Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Ich möchte zu all dem, was hier gesagt wurde - dem Überwiegenden kann ich zustimmen -, noch einige kurze Punkte anfügen. Einmal möchte ich mich wirklich ganz ernsthaft im Unterschied zu dem, was wir in der so genannten BSESpitzenzeit erlebt haben, auch bei den überregionalen Medien ausdrücklich in Thüringen, aber auch deutschlandweit bedanken. Es ist im Unterschied wahrnehmbar gewesen, dass der Bürger hier sachlicher, schneller, ausführlicher und korrekter informiert wurde. Das hilft uns allen und dafür ein Dankeschön. Dann möchte ich als, wie ja die allermeisten in der Runde, ehemaliger DDRBürger einmal darauf hinweisen, nur eine Klarstellung die meisten wissen das auch, aber an der einen oder anderen Stelle kommt es immer noch falsch an -: Der Verzehr des Fleisches geimpfter Tiere ist unbedenklich. Wenn das anders wäre, meine Damen und Herren,

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Wären wir alle schon weg.)

mein lieber Gott, ich weiß gar nicht, wo wir alle geblieben wären, denn wir als ehemalige DDR-Bürger hatten nicht nur den höchsten Pro-Kopf-Verzehr von Schweineund Rindfleisch, deutlich höher als die ehemaligen Bür

ger der BRD, sondern wir hatten, und das findet heute in Fachkreisen immer noch eine gewisse Anerkennung, eine ausgezeichnet organisierte Prophylaxe, die wirklich konsequent durchgezogen und eingehalten wurde. Das darf man rückschauend auch einmal sagen. Die Fachleute auch international - haben das nicht vergessen und hören sich auch gern nach wie vor unsere Erfahrungen an.

Ich möchte Minister Dr. Sklenar hier in einem Punkt noch einmal ausdrücklich unterstützen, weil das wirklich unzumutbar ist. Ich sage das auch hier ganz deutlich, die EU-Kommission muss sich, und das kann sie kurzfristig machen, von dieser Strategie verabschieden, zu sagen, entscheidet euch einmal, danach sagen wir euch, wie wir mit euch umgehen. Ich will das hier ausdrücklich unterstützen, verstärken. Es ist unzumutbar und solche Dinge können auch kurzfristig geändert werden. Das ist eine Willens-, eine Mehrheitsentscheidung in der Kommission.

Mittel- und langfristig, meine Damen und Herren, damit möchte ich dann schon zum Abschluss kommen, ist es aber so, dass diese EU-Strategie, das ist hier auch mehrheitlich von den Vorrednern angeklungen, dieser Seuchenbekämpfung so, wie wir sie jetzt innerhalb der Europäischen Union anwenden, abgeschafft werden muss, und zwar nicht nur aus der momentanen Befindlichkeit heraus, sondern weil diese Strategie sich mit wesentlichen anderen Zielen und Strategien der Europäischen Union beißt oder wirklich massiv mit ihnen kollidiert. Wir werden weiter Märkte öffnen, ganz abgesehen von der Osterweiterung. Der Personenverkehr wird deutlich zunehmen, auch mit dem in wenigen Monaten eingeführten Euro. Der Güter- und Personenverkehr in Europa quer durch Ost, West, Süd und Nord wird sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren drastisch erhöhen, das ist alles bekannt. Angesichts dieser Dinge können wir, wenn wir den Ernstfall durchdeklinieren, es keiner Region auf Dauer mehr zumuten, wochen- oder monatelang ähnlichen Verhältnissen ausgesetzt zu sein, wie sie in Großbritannien jetzt seit Monaten und in Teilregionen der Niederlanden schon seit Wochen sind. Das hat so erhebliche Konsequenzen in Richtung Wachstum, Wertschöpfung für Regionen und Branchen außerhalb, auch deutlich außerhalb der landwirtschaftlichen Wirtschaftsbereiche, dass es wirklich substanziell überdacht werden muss. Hier ist Handlungsbedarf, auch von hier, vom Thüringer Landtag aus der Richtung unserer Fraktion die dringende Aufforderung an diejenigen, die in Brüssel die Verantwortung dafür haben, dieses mittel- und langfristig eindeutig zu ändern.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Teil der Aktuellen Stunde liegen mir jetzt nicht mehr vor. Wie schließen den Tagesordnungspunkt 18 a.

