Protokoll der Sitzung vom 23.02.2001

(Beifall bei der PDS)

Zur Struktursicherungsfunktion: Die kleinen und mittleren Unternehmen sind natürlich auch kompetente Partner, ausgeglichene, räumliche Wirtschaftsstruktur in dem Geschäftsgebiet der Sparkasse unbedingt das Interesse weiter auszubauen. Doch als Kommunalpolitikerin möchte ich noch einmal den Aspekt der Bedeutung der Sparkasse als kommunale Hausbank besonders beleuchten. Der regionale Kreislauf, von dem wir in der Wirtschaft sprechen, muss auch hier besser in Gang kommen. Wir haben auf der einen Seite den wirtschaftlichen Erfolg, den die Sparkassen ja haben, das wissen wir, aber in den Kommunen kommt eben nichts an, was wir alle so sehr gern hätten. Es heißt, wir müssen weiter in die Richtung fahren, dass auch die Gewährträger beteiligt werden an dem wirtschaftlichen Erfolg der Sparkassen. Bisher ist es nicht möglich, bisher wirkt sich in den Kommunen der vorteilhafte Standort der Sparkassen nur aus, indem sie eben halb verfallene Villen prachtvoll ausbauen. Es ist ein Vorteil, machen wir uns nichts vor, aber dabei kann es nicht belassen bleiben. Gerade jetzt bei der Haushaltssituation der Kommunen ist es wichtig, dass wir hier einfach einmal unseren Wunsch auch äußern, dass die Kommunen stärker beteiligt werden. Denn da ist ja die Motivation der Kommunen auch wieder größer...

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Na, na, na.)

Ja, es muss ein angemessener Anteil von beiden Seiten berücksichtigt werden.

(Beifall bei der PDS)

Und die zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten, das wissen wir ja, kann die Kommune wieder entsprechend der Eigenmittel zur Verfügung stellen oder entsprechende Förderprogramme besser nutzen. Es ist auch hier ein regionaler Kreislauf, der kommen kann. In solchen Ländern wie Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, wo 6 Mio. DM im Jahr in die Kommunen zurückgezahlt werden,

Schleswig-Holstein, wo es auch einen Verteilungsschlüssel gibt, geht es ja. Also es heißt, die jetzige Rechtslage sollte verändert werden und andererseits...

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU)

Ja, aber die Landesregierung muss sich positionieren. Wir können auf Landesebene das Sparkassengesetz schon novellieren. Nach dem Motto "Leben und leben lassen", also ein angemessener Anteil sollte von dem Gewinn, ich will nicht "Gewinn" sagen, aber von den Rücklagen der Sparkassen in den Kommunen schon ankommen. Hier sollte man sich über einen Prozentsatz einigen.

(Beifall bei der PDS)

Zum Schluss - Herr Kretschmer, Sie bringen mich nicht durcheinander -, ich komme zum Schluss,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

denn wir wollen ja die Lobeshymne auf die Sparkassen nicht ganz übertreiben. Es gibt viel Arbeit. Aber sollte die EU-Kommission sich mit ihren Forderungen durchsetzen, dann braucht auch das Thüringer Gesetz nicht mehr geändert werden, da brauchen wir nicht mehr nachzudenken. Deshalb wollen wir als PDS-Fraktion, dass der Diskussionsprozess jetzt in Gang kommt. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort hat jetzt der Finanzminister, Herr Trautvetter.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, das nächste Mal tue ich wieder die Eurokrawatte um.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

Man muss schon fragen, welche Zielrichtung die privaten Banken mit ihrer Klage haben. Es können nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sparkassen sein. Ich vermute da wirklich handfeste wirtschaftliche Interessen dahinter. Man muss ja wissen, im Kreditgeschäft ist nicht mehr viel Geld zu verdienen, sehr wohl im Anlagegeschäft. Wenn 70 Prozent der Sparguthaben in Deutschland bei Sparkassen sind, dann ist das meiner Meinung nach die eigentliche Angriffsrichtung der privaten Banken auf das öffentlich-rechtliche Sparkassenwesen in Deutschland. Der große Streit, den wir jetzt haben: Unterliegen die Sparkassen Artikel 87 oder Artikel 86 EU-Vertrag? Artikel 87, das ist die Annahme der privaten Banken, damit wäre Gewährträgerhaftung und Anstaltslast eine Beihilfe. Und Artikel 86, dort steht nämlich drin, dass bei Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, diese

