Protokoll der Sitzung vom 09.11.2001

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Das ist mir neu.)

So wies der Oberbürgermeister der Stadt Gera unter anderem darauf hin, dass erstens mit der Möglichkeit, Regionalisierungsmittel auch für die Planung, Organisation und Bestellung von SPNV-Ersatzleistungen einzusetzen, im Wettbewerb Schiene-Bus stärker die Straßenverkehrsmittel gefördert werden könnten. Dies würde aus seiner Sicht kurz- bis mittelfristig zu einem weiteren Streckensterben im Thüringer Eisenbahnnetz führen. Diese Entwicklung kann nicht im Interesse des Freistaats Thüringen liegen und wird aus der Sicht des Oberzentrums Gera ebenfalls als kritisch betrachtet.

(Beifall bei der PDS)

Zweitens: Nicht auszuschließen ist, so sagt der Oberbürgermeister, dass die künftige Verwendung der Regionalisierungsmittel auch zulasten der Investitionen im ÖPNV des Freistaats Thüringen gehen könnten. Während in Jena die ÖPNV-Großinvestitionen weitgehend abgeschlossen und in Erfurt inzwischen hochgradig angearbeitet werden konnten, vermutet die Stadt Gera eine mögliche Benachteiligung.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Das Land geht in Vorkasse!)

Mit der vorgesehenen Änderung des Thüringer ÖPNVGesetzes und der damit verbundenen breiteren Verwendung der Regionalisierungsmittel wird ein verringerter Anteil zugunsten der Investitionen im ÖPNV befürchtet,

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Richtig!)

was letztlich eine zeitliche Streckung bisher abgestimmter und vereinbarter Projekte, wie z.B. der Mitte-DeutschlandVerbindung, der Straßenbahnlinie 1 in Gera, des Verknüpfungspunkts Hauptbahnhof Gera oder des Verknüpfungspunkts Gera-Süd, nach sich ziehen könnte. So weit Befürchtungen des Oberbürgermeisters der Stadt Gera, die den Fraktionen zugeleitet worden sind.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Wenn Herr Bodewig seine Kasse aufmachen würde dafür, dann hätten wir die Probleme nicht.)

Das ist klar, Herr Kretschmer. Sie verfahren immer wieder nach demselben Schema: "Haltet den Dieb" und weisen nach oben.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Nein, wir sind in Vorkasse gegangen.)

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, wie mit dieser Gesetzesänderung Voraussetzungen für die Entwicklung des ÖPNV zu attraktiven Alternativen zum motorisierten Individualverkehr gefördert werden können, muss weiter aufgeklärt werden. Die erste Lesung bietet nicht den Raum der vertiefenden Auseinandersetzungen zum ÖPNV-Gesetz und der Finanzhilfen des Landes für die Aufrechterhaltung und Entwicklung eines attraktiven Personennahverkehrs.

Namens unserer Fraktion beantrage ich die Weiterberatung des vorgelegten Änderungsgesetzes im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik, im Innenausschuss und im Haushalts- und Finanzausschuss. Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)

Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Lippmann, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Landesregierung, recht kurz und überschaubar, zur Änderung des ÖPNV-Gesetzes - was ein gutes Gesetz war und ist - kommt eigentlich recht nett und bescheiden daher. Zielstellung sei, wenn man das liest, die landesgesetzlichen Regelungen im ÖPNV-Gesetz mit den bundesgesetzlichen Regelungen kompatibel zu machen. Die bundesgesetzliche Regelung dafür ist das Rationalisierungsgesetz des Bundes, als Artikel 4 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes - in Kraft gesetzt am 1. Mai 1996. An diesem Gesetz hat sich bisher nichts geändert. Inhaltlich geht es darum, Finanzhilfen für die anteilige Deckung der Betriebskostendefizite der Aufgabenträger und Unternehmen im öffentlichen Linienverkehr auf der Straße zu gewähren. Diese Finanzhilfen - meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir waren uns in all den Jahren, in denen sie bisher gezahlt worden sind, einig - sind notwendig, aus zwei Gründen immer noch notwendig. Wir wollten, wollen und müssen unsere Unternehmen für den kommenden europäischen Wettbewerb fit machen und auf hohem technischen Niveau halten. Das ist notwendig und es gibt ja einen erheblichen Nachholbedarf in den neuen Bundesländern gerade in diesem Bereich und den gibt es noch.