Ich rufe den zweiten Teil des Tagesordnungspunkts 18 auf

b) auf Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: "Einführung der Pauschalierung der Sozialhilfe in Thüringen" Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/1453

Bitte, Frau Abgeordnete Thierbach.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, allein der Titel unserer Aktuellen Stunde "Einführung der Pauschalierung der Sozialhilfe in Thüringen" ist eigentlich schon wieder Fachchinesisch, fachchinesisch deswegen, weil ich glaube, wir müssen viel deutlicher sagen, was sich dahinter verbirgt. Als 1999 das Sozialhilferecht geändert wurde, wurde in § 101 aufgenommen, dass es möglich sein soll, Modellvorhaben zu gestalten, die die Sozialhilfeauszahlungen in einer Gesamtsumme ohne mehrmalige Beantragung in Sozialämtern beinhaltet. Das klingt logisch, das klingt gut. Das würde zumindest dazu führen, dass der durch viele als Bittgang empfundene Weg zum Sozialamt nicht bei einzelnen Beantragungen erfolgen muss. Es ist auch in der Zielstellung, wie wir sie ja auch im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit gehört haben, ein lobenswertes Ziel zu erreichen, dass die Selbständigkeit und die Mitverantwortung von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern so gut wie möglich gestaltet werden soll. Sie sollen praktisch wie eine Art Einkommen pro Monat bekommen und selbst damit planen. Es soll damit erreicht werden, dass lebenspraktische und tatsächliche Beratungen in den Sozialämtern wieder viel mehr Raum gewinnen. Das sehen wir auch als sehr notwendig an. Nicht zuletzt wäre es tatsächlich ein Weg, um einer auch bei uns in Thüringen vorhandenen, sicher nicht durch die hier im Haus sitzenden, aber in der Bevölkerung oft zu hörenden Stigmatisierung von Sozialhilfeempfängern entgegenzuwirken.

(Beifall Abg. Dr. Koch, PDS)

Oft kommen die Argumente: "Die wollen ja nicht.", "Sie sind zu faul.", "Sie sind nicht mehr in der Lage.". Ich glaube, diese Stigmatisierung haben die ca. 45.000 Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger außerhalb der Heime nicht verdient,

(Beifall bei der PDS)

noch dazu, wenn man sich die Gründe anschaut, warum jemand in die Sozialhilfe gerutscht ist, davon leben muss. Oft ist es die Geburt eines Kindes, oft sind es Scheidungen, Familientrennungen, aber auch der langfristige Verlust von Arbeit, der diesen Weg vorprogrammiert hat. Sie

sehen, wir schließen nicht aus, dass es auch Missbrauch gibt, aber diese Missbrauchsdebatte in den Vordergrund zu rücken, wäre wirklich der falsche Weg, weil die allerwenigsten von einem Recht auf Faulheit in irgendeiner Art und Weise Gebrauch machen. Diese Modellversuche, die jetzt im Bundessozialhilferecht möglich sind, werden gegenwärtig in wenigen Ländern durchgeführt; Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sind mir bekannt. Nur fünf Kreise bzw. zwei kreisfreie Städte, informierte der Minister im Sozialausschuss, haben bisher ein Interesse daran angemeldet. Da muss man sich natürlich fragen, warum. Das Warum ist für mich erklärlich, wenn ich mir das Gesamtkonstrukt dieses Modellvorhabens anschaue. Es geht bei aller positiver Zielsetzung, die das beinhalten soll, doch mit einigen Gefahren einher, die dazu führen könnten, dass es auf Kosten der Sozialhilfe tatsächlich Einsparungen gibt, die eine Leistungsverschlechterung des Einzelnen beinhalten. Ich unterstelle das Ihnen nicht, Herr Minister, gegenwärtig, weil ich nämlich immer noch davon ausgehe, dass über eine zu erarbeitende Durchführungsverordnung bestimmte Kritiken, die ich an § 101/101 a im BSHG machen würde, noch nicht in diesen Durchführungsverordnungen sehen kann. Sie sagen, sie befindet sich in der Diskussion mit den Spitzenverbänden. Ich hoffe, dass dieses ausgemerzt werden kann, obwohl ich nicht weiß, wie in einem bundesrechtlichen Konstrukt dann auf Landesebene genau diese Gefahrenelemente ausgenommen werden sollen. Worin bestehen diese? Es klingt gut, dass man die Pauschalierung, also dieses Einkommen für einen Monat, tatsächlich einmalig auszahlt. Aber wie will ich bestimmte Einmalleistungen, die bisher auch beantragt werden mussten, regeln? Wann weiß ich, wann meine Waschmaschine kaputt geht? Wie viele Kinder brauchen wann, wie oft Schuhe? Jede Mutter hat erfahren, dass sie das manchmal nicht berechnen kann. Es müssen also in diesen Einkommensmöglichkeiten Spielräume sein, dass auch etwas angespart werden kann. Da bin ich bei der nächsten Kritik: Wir haben in Thüringen den niedrigsten Regelsatz für die Berechnung der Sozialhilfe.

