Protokoll der Sitzung vom 14.03.2002

(Unruhe im Hause)

Wie doch wenige Leute so viel Krach machen können, meine Damen und Herren.

Mit diesem Gesetzentwurf beginnen wir eine neue Stufe der Gemeindegebietsreform auf freiwilliger Basis. Diese wird nach der flächendeckenden Anpassung der kommunalen Strukturen an die Mindestgrößen der Thüringer Kommunalordnung insbesondere die Frage nach der Wirtschaftlichkeit unserer Kommunalverwaltung in den Mittelpunkt rücken. Bei einer ganzen Reihe von Verwaltungsgemeinschaften, meine Damen und Herren, insbesondere in allen mitgliederstarken Verwaltungsgemeinschaften - und das bedeutet ja nicht automatisch einwohnerstark, sondern

mitgliederstarken Verwaltungsgemeinschaften - muss dringend an einer Verbesserung in ihrer inneren Struktur gearbeitet werden. Dies kann z.B. durch freiwillige Zusammenschlüsse unter dem Dach der Verwaltungsgemeinschaft geschehen. In dem hier zu regelnden Fall haben Gemeinden, die bisher in einer Verwaltungsgemeinschaft und in einer erfüllenden Gemeinde arbeiteten, offensichtlich die Zusammenarbeit genutzt, um Vertrauen zu schaffen, das nun erfreulicherweise in der Bildung einer neuen großen Gemeinde mündet. Mit den Jahren der Verwaltungsarbeit kam sichtlich auch die Erkenntnis hinzu, dass unter bestimmten Umständen die effektivste Form der Kommunalverwaltung eben eine Einheitsgemeinde ab einer bestimmten Größenordnung sein kann; wir reden von einer Größenordnung von mindestens 5.000 Einwohnern. In Einwohnerversammlungen in den beteiligten Gemeinden äußerte eine große Mehrheit der teilnehmenden Bürger ihre Zustimmung zu den von den Gemeinden beschlossenen und hier per Gesetzentwurf zur Regelung vorgeschlagenen Strukturänderung. Durch die Bildung der neuen Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel durch Auflösung und Zusammenschluss von 11 bisher selbständigen Gemeinden wird eine neue leistungsfähige Gemeinde mit 5.819 Einwohnern geschaffen, die die Anforderungen der ThürKO hinsichtlich der Mindesteinwohnerzahl von Gemeinden, die keiner Verwaltungsgemeinschaft angehören, erheblich übertrifft. Diese neue Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel wird nach den Städten Saalfeld, Rudolstadt, Bad Blankenburg und Königsee die fünftgrößte Gemeinde im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sein. Durch diese vorgesehene Bestandsänderung können Verwaltungstätigkeit und kommunale Aufgabenerfüllung für etwa 6.000 Einwohner deutlich effektiver gestaltet werden. Die Bildung der neuen Gemeinde führt unter anderem auch deshalb zu einer Verbesserung der Leistungskraft, weil eine Bündelung der vorhandenen Ressourcen der bisher 11 selbständigen Gemeinden stattfinden kann, teure aufwendige Parallelentwicklungen können vermieden und gemeinsame Ressourcen wirtschaftlicher und damit auch wirksamer verwendet werden. Überdies ist eine einheitliche und abgestimmte Planung über ein wesentlich größeres Gebiet möglich und das kommt letztlich allen zugute. Alle an der Neubildung der Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel beteiligten Gemeinden sowie auch die Gemeinde Großkochberg mit 652 Einwohnern und die Gemeinde Heilingen mit 345 Einwohnern haben beschlossen, dass die neue Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel für die Gemeinden Großkochberg und Heilingen als erfüllende Gemeinde nach § 51 der Thüringer Kommunalordnung die Aufgaben einer Verwaltungsgemeinschaft übernimmt. Es ist davon auszugehen, dass die neue Gemeinde nach der Wahl eines hauptamtlichen Bürgermeisters ohne weiteres in der Lage sind wird, als erfüllende Gemeinde für beide Gemeinden tätig zu sein. Eine notwendige Folge der Neubildung der Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel ist die Auflösung der Verwaltungsgemeinschaft Uhlstädt. Alle Mitgliedsgemeinden haben im November 2001 dieser Auflösung durch übereinstimmende Beschlüsse zugestimmt. Infolge der Einbeziehung der Gemeinde Kirchhasel in die Gemeindeneubildung muss die Festlegung in § 20 des Thüringer Ge

