Protokoll der Sitzung vom 07.09.2001

Innenausschuss, Entschuldigung. Das war ganz am Anfang, da war ich noch nicht hier oben. Dann stimmen wir zunächst erst einmal über die Ausschussüberweisung ab. Wer für die Überweisung des Antrags in Drucksache

3/1718 an den Innenausschuss stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Mit einer Anzahl von Gegenstimmen ist dieser Ausschussüberweisung zugestimmt worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf

Reform der Arbeitsförderung Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/1738

Gibt es den Wunsch, den Antrag zu begründen? Bitte, Frau Abgeordnete Vopel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben diesen Antrag zur Reform der Arbeitsförderung gestellt, wohl wissend, dass das Gesetzgebungsverfahren noch nicht eingeleitet ist, aber ich denke, die derzeitige Diskussion um dieses "Job-Aqtiv-Gesetz" - jeden Tag kommen neue Vorschläge, jeden zweiten Tag meldet sich ein tatsächlicher oder selbst ernannter Fachmann zu Wort und weiß, wie man es richtig machen sollte - macht es unbedingt nötig, dass wir darüber sprechen. Herr Gentzel hat kürzlich gefordert, wir sollten im Plenum diese Themen behandeln, die die Leute draußen wirklich beschäftigen. Wenn das ein Thema ist, was die Menschen beschäftigt, dann ist es die Arbeitslosigkeit, dann ist es die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftssituation. Deshalb wollen wir heute darüber reden. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister Schuster, Sie geben den Sofortbericht. Bitte schön.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik ist es, mit gegebenen Mitteln ein Höchstmaß an Dauerarbeitsplätzen zu schaffen. Dieses Ziel ist allerdings nicht nur eine Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik, sondern in gleicher Weise der Wirtschaftspolitik. Wir alle wissen, dass ohne starke Impulse bei Beschäftigung, Konjunktur und Wachstum auch die Arbeitsmarktprobleme nicht gelöst werden können. Und wenn man heute über Arbeitsmarktpolitik redet, sollte man zunächst darüber reden, dass Arbeitsmarktprobleme stärker über Konjunktur und Wachstumspolitik gelöst werden müssen in unserem Land. Wir wissen alle, dass hier einiges im Argen liegt. Es ist gefordert vom Bund, eine Trendwende herbeizuführen durch Veränderung der Rahmenbedingungen in der Wirtschaftspolitik. Unser Ministerpräsident hat ein Infrastrukturprogramm vorgeschlagen, das als Beitrag zur Ver

besserung der wirtschaftlichen Lage gedacht ist. Wir brauchen auch eine Nachbesserung der Steuerreform, und zwar eine mittelstandsfreundliche Nachbesserung der Steuerreform. Um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, bedarf es auch deregulierender Maßnahmen in einer Zeit, wo sehr viel reguliert ist, wo sehr viele Regulierungen einem Wachstum entgegenstehen. Wir alle reden heute und erfahren es immer wieder, flexible Arbeitszeiten sind gefordert, flexible Lohnformen sind gefordert und wir wissen alle, dass wir da nicht weit vorangeschritten sind in Deutschland. Wir sind das Land mit dem höchsten Maß an Regulierungen in allen einschlägigen Bereichen. Wir wissen, dass das so nicht weitergehen kann. Bereits die Zukunftskommission hat ganz klar unser Problem auf folgenden Nenner gebracht: Wer an den bisherigen Regelungen festhalten will, der muss in Kauf nehmen, dass die Arbeitslosigkeit hoch ist. Und wer Vollbeschäftigung anstrebt, der muss ein hohes Maß an Flexibilität einführen in allen einschlägigen Bereichen.

