Protokoll der Sitzung vom 17.11.2000

Meine Damen und Herren, die Realität sieht, wie so oft bei der CDU-Ideologie, wieder ganz anders aus. Der NonProfit-Sektor ist heute schon ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor in Deutschland, nämlich mit einem Anteil von 6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt und mit 5 Prozent an den Gesamtbeschäftigten. Das sind auch Dauerarbeitsplätze, meine Damen und Herren, das ist erster Arbeitsmarkt. In den Niederlanden ist das sogar bei 12 Prozent aller Arbeitsplätze. Sollte ich es etwa verschlafen haben, dass wir in der Bundesrepublik zur Planwirtschaft übergegangen sind oder dass die Niederlande in den letzten Jahren ein sozialistischer Staat geworden wären, um Ihre Argumentation aufzugreifen. Ich möchte Sie an dieser Stelle nochmals - Herr Schuster, ich sagte es eingangs schon - an den Gedanken der Modellprojekte erinnern.

Meine Damen und Herren, mit diesen Modellprojekten auf Landesebene und auch auf regionaler Ebene könnte man Verzahnungen von Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik mit innovativen Ideen umsetzen. Man könnte ein Bündnis für Arbeitsplätze mit verbindlichen Zielgrößen in den Regionen in Gang setzen. Meine Damen und Herren, ein Wettbewerb der Ideen könnte initiiert werden, der sowohl von EU-Seite im Rahmen des ESF, aber auch von der Seite der Bundesregierung mit nicht unbedeutenden Mitteln im Haushalt gefördert wird. Ich sprach vorhin von den 100 Mio. DM, die dafür zur Verfügung stehen und an Thüringen vorbeigehen. Dazu gehört noch eins: Die Regionalisierung soll als tragendes Prinzip der Arbeitsmarktpolitik die Verzahnung voranbringen, hieß es in einem Bericht der vorigen Landesregierung. Herr Schuster, Sie haben selbst auf dieses Regionalisierungsproblem hingewiesen. Sie wollen nicht nur die Einstimmigkeit von Entscheidungen in diesem Gremium, Sie wollen auch die Zusammensetzung noch korrigieren, aber eins wollen Sie nicht, dass diese Gremien auch entscheiden. Denn die Entscheidungsgewalt über die entsprechenden Mittel, die in Gremien dieser Art sicher verantwortungsbewusst und jetzt sogar noch mit Konsens entschieden werden, diese Genehmigung dieser Maßnahmen behalten Sie sich vor, weil offensichtlich das Vertrauen dazu fehlt, dass auf der untersten Ebene vernünftige Entscheidungen getroffen werden können. Andere Gründe kann ich mir nicht vorstellen.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Zentralismus hat die SED gemacht.)

Jetzt muss ich in dem Zusammenhang über diese Äußerung nachdenken - "Zentralismus hat die SED gemacht." Herr Schuster, das müssen Sie mir erklären. Wenn es so ist, dass die zentrale Verwaltung der Geldmittel für den zweiten Arbeitsmarkt und der Wille zur Nichtbereitstellung dieser Mittel für die dezentralen Strukturen dezentrale Politik ist, dann bin ich falsch, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Dass Sie die Welt nicht verstehen...)

Aber das würde dann vielleicht eine neue Art sogar von Interpretation von Sprache in Deutschland bedeuten, wenn Sie auf diese Art und Weise versuchen, nun auch noch das als dezentrale Politik zu verkaufen, was Sie hier betreiben.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, ich will auf eins noch hinweisen - und diesen Punkt bitte ich in den gesamten Überlegungen weiter zu berücksichtigen, denn er macht auch noch mal deutlich, dass das hier nicht die Auseinandersetzung von einzelnen Personen oder einzelnen Gruppierungen ist. Es gibt Studien im Freistaat und die gestrige bietet dazu auch Ansatzpunkte, um das zu erkennen, die feststellen, dass Arbeitslosigkeit auch - nicht ausschließlich - aber auch etwas mit dem Problem des Rechtsradikalismus in Deutschland zu tun hat. An dieser Stelle werden Streitereien in diesem Haus völlig unwichtig. An dieser Stelle sollten wir endlich messbar, abrechenbar, nachvollziehbar und möglichst, meine Damen und Herren der CDU, ideologiefrei Förderprogramme und Fördermaßnahmen auflegen, damit sich dieses Problem reduziert, damit eine Quelle für diese unsägliche politische Entwicklung, die sich in dieser Bundesrepublik vollzieht, versiegt. Und das ist Aufgabe und das ist Verantwortung Ihrer Politik, Herr Schuster.

(Beifall bei der PDS)

Eine Zwischenfrage oder Abschlussfrage, Herr Wunderlich?

Herr Abgeordneter Gerstenberger, jetzt haben Sie nun versucht, uns in einer Dreiviertelstunde in einer Lehrstunde hinsichtlich richtiger Arbeitsmarktpolitik aufzuklären. Aber dann erklären Sie mir mal seitens der PDS, warum die PDS - mitverantwortlich für die Arbeitsmarktpolitik in SachsenAnhalt - dieses Land eine 5 Prozent höhere Arbeitslosenquote hat als Thüringen?