meindeneugliederungsgesetzes, nämlich dass die Stadt Rudolstadt als erfüllende Gemeinde für die Gemeinde Kirchhasel die Aufgaben der Verwaltungsgemeinschaft gemäß § 51 Thüringer Kommunalordnung wahrnimmt, aufgehoben werden. Schließlich kann mit den vorgeschlagenen Strukturänderungen auch die Exklavensituation der Gemeinde Schloßkulm innerhalb der gegenwärtig bestehenden Verwaltungsgemeinschaft Uhlstädt beseitigt werden. Das ist ein Überbleibsel aus früheren Jahren, meine Damen und Herren. Da der Gesetzentwurf auf freiwilligen Beschlüssen der an den Strukturänderungen beteiligten Gemeinden beruht, gehen wir davon aus, dass eine zügige weitere Behandlung des Gesetzentwurfs in den Gremien des Landtags erfolgen kann, so dass das Gesetz am 1. Juli 2002 in Kraft treten könnte, wenn zügig weitergearbeitet wird. Damit eröffnen wir auch die Möglichkeit und entsprechen damit dem Wunsch der Gemeinden, die erforderlichen Gemeindewahlen gleichzeitig mit den Wahlen zum Bundestag am 22. September 2002 durchführen zu können. Das bleibt trotzdem dann immer noch dem Ermessen des Gemeindewahlleiters und der Gremien überlassen, ob sie dann tatsächlich auch den 22. September 2002 wählen. Aber mit Blick auf dieses Datum bitte ich Sie, meine Damen und Herren, um eine zügige weitere Behandlung dieses Gesetzentwurfs. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich eröffne die Aussprache und bitte als erste Rednerin Frau Abgeordnete Wildauer ans Rednerpult. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die PDS begrüßt immer, wenn sich Gemeinden freiwillig entschließen, neue leistungsfähigere Strukturen zu bilden.

(Beifall Abg. Nitzpon, PDS)

Die Notwendigkeit einer Funktionalverwaltungs- und Gebietsreform in Thüringen ist bei allen Beteiligten nahezu unumstritten. Strittig ist lediglich der Weg und der Zeitrahmen. Der günstigste Weg ist zweifelsfrei die Freiwilligkeit, wenn auch manchmal harte Fakten, insbesondere die Fakten der kommunalen Finanzsituation, letztlich diese Freiwilligkeit begründen. Insofern begrüßt unsere Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf, weil er in einer Region des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt eine gemeindliche Gebietsstruktur schafft, die zukunftsfähig erscheint. Wir gehen davon aus, dass sich die Beteiligten jedoch darüber im Klaren sind, dass eine flächenmäßig sehr große Gemeindestruktur entstehen wird. Immerhin werden Ortsteile bis zu 16 Kilometer vom Verwaltungssitz entfernt sein. Der vorliegende Gesetzentwurf macht sichtbar, dass die Gemeindeneugliederungsmaßnahmen der 90er-Jahre nur eine Zwischenetappe waren, denn trotz

mehrfacher Strukturveränderungen in dieser Region ist die gegenwärtige Gemeindestruktur eben nicht nachhaltig effizient. Wir verweisen deshalb darauf, weil wir davon überzeugt sind, dass in ganz Thüringen im Rahmen einer grundlegenden Funktionalverwaltungs- und Gebietsreform auch die Leistungsfähigkeit der jetzt bestehenden Gemeindestrukturen kritisch bewertet werden muss.

Meine Damen und Herren, für unsere Fraktion ist von Bedeutung, dass Gemeindeneugliederungsmaßnahmen, die immer eine Zäsur für die beteiligten Gemeinden und deren Einwohner darstellen, auch durch die Bürger mitgetragen werden. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs geht hervor - und der Minister hat das hier auch noch einmal ausgeführt -, dass sich die Bürger der beteiligten Gemeinden mit Ausnahme von Großkochberg und Heilingen in Einwohnerversammlungen mehrheitlich für die Bildung der Einheitsgemeinde ausgesprochen haben. Nun regelt die Thüringer Kommunalordnung nicht zwingend das Verfahren der Bürgerbeteiligung. Insofern ist die Form der Einwohnerversammlung rechtlich zwar zulässig und auch ausreichend, es ist aber fraglich, ob dieses Verfahren tatsächlich den Willen aller Bürger widerspiegelt. Die Durchführung eines Bürgerentscheids wäre hier sicherlich besser geeignet. Doch letztlich ist es nicht unsere Aufgabe, es müssen die verantwortlichen Kommunalpolitiker vor Ort die Entscheidung über die Art und Weise der Einbeziehung ihrer Bürger treffen. Das Recht haben sie zum Glück.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Na, Gott sei Dank.)

