Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Die Zeit war auch um, danke. Jetzt hat Abgeordneter Döring, SPD-Fraktion, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die schlüssigste Begründung für Ganztagsangebote heißt "Mehr Zeit für Kinder", Lernen braucht Zeit, deshalb sind Ganztagsangebote mit einem besonderen pädagogischen Konzept eine wichtige Voraussetzung für die Schulreform in Thüringen insgesamt. Es muss unser Ziel bleiben, ein Bildungssystem zu schaffen, das Qualität und Chancengleichheit in den Mittelpunkt stellt, das zugleich fördert und fordert. Ganztagsangebote, die mehr Zeit und individuelle Möglichkeiten zum Lernen, aber auch zum Miteinanderleben bieten, sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Meine Damen und Herren, der Bund hat mit seinem Investitionsprogramm den Anstoß für ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot auch in Thüringen gegeben. Dabei ist der Rahmen des vorliegenden Investitionsprogramms breit gefasst. Ich denke, für Thüringen ist von besonderer Bedeutung, dass Schulen einschließlich angegliederte Horte sowie Kooperationsmodelle zwischen Schule und Trägern der Jugendhilfe auf der Grundlage eines gemeinsamen pädagogischen Konzepts gefördert werden, wenn die Weiterentwicklung zu einem in die Schule integrierten Ganztagsangebot angestrebt wird. Hier liegen für Thüringer Schulen enorme Entwicklungspotenziale, die durch die Vernetzung mit der Schuljugendarbeit noch verstärkt werden könnten. Deshalb, denke ich, ist es nicht hilfreich, das Haar in der Suppe zu suchen, sondern produktiv mit diesem Programm umzugehen. Die Länder erhalten die Bundesmittel zur eigenständigen Bewirtschaftung. Sie entscheiden über den jeweiligen Einsatz der Mittel im

Land und sie sind auch für die Durchführung der Vorhaben verantwortlich. Insofern, Kollege Grob, sind die Fragen, die Sie gestellt haben, an die Landesregierung zu richten. Bei den erforderlichen pädagogischen Konzepten sind die Länder, aber auch die Schulen und die Eltern gefragt. Wichtig ist vor allem, dass die Konzepte von den jeweils verantwortlichen Betroffenen gemeinsam entwickelt werden und auf Qualitätsverbesserung und -sicherung abzielen. Es geht um weit mehr als nur um betreutes Spielen am Nachmittag und auch sollen den Eltern nicht die Erziehungsaufgaben abgenommen werden, Kollege Grob, vielmehr geht es um ein hochwertiges Bildungsangebot, bei dem die Fähigkeiten des Einzelnen im Mittelpunkt stehen.

Meine Damen und Herren, die materiellen Investitionen des Bundes machen allerdings nur dann Sinn, wenn sie auf einer langfristigen Aufbaukonzeption der Schulen basieren und dabei - und das ist notwendig und wichtig muss auch der Mehraufwand an Personalkosten einbezogen sein.

Meine Damen und Herren, von der Landesregierung erwarte ich die Erarbeitung verlässlicher pädagogisch-organisatorischer und personeller Rahmenbedingungen, die an den Schulen die notwendige Sicherheit schaffen. Der Schulentwicklungsprozess solcher geförderten Schulen ist in schulstruktureller, organisatorischer und pädagogischer Hinsicht so zu unterstützen, dass den Schulen ermöglicht wird, die notwendigen Qualitätsstandards für das erwartete Schulangebot möglichst schnell zu erreichen. Das heißt natürlich auch, wir brauchen ein verlässliches, flexibles und konzeptbezogenes Personalzuweisungskonzept für die betroffenen Schulen - Kollegin Sojka hat darauf hingewiesen -, das regional verankert wird und das auch auf die schulische Spezifika Rücksicht nehmen kann. Ich denke, nur so kann der notwendige Rahmen und die Planungssicherheit für das sich entwickelnde Konzept abgesichert werden. Neben der Zuweisung von zusätzlichen Lehrerwochenstunden und pädagogischen Fachkräften ist vor allem auch die Möglichkeit der Bewirtschaftung eines Budgets wichtig, das von den Schulen abgerufen werden kann.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben es ja in Ihrem Wahlprogramm gut beschrieben, setzen Sie es auch um.

