen. Wenn wir hier von noch nicht vermittelten Bewerbern in Thüringen reden, da stimme ich auch wieder zu, dass jeder, der eine Lehrstelle angeboten bekommt, sagen wir mal so, auch ein bisschen flexibel sein muss. Ich kann nicht verstehen, dass man diese hohen Pendlerzahlen, die wir gegenwärtig haben, nun grundsätzlich beklagt. Es ist doch erstmal ein Zeichen für die Entwicklung, die die Jugendlichen auch bereit sind zu gehen, dass sie auch dorthin gehen, wo im Moment noch Ausbildungsplätze in Größenordnungen verfügbar sind.

(Beifall bei der CDU)

Und ich möchte die Jugendlichen, die in Thüringen ohne Ausbildungsstelle sind, auch weiterhin ermutigen, nach Bayern zu gehen. Eine Abkehr von einer CDU-Politik kann das sicherlich nicht sein, wenn sich die Jugendlichen vor allen Dingen in Bayern um Lehrstellen bewerben, denn dort sind schon über viele Jahre klare politische Verhältnisse, Herr Dittes.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Sehen Sie...)

(Beifall bei der CDU)

Ich fordere von den Jugendlichen nach wie vor Flexibilität und ich bin dankbar, dass die Thüringer Jugendlichen diese Flexibilität auch zeigen.

(Beifall bei der CDU)

In einem zweiten Teil des Antrags steht etwas zu der Situation in den beruflichen Schulen. Lehrer an beruflichen Schulen werden verzweifelt gesucht. Das trifft sogar auf viele andere Bundesländer auch zu, wir stehen also hier in Thüringen mit dieser Situation nicht allein. Ich kann aber natürlich ein paar Sondersituationen benennen, die sich schwierig machen, in Thüringen noch geeignete Bewerber zu finden. Da kommt nämlich vor allem der Gehaltsunterschied dazu, durch den BAT-Ost bedingt geringere Bezahlung, dazu natürlich noch das so genannte Floatingmodell. Das sind alles Standortnachteile, die wir in Thüringen gegenwärtig haben, und das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Aber wer ist denn Schuld an den Bedingungen?)

Frau Nitzpon, beruhigen Sie sich doch ein bisschen. Ich möchte Ihnen aber auch einige Gründe nennen, warum man diesen Lehrermangel auch nicht übertreiben sollte. Zum Ersten ist natürlich die sinkende Schülerzahl im Bereich der Berufsschulen im Moment noch nicht angekommen und zum anderen haben wir noch einen sehr hohen Anteil an Vollzeitschulformen. Das heißt also, wir bilden noch sehr viele Leute an Berufsfachschulen aus. Wenn dieser Anteil zugunsten der betrieblichen Ausbildung in Zukunft zurückgeht, werden wir auch in Größenordnungen Lehrerstunden letztendlich freisetzen und damit natürlich ausreichend Fachpersonal wieder besitzen. Das heißt, das Entscheidende, was wir eigentlich tun müssen, ist, dass wir die Betriebe weiterhin stärken, dass sie ihrer Rolle gerecht werden und im Bereich der dualen Ausbildung in Zukunft auch Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Und ich betone noch mal, jedes Unternehmen, das an seine Zukunft denkt, wird dies tun, und ich bin auch optimistisch, dass dies in Zukunft sein wird und verstärkt sein wird.

Ich darf Ihnen hier noch ein paar Zahlen aus dem Bereich des Arbeitsamtsbezirkes Suhl und der IHK Suhl nennen.

Dort sehen nämlich die Zahlen sehr, sehr gut aus. Und ich will da mal kurz die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze nennen. Die hat sich in diesem Jahr - Stand auch 30.09. dieses Jahres - von im vergangenen Jahr 1.382 auf 1.583 oder - in Prozent ausgedrückt - um 14,5 Prozent erhöht. Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass die Wirtschaft zunehmend erkennt, wie wichtig betriebliche Ausbildung ist.

(Beifall bei der CDU)

Und einen letzten Punkt sage ich Ihnen auch noch: Wenn im Arbeitsamtsbezirk Suhl gegenwärtig exakt 102 Bewerber noch nicht vermittelt sind, da bin ich auch der Meinung, dass darunter ein bestimmter Prozentsatz ist, der auch noch nicht hinreichend gesucht hat und der vielleicht auch nicht für eine Ausbildung zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt geeignet ist. Das müssen Sie auch einfach akzeptieren, dass es auch diese Leute in Zukunft geben wird in einer freien Gesellschaft. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

In der Aussprache liegt eine weitere Redemeldung vor. Herr Abgeordneter Heym, bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass Sie mal sehen, wie unterschiedlich die Wahrnehmung auch innerhalb unserer eigenen Fraktion ist, möchte ich mal sagen, das, was die Frau Pelke auf die Ausführungen des Wirtschaftsministers gesagt hat, fand ich o.k., wir reden weiter in Ruhe, ist in Ordnung, ist nicht befriedigend, muss aber gemacht werden. So und dann kommt der Herr Huster und hat eigentlich das gemacht, was ich mir gewünscht habe, nämlich Skandal, hin und her winden, geht und kann nicht. Es ist doch vollkommen normal, dass Sie aus jedem noch nicht vermittelten Jugendlichen Honig saugen, denn das ist das, was Sie brauchen für Ihre Argumentation, und Sie sind doch eigentlich dankbar für jeden, der noch nicht vermittelt ist, sonst hätten Sie doch hier kaum eine Argumentation.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Das ist eine Frechheit, Herr Heym!)