Beihilfevorschriften nur eingeschränkt gelten. Wenn ich das sehe, wie es in fast allen Sparkassengesetzen gilt: Das Thüringer Sparkassengesetz bestimmt, dass die Sparkassen dem gemeinen Nutzen dienende Wirtschaftsunternehmen sind, und damit erbringen sie für uns vollkommen unstreitig Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und unterliegen damit nicht den Beihilfevorschriften der EU. Bei der Klage muss man ein bisschen differenzieren zwischen Sparkassen und Landesbanken. Bei den Landesbanken sieht die Sache rechtlich etwas anders aus. Dort befinden wir uns auch nicht rechtlich auf der gesicherten Position wie bei den Sparkassen. Die Zielrichtung der EU geht aber durch bis zu den Sparkassen. Ich will vielleicht noch einige Zahlen sagen, daran merkt man auch, welche Bedeutung die Sparkassen für uns haben. Es sind an mittel- und langfristigen Darlehen an Unternehmer und Selbstständige in Thüringen etwa 10,2 Mrd. DM ausgereicht - das sind die Zahlen bis Ende 1999. Davon beträgt der ausgewiesene Bestand der Thüringer Sparkassen 6,2 Mrd. DM. Frau Sedlacik, bevor Sie sich an den Sparkassen beteiligen wollen, die Sparkassen haben in dieser Zeit auch 1 Mrd. DM ausgebucht - 1 Mrd. DM an Wertberichtigung. Auch das bedarf enormer wirtschaftlicher Anstrengungen vor allem für den Thüringer Mittelstand.

(Beifall Abg. Nitzpon, PDS)

Es gibt einen weiteren Punkt, es ist vorhin schon gesagt worden: Ich sehe bei den Sparkassen keine Wettbewerbsvorteile. Öffentlich-rechtliche Kreditinstitute haben im Gegenteil gegenüber privaten Banken einen strukturellen Refinanzierungsnachteil, weil sie ihr Eigenkapital nur innerhalb der Gewinnthessaurierung erwirtschaften können. Frau Sedlacik, das ist für mich auch ein Punkt, da werde ich keiner Novelle des Sparkassengesetzes zustimmen, um Landräten und Oberbürgermeistern den Zugriff auf die Ertragssituation der Sparkassen uneingeschränkt zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU)

Gerade weil wir unseren Sparkassen den Zugang zu den Kapitalmärkten versperren, brauchen sie alle Erträge im eigenen Unternehmen. Da sollten wir sehr drauf achten. In der Arbeitsgruppe Bund und Land ist das unsere Zielrichtung, welche die höchste Priorität hat, die öffentliche Rechtsform von Sparkassen und Landesbanken zu erhalten, weil die Institute der Sparkassenfinanzgruppe auch an der Trägerschaft der öffentlichen Hand festhalten wollen, und es muss vor allem Rechtssicherheit bestehen. Ich bin nicht glücklich, was momentan in NordrheinWestfalen passiert, sage aber auch, dass Nordrhein-Westfalen nicht unbedingt auf andere Landesbanken und Sparkassen anwendbar ist. Ich meine, bei den Sparkassen hat uns die Deutsche Bank momentan einen Bärendienst erwiesen, weil sie gerade bei der Sparkasse Köln jetzt über ein Ratinginstitut festgestellt hat: Das Triple A bleibt erhalten auch ohne Berücksichtigung Gewährträger

haftung und Anstaltslast. Also, als solches ist es ein Bärendienst für unsere Zielrichtung, dass es auch gelingen wird, das im Bereich der Sparkassen dort zu erhalten. Aber trotzdem ist dieses Spaltungsmodell nicht auf andere anwendbar. Es gibt mehrere Überlegungen im Landesbankenbereich, Avalmodelle, Einlagensicherungsmodelle um einmal einige Punkte zu nennen. Das wird zurzeit gerechnet und auch dort werden wir Vorschläge machen.