In Gesprächen vor Ort wird aber in Erfahrung zu bringen sein, ob der Eindruck, der in der Gesetzesbegründung vermittelt wird, dass die Bürger das Gesetzesvorhaben mehrheitlich mittragen, tatsächlich stimmt. Selbstverständlich sollte im Gesetzgebungsverfahren auch noch einmal geprüft werden, weshalb sich die Gemeinden Großkochberg und Heilingen nicht für den Eintritt in die Einheitsgemeinde, sondern für das Rechtsinstitut der erfüllenden Gemeinde entschieden haben. Aber vielleicht ist es möglich, dass es im Rahmen des ganzen Anhörungsverfahrens vielleicht doch noch eine Änderung gibt.

Meine Damen und Herren, in der Begründung zum Gesetzentwurf wird ein Fakt benannt, der für die künftige Arbeit in der neu zu bildenden Einheitsgemeinde durchaus von Relevanz sein wird. Die künftige Einheitsgemeinde wird zwei Zweckverbänden der Wasserver- und Abwasserentsorgung angehören, wobei, das wissen wir ja zur Genüge, die Zukunft des Verbands Kahla zurzeit bekanntlich doch noch völlig ungewiss ist. Ein derartiges Konstrukt halten wir für recht problematisch. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens muss dieses Problem, denke ich, thematisiert werden. Es wäre gut, wenn eine zufrieden stellende Lösung gefunden werden könnte.

Ein möglicher Konfliktpunkt könnte sich aus der Regelung des § 4 Abs. 2 ergeben. Hier ist die Zusammenset

zung des so genannten Übergangsgemeinderats bis zur Neuwahl geregelt. Mitglieder dieses Übergangsgemeinderats sollen alle bisherigen Gemeinderatsmitglieder sein, aber nicht die gewählten Bürgermeister, die ja erfahrungsgemäß auch wirklich diejenigen sind, die die größten Erfahrungen haben, obwohl diese Bürgermeister ja nach § 23 Abs. 1 ThürKO bisher den einzelnen Gemeinderäten angehörten. Wir sind uns nicht sicher, ob dies die betroffenen Bürgermeister auch wissen und sich darüber im Klaren sind. Wir halten es im Interesse der Vermeidung von Konflikten vor Ort durchaus für möglich, dass auch die bisherigen Bürgermeister dem Übergangsgemeinderat angehören können. Auch dieses Problem, denke ich, sollte in den Gesetzgebungsberatungen Beachtung finden. In bewährter Form sollte der Innenausschuss die Betroffenen anhören und deswegen schlage ich auch vor, den Gesetzentwurf an den Innenausschuss zu überweisen. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter Fiedler, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Wildauer, in bewährter Form wird der Innenausschuss sich natürlich mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung befassen und Gott sei Dank liegt hier von den Kommunen vor Ort einvernehmlich die Freiwilligkeit vor, dass sie sich also hier zusammenfinden. Das findet natürlich unsere volle Unterstützung. Wir haben auch immer gesagt, wenn die Freiwilligkeit vorliegt, werden wir als Gesetzgeber selbstverständlich, Herr Minister, ganz schnell und so schnell wie die Exekutive zugeleitet hat, werden wir natürlich auch im Rahmen unseres Gesetzgebungsverfahrens ganz schnell das abarbeiten und werden die Betroffenen nicht warten lassen. Wir haben schon im vorauseilenden Gehorsam, wenn der Landtag das heute beschließt, morgen nach der Plenartagung, Frau Dr. Wildauer, beantragt, dass eine Innenausschuss-Sitzung stattfindet, damit das Verfahren schon in Gang gesetzt werden kann, dass in einem Zeitraum von ca. sieben Wochen eine Auslegung vorgenommen werden kann und dass dann die verschiedenen Abfolgen der Veröffentlichung minutiös eingehalten werden können, damit es nach menschlichem Ermessen keine Klagemöglichkeit gibt, damit auch diesem Wunsch entsprochen werden kann. Wir gehen davon aus, Herr Minister, wenn alles ordnungsgemäß läuft, dass dann noch im Juniplenum die Möglichkeit besteht, wenn alle Zeitabfolgen eingehalten werden, dass dann der Landtag, wenn alles durch ist, hierüber befinden könnte. Ich denke, das ist das Zeichen an die Kommunen, die sich freiwillig finden, dass man das auch dann ganz schnell über die entsprechende Gesetzgebung umgesetzt bekommt. Das ist ein kleiner Widerspruch, Frau Dr. Wildauer, auf der einen Seite haben Sie gesagt, eigentlich sind Sie nur für