Bitte, Frau Abgeordnete Thierbach, kommen Sie zum Schluss.

Ich glaube, es wäre schon längst notwendig, den § 22 BSHG zu benutzen und unseren Regelsatz von 524 DM so in eine tatsächliche Bedarfsdeckung zu heben, dass es tatsächlich möglich ist, dass man in der Sozialhilfe auch dem Anspruch des BSHG entsprechen kann und ein Leben in Würde gestalten kann, ohne sich diskriminiert bzw. als Bittsteller empfinden zu müssen. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Frau Abgeordnete Vopel, Sie haben als Nächste das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Diskussion um die Pauschalierung der Sozialhilfe ist schon ziemlich alt. Seit Jahren wird sehr emotional und sehr sachbezogen diskutiert. Ich habe an verschiedenen Fachtagungen, das war 1995/1996, teilgenommen. Da waren es vor allem die Vertreter der großen Städte des deutschen Städtetages, die darauf gedrungen haben, endlich diese Pauschalierung im Gesetz zu verankern, weil sie der Meinung waren, man könnte Einsparpotenzial generieren. Da müssen wir aber den Unterschied zwischen den Städten Frankfurt, Düsseldorf oder München und der Situation hier bei uns sehen. Das möchte ich gleich dazusagen. Das Ziel ist immer gewesen, auch bei den ganz seriösen Diskussionen, mehr Eigenverantwortung den Sozialhilfeempfängern - ich sage es einmal so - anzuerziehen. Sie haben den Paragraphen genannt, der seit 26. Juni 1999 in Kraft ist. Es soll eine Erprobungsphase sein, um eine Weiterentwicklung der Sozialhilfe ein Stück auf den Weg zu bringen. Es gibt im Prinzip ja in diesem Paragraphen keine Vorgaben an die Länder, was zusammengefasst werden könnte. Man überlässt das den Länderregelungen. Ich bin schon ein Stückchen verwundert, wie wenig doch die Möglichkeit angenommen wird, auch in den alten Bundesländern. Wir haben es im Ausschuss gehört, Herr Minister Pietzsch hat es ja gesagt, die Länder müssen Regelungen erlassen und das geht so weit, dass sich viele Länder hinstellen und sagen, bei uns besteht kein Bedarf, eine Regelung zu erlassen, weil die Sozialhilfeträger, also sprich die Landkreise und die kreisfreien Städte, signalisiert haben, sie möchten an diesem Modellversuch nicht teilnehmen, so dass man von vornherein davon ausgeht, man wird es nicht tun. Wenn man bedenkt, in Nordrhein-Westfalen, einem Bundesland mit 18 Mio. Einwohnern, beteiligen sich ganze acht Landkreise daran, das ist eigentlich nicht unbedingt zum Hurra-Schreien. Dann muss ich noch eines dazu sagen, das möchte ich hier einflechten, Frau Thierbach: Ich glaube nicht, dass die Länder oder die Kreise das nicht tun, weil sie Angst haben, dass eine Verschlechterung für die Sozialhilfeempfänger eintritt; ich denke, eher umgekehrt. Die Sozialhilfeträger haben Angst davor, dass sie am Ende noch mehr bezahlen müssen. Ich sage Ihnen das so, wie es ist. Das ist in den Diskussionen damals sehr, sehr eindeutig, gerade von den großen Städten, immer gesagt worden, da sie ja doch schon sehr am Ende sind mit den Sozialhilfeleistungen, die sie zu erbringen haben.

