Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Bitte, Herr Minister Dr. Pietzsch.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich zur Beantwortung komme, Frau Abgeordnete Pelke, Pressemitteilung hört sich so amtlich an, amtlich war es nicht, es war ein Bericht in einer Zeitung, der keine Amtlichkeit zugrunde legt.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Das habe ich auch nicht gesagt.)

Ja, ja, ich will es ja nur richtig stellen, das haben Sie nicht gesagt, das weiß ich. Es handelt sich um die Berichterstattung und die subjektive Empfindung eines Journalisten und nicht um die amtliche Mitteilung. Der von Ihnen im Zusammenhang mit dem Titel Ihrer Anfrage genannte Bezug zur Drucksache 3/539 ist nicht sachgerecht dieses vorweg.

Nun zu den Einzelfragen: Ich denke, wir wissen alle hier in diesem Plenum, dass die Einführung der Jugendpauschale eine große und bedeutende Hilfe für die örtlichen Träger der Jugendhilfe darstellt, und wir wissen auch alle, dass wir damit gute Erfahrungen gemacht machen. Ich halte es für nicht verwerflich, sondern durchaus für legitim, wenn ich mir auch um den sozialen Bereich Ge

danken mache und Denkanstöße formuliere. Dieses sollte, denke ich, nicht verboten sein. Deswegen zu den Fragen 2 bis 4 gemeinsam.

Es lässt sich wohl aus dem, was ich gesagt habe, ableiten, dass konkrete Aussagen hierzu bisher noch nicht gemacht werden können, wobei ich auch nicht davon ausgehe, wenn wir so etwas angreifen, dass dann festgelegt wird, für diesen Bereich soundso viele Personen werden gefördert und für diesen Bereich soundso viel, das würde ja genau Ihre Sozialplanung festlegen, sondern wenn, dann überhaupt in der Form etwa der Jugendpauschale. Ich denke, dieses bedarf weiterer Diskussionen. Ich meine, dass es nicht verboten sein sollte, sich Gedanken darüber zu machen und darüber zu diskutieren, wenn man erst einmal ein gewisses Ziel im Auge hat.

Es gibt eine Nachfrage. Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Klaubert.

Herr Minister, können Sie sich vorstellen, dass die Überlegungen dann konkreter abgeschlossen sind, wenn es in die Planung des Doppelhaushalts 2003/2004 geht?

Liebe Frau Dr. Klaubert, ich lege mich dabei mit Zahlen nicht fest. Ich erinnere in diesem Zusammenhang, dass auch schon Politiker auf Bundesebene vor über 20 Jahren über die Pflegeversicherung nachgedacht haben, und es hat 20 Jahre gedauert, bis diese Pflegeversicherung eingeführt wurde. Wenn wir über die Möglichkeiten einer Sozialpauschale reden, dann rede ich nicht von Dimensionen von 20 Jahren, das dürfte klar sein, aber ich lege mich auch heute noch nicht fest, in welchem Zeitraum dieses möglich sein wird.

(Beifall bei der CDU)

Gibt es weitere Nachfragen? Das ist nicht der Fall. Danke, Herr Minister. Es gibt einen Antrag. Bitte, Frau Abgeordnete Pelke.

Da sich die neuen Denkanstöße des Ministers mit unseren schon länger vorliegenden Denkanstößen decken, wäre ich wirklich für eine weitere Diskussion dankbar und bitte namens meiner Fraktion um Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit.

Das werden wir jetzt abstimmen. Wer für die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Ja, das reicht aus. Die Frage ist damit überwiesen.

Wir kommen zur nächsten Frage in Drucksache 3/1410. Bitte, Frau Abgeordnete Thierbach.

Kriegskinderhilfe

Im Frühjahr 2000 wurde im Kreistag Saalfeld-Rudolstadt über die Gründung eines Vereins "Medizinische Kriegskinderhilfe" informiert.

Kinder aus der Dritten Welt, bei denen Bedarf an medizinischer Behandlung besteht, sollten in Deutschland operiert werden, die Nachsorge sollte in einer Einrichtung in Löhma im Kreis Saalfeld-Rudolstadt erfolgen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Ist der Verein "Medizinische Kriegskinderhilfe" der Landesregierung bekannt?

2. Gibt es in der Frage der Kriegskinderhilfe Kontakte der Landesregierung zu anderen bzw. zu dem in Frage 1 genannten Verein, und wenn ja, welche?