Längeres Verweilen in der Schule allein bewirkt noch keine höhere Qualität von Bildung. Ganztagsangebote benötigen vielmehr innovative Konzepte, die auf einem integrativen Bildungsbegriff basieren. Daher brauchen wir bei dem von uns angestrebten Aufbau der Ganztagsangebote ein professionelles Beratungs- und Unterstützungssystem für unsere Thüringer Schulen. Ich will einige Stichworte nennen: zentrale Informationsbörsen, Ganztagsschulfachberater, Einbeziehung des ThILLM und der Studienseminare, pädagogische Diskussionsforen für Ganztagsschulfragen und Modellversuche mit spezifischen Konzepten zur

Entwicklung von Ganztagsangeboten. Nicht zuletzt brauchen wir eine Koordinationsstelle als Anlaufpunkt für alle Beteiligten. Da können wir mal nach Bayern schauen, da sieht man, wie das gemacht wird.

Meine Damen und Herren, Ganztagsangebote leisten unter klar definierten Bedingungen einen positiven Beitrag zur Erziehung und Bildung, Schulqualität, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Stützung der familiären Erziehung. Allerdings müssen sie von den Bedürfnissen und Erwartungen des Kindes und der Familie her konzipiert werden, so die katholische Bischofskonferenz. Das heißt natürlich auch Freiwilligkeit als Grundsatz, da sind wir uns doch alle einig, anders kann so ein Projekt überhaupt gar nicht funktionieren. Die Landesregierung hat hier die Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir werden sie dabei nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Danke.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat jetzt Abgeordneter Emde, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Die Aktualität muss man natürlich ein Stück weit hinterfragen, denn vor ungefähr einem Jahr hat die Bundesregierung angekündigt und dann wiederholt angekündigt und gute Programme verkündet, aber sie hat sich natürlich in der konkreten Umsetzung sehr viel Zeit gelassen. Wenn dann die Nachfrage von Seiten unseres Landes kam, wie sieht es denn nun aus, wir wollen loslegen, dann stand die Bundesregierung auf der Bremse. Ich sage mal so, die SPD will sicherlich mit dieser heutigen Aktuellen Stunde gelobt werden und ich muss sagen, nachdem die Forderungen von Thüringen, aber auch aus anderen Ländern eingearbeitet sind - nämlich, dass die Länder über das pädagogische Konzept entscheiden - und nachdem auch klar ist, dass unsere bestehende Thüringer Schullandschaft sich wiederfindet, stimmen wir dem zu und sagen: Ja, es ist ein schönes Programm und das Geld nehmen wir gern.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das wird aber noch lange dauern.)

Nein, nein, Frau Becker, da sind Sie völlig falsch. Ich habe das doch gerade eben erklärt. Sie müssen zuhören. Nicht wir haben lange gebraucht, sondern der Bund hat lange gebraucht, bis sie uns überhaupt mal gesagt haben, was sie wollen und wie es gehen soll, da hat es immer mal des Nachhakens bedurft. Selbst wenn wir Herrn Matschie gefragt haben, konnte er nichts sagen, da musste er erst wieder zu Frau Bulmahn fahren und fragen, was nun eigentlich los ist.

Nachdem ich Sie jetzt gelobt habe, will ich auch noch ein bisschen was einschränken. Das haben Sie nicht anders erwartet. Ich habe mich in dem Zusammenhang über Ihre Rede, Herr Döring, gefreut. Sie sprechen jetzt von Ganztagsangeboten und da sind wir beide auf einer Linie. Was hat aber die SPD in Berlin immer verkündet? Sie hat gesagt, wir machen Ganztagsschulen und hat den Eindruck erweckt, mit Ganztagsschulen sind alle Probleme von PISA gelöst. Das ist eigentlich nicht fair gegenüber den Bürgern in diesem Lande.

Was ist denn dieses Programm? Es ist ein Programm zur Finanzierung von Gebäuden. Viel wichtiger ist aber, was in diesen Gebäuden geschieht. Hier - das muss man doch ganz klar sagen - lässt der Bund uns als Land und die Kommunen völlig allein, denn wir müssen die Inhalte gestalten - das wollen wir auch -, aber wir müssen auch dann das entsprechende Personal bezahlen und bei der Finanzmisere, die der Bund bei uns angerichtet hat, fällt uns das wahrhaft schwer.