In Thüringen ist dieser Verordnungsentwurf im Anhörungsverfahren, auch darüber ist im Ausschuss berichtet worden. Hier ist es ja auch so, dass die kommunalen Spitzenverbände eher umgekehrt denken, dass es Befürchtungen gibt, wenn die Sozialhilfeempfänger mit dem Geld, was sie dann pauschal zur Verfügung gestellt bekommen,

doch nicht so umgehen, wie wir es von ihnen vielleicht erwarten, dass nachgezahlt werden muss und dass am Ende dann in den Kreisen und den kreisfreien Städten noch ein bisschen was zugelegt werden muss. Das sind doch, glaube ich, gerade im Moment die Befürchtungen. Aber ich denke, das ist nun einmal die Sache einer Erprobungsphase, das muss man dann mal sehen, wie es denn läuft. Ich fände es gut, wenn sich mehr Landkreise beteiligen, als das bisher signalisiert worden ist, wobei ich sagen muss, das war ja eine Umfrage, noch bevor es diese Verordnung überhaupt gegeben hat. Ich weiß es nicht, wie es sein wird, wenn diese Verordnung dann auf dem Tisch liegt. Ich denke aber, eines ist für uns und für meine Fraktion wichtig, dass vor allem junge Sozialhilfeempfänger, junge arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger animiert werden müssen zu arbeiten,

(Beifall bei der CDU)

animiert werden von allen Seiten und das auch, das sage ich auch unumwunden hier, mit einem Stück Zwang. Da möchte ich einmal ein Zitat - Frau Präsidentin, Sie gestatten - des Arbeitsministers von Nordrhein-Westfalen bringen, der gesagt hat: "Es gibt Leute, die haben nichts anderes gelernt, als beim Sozialamt ihr Geld abzuholen." Das ist keine Abwertung, aber die haben tatsächlich nichts anderes gelernt. Die sind in solchen Familien groß geworden. Solchen Leuten muss man anerziehen, dass sie auch für sich selbst zu sorgen haben, und das geht ja zum Teil auch. Ich denke, das ist eine ganz große Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen, damit wir nämlich dann diejenigen, die das nicht können, die wirklich darauf angewiesen sind, so ausstatten können, dass sie menschenwürdig mit dem Geld leben können. Also ich werde mit Interesse verfolgen, wenn diese Verordnung verabschiedet ist, wie sie hier angenommen wird und wie viele Landkreise und kreisfreie Städte sich beteiligen. Wir werden sicher darauf später noch einmal zurückkommen. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Frau Abgeordnete Heß hat als Nächste das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Bundessozialhilfegesetz ist nicht als ein abgeschlossenes Gesetzeswerk zu betrachten, sondern es ist eigentlich ständig den veränderten Bedingungen in der Gesellschaft anzupassen und in seinen Zielen auch entsprechend weiterzuentwickeln. Dazu bedarf es gezielter Untersuchungen und auch Praxiserprobungen. Eine Möglichkeit ist die Einführung weiterer Pauschalierungen. Bereits jetzt sind mit den Regelsätzen, Mehrbedarfszuschlägen, Blindengeld usw. Pauschalen im Gesetz verankert und diese haben sich in der Praxis der Sozialhilfe auch bewährt. Mit der Experimentierklausel in § 101 a des BSHG regt der