Freiwilligkeit, aber auf der anderen Seite haben Sie gesagt, Großkochberg und Heilingen müssen wir uns doch mit anschauen. Ich stimme Ihnen zu, dass wir uns Großkochberg und Heilingen noch einmal mit anschauen müssen im Gesamtzusammenhang. Aber Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht auf der einen Seite das fordern und auf der anderen Seite das sagen. Jedenfalls ist das unstrittig. Ich bitte auch, dass der Antrag an den Innenausschuss überwiesen wird. Wir sollten das in bewährter Form im Innenausschuss kurzfristig beraten. Abschließend das Letzte, es bleibt natürlich dabei, dass alle drei Instrumentarien - Einheitsgemeinde, erfüllende Gemeinde und Verwaltungsgemeinschaft - gleichberechtigt nebeneinander stehen und wir auch weiterhin diese Linie hier im Landtag weiter durchführen. Ich bitte Sie also um Überweisung an den Innenausschuss.

Herr Abgeordneter Pohl, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ein jeder solcher Schritt ist ein Schritt in die richtige Richtung und, ich denke, es ist auch ein Appell an die Gemeinden, die heute noch einer Verwaltungsgemeinschaft oder einer erfüllenden Gemeinde angehören, sich auch diesen Schritt zu überlegen, wohl überlegt auch, dass alle drei Varianten - Einheitsgemeinde, Verwaltungsgemeinschaft oder erfüllende Gemeinde - auch bleiben. Ich denke, wir werden den Gesetzentwurf in gewohnter Weise, wir sind ja auch in dieser Frage schon erfahren, beraten und wir beantragen selbstverständlich auch die Überweisung an den Innenausschuss. Kollege Fiedler sagte ja, dass wir schon im vorauseilenden Gehorsam bereits morgen eine erste Beratung dazu durchführen. Da werden wir natürlich, Frau Dr. Wildauer, die Probleme, die sich dann auch ergeben, im Innenausschuss entsprechend tiefgründig beraten. Ich danke.

(Beifall bei der SPD)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung. Es ist Überweisung des Gesetzentwurfs in Drucksache 3/2256 an den Innenausschuss beantragt worden. Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Dieser Überweisung ist einstimmig zugestimmt worden. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 6 ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf

Übermittlung personenbezogener Daten Thüringer Landtagsabgeordneter durch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz an die Landesregierung Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/2249

Herr Abgeordneter Koch, Sie wollen für Ihre Fraktion den Antrag begründen. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, als der ehemalige Präsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz, Dr. Helmut Roewer, vor dem Untersuchungsausschuss 3/3 untechnisch ausführte, er lasse sein Amt nicht als Schild und Schwert irgendeiner Partei missbrauchen, erregte das noch Heiterkeit bei den anwesenden Abgeordneten und führte bei Journalisten zu pointierten Kommentaren über das Verhältnis von Verfassungsschutz und Landesregierung. Nicht mehr Heiterkeit haben dann allerdings die Ausführungen Roewers verursacht, nach denen es eigentlich zur Normalität im Amt gehörte, dass Minister der Thüringer Landesregierung Informationen anforderten, die sie dann allerdings auch bekamen. Das betrifft auch einen Landtagsabgeordneten der PDS, der sich eines besonderen Interesses des damaligen Innenministers und heutigen Wirtschaftsministers, Franz Schuster, erfreuen konnte, ohne es zu wissen. Und genau das ist das Problem. Aus Veröffentlichungen des "Spiegel" wissen wir, dass es sich um den früheren PDS-Abgeordneten Klaus Höpcke handelte. Herr Schuster dementierte. Eine Woche später: Der heutige Innenminister, Christian Köckert, dementierte gleich gar nicht, dass er im Februar 2000 bei Roewer Informationen bzw. Unterlagen über den PDSLandtagsabgeordneten Steffen Dittes angefordert und auch erhalten hat. Er bemerkte, das sei rechtlich zulässig und ein ganz normaler Vorgang. Normal sei es vor allem deshalb, weil Steffen Dittes bei der Beobachtung von vermeintlich verfassungsfeindlichen Gruppen immer wieder ins Blickfeld geraten sei, die PDS-Fraktion ihn aber zur Wahl in die G-10-Kommission vorgeschlagen hatte.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Linksextremistische Gruppen!)