Zweitens: Wir wollten und wollen noch heute, dass der öffentliche Personennahverkehr zu sozialverträglichen Preisen auch von der Bevölkerung angenommen wird, denn ich glaube, darin eine Daseinsvorsorgepflicht auch des Landes zu erkennen. In diesen Bemühungen standen und stehen wir, glaube ich sagen zu können, heute noch auf der gleichen Seite der Barrikade. So weit, so gut - erst einmal. Bisher sind diese Finanzierungshilfen stets aus Landesmitteln bestritten worden. In diesem Jahr sind das 61 Mio. DM, im nächsten Jahr sind es bedauerlicherweise nur ein paar mehr als 40 Mio. DM, sind also degressiv abgesunken. In den vorangegangenen Jahren waren es deutlich mehr. Ich glaube, am Beginn hatten wir über 100 Mio. DM vorgesehen und auch gezahlt. Nun also wollen Sie die Landeskasse entlasten und sie durch Regionalisierungsmittel, also durch Mittel des Bundes, ersetzen. Erst einmal gar kein schlechtes Geschäft, sowohl für den Finanzminister als auch für den Wirtschaftsminister nicht, zumal diese Regionalisierungsmittel des Bundes zum einen zuverlässig fließen - sie hängen ja vom Mineralölsteueraufkommen ab und weil sie einer ständigen Progression unterliegen. 1996 betrugen sie 315 Mio. DM für Thüringen, im Jahr 2000 betrugen sie 498 Mio. DM, in diesem Jahr 524 Mio. DM. Also, wir reden hier nicht über Bagatellbeträge. Fragt sich nur, und das ist die Kernfrage, ob es legitim ist, die Kosten so mir nichts, dir nichts auf den Bund abzudrücken und damit unsere Haushaltssituation zu entlasten. Das geschieht zweifelsohne. Da habe ich zumindest momentan - ich beto

ne das ausdrücklich - meine Zweifel und, ich denke, berechtigte Zweifel. Sie schreiben in Ihrer Begründung, dass die Finanzierung des allgemeinen ÖPNV auch aus Rationalisierungsmitteln zulässig und möglich sei, wenn dadurch das Verkehrsangebot im SPNV nicht beeinträchtigt wird, denn um den geht es ja. Dieses sei durch den § 7 des Rationalisierungsgesetzes gedeckt,

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Regionalisierungsgesetz!)

Regionalisierungsgesetz gedeckt, Entschuldigung, und der lautet, damit das noch einmal klar ist: Mit dem Betrag, den die Länder erhalten gemäß § 5 Abs. 1 und 2 ist insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren. Ich räume ja ein, ich bin kein Jurist, dass das Wort "insbesondere" Interpretationsmöglichkeiten zulässt, wenn man das will. Das haben wir aber bisher nicht gewollt.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Doch, doch!)

Wir hätten es schon gern gewollt, aber wir haben es nicht gemacht. Einmal, ich weiß; decken wir den Mantel der christlichen Nächstenliebe über diesen einen Sonderfall.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Nein, im Haushalt beschlossen.)

Lesen Sie im Haushalt 07 auf der Seite 94 nach, was unter Verwendungszweck genannt worden ist - ich glaube, irgendjemand, der Herr Minister war es oder der Herr Buse war es, hat diese vier Punkte aufgeführt -, da ist zumindest in den letzten Jahren, zumindest was die Ausführungen aus dem Haushaltsplan 07 anbelangt, nichts geschehen, denn an der bundesgesetzlichen Rechtslage hat sich ja nun nichts geändert. Wir wollen etwas ganz Neues tun und wollen es durch den Landtag beschließen lassen. Nun können wir ja in dem Landtag beschließen, was wir wollen oder was wir alle gemeinsam für richtig halten. Das können wir alles machen, Herr Kretschmer.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Nein, das können wir nicht.)