Man kann diese Position auch mit Zahlen unterstreichen und belegen. Wir hatten im letzten Jahr und in den letzten Monaten einen starken Rückgang so genannter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen erlebt. AB-Maßnahmen sind zurückgegangen, SAM sind zurückgegangen und auch die Weiterbildungsmaßnahmen sind zurückgegangen, und zwar auf Initiative des Bundes. Alle Maßnahmen, die wir mitfinanziert haben, sind nicht zurückgegangen, sondern im Volumen gleich geblieben, meine Damen und Herren. Trotzdem diese Maßnahmen so stark zurückgegangen sind, haben wir ein wirtschaftliches Wachstum in Industrie und Gewerbe insgesamt erzielt. Dies macht deutlich, dass unser Wirtschaftswachstum nicht auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, sondern auf andere Faktoren zurückzuführen ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch dann, wenn man uns mit den anderen neuen Ländern und mit den alten Ländern vergleicht. Immer wieder kommt zum Vorschein, dass die Arbeitsmarktpolitik durchaus von Bedeutung ist, aber nicht ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg und für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Meine Damen und Herren, man kann diese Feststellung auch umdrehen. Manche Leute sagen, man sollte auf die Arbeitsmarktpolitik völlig verzichten, Hauptsache sei, dass man die richtige Wirtschaftspolitik betreibe. Diese Schlussfolgerung verbietet sich ebenfalls. Wir brauchen natürlich weiterhin die Arbeitsmarktpolitik, jedenfalls so lange, wie es nicht genügend Arbeitsplätze im Lande gibt.

(Beifall bei der CDU)

Es ist ganz unbestritten die Notwendigkeit, für bestimmte Zielgruppen unserer Gesellschaft weiterhin AB-Maßnahmen vorzusehen. Es ist aber auch ebenso unbestritten, dass man trotzdem einen großen Anteil bisheriger ABMaßnahmen umschichten sollte in andere Maßnahmen.

Jetzt kommen wir zum Thema "Landesarbeitsmarktpolitik" oder "Bundesarbeitsmarktpolitik". Natürlich ist die Arbeitsmarktpolitik vornehmlich eine Aufgabe des Bundes. Klar ist auch, dass die Landesarbeitsmarktpolitik nicht als Reparaturwerkstatt für verfehlte Bundespolitik geeignet ist.

(Beifall bei der CDU)

Aber auch wir können einen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung leisten. Dieser Beitrag ist bereits erbracht worden. Das gilt für den Bund nicht gleichermaßen. Hier müssen wir über einen Gesetzentwurf reden, den man als Job-Aqtiv-Gesetz bezeichnet und das im Grunde folgende Aufgaben, folgende Ziele verfolgt: "Aqtiv" steht für aktivieren, qualifizieren, trainieren, investieren und vermitteln. Das hört sich alles sehr gut an, aber wenn man tiefer geht, dann merkt man sehr schnell, dass das alles Maßnahmen sind, die sich etwas an der Oberfläche bewegen. Die zentralsten Probleme der Arbeitsmarktpolitik werden nicht aufgegriffen. Es werden wenige Probleme angesprochen im Bereich der Abgrenzung der Finanzierungslasten. Die Frage ist zu stellen: Wer muss welche Finanzierung sicherstellen? Ist es Aufgabe der Arbeitsmarktverwaltung, versicherungsfremde Leistungen zu erbringen oder wäre das nicht Aufgabe des Bundes und des Bundeshaushalts? Hier werden Lasten auf die Beitragszahler abgewälzt, die nicht von den Beitragszahlern verursacht und die systemfremd sind in der Sozialversicherung. Notwendig wäre auch eine Angleichung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Auch darüber ist viel gesprochen worden. Auch hier, denke ich, ist Handlungsbedarf gegeben. Dann kommt ein neues Thema auf, das die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf ebenfalls nicht angesprochen hat, nämlich die Frage, welche Maßnahmen geeignet sind, ein Höchstmaß an Dauerarbeitsplätzen zu schaffen - siehe Auftrag der Arbeitsmarktpolitik. Sind es die Maßnahmen, die im zweiten Arbeitsmarkt ansetzen, sind es die Maßnahmen, die gar in einem dritten Arbeitsmarkt ansetzen sollen, oder sind es die Maßnahmen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt stattfinden?