Gesetzgeber an, die Durchführbarkeit und deren Auswirkungen weiterer Pauschalierungen in der Sozialhilfe zu überprüfen. Dazu sind die Sozialhilfeträger aufgefordert, sich an diesem bis zum 31. Dezember 2004 laufenden Modellversuch zu beteiligen. Es ist also auszuproben, welche Hilfen sich dafür eignen. Weiterhin sind Mehrausgaben und die Einsparungen durch solche pauschalierten Leistungen zu ermitteln, denn Pauschalen bedeuten einerseits zwar weniger Verwaltungsaufwand, andererseits unter Umständen aber auch Mehrausgaben. Damit die Experimentierklausel auch in den Ländern umgesetzt werden kann, wurde im BSHG § 101 a Abs. 2 die Ermächtigung für eine Rechtsverordnung durch die jeweiligen Länder eingeräumt. So soll gewährt werden, dass durch länderspezifische Regelungen verschiedene Modelle ermöglicht werden. In Thüringen gibt es nach Aussagen des Sozialministers vor dem Ausschuss diese Verordnung zurzeit noch nicht; sie ist zurzeit in der Anhörungsphase. Es gibt aber ein Interesse von Sozialhilfeträgern. In Bayern gibt es diese Verordnung, die ich eben angesprochen habe, bereits seit 10. Januar 2000. Dort läuft die Probephase also schon eine ganze Weile, und das auch mit Erfolg. Mit Blick auf die fehlende Verordnung wünschte ich mir hier ausnahmsweise bayerische Verhältnisse.

Sozialhilfe ist eine komplizierte Materie - das sollte aber erst in zweiter Linie gesehen werden - sie ist auch ein großer Kostenfaktor. Deshalb sind wir der Auffassung, es müssen alle Möglichkeiten geprüft werden und in der Praxis erprobt werden, die die Hilfeempfänger aus der Sozialhilfe herausführen und ihnen auch ein eigenständiges Leben ermöglichen. Der möglicherweise dabei eingesparte Verwaltungsaufwand sollte den Hilfeempfängern durch vermehrte und auch verbesserte Beratungsangebote zugute kommen. Vom Deutschen Caritasverband wird in einer Information vom 29. Mai 2000 die uneingeschränkte Freiwilligkeit der Teilnahme der Hilfe suchenden Menschen bei diesen Modellversuchen verlangt. Wir sind jedoch der Ansicht, dass dieses zu sehr die ergebnisorientierte Durchführung beeinträchtigen würde. Da aber andererseits nur durch ein gewisses Maß an Freiwilligkeit und eigenverantwortlicher Mitarbeit des Betroffenen eine Zusammenarbeit möglich ist, soll man es den Behörden vor Ort überlassen, einen richtigen Mittelweg zu finden. Wenn Menschen von Sozialhilfe leben müssen, dann ist das schlimm. Schlimm ist es aber auch, wenn nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, Hilfe Suchende aus der Sozialhilfesituation wieder herauszulösen.

Frau Vopel, Sie stellten eben richtig fest, dass wir uns in einer Probephase befinden. Ich denke auch, nicht die Masse macht es, sondern die Klasse macht es bei dieser Erprobungsphase. Deshalb ist es meines Erachtens nicht wichtig, dass sich sehr viele Landkreise beteiligen, sondern dass es in der Erprobungsphase wirklich ein bestimmtes Maß an Landkreisen auch mit den territorialen Besonderheiten umfasst.

Ich fordere alle Verantwortlichen auf, nicht zuerst zu prüfen, warum etwas nicht geht, sondern ruhig auch einmal neue Wege zu gehen. Dazu wünsche ich auch dem Minister viel Erfolg.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abgeordneter Nothnagel, Sie haben als Nächster das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sprechen heute über die Lebenssituation von Thüringer Bürgerinnen und Bürgern. Genauso einfach, wie es sich Frau Vopel hier zum Teil gemacht hat, ist das Leben leider nicht, denn wir wissen ja alle, dass die Spalte zwischen Theorie und Praxis doch recht groß ist und das Leben ist leider manchmal auch anders.

(Beifall bei der PDS)

Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, haben mit Ihren Mehrheiten Ende der 90er Jahre das Bundessozialhilfegesetz sturmreif geschossen. Sie haben einen großen Novellierungsbedarf angemeldet und auch durchgedrückt - entgegen den Meinungen und Auffassungen der Wohlfahrtsverbände, Sozialverbände und Sozialhilfevereine. Sie haben in Ihrer Politik die Stammtischparolen leider gesellschaftsreif gemacht und den Sozialmissbrauch, den faulen Sozialhilfeempfänger und die soziale Hängematte, wie gesagt, salonfähig gemacht. Natürlich gibt es Missbrauch, das wissen wir auch, aber das ist nicht der Regelfall.