Herr Wunderlich, Sie haben offensichtlich immer noch nicht zugehört. Es ist - und ich stelle Ihnen das gern noch einmal zusammen - eine unsägliche Tradition, immer die Schuld bei anderen zu suchen. Herr Wunderlich, mir ist egal - nein, mir ist nicht egal - aber das ist für mich nicht der Gradmesser, was andere Länder und andere Regierungen machen. Wir und Sie können sich nicht rausreden ob der Probleme der Arbeitslosigkeit. Sie hatten zehn Jahre die Verantwortung auf Bundesebene und es sind die Massenarbeitslosenzahlen entstanden. Sie hatten zehn Jahre die Ver

antwortung in Thüringen und es ist bei dieser Massenarbeitslosigkeit geblieben.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Sie haben 40 Jahre Sozialismus.)

Sie sind genau so verantwortlich wie die anderen Landesregierungen in dieser Bundesrepublik Deutschland, dieses Problem zu beseitigen. Und da ist es unerheblich, ob Sie Schuldzuweisungen an diesen oder jenen machen, dass er zu wenig tut. Tun Sie was, dann bewegt sich was in diesem Land!

(Beifall bei der PDS)

Gestatten Sie eine weitere Frage, Herr Abgeordneter?

Ja, Moment. Da gibt es eine Rednerliste.

(Heiterkeit bei der CDU)

Wir fahren in der Debatte fort, die übrigens doppelte Redezeit beinhaltet, weil zwei Anträge zur Debatte stehen. Das möchte ich nur mal an dieser Stelle gesagt haben, weil einige Aufregung im Saal in dieser Richtung zu verzeichnen ist. Es hat sich zu Wort gemeldet der Abgeordnete Huster, PDS-Fraktion. Herr Wunderlich, war das eine Anmeldung zur Rede? Dann schreiben wir das auf.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch bei den Ausbildungsplätzen finden wir in Thüringen eine desolate Situation vor, desolat, wenn man allein die Zahl der zum 30.09. unversorgten Bewerberinnen und Bewerber betrachtet. Es waren immerhin 1.000 in diesem Jahr. Sieht man genauer hin, wird das ganze Ausmaß der Misere deutlich, nicht nur in Thüringen, aber auch in Thüringen und hier mit besonderen Schwerpunkten. So ist die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze weiter rückläufig. Seit Jahren steht nur jedem zweiten Bewerber ein betrieblicher Ausbildungsplatz zur Verfügung. Über die von Ihnen genannten 80 Prozent kann ich mich immer wieder wundern. Nach wie vor beteiligen sich zu wenig Unternehmen an der beruflichen Ausbildung. Trotz Ausbildungsinitiative und trotz großer Versprechen der Landesregierung, die immer damit verbunden sind, wurde eine substanzielle Verbesserung der Lage auf dem Ausbildungsmarkt auch im letzten Jahr nicht erreicht.

(Beifall Abg. Gerstenberger, PDS)

Ich will nur an die vereinbarten 1.300 betrieblichen Ausbildungsplätze erinnern, die Sie zusätzlich schaffen wollten. Das ist nicht gelungen, rückläufig ist die Zahl in diesem Jahr. Zur Situation gehören weiter Warteschleifen, eine für Lehrer und Schüler zum Teil untragbare Situation an den Berufsschulen - Stundenausfall, ungenügende Vermittlungschancen aus außerbetrieblicher und vollzeitschulischer Ausbildung

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Thema verfehlt - Arbeitsmarktpolitik.)

- ja, ja, Sie kommen noch dran, das hat was mit Arbeitsmarkt zu tun -, eine schlechte Ausbildungsvergütung zum Teil. Das sind Defizite, die werden von Ihnen immer kaum genannt, die gehören aber genauso zum Thema und die haben etwas mit der Richtung Ihrer Politik zu tun.

(Beifall bei der PDS)

Und, Herr Kretschmer, die Argumente, die Sie dann immer wieder bringen - die haben wir heute auch wieder gehört - Sie verweisen auf die schlechtere Situation.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Ich war doch noch gar nicht dran.)

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Er hat doch gar nichts gesagt.)

Jetzt bin ich dran. Das kam aus den Reihen Ihrer Fraktion.

Sie verweisen immer wieder auf die schlechtere Situation in anderen Bundesländern.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Das haben wir heute überhaupt noch nicht gemacht.)

Also, Herr Minister Schuster hat seine Rede damit begonnen. Was ist hier los?

(Unruhe bei der CDU)

Das war schon so, Frau Vopel. Darum geht es meiner Meinung nach auch nicht, das zu leugnen, Ihre Bemühungen, die damit verbunden sind usw. Ich kritisiere zunächst Ihre Arroganz hier im Haus mit den Anträgen der Opposition. Beim Thema "Jugendarbeitslosigkeit" haben wir das erlebt. Wenn es Ihnen wirklich um eine schnelle Lösung dieser Probleme, die im Sommer aufgetreten sind, gegangen wäre, dann hätten Sie die Anträge hier nicht weggestimmt, sondern hätten mit uns in den Ausschüssen dazu weiter beraten.