Meine Damen und Herren, nach allen Studien, die es gibt, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die auf den ersten Arbeitsmarkt bezogenen Maßnahmen effektiver sind im Sinne der Schaffung von zusätzlichen Dauerarbeitsplätzen. Wenn das so ist, dann muss man doch der Frage nachgehen, welche Möglichkeiten es gäbe, auf dem ersten Arbeitsmarkt noch wirksamer zu werden. Und diese Überlegung führt uns zu der Forderung, im Zuge der Reform von SGB III über Kombi-Einkommen nachzudenken, Kombi-Einkommen im Niedriglohnbereich, um zu erreichen, dass diese Arbeitsplätze nicht endgültig wegrationalisiert werden, um zu erreichen, dass die Betroffenen dennoch ein auskömmliches Einkommen erzielen. Man kann dieses Thema nicht so einfach vom Tisch wischen wie das bisher geschehen ist. Natürlich gibt es die unterschiedlichsten Modelle. Da wird immer wieder der Modellversuch Rheinland-Pfalz und Saarland bemüht und gesagt, sie seien gescheitert. Wenn, dann unter

ganz anderen Bedingungen. Aber es gibt ja unterschiedliche Modelle für Kombi-Einkommen. Sie wissen alle, dass es auch in unserem Land Modelle gibt. Es muss klar sein, Arbeit muss sich lohnen in unserem Land.

(Beifall bei der CDU)

Wer arbeitet, darf beim Einkommen nicht gleichgestellt werden mit denen, die nicht arbeiten können oder wollen. Wenn das erreicht werden soll, dann muss man über entsprechende Instrumente nachdenken.

Weitere Themen, die ebenfalls in dem Gesetzentwurf nicht enthalten sind, sind die Berücksichtigung Älterer und Langzeitarbeitsloser im Zuge der Arbeitsförderung. Wir müssen im Zuge der demografischen Entwicklung neu nachdenken über die Frage, wie man die älteren Arbeitnehmer länger im Arbeitsprozess halten kann. Hierüber muss nachgedacht und entsprechend gehandelt werden. Oder wie sind Weiterbildungsmaßnahmen zu organisieren? Wie sind die im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik zu implementieren? Erleichterung der Zeitarbeit ist ein Thema. Was kann man tun, wenn man diese Eingliederungsverträge und Vereinbarungen schließt, die allseits gewollt sind? Werden die nun verbindlich nach einer Reihe von Monaten oder ist das einfach Luft? Oder wie ist das mit der Meldepflicht bei den Arbeitsämtern - alle drei Monate z.B. für Bezieher von Arbeitslosengeld - und man könnte viele andere Punkte noch aufnehmen. Man kann sehr leicht kritisieren und wird dann zu Recht gefragt, was tut ihr denn selbst in der Richtung, von der die Rede ist. Ich denke, im Freistaat Thüringen ist diese Reform der Arbeitsmarktpolitik eingeleitet worden. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeführt, die arbeitsmarktpolitische Effekte haben sollen, einmal bei der Wirtschaftsförderung. Es ist ja auch von der Enquetekommission ausgeführt worden, dass unsere Förderung einen relativen hohen Beschäftigungseffekt gehabt hat, größer jedenfalls als in allen anderen neuen Ländern. Wir sind jetzt gerade dabei, mit den Ausbildungsverbünden Abmachungen zu treffen dahin gehend, dass bestimmte Berufsgruppen stärker angeboten werden sollen in den Ausbildungsverbünden. Wir haben, und darüber war gestern ja schon gesprochen worden, das Programm "Zweite Schwelle - Jobeinstieg in Thüringen" aufgelegt und da immerhin schon 1.800 Teilnehmern den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt ermöglicht. Wir haben eine Förderung im Rahmen von Qualifizierungsprogrammen beschlossen. Wir haben Qualifizierungskoordinatoren eingeführt und jetzt in der Zahl verdoppelt. Es gibt das Programm "Zweite Karriere" in unserem Land, das angelaufen, aber noch nicht hinreichend wirksam ist. Es gibt das Programm "50 PLUS", das sich bewährt hat und das ja auch die Arbeitsverwaltung bundesweit übernommen hat. Also, es gibt durchaus Maßnahmen in diesem Land, die zu übernehmen bundesweit sich lohnen würde. Ich habe schon das Thema "Erwerbstätigkeit Älterer" angesprochen. Es gibt ganz unterschiedliche Tendenzen. Die einen sagen, die Älteren müssen länger erwerbstätig bleiben, wohl sogar noch über das

65. Lebensjahr hinaus. Die anderen sagen, man muss eine ganze Generation vorzeitig in den Ruhestand schicken, das ist das Thema "Altersübergangsgeld". Hierüber muss nachgedacht und entschieden werden. Wir meinen, dass dieses Altersübergangsgeld zwar diskussionswürdig ist, aber kein Patentrezept bietet. Man kann die Probleme nicht auf die Weise wegdrücken, dass man sagt, geht in den Ruhestand. Damit wird kein Problem gelöst.