Man muss natürlich auf eines achten: 90 Prozent der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs sind immer zugunsten der EU entschieden worden. Das heißt, wir überlegen sehr wohl, ist es besser, vorher zu verhandeln oder steigen wir gleich in den Klageweg ein. Verhandeln bedeutet aber, dass vor Verhandlungen die Rechtssicherheit der Sparkassen gewährleistet sein muss. Und meiner Meinung nach war sie schon einmal gewährleistet, diese Rechtssicherheit bei Sparkassen. Wenn ich einmal zitieren darf aus der Amsterdamer Erklärung vom 18.06.1997 - Zitat: "Die Konferenz nimmt die Auffassung der Kommission zur Kenntnis, dass die bestehenden Wettbewerbsregeln es zulassen, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, welche die in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute erfüllen, sowie ihnen zum Ausgleich für die mit diesen Leistungen verbundenen lastengewährten Faszilitäten voll zu berücksichtigen. Dabei bleibt es der Organisation dieses Mitgliedstaats überlassen, auf welche Weise er insoweit den Gebietskörperschaften die Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglicht, in ihren Regionen für eine flächendeckende und leistungsfähige Finanzstruktur zur Verfügung zu stellen." Das war Amsterdam 1997 und es hat sich die jetzige EUKommission von Amsterdam 1997 verabschiedet und wir müssen zu dieser Regelung wieder zurück. Es gibt auch noch einige andere Punkte, die anzusprechen wären, weil die Zukunft der Sparkassen nicht nur von Entscheidungen der EU-Kommission abhängig ist, sondern auch von anderen wirtschaftlichen Faktoren bestimmt wird, nicht nur die Konkurrenzsituation mit den Großbanken - neue Vertriebswege, Online-Banken, auch die Nichtbanken, zunehmend werden große Unternehmen zu Banken mit angegliederter Werkstatt, Leasingfirmen, um einmal einige Punkte zu nennen. Handelskonzerne, Quellebank, Norisverbraucherbank, Otto-Versand, Hertie alle diese Unternehmen bauen im Prinzip in ihren Vertriebsstrukturen eigene Banken auf, um den Kauf zu finanzieren. Alles das muss mit berücksichtigt werden. Wir werden uns vehement dafür einsetzen, die gegenwärtige Marktposition der Sparkassen zu festigen. Dazu bedarf es der Bündelung aller Kräfte und da tut uns NordrheinWestfalen keinen guten Gefallen, wenn sie aus dieser Bündelung ausschert und einen eigenen Weg geht.

Es kommt ein weiterer Punkt hinzu - es kommt Basel 2. Basel 2 erfordert zusätzliche Anforderungen an Kreditinstitute, die vor allem kleinere Institute vor erhebliche Probleme stellt. Und auch da verstehe ich momentan die Strategie der Europäischen Union nicht. Ist es wirklich so,

dass eine Bankenlandschaft wie z.B. in England die Zukunft des Wettbewerbs darstellt? Es ist schon gesagt worden, vier Millionen Bürger haben überhaupt kein Konto. Vier Großbanken beherrschen 80 Prozent des Marktes, Überziehungszinsen von 28 Prozent sind keine Seltenheit. Das heißt, hier werden auf dem Wege, Wettewerb zu erzeugen, Monopolstrukturen geschaffen, die danach den Wettbewerb unterbinden.

(Beifall bei der CDU)

Das muss zu verhindern versucht werden; es muss gewährleistet sein, dass gerade die kleinen und mittleren Unternehmen in der Fläche mit Finanzdienstleistungen versorgt werden, und die Sparkassenstruktur ist ein zuverlässiger Garant. Ich wäre etwas vorsichtig, jetzt über Novelle von Gesetzen nachzudenken. Lasst uns erst den Streit mit der EU aus dem Weg schaffen und lasst uns danach über Novelle von Gesetzen nachdenken, denn jede Änderung des Sparkassenrechts, was wir jetzt in die aktuelle Diskussion hineinbringen, wird die EU auf den Prüfstand stellen, ob wir damit irgendwelche Vorgaben hintergehen und ob wir damit einen Weg einschlagen, Vorgaben der EU zu unterlaufen. Darum wäre ich dankbar, wenn in dieser Richtung keine größeren Aktivitäten in nächster Zeit erfolgen könnten. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, damit kann ich auch den zweiten Teil der Aktuellen Stunde schließen und ich rufe auf Tagesordnungspunkt 7

a) Stellungnahme der Thüringer Landesregierung zum Problem der "anonymen Geburt" Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/1278

b) Schutz von Mutter und Kind in Geburtskonfliktsituationen im Freistaat Thüringen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/1295