Lösen die Ganztagsschulen nun das Problem, das wir haben, was uns in der PISA-Studie und anderen Studien vorgelegt wurde? Da gebe ich zu bedenken, dass 18 Prozent der verheirateten Eltern und 33 Prozent der unverheirateten Eltern in Thüringen darüber klagen, dass sie mit Erziehungsproblemen nicht zurechtkommen. Dieses Problem wird durch eine Ganztagsschule nicht ohne weiteres gelöst. Es wäre auch keine Lösung, wenn die Kinder dann statt zu Hause in der Schule sind, sondern hier brauchen wir andere Wege und hier müssen wir nach Wegen suchen, wie Schule z.B., aber auch andere Institutionen den Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Bildungs- und Erziehungsaufgaben helfen können. Im Vordergrund von ganztägigen Angeboten soll auch weniger die Frage der Wissensvermittlung stehen, sondern es muss mehr um die sozioemotionale Entwicklung und um die soziale Kompetenz dieser Kinder gehen. Wenn man das so sieht, ist es auch weniger wichtig, die Lehrer an der Stelle einzusetzen, sondern man muss sich außerschulische Partner holen. Das sind Erzieher, Sozialarbeiter, Übungsleiter, eben Leute von außen.

Genau diesem Grundanliegen dient unser Landesprogramm "Schuljugendarbeit" und man kann alles schon wieder schlechtreden, Frau Sojka. Man kann aber auch sagen, das Land ist hier nach vorn gegangen und hat viele Millionen in die Hand genommen, um so ein Programm, wo eben Partner in die Schule geholt werden und wo Ganztagsangebote gestaltet werden, zu initiieren. Nun muss das anlaufen.

Um noch einmal zu dem Wort Ganztagsschule zu kommen: Gerade mal 14 Prozent der Thüringer wären für eine Ganztagsschule in dem Sinne, dass die Schüler verbindlich bis zum Nachmittag in der Schule sind. Aber vier Fünftel der Eltern wollen, dass ihre Kinder ein freiwilliges Angebot bekommen. Genau dort gehen wir hin und da habe ich mich sehr über die Worte von Herrn Döring gefreut, der offensichtlich seinen Kollegen in Berlin mal

erzählen muss, was Sache ist und muss denen mal ausreden, dass es nicht um die Ganztagsschule geht, die dann dazu führt, dass die SPD die Lufthoheit über die Kinderbetten hat, sondern es geht darum, mit den Menschen die Angebote zu entwickeln, die wir brauchen. Da sage ich, das Bundesprogramm nehmen wir gern an. Wir stellen unsere eigenen Kofinanzierungsmittel auch zur Verfügung, ergänzen es mit der Schuljugendarbeit und werden hoffentlich in den nächsten Jahren daraus ein erfolgreiches Programm zum Wohle unserer Schule und zum Wohle der Familien und Kinder entwickeln. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Frau Abgeordnete Stangner, Sie wollen reden? Ja bitte, dann können Sie reden.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, an Herrn Emde und Herrn Grob - Herr Grob ist leider nicht da, aber man wird es ihm schon ausrichten, er kann es auch nachlesen - als Erstes gerichtet. Ich höre schon mit Erstaunen und auch mit einer gewissen Freude Ihre heutige positive Bewertung dieses vorgelegten Programms der Bundesregierung. Manchmal hatte ich in den vorausgegangenen Diskussionen schon eher den Eindruck, da wird nach Ihrer Auffassung Teufelszeug auf die Schüler losgelassen.

Schütteln Sie nicht den Kopf, Herr Emde. Es war ein langer Weg. Die SPD hat das vorhin eingeworfen und da hat sie völlig Recht. Es war ein langer Weg, ehe Sie zu dieser heutigen Bewertung gekommen sind. Meine Aussage mit dem Teufelszeug trifft schon zu auf die vorherigen Diskussionen.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das sieht ja jetzt ganz anders aus, als es damals war. Das müssen Sie dazusagen.)