Frau Nitzpon, hier werden viele Frechheiten ausgetauscht, aber das müssen wir ganz einfach ertragen.

(Beifall bei der CDU)

Und wenn wir über die Ausbildungssituation reden, möchte ich Ihnen mal einen Sachverhalt zur Kenntnis geben, der uns zum Nachdenken anregen sollte, alle hier im Haus. Es gab 1998 in Deutschland 1,3 Mio. junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren, die keine abgeschlossene Berufs

ausbildung hatten. Und das sind 11 Prozent von dem Bevölkerungsanteil. Es werden große Anstrengungen von der Bundesregierung, aber eben auch begleitet durch die Länder, unternommen, um solchen Leuten eine Ausbildung zu ermöglichen. Und das ist ja auch unstrittig, dass man sich darum bemüht. Solche Maßnahmen haben auch ganz konkrete Namen: Lernen im Arbeitsprozess. Oder ich bezeichne es mal ganz einfach als Qualifizierungs-ABM, unter diesem Begriff werden sie gehandelt, laufen auch bei uns. Und so ist es gewesen, dass im Sommer dieses Jahres das Arbeitsamt Suhl 140 Einladungen verschickt hat an jugendliche Arbeitslose zwischen 18 und 25 Jahren. Von diesen 140 Arbeitslosen war ein Anteil von ungefähr 30 Prozent, die nicht Leistungsempfänger aus dem Arbeitsamt sind, also sprich, schon Sozialhilfe bekommen oder ihr Geld aus irgendwelchen anderen Einkünften erzielen, was sie zum Leben brauchen, was ich jetzt hier an dieser Stelle nicht weiter nachvollziehen kann. Wie gesagt, 140 Einladungen ausgesprochen zu einer Informationsveranstaltung, in der darüber unterrichtet werden sollte, dass die Möglichkeit besteht, in drei Berufsgruppen eine Maßnahme zu belegen, die mit einem abgeschlossenen Beruf endet. Das waren zum einen Einzelhandelskaufleute, es waren zum anderen Garten- und Landschaftsbauer und es waren zum Dritten Informationselektroniker. Alles Berufe, die nicht aus Jux und Tollerei vom Arbeitsamt angeboten wurden, sondern die ganz gezielt gesucht werden, wo Leute gesucht werden, in Betrieben in der Region in Suhl und Südthüringen. 140 Einladungen - Schmalkalden, Suhl, Meiningen. Von den 140 Eingeladenen sind 60 zu dieser Veranstaltung erschienen, die mit verschiedensten Begründungen ganz einfach gerechtfertigt wurden, die die nicht gekommen sind, da hat es zum Beispiel geheißen: "Ich habe keine Fahrerlaubnis und es ist mir nicht möglich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Schmalkalden nach Suhl zu fahren" und solche Sachen. Andere haben gesagt: "Für mich lohnt es eh nicht, ich habe vor, zur Bundeswehr zu gehen", was der dann gesagt hat, das sage ich dann an nächster Stelle, was mit dem weiter gewesen ist, sage ich an nächster Stelle, da komme ich noch mal darauf zurück. Von 140 Eingeladenen 60 gekommen, die Veranstaltung hat begonnen. Wissen Sie, wie viele noch Interesse daran hatten, am Ende dieser Ausführung durch das Arbeitsamt, am Ende der Veranstaltung? Ganze 30 Jugendliche, die noch ein Interesse daran hatten, überhaupt einen Beruf zu erlernen. Und die Möglichkeit in dem Bereich wäre sogar gewesen, dass die innerhalb dieser Maßnahme von einem Beruf zum anderen noch hätten wechseln können, das wird am Anfang erstmal getestet und das wird eigentlich sehr viel unternommen, um solchen Leuten zu helfen.

(Beifall bei der CDU)

Die Maßnahme hat im September dann begonnen mit diesen, wie gesagt, 30 Leuten und jetzt fangen wir an - ich bin am Montag noch mal extra im Arbeitsamt gewesen und habe mich dort noch mal kundig gemacht - und versuchen schon wieder diesen Lehrgang aufzufüllen, weil viele von

den 30 Leuten jetzt schon Probleme haben, regelmäßig zum Dienst zu erscheinen, die Schule anständig zu machen, hoher Krankenstand, so dass ganz einfach die Defizite jetzt schon kommen, dass hier die Leute absehbar den Abschluss nicht erreichen. Und da sage ich an der Stelle in aller Deutlichkeit, das ist kein Richten über die Jugend, der größte Teil unserer Jugendlichen bemüht sich um einen anständigen Schulabschluss und um einen anständigen Berufsabschluss.

(Beifall bei der CDU)