Ich habe gehört, es wird Begründung durch den Einreicher gewünscht, das trifft zumindest auf die SPDFraktion zu zu dem Teil a) dieses Punktes. Frau Abgeordnete Bechthum.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Antrag wurde zwar vom Januar auf den Februar verschoben, im Einvernehmen, aber er ist aktueller denn je. Aufgeschreckt und voller Entsetzen nahmen die Thüringerinnen und Thüringer die Nachricht von Presse, Funk und

Fernsehen auf - Frau Präsidentin, ich zitiere: "Totes Baby im Müllsack - Kleinrudestedt. Der verweste kleine Körper eines Neugeborenen, verpackt in einer Plastetüte, wurde am 08.12.2000 von der Polizei sichergestellt. In der Folie lag ein Neugeborenes, das offenbar von der Mutter selbst entbunden worden war." Weiterhin wurde berichtet, dass bereits 1995 bei Nöda, ebenfalls im Landkreis Sömmerda, ein totes Neugeborenes in einer Plastetüte verpackt im Straßengraben gefunden wurde.

Meine Damen und Herren, jährlich werden in Deutschland etwa 40 Säuglinge ausgesetzt, die Hälfte der Kinder stirbt. Thüringen war davon nicht ausgeschlossen. Eine Frau, die ihr Kind in einer hilflosen Lage zurücklässt, macht sich strafbar - so auch die noch immer nicht ermittelte Mutter des toten Babys von Kleinrudestedt. Deshalb reagierte die SPD-Fraktion sofort, indem sie im Dezember 2000 forderte, die anonyme Geburt in Thüringen zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, die Situation ist jetzt eine andere als noch im Januar dieses Jahres, dafür aber höchst brisant und wichtig und nach Entscheidungen drängend, denn ganz besonders für uns politisch Verantwortliche gilt der Satz von Professor Hoyme, Leitender Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Klinikums Erfurt, im Januar geäußert Frau Präsidentin, ich zitiere: "Die Alternative, nichts zu tun, steht aber heute nicht mehr, da man uns spätestens nach der nächsten Kindestötung fragen wird, was wir präventiv unternommen haben." Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Prof. Hoyme hat etwas getan. Am 20. Februar, also diese Woche, hat er den ersten Babykorb in Thüringen, ähnlich der Babyklappe, aus Hamburg bekannt, an der Erfurter Frauenklinik vorgestellt und gleichzeitig die Möglichkeit der anonymen Geburt in der Klinik bekannt gegeben.

(Beifall bei der SPD)

Mit Hochachtung ist zu bewerten, zu welcher Zusammenarbeit es im Interesse der Sache hier gekommen ist. Und mit unserem Antrag wollen wir in der neuen Situation von der Landesregierung erfahren, was diese zu tun gedenkt, welche Aktivitäten sie zur anonymen Geburt, zur Babyklappe in Thüringen unterstützt und fordert. Der nachgeschobene CDU-Antrag hat keine neuen Aspekte, er ist inhaltlich eigentlich unserem fast gleich und ich möchte noch sagen, es waren heute extra HebammenSchülerinnen gekommen. Wir haben es leider nicht mehr geschafft, sie mussten um 14.00 Uhr gehen, wenigstens den Antrag noch einzubringen. Sie sind sehr, sehr interessiert an dieser Problematik. Ich freue mich aber, ihre Lehrerinnen und, ich glaube, sogar eine Schülerin ist noch hier und das ist wunderbar. Ich denke, sie werden das mit großem Interesse hier verfolgen. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Antrag zum zweiten Teil wird nicht gewünscht, CDUFraktion? Nicht. Dann kommen wir zur Aussprache. Die Landesregierung hat angekündigt, keinen Sofortbericht zu erstatten. Zur Aussprache gebe ich das Wort an Frau Abgeordnete Wolf, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ein ernstes und schwieriges Thema steht heute im Raum. Ich bin mir sicher, dass alle Anwesenden Trauer und Entsetzen empfinden, wenn sie an das tote Kind denken, was im Dezember in Thüringen gefunden wurde. Sicher, die Zahl solcher Fälle ist fast verschwindend gering. Wir sehen, ein Fall in Thüringen wurde bekannt. Pro Jahr werden ungefähr 15.000 bis 20.000 Kinder in Thüringen geboren. Aber, ich denke, es herrscht Einigkeit hier im Raum, jeder Fall, und wenn es eben auch nur einer ist, ist einer zu viel und muss, wenn es irgendwie möglich ist, verhindert werden.