3. Durch wen wird die medizinische Behandlung und Nachsorge finanziert?

Bitte schön, Herr Minister Dr. Pietzsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, für die Landesregierung beantworte ich die Frage folgendermaßen:

Zu Frage 1: Nein, der Verein "Medizinische Kriegskinderhilfe" ist nicht bekannt.

Zu Frage 2: Bekannt ist dem TMSFG eine Initiative zur Schaffung eines internationalen Nachsorgezentrums in Löhma/Leutenberg, auch abgekürzt "Inzel" oder "Izl", es ist etwas unterschiedlich. Die hier geplante Konzeption ist mir auch vorgelegt worden. Ich bin persönlich angeschrieben worden. Es ist eine Konzeption zur Errichtung einer Rehabilitationsstätte für schwer erkrankte oder verletzte Kinder und Jugendliche aus Krisen- und Kriegsgebieten. Es wurde einem Vertreter des Vorhabens im März dieses Jahres allerdings mitgeteilt, dass eine Realisierung des Vorhabens von Seiten des Freistaats Thüringen

nicht möglich ist. Es hat vorher ein Gespräch bei mir dazu gegeben und ich habe dem Vertreter zugesichert, dass ich mich mit Bundesbehörden und auch mit Behörden der Europäischen Union in Verbindung setzen werde, weil die Finanzierung einer solchen Einrichtung allein durch Thüringen nicht möglich ist. Ich habe von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums, des Auswärtigen Amtes und der Europäischen Union die Mitteilung bekommen, dass man dort keine Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung sieht, so dass ich von mir aus dem Initiator mitteilen musste, dass es allein durch Thüringen nicht zu finanzieren ist.

Danke schön. Gibt es Nachfragen? Das ist nicht Fall. Die Frage ist damit beantwortet.

Wir kommen zur Frage in Drucksache 3/1412. Bitte schön, Herr Abgeordneter Dittes.

Am 3. März 2001 führte das rechtsextremistische Nationale und Soziale Aktionsbündnis Westthüringen (NSAW) in Sonneberg eine Demonstration durch. Nach Zeitungsberichten haben ca. 50 zivilcouragierte Antifaschistinnen/Antifaschisten versucht, eine Demonstration zum Abschlussort der rechtsextremistischen Demonstration durchzuführen. Eine durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckte, aus einer angemeldeten Demonstration sich heraus entwickelnde so genannte Spontandemonstration, bei der in der Regel eine vorherige Anmeldung ausscheidet (BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1991 - 1 BvR 850/88 -, DVBl. 1992, 149 [150]), wurde durch die Polizei nicht zugelassen.

Der Spontandemonstrationszug wurde durch die Polizei erst aufgehalten und später eingekesselt. Nachdem die Demonstration des NSAW bereits beendet war, wurde die Identität der festgehaltenen Antifaschistinnen/Antifaschisten zum Teil unter Anwendung von Gewalt festgestellt. Zu den durchgeführten Leibesvisitationen mussten sich die Betroffenen mit gespreizten Armen und Beinen an Häuserwände stellen - und ich füge hinzu, sie mussten zum Teil ihre Kleidung ablegen und ihre Schuhe ausziehen. Der Landespolizeipsychologe Marx bezeichnete den Polizeieinsatz gegenüber demonstrierenden Antifaschistinnen/Antifaschisten, die sich jederzeit gewaltfrei verhielten, als "überzogen".

Eine Bürgerin äußerte sich gegenüber Medienvertretern mit den Worten: "Erst sollen wir Bürger aufstehen gegen die Neonazis, und wenn dann ein paar junge Leute denen die Meinung sagen wollen, werden sie festgenommen."

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung den beschriebenen Polizeieinsatz vor dem Hintergrund von § 4 des Polizeiaufgabengesetzes und wie begründet sie ihre Auffassung?

2. Ist das beschriebene Vorgehen der Polizei gegenüber Antifaschistinnen/Antifaschisten ein Bestandteil des Deeskalationskonzepts der Landesregierung für den Umgang im Zusammenhang mit politischen Demonstrationen, wenn nein, aus welchem Grund wurde vom Deeskalationskonzept abgewichen?

3. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund des Deeskalationskonzepts die bewertende Aussage des für die Umsetzung des Deeskalationskonzepts hauptsächlich verantwortlichen Landespolizeipsychologen zum beschriebenen polizeilichen Einsatz?

4. In welcher Form hält die Landesregierung Demonstrationen bzw. Spontandemonstrationen, die sich politisch gegen Aufmärsche rechtsextremistischer Organisationen richten, für zulässig und geboten?

Herr Minister Köckert, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, für die Landesregierung beantworte ich die Fragen des Abgeordneten Dittes wie folgt.

Zu Frage 1: Das durch Artikel 8 Grundgesetz und Artikel 10 der Thüringer Verfassung gewährte Recht auf Versammlungsfreiheit gehört zu den elementaren Grundrechten. Die Versammlungsfreiheit umfasst auch Spontanversammlungen. Eine Spontanversammlung genießt wie jede andere Form der Versammlung aber nur dann den Schutz der Verfassung, wenn sie friedlich und ohne Waffen stattfindet. Dies war am 3. März 2001 in Sonneberg nicht der Fall. Unter Verstoß gegen die Auflage der Versammlungsbehörde versuchten ca. 60 Kundgebungsteilnehmer, vorwiegend so genannte Autonome, zur Marschstrecke des rechten Aufzuges vorzudringen. Ein unmittelbares Aufeinandertreffen der gegensätzlichen Gruppierungen wäre die Folge und gewalttätige Auseinandersetzungen wären nicht auszuschließen gewesen. Dies belegen auch die bei einigen der Autonomen sichergestellten Gegenstände wie Bajonett, Stahlkette, Stachelarmband, Cuttermesser, Schreckschusswaffe, Reizstoffe usw. Der polizeiliche Einsatz hat daher wesentlich dazu beigetragen, die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung durchzusetzen sowie gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern.

Zu Frage 2: Das Deeskalationskonzept der Thüringer Polizei hat zum Ziel, gewaltätige Auseinandersetzungen bei Versammlungen jeglicher Art von vornherein zu verhindern. In diesem Sinne ist die Polizei auch hier tätig

geworden. Das Deeskalationskonzept findet allerdings dort eine Grenze, wo aus einer Versammlung heraus Rechtsbrüche begangen werden. Es werden auch in Zukunft im Schatten des Deeskalationskonzepts keine Rechtsbrüche geduldet werden.

Zu Frage 3: Der Polizeipsychologe Herr Marx kann nicht bestätigen, die vom Fragesteller zitierte Äußerung gemacht zu haben.

Zu Frage 4: Die Landesregierung begrüßt grundsätzlich jegliche Aktivitäten gegen Extremismus und Gewalt, soweit dies friedlich und ohne Waffen geschieht. So genannte Gegendemonstrationen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit Dritter einzuschränken, wirken sich allerdings auf die polizeiliche Arbeit eher kontraproduktiv aus, was im Übrigen jüngstes Geschehen in Sonneberg gezeigt hat.

Es gibt eine Nachfrage. Herr Abgeordneter Dittes.

Herr Köckert, Sie hatten ausgeführt, das Ziel des Polizeieinsatzes war es im Wesentlichen, das Aufeinandertreffen beider Demonstrationen zu verhindern. War dieses Ziel bereits erreicht, als die Polizei die Spontandemonstration aufgehalten hat?

Der Verlauf des Aufhaltens der Spontandemonstration ist meines Wissens nur möglich gewesen, indem man dort sehr konsequent vorgegangen ist, und man hat im konsequenten Vorgehen dann die entsprechenden Identitätsfeststellungen durchgeführt, u.a. dann auch die Waffen gefunden. Insofern war der gesamte Vorgang entsprechend gerechtfertigt und vom Polizeiaufgabengesetz abgedeckt.

Eine weitere Nachfrage, bitte.

Welche Gründe haben denn dafür gesprochen, die Identitätsfeststellungen nach Beendigung der Demonstration des NSAW in der von mir beschriebenen Form mit Leibesvisitation, z.T. mit gewalttätiger Durchsetzung, mit teilweisem Ablegen von Kleidungsstücken und dem Ausziehen von Schuhen durchzuführen?

Augenscheinlich hat es beim Aufhalten dieser so genannten Spontandemonstration, sprich beim Wechseln der Marschroute und damit durch Verletzen der Auflagen, Rechts