Meine Damen und Herren, es gibt vor diesem Hintergrund einen Entschließungsantrag, den die Freistaaten Bayern und Thüringen in den Bundesrat eingebracht haben, zur Weiterentwicklung von SGB III, einen Entschließungsantrag, der tiefer gräbt, der an die Ursachen herangeht und der Lösungsvorschläge macht, über die man natürlich diskutieren muss, das ist klar. Aber lieber beginnen wir die Diskussion als ihr auszuweichen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Minister. Ein Geschäftsordnungsantrag? Sie wollen sich zu Wort melden.

Ich will den Tagesordnungspunkt jetzt erst einmal unterbrechen und rufe den Tagesordnungspunkt 29

Fragestunde

auf, weil wir sonst vermutlich in der Aussprache plötzlich mittendrin stoppen müssen. Das möchte ich Ihnen gern ersparen. Also Tagesordnungspunkt 29 und zunächst hat Herr Abgeordneter Gerstenberger eine Frage in der Drucksache 3/1732. Bitte, Herr Abgeordneter.

Förderung lokaler Beschäftigungsinitiativen

Die EU-Kommission hat im Mai 2001 im Rahmen der Kampagne "Die Beschäftigung vor Ort fördern" einen Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen für vorbereitende Maßnahmen für das lokale Engagement für Beschäftigung veröffentlicht. Hauptziele sind die Erstellung und Durchführung lokaler Aktionspläne für Beschäftigung, mit denen zur optimalen Nutzung des lokalen Beschäftigungspotenzials beigetragen werden soll.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Anträge sind in Thüringen für dieses Förderprogramm gestellt worden?

2. Wie hat die Landesregierung die Verbreitung des Aufrufs der EU-Kommission in Thüringen unterstützt?

3. Plant die Landesregierung die finanzielle Unterstützung dieses Förderprogramms?

Herr Minister Schuster, bitte schön.

Frau Präsidentin, namens der Landesregierung beantworte ich die Fragen von Herrn Gerstenberger wie folgt:

Zu Frage 1: Bei den zuständigen Behörden der Europäischen Kommission gingen europaweit 148 Anträge ein, davon 16 mit deutscher Beteiligung. Über eine Beteiligung von Thüringer Einrichtungen kann die Generaldirektion "Beschäftigung und soziale Angelegenheiten" gegenwärtig noch keine Angaben machen.

Zu Frage 2: Die Aufforderung zur Interessenbekundung erfolgte unmittelbar durch die EU. Die Publizierung oblag dementsprechend den Europäischen Dienststellen und wurde z.B. über die Internetseite der zuständigen Generaldirektion sichergestellt.

Zu Frage 3: Eine unmittelbare finanzielle Beteiligung der Mitgliedsstaaten oder Regionen an diesem Förderprogramm der EU ist nicht vorgesehen.

Gibt es Nachfragen? Das ist nicht der Fall, vielen Dank, Herr Minister. Wir kommen zur nächsten Frage, eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Fischer in Drucksache 3/1736. Bitte, Frau Abgeordnete.

Mittel für Entwicklungszusammenarbeit II

Auf die Nachfrage zu der Mündlichen Anfrage in der Drucksache 3/1586 antwortete der Innenminister, dass Mittel für Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit in sehr begrenztem Umfang eingestellt und fest verplant seien. Darüber hinaus sei kein finanzieller Spielraum in den nächsten Jahren vorhanden. Im Übrigen seien der Entwicklungszusammenarbeit enge Grenzen gesetzt, da Thüringen selbst Ziel-Gebiet der EU ist.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit wurden in den vergangenen drei Haushaltsjahren und welche werden im laufenden Doppelhaushalt gefördert?

2. Wer waren bzw. sind die Träger dieser Projekte?

3. In welcher Höhe wurde welches Projekt aus welchem Haushaltstitel gefördert?

4. Inwieweit ist ein Ziel-Gebiet der EU mit einem Entwicklungsland vergleichbar?

Herr Minister Köckert, bitte schön.

Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete Dr. Fischer, für die Landesregierung beantworte ich Ihre Fragen wie folgt, aus Gründen der Zweckmäßigkeit 1 bis 3 zusammenhängend.