(Beifall bei der PDS)

Ich sage so leicht, wenn es irgendwie möglich ist. Wir müssen bedenken, dass sich Frauen oft in einer für uns nicht vorstellbaren Not- und Stresssituation befinden; sie sehen sich völlig hilflos und ausweglos in ihrer Lage. Dies führt zu für uns nicht erklärbarem Vorgehen im Umgang mit Schwangerschaft und Geburt. Diese Frauen sind oft nicht erreichbar für Beratungsangebote und Konfliktberatungsstellen. Ich sage es an dieser Stelle ganz offen: Jeder Weg, der einem Kind das Leben rettet und einer Frau in ihrer Situation hilft, ist für mich wertvoll. Und hier muss über die so genannte Babyklappe, das Wort ist nicht besonders glücklich, aber ein extremes Wort in einer extremen Situation, genauso geredet werden wie über eine anonyme Geburt. Frauen müssen die Chance haben, ihre Kinder unter besten Bedingungen und Standards zu gebären. Sie brauchen auch anschließend eine nicht zu unterschätzende Zeit, um ihre Situation zu bedenken. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines durchdachten Hilfesystems. Die Schwangerschaft muss betreut werden, auch ohne die Nennung des Namens. Nach der Geburt müssen notfalls Pflegefamilien zur Verfügung stehen, aber auch Einrichtungen, wo Mutter und Kind sozusagen auf Probe zusammenleben können. Ebenso müssen Therapieangebote im Nachgang für die Mutter zur Verfügung stehen. All dies, sage ich offen, muss auch anonym möglich sein. Babyklappen dienen als weitere Optionen in extremen Notsituationen. Hier weiß die Mutter in ihrer Verzweiflung das Kind in Sicherheit und in guten Händen. Sie hat dabei auch die Möglichkeit, ihre Lage mit Abstand zu betrachten, in Ruhe Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen und sich vielleicht doch noch für das Kind zu entscheiden. Diese Hilfsangebote müssen ineinander greifen. Wir brauchen in Thüringen u.a. auch ein weit bekanntes kostenloses Beratungstelefon, was 24 Stunden am

Tag erreichbar ist.