Nur, wird es uns helfen, wenn diese bundesgesetzliche Regelung dagegen stehen könnte? Wir haben es in den letzten Jahren grundsätzlich nicht gemacht, zumindest nicht offiziell, und jetzt machen wir es. Ich sehe das anders. Zum einen ist das Regionalisierungsgesetz Bestandteil des Eisenbahnneuordnungsgesetzes, einem Gesetz, das die Zuständigkeit des SPNV den Ländern überträgt, wofür wir ja auch die Mittel kriegen. Weil das so ist, werden die Länder mit dem dafür erforderlichen Geld ausgestattet, und das ist nicht unerheblich, das hatten wir gesagt. Der ÖPNV war niemals Bundesangelegenheit. Hilfsweise darf ich Ihnen mal § 6 des Regionalisierungsgesetzes zitieren, da steht - der erste Teil ist nicht so wichtig, ich lese es aber vollständig: "Einmalig wird zum 31. Dezember 1997 geprüft, ob ein Betrag

von 7,9 Mrd. DM ausreicht, um 1998 bis 2001 Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr im gleichen Umfang vereinbaren zu können, wie sie nach dem Fahrplan 1993/94 erbracht worden sind." Es handelt sich hier also ausschließlich um den Schienenpersonennahverkehr.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Durch den Begriff "insbesondere".)

Ja, ja, das habe ich schon verstanden, Herr Minister. Da bin ich schon dahinter gekommen. Da muss man ja auch dahinter kommen, wenn man es liest. Summa summarum bestehen mindestens jetzt - und wir sind ja in der Einbringung - berechtigte Zweifel, ob diese ÖPNV-Novelle auch durch Bundesrecht voll gedeckt ist oder ob sie das nicht ist.

Und der zweite Punkt, auf den hat Herr Buse - vielleicht etwas ausführlich - hingewiesen, aber das ist sein Problem, das könnte natürlich auch ein offenes Tor sein, weniger SPNV-Leistungen zu bestellen, weil man das Geld für andere braucht. Das wollten wir ja nun eigentlich gerade nicht machen. Also, summa summarum werden wir diese beiden zentralen Fragen sehr ausführlich im Ausschuss zu behandeln haben. Dann interessiert mich selbstverständlich, wie auch der Bund darüber denkt. Das werden wir dann auch noch machen, Herr Kretschmer, das verspreche ich Ihnen. Das wird Spaß machen. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Kallenbach, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Bahnreform von 1994 wurde den Bundesländern die Bestellung des Schienenpersonennahverkehrs übertragen und in dem Regionalisierungsgesetz die rechtliche Grundlage dafür geschaffen. Gleichzeitig wurden ab diesem Zeitpunkt den Ländern die so genannten Regionalisierungsmittel für diese Bestellung mit zur Verfügung gestellt. Wir haben als Thüringer Landtag seinerzeit im Jahre 1995 die gesetzliche Grundlage für die Regelung im Freistaat Thüringen mit dem ÖPNV-Gesetz geschaffen. Nun ist das ein paar Jahre her und es stand die Frage zur Diskussion: Hat sich das Gesetz bewährt? Dazu haben uns die kommunalen Spitzenverbände gesagt: Ja, das Gesetz hat sich bewährt. Und das wurde uns nicht nur einmal gesagt, sondern in den verschiedensten Veranstaltungen. Dazu kommt, dass sowohl der private als auch der kommunale Verband gesagt haben: Die Intentionen dieses Gesetzes sind gut und wesentlich besser als in vielen anderen Bundesländern. Das hat sogar auch Herr Buse heute hier zu Protokoll gegeben. Gleichzeitig hat er eine Menge von Kritikpunkten oder Änderungsmöglichkeiten hier in die Diskus

sion eingebracht. Das ist ein Widerspruch in sich, Kollege Buse. Wenn es sich bewährt hat, kann man es nicht in den wesentlichen Eckpunkten gleichzeitig ändern wollen.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Es hat sich in Teilen demnach nicht bewährt.)