Im Übrigen hätte es keine gezielte Beobachtung von Steffen Dittes gegeben. Unklar ist aber, auf welcher rechtlichen Grundlage die Daten erhoben wurden und ein Personenvorgang "Dittes" im Landesamt angelegt worden ist. Aus dem uns vorliegenden Dossier sind keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne des § 2 Thüringer Verfassungsschutzgesetz zu erkennen, sondern vielmehr eine Übersicht über politische Aktivitäten von Steffen Dittes. Unklar ist auch, auf welcher rechtlichen Grundlage der Thüringer Innenminister Unterlagen über Steffen Dittes angefordert hat. Unklar ist zu

dem, auf welcher rechtlichen Grundlage das Landesamt für Verfassungsschutz diese personenbezogenen Daten übermittelt hat. Und schließlich ist unklar, wie der Innenminister diese personenbezogenen Daten verwendet hat. Dieser neuerliche Vorgang ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Thüringer Landesregierung in Vergangenheit und Gegenwart rechtlich zweifelhaft erhobene und gespeicherte Daten über politisch aktive Gruppen und Personen zuarbeiten lässt und offenkundig für die politische Auseinandersetzung gebraucht und damit missbraucht.

1994, meine Damen und Herren, verirrt sich ein Fax des Landesamts für Verfassungsschutz an die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der eigentliche Empfänger war die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag. Inhalt: ein Dossier über die außenpolitischen Positionen der Fraktion Linke Liste/PDS. Wohl 1998 wird bekannt, dass unter dem früheren Innenminister Dewes das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Anhaltspunkte Informationen über die "Bürgerinitiative gegen überhöhte Kommunalabgaben" erhoben haben soll. 2001 stellt sich heraus, das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz hat zwei Kommunalpolitiker aus Blankenhain zum Vorgang im Amt gemacht - mitten im Wahlkampf und in wessen Auftrag auch immer. Politisch verantwortlich dafür ist der Innenminister. Und im Jahr 2002 plaudert der ehemalige Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz über Normalität, mit der Informationen angefordert wurden, und wenige Tage später wird bekannt, dass die PDS-Landtagsabgeordneten Höpcke und Dittes Gegenstand eines geheimdienstlichen und eines höchst fragwürdigen Regierungsinteresses geworden sind. In allen Fällen blieb, so kann man es den öffentlichen Äußerungen des SPD-Abgeordneten Günter Pohl entnehmen, die Parlamentarische Kontrollkommission außen vor. Deshalb, meine Damen und Herren, dieser Antrag.

(Beifall bei der PDS)

Für die Landesregierung wird Herr Minister Köckert den Sofortbericht geben. Bitte schön, Herr Minister.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Aufgabe des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutzes ist u.a. die Beobachtung von Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten. Im Rahmen dieser Aufgabenerfüllung werden dabei vom Verfassungsschutz selbstverständlich auch personenbezogene Daten verarbeitet, unabhängig davon, ob die Betroffenen dies wollen oder nicht. Die gesetzlichen Vorgaben des Verfassungsschutzgesetzes unterscheiden bei dieser Aufgabenwahrnehmung durch das Landesamt zunächst nicht zwischen normalen Bürgern oder Abgeordneten. Dies ist im Übrigen keine Thüringer Besonderheit, sondern gilt in anderen Ländern ebenso wie im Bund. Es bedarf hier sicher keiner näheren Erläute

rung, dass es für die in Rede stehende Verarbeitung personenbezogener Daten in rechtlicher Hinsicht unerheblich ist, ob diese rechts- oder linksextremistische Bestrebungen zum Hintergrund haben. Diese Landesregierung bekämpft jede Form von Extremismus. Wir sind weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Soweit der Gesetzgeber im Rahmen der hier zugrunde liegenden Thematik Abgeordnete unter einen besonderen Schutz stellen wollte, hat er dies z.B. in § 3 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 26. Juni 2000 ausdrücklich getan. Abgeordnete haben eine besondere Rechtsstellung. Das ist auch dem Verfassungsschutz und dem Thüringer Innenministerium bekannt. Darauf weist das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags zu Recht hin. Dabei sei insbesondere auch verwiesen auf die Immunität der Abgeordneten gemäß Artikel 55 Abs. 2 der Thüringer Verfassung. Daraus folgt, dass Abgeordnete wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Zustimmung des Parlaments zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Der Einzug insbesondere rechtsextremistischer Parteien in verschiedene Landtage, so zum Beispiel der Einzug der Republikaner in Baden-Württemberg oder der Einzug der DVU in Sachsen-Anhalt darf nicht dazu führen, dass deren verfassungsfeindliche Aktivitäten sowie das entsprechende Wirken ihrer Mandatsträger dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden entzogen werden. Es kann nicht sein, meine Damen und Herren, dass Extremisten dadurch einen Freibrief für ihre Aktivitäten erhalten, dass sie sich in ein Parlament wählen lassen. Dieses gilt selbstverständlich ebenso auch für den Bereich des Linksextremismus.