Meine Damen und Herren, in diesem Haus herrscht eine für mich wichtige Einigkeit im Kampf um Neugeborene. Aber trotz allem, was hier für anonyme Geburt und Babyklappe vorgebracht wurde von mir, ich denke, wir haben auch die Pflicht, über negative Facetten zu sprechen, uns auch über Nachteile bewusst zu werden. Ich weiß, das ist im Moment nicht besonders populär, aber ich bitte Sie trotzdem, mir zuzuhören. Ich denke, wir können nicht ignorieren, dass sich über 200 Adoptionsbetroffene und Fachleute öffentlich gegen anonyme Geburten und Babyklappen aussprachen. Und, meine Damen und Herren, ihre Argumente sind nicht in allen Fällen vom Tisch zu wischen. Es zeigt sich gerade an diesem Punkt, dass wir das Ganze nicht in schwarz und weiß, in richtig und falsch trennen können. Auf den ersten Blick wirkte auf mich auch die Aktion Babyklappe und anonyme Geburt bestechend in Notsituationen, aber auf den zweiten Blick werden Nachteile sichtbar, die ich nicht verheimlichen kann und nicht verheimlichen will. Die Babyklappe und die anonyme Geburt ist oft nur auf den ersten Blick eine Erleichterung für die Mütter. Sie werden noch mehr als früher in die völlige Sprachlosigkeit, Vereinsamung und Isolation gedrängt. Findelkindern wird jede Chance genommen, sich auf die Suche nach ihren Wurzeln zu begeben. Adoptiveltern sind ohne Kenntnisse der Vorgeschichte den Fragen der Adoptierten hilflos ausgeliefert. Es ist doch nicht aus der Luft gegriffen, meine Damen und Herren, dass sich Fachleute seit mehr als 20 Jahren für Öffnung der Adoptionen aussprechen. Das Kennenlernen der Mutter, der Adoptionsumstände und der Adoptionsmotive gehört ganz wichtig zur Identitätsfindung eines Menschen und das Wissen um die eigene Abstammung ist doch nicht umsonst ein so hohes Gut in unserer Gesellschaft. Das Verfassungsgericht bestätigte es als Persönlichkeitsrecht. Alle, die mit Adoptierten arbeiten, wissen, wie viel Leid sich in den meisten Fällen hinter der Entwurzelung und der Suche nach der eigenen Identität verbirgt. Findelkinder haben nicht einmal die Chance, sich auf diese Suche zu begeben. Sie werden jetzt denken, aber dafür wurde ihr Leben gerettet. Meine Damen und Herren, ich sage hier, auch ich denke dies und ich denke, das ist ein wichtiger Punkt. Aber jeder, der sich mit dieser Problematik beschäftigt, kommt zu dem Schluss, dass Frauen, welche ihr Kind nach der Geburt aussetzen oder gar töten, sich in einer absoluten psychischen Ausnahmesituation befinden. Sie verdrängen die Schwangerschaft oft bis kurz vor der Geburt, werden davon oftmals völlig überrascht und in der Kurzschlussreaktion setzen sie ihr Kind aus.

Ich gebe zu, ich habe berechtigte Zweifel, ob eine Frau demnächst in Elxleben nach ihrer Niederkunft dann das Kind in ein Auto setzt und zur Babyklappe nach Erfurt bringt. Sicher wird die Klappe genutzt werden. Die Frage ist doch nur, ob sie von den Frauen genutzt wird, welche man auch erreichen wollte. Wird hier nicht ein sehr hoher Preis bezahlt für eine neue Klientel? Wir geben

mit der anonymen Geburt und der Babyklappe die Möglichkeit, normale Adoptionsverfahren zu umgehen. Es gibt in Deutschland inzwischen ein weit ausgebautes Netz an Beratungs- und Hilfsangeboten für schwangere Frauen. Diese Angebote werden oftmals heute nicht genutzt. Gilt es nicht, diese Gründe dafür zu beseitigen? Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass es vielfältige Gründe gibt, anonym gebären zu wollen. Ich nenne hier nur kurz die für mich Wichtigsten: In vielen Fällen kommt es zum Druck von Seiten der Familie. Normalerweise werden Behörden eingeschaltet bei einer Geburt, der Name der Mutter wird hinterlegt, auch bei einem Adoptionsverfahren. Es kann jedoch in der Familie durchaus ein Interesse bestehen, dass der Name nirgends erscheint. Dies wird vor allem dann geschehen, wenn der Vater aus dem engsten familiären Umfeld kommt ich spreche hier also von Inzest -, oder auch, wenn die Familie die Schande befürchtet. Bedenken Sie hier bitte auch die Situation von jungen ausländischen Mädchen. Hier legitimieren Babyklappe und anonyme Geburt also Straftaten und überholte Frauen verachtende Ansichten. Ich bitte, diesen Ansatz nicht zu verachten. Ein weiterer Punkt, der zur Nutzung von anonymer Geburt und Babyklappe führen kann, ist eine Fremdbestimmung der Mutter. Es kann nicht kontrolliert werden, wer ein Kind in eine Klappe legt. Es besteht also auch die Möglichkeit, dass ohne Einverständnis der Mutter ein solcher Vorgang passiert, getreu nach dem Motto: "Du weißt im Moment doch eh' nicht, was das Beste für dich ist."

(Zwischenruf Abg. Bechthum, SPD: Aber...)

Aber ich denke, wir sollten uns doch auch über diese Aspekte klar werden, Frau Bechthum.