(Beifall bei der PDS)

Ihre Antwort hier im Hause war allerdings stets dieselbe. Sie haben die Probleme schon lange erkannt, Sie brauchen dazu nicht die Hilfe der Opposition und es war zum Teil noch schlimmer, Sie haben die Probleme überhaupt geleugnet. Aber darum geht es mir gar nicht primär.

Noch kritikwürdiger als der Umgang mit der Opposition hier im Haus ist dieses unsägliche Vertrösten der Jugendlichen auf bessere Zeiten. Vertröstet werden sie, wenn sie jetzt in nachteilige Übergänge geschickt werden, die ihnen keinen gleichberechtigten Einstieg ins Erwerbsleben gewährleisten. Ich habe den Minister so verstanden, dass er da ansetzen will. Vertröstet werden sie weiter, wenn der drohende Fachkräftemangel in ein paar Jahren alleinig als Argument für die in einigen Bereichen steigende Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft herangezogen wird. Vom Grundsatz her muss es aber anders herum sein. Ausbildung ist auch dann eine Aufgabe für die Wirtschaft, wenn ein Überschuss an Fachkräften herrscht. Den demografischen Wandel mit dem historisch einmaligen Geburtenrückgang in den 90er Jahren im Nachgang sozusagen als Glück zu empfinden, um den Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu bereinigen, sind wir als PDS-Fraktion nicht bereit mitzugehen.

(Beifall bei der PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Abwanderung junger Leute aus Thüringen, die Bevölkerungsprognosen bis 2020 mit zum Teil schlimmen Auswirkungen denken Sie an die Großstädte (ganz besonders schlimm in Gera) -, die drohende Überalterung der Bevölkerung, der sinkende Teil der Jugendlichen, die in Thüringen leben werden, und nicht zuletzt - das wird auch immer ausgespart in Ihrer Diskussion - das bleibende Lohn- und Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West, all diese Dinge gehören in den Mittelpunkt der Diskussion. Aus all dem folgt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass es für Lobreden noch viel zu früh ist. Schönen Dank.

(Beifall bei der PDS)

So, jetzt dürfen Sie, Herr Wunderlich, CDU-Fraktion.

Schönen Dank. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gerstenberger, ich habe deswegen die Frage an Sie gestellt, weil die Arbeitsmarktpolitik, die Sie hier vertreten haben, eigentlich fast wortgenau die PDS auch in Sachsen-Anhalt regierungsverantwortlich mit verantwortet. Dort liegt die Arbeitslosigkeit um 5 Prozent höher als in Thüringen. Sie können doch wirklich nicht von uns erwarten, dass wir genau diese Arbeitsmarktpolitik, die Sie hier vertreten, die in einem anderen Land zu einer höheren Arbeitslosigkeit führt, mit vertreten. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Von den Abgeordneten liegen jetzt keine weiteren Redeanmeldungen mehr vor. Herr Minister Schuster noch einmal bitte.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, das Schlüsselwort dieser Diskussion war die "Verzahnung". Damit kann die Verzahnung der Arbeitsmarktpolitik mit Wirtschaftspolitik gemeint sein oder die Verzahnung der Wirtschaftspolitik mit der Arbeitsmarktpolitik. Herr Gerstenberger, Sie haben Recht, mein Bericht bezog sich auf den ersten Aspekt, auf die Verzahnung der Arbeitsmarktpolitik mit der Wirtschaftspolitik. Sie haben gesagt, es wäre doch aller Anlass gegeben, den zweiten Aspekt stärker zu gewichten, da für die Wirtschaftsförderung sehr viel mehr Mittel eingesetzt werden. Sehen Sie, da bereits irren Sie.

Für die Arbeitsmarktpolitik gibt allein die Bundesanstalt für Arbeit in unserem Land jährlich 9 Mrd. DM aus. Wir geben im Landeshaushalt dafür rund 230 Mio. aus. Für die Wirtschaftsförderung geben Bund, EU und Land gemeinsam rund gerechnet etwa 1 Mrd. aus. Dies macht deutlich, wie die Gewichte heute verteilt sind zwischen der Arbeitsmarktpolitik und der Wirtschaftspolitik. 9 Mrd. Bundeseinsatz für Arbeitsmarktpolitik und 1 Mrd. für die Wirtschaftsförderung - sollte man deshalb nicht darüber nachdenken, ob es nicht besser wäre, einen größeren Teil der eingesetzten Mittel für die Wirtschaftsförderung einzusetzen

(Beifall bei der CDU)

und umzusteuern zwischen Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik.

Nun haben Sie sich dann kritisch mit unserer Wirtschaftspolitik beschäftigt. Tatsache ist, Herr Gerstenberger, alle Studien beweisen es, in unserem Lande sind die Wirtschaftsfördermittel mit der höchsten Arbeitsplatzeffizienz eingesetzt worden im Vergleich aller neuen Länder.