Der Verfassungsschutz, meine Damen und Herren, hat die Landesregierung sowohl über links- als auch über rechtsextremistische verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren. Sinn und Zweck des Verfassungsschutzes ist es, die Landesregierung über das dienst- und fachaufsichtführende Ministerium über verfassungsfeindliche und die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdende Aktivitäten zu unterrichten, auch dann, wenn es sich um Parlamentarier handelt.

Lassen Sie mich auf den im Antrag der PDS-Fraktion erwähnten Bericht im "Spiegel" eingehen. Die Vorwürfe in dem Artikel vom 25. Februar 2002, wonach der Innenminister einen Auftrag zur Bespitzelung des Abgeordneten Dittes erteilt haben soll, sind falsch. Im Zusammenhang mit dem Abgeordneten Dittes informierte der ehemalige Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz - und Herr Koch, hier muss ich Sie korrigieren, die politische Verantwortung für manche Vorkommnisse im Landesamt für Verfassungsschutz hat der politische Beamte in allererster Linie, nämlich der Präsident des dortigen Amts - im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben die zu

ständigen Parlamentarier, als die Fraktion der PDS sich bemühte, den Abgeordneten Dittes in die G-10-Kommission des Landtags zu entsenden.

Die Informationen, die dabei zu Herrn Dittes mitgeteilt wurden, sind vom Landesamt für Verfassungsschutz nicht gezielt erhoben worden, sie wurden vielmehr bei der routinemäßigen Auswertung von Erkenntnissen aus dem linksextremistischen Bereich, also bei Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben gewonnen.

Da die Mitarbeit des Abgeordneten Dittes in der G-10Kommission geeignet erschien, die Arbeit des Gremiums in bestimmter Weise zu behindern, wurde die Präsidentin des Thüringer Landtags im Hinblick auf die Besetzung der Kommission über die dem Verfassungsschutz vorliegenden Erkenntnisse durch den zuständigen Minister informiert. Das ist keinesfalls ein ungewöhnlicher Vorgang, denn der für den Verfassungsschutz verantwortliche Minister hat die Pflicht, auf Umstände hinzuweisen, die die Arbeit der Kommission beeinträchtigen könnten. Es bleibt letztlich dem Parlament überlassen, was es aus solchen Mitteilungen macht. Die Landesregierung wird jedenfalls auch in Zukunft dem Parlament dort Hinweise geben, wo ihr dies nötig erscheint.

Im Übrigen verweise ich darauf, dass Einzelheiten etwaiger erfolgter Datenerhebungen - unterstellt, es hätte sie gegeben - im Einklang mit Artikel 97 der Thüringer Verfassung ausschließlich der Parlamentarischen Kontrollkommission mitgeteilt werden würden. Aus Sicht der Landesregierung ist die Parlamentarische Kontrollkommission das richtige Gremium, in dem solche Fragen erörtert werden können.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung wird auch weiterhin die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend informieren, damit sie ihrer Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz nachkommen kann.

Lassen Sie mich deshalb zusammenfassen: Es hat durch die Landesregierung in der Vergangenheit keine gezielten Aufträge zur Beobachtung von Abgeordneten gegeben. Die Landesregierung lässt sich auch nicht - wie es die PDS in ihrem Antrag unterstellt - für politische Auseinandersetzungen durch das Landesamt zuarbeiten. Die Landesregierung ist aber sehr wohl wachsam hinsichtlich jeglicher extremistischer Aktivitäten und sie lässt sich von diesem Weg auch nicht abbringen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt eine Nachfrage. Herr Minister, wollen Sie die beantworten? Nein?

(Zuruf Köckert, Innenminister: Herr Ramelow kann sich gern zu Wort melden.)