Das hat er ganz am Anfang seiner Rede hier selber gesagt, Frau Nitzpon. Das hatte er gesagt und das wird von uns geteilt und auch von denen, die es wissen müssen. Die Verbände des ÖPNV und auch die Kommunen sagen uns das immer wieder. Im Übrigen sprechen die Zahlen eine Sprache, die sehr deutlich ist. Seit dieser Zeit, seit 1995, hat sich die Anzahl der beförderten Personen um 20 Prozent erhöht. Das ist doch ein klares positives Ergebnis. Das Gesetz hat sich sehr gut bewährt.

(Beifall bei der CDU)

Wenn nun Herr Rauch sagt, das soll nicht zulasten von Gera gehen, gut das ist seine Pflicht als Oberbürgermeister, uns so etwas als Gesetzgeber mitzuteilen. Aber worum es ihm immer wieder zu Recht geht, ist, dass die MitteDeutschland-Schienenverbindung entsprechend ausgebaut wird und darin unterstützen wir ihn auch.

(Beifall bei der CDU)

Das haben wir hier mehr als einmal in diesem Haus nachdrücklich betont. Aber nun dürfen wir die Verantwortlichkeiten auch nicht durcheinander bringen. Das ist eine Aufgabe des Bundes, ganz klar des Bundes, diese Strecke zu finanzieren. Trotzdem hat der Freistaat Thüringen 40 Mio. dazugegeben;

(Beifall bei der CDU)

trotzdem hat Thüringen Geld zur Verfügung gestellt, damit es überhaupt losgeht. Nun ist es ja endlich, Gott sei Dank, losgegangen. Nun müssen wir nur Obacht geben, dass es auch zügig geht und die Strecke schnell ausgebaut wird. Die Befürchtung von Oberbürgermeister Rauch kann man, glaube ich, getrost entkräften.

Tatsache ist aber auch, dass wir im Rahmen der Beratung zum Doppelhaushalt 2001/2002 gesagt haben, aus unserer Sicht müssten die Regionalisierungsmittel flexibler eingesetzt werden können und haben dazu auch eine Umschichtung vorgenommen - 4 Mio. DM für dieses Jahr und 6 Mio. DM für das Jahr 2002. Meine Damen und Herren, Herr Lippmann hat ja die Gesamtzahlen genannt, das ist gerade mal ungefähr 1 Prozent der Gesamtzahlen. Damit ist dem Wort "insbesondere" natürlich Genüge getan.

(Beifall bei der CDU)

Man könnte den Betrag noch deutlich erhöhen und da würde immer noch "insbesondere" richtig sein, aber eine flexiblere Handhabung, glaube ich, kann nicht von Nachteil

sein. Im Übrigen tun wir ja in diesem Bereich mehr als alle anderen Bundesländer. Das ist eine rein freiwillige Leistung des Landes zur Stärkung der ÖPNV-Träger für den Busverkehr, für den Straßenbahnverkehr in Thüringen mehr als alle anderen Bundesländer

(Beifall bei der CDU)

mit dem Ziel, sozialverträgliche Tarife auch in Zukunft in Thüringen zu gewähren. Das ist doch die Hauptaufgabe, sozialverträgliche Tarife, damit der ÖPNV nach wie vor so gut angenommen wird wie in den letzten Jahren.

(Beifall bei der CDU)

Aber wenn wir das machen, meine Damen und Herren, dann müssen wir das auf eine sichere Rechtsgrundlage stellen und deswegen diese Änderung, vor allen Dingen in § 8 des Thüringer ÖPNV-Gesetzes.