(Zwischenruf Abg. Schugens, CDU: Und zwar kräftigen Missbrauch.)

Der Höhepunkt Ihrer Diskussion und der Debatte war dann die Novelle des § 22 BSHG, worauf meine Kollegin Thierbach ja schon eingegangen ist. Der Regelbedarf wurde durch das Lohnabstandsgebot bei Einhaltung von 15 Prozent abgelöst. Für Bürgerinnen und Bürger bedeutet dies, dass das Lohnabstandsgebot, die Sozialhilfe auf ein Niveau gehalten werden soll, das bei Leistungsempfängern einen Druck erzeugt, eine immer noch schlechter bezahlte Arbeit anzunehmen. Mit Einführung des Lohnabstandsgebots kam es zur weiteren Verarmung von zigtausend Thüringer Bürgerinnen und Bürgern. Wenn wir heute von pauschalierter Sozialhilfe und Bedarfsdeckung reden, so wollte ich Ihnen an diesem Beispiel nur noch einmal klar machen, dass es Bedarfsdeckung schon längst nicht mehr gibt.

(Beifall bei der PDS)

Dies ist erschreckend, werte Damen und Herren, wenn Sie unsere Große Anfrage zur Armut in Thüringen intensiv studiert haben, dass Sie keine genaue Kenntnis darüber haben, wie viele Betroffene von ihrem Sozialhilfeanspruch keinen Gebrauch machen, die Scham vor dem Gang zum Sozialamt ist riesengroß. Allein aus dem Zweiten Sozialbericht abgeleitet geht hervor, dass 52.000 Haushalte in Thüringen mit einem Haushaltseinkommen von unter 1.000 DM im Monat auskommen müssen. All diese Menschen hätten nach Auffassung der PDS-Fraktion einen Anspruch auf Sozialhilfe. Nichts mit finanziellen Einsparungen von Ressourcen, sondern ein Mehr an finanziellen Mitteln wäre vonnöten.

(Beifall bei der PDS)

Es wäre aber auch vonnöten, dass wir flächendeckend eine große Aufklärungskampagne führen und die Bevölkerung über ihre Rechte aufklären. Es ist nach Auffassung der PDS-Fraktion schon erschreckend, dass in den letzten Jahren nach Schätzungen des Paritätischen Gesamtverbandes 4,4 Mrd. DM an Sozialhilfe eingespart wurden, weil 50 bis 60 Prozent der Anspruchsberechtigten sie nicht in Anspruch genommen haben. Somit hat das Ziel, Kosten einzusparen, vollen Erfolg gehabt. Aber, und dies ist das Verwerfliche, hier werden den Bürgerinnen und Bürgern Rechte vorenthalten. Da komme ich wieder auf die von der PDS schon erwähnte notwendige Änderung der Regelsätze zurück. Diese sind schon lange nicht mehr zeitgemäß. Nein, durch die in den letzten Jahren stetig steigenden Lebenserhaltungskosten kommt es sogar zu einer Unterdeckung der Regelsätze von 10 Prozent.

(Beifall bei der PDS)

So, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht leider die Realität aus. Pauschalierungen der Sozialhilfe, warum nicht, wenn es der Verbesserung der Effektivität der Verwaltung dient und die Anträge der Bürgerinnen und Bürger zeitnah bearbeitet werden und der Einzelfall trotzdem noch Berücksichtigung findet. Aber die PDS-Fraktion sagt ein eindeutiges Nein, wenn es darum geht, diejenigen, die schon unten gelandet sind in den sozialen Sicherungssystemen, weiter in ihren Rechten zu beschneiden,

(Beifall bei der PDS)

denn Sozialhilfe ist ein Rechtsanspruch und Sozialhilfe ist kein Almosen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Kollege Nothnagel, Ihre Zeit ist gleich zu Ende.