Eine zweite Bemerkung zu Ihren Reden: Sie haben gesagt, Eltern bevorzugen eher die freiwilligen Angebote z.B. über die Schuljugendarbeit und Sie haben entsprechende Zahlen hier vorgelegt, was Herr Grob erstmal nicht gemacht hat. Da gab es nur die Behauptung dazu. Natürlich kennen wir die Zahlen auch. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass auch von einer Fragestellung erstens abhängig ist, wie man zu solchen Zahlen kommt und zweitens gibt es natürlich relativ wenig Erfahrungen unserer Eltern in Thüringen mit anderen Formen von Ganztagsschulen als das, was die Kultusministerkonferenz jetzt alles dazurechnet.

Deshalb will ich Ihnen ein Beispiel sagen - ich könnte mehrere aufführen, weil ich nur fünf Minuten habe, muss ich es bei einem belassen -, wie sich die Auffassung von

Eltern ändert, wenn sie Erfahrungen mit wirklichen Ganztagsschulangeboten machen. Sie haben das sicherlich auch zur Verfügung, das ist ein Faltblatt der Staatlichen Grundschule Rudolstadt-West. Diesem Faltblatt ist zu entnehmen, dass sich innerhalb von vier Jahren das Elternverhalten völlig geändert hat. Während anfangs die Mehrheit der Schüler in dem Halbtagsteil, das ist ein "normaler Teil mit Hort" gegangen ist, ist es im Jahre 2002/2003 so, dass die Mehrheit der Schüler an dieser gleichen Schule eher den angebotenen Ganztagsteil der Schule besucht. Hier haben sich die Zahlen gewandelt von 70 auf 110 jetzt im Ganztagsteil der Schule und von 150 auf 81 jetzt im Halbtagsteil der Schule. So viel zu den Erfahrungen der Eltern und den sich damit gewandelten Auffassungen zur Ganztagsschule.

Ich will nicht noch mal etwas zu den Potenzen der Ganztagsschule sagen, das ist hinlänglich bekannt. Richtig ist aber, und das will ich schon noch mal betonen, mit der Stärkung der Ganztagsschulangebote kann man ein Stück Boden bereiten für eine chancengleichere Schule und man kann auch ein Stück Boden bereiten, Herr Emde, dafür, dass Erziehungsschwierigkeiten gemeinsam mit den Eltern - nicht ohne sie - anders überwunden werden können, als das möglicherweise gegenwärtig der Fall ist. Dort ist nämlich eine andere Form des schulischen Lebens möglich als in der Halbtagsschule.

Nun noch einige Anmerkungen: Ich habe auch Fragen und Erwartungen an das Programm. Es ist ja nicht so, dass ich das ganz kritiklos betrachte. Einige Anmerkungen zu einigen Artikeln: Die Bemühungen der neuen Länder, auch bestehende Ganztagsschulen in das Programm hineinzubekommen und damit fördern zu können, waren richtig. Das möchte ich hier ausdrücklich betonen, das ist meine Sichtweise dazu. Das kann und darf aber nicht dazu führen, dass es keinen quantitativen Ausbau, wenn entsprechender Bedarf in Thüringen signalisiert wird, mehr geben darf. Ich denke, da wäre dann wirklich das Programm verfehlt. Es muss eine quantitative und qualitative - ich lege Wert auf diese Kombination - der Entwicklung von Ganztagsschule geben können. Thüringer Schülerinnen und Schüler dürfen hier nicht benachteiligt werden.

(Beifall bei der PDS)

Eine zweite Bemerkung: Nach Artikel 1 und Artikel 4 sind Landesregelungen für die Umsetzung des Programms zwingend notwendig. Das ist in anderen Reden ebenfalls schon angeklungen. In diesen Regelungen sollten aber nach unserer Auffassung auch Kriterien für die Auswahl der Vorhaben, denn dafür ist das Land zuständig, enthalten sein, um für die Öffentlichkeit einfach Transparenz herzustellen, wie denn nun diese Auswahl der Vorhaben erfolgt.

Und eine zweite Bemerkung zu diesen Landesregelungen: Das Dilemma, wie wir es bei der Richtlinie für die Schuljugendarbeit erlebt haben - ich meine diesen Entwicklungszeitraum und die damit verbundenen Probleme

sollte sich nun hier wirklich nicht wiederholen.

Noch zu Artikel 1, zu dem Vorliegen pädagogischer Konzepte: Das finde ich gut, dass das so zwingend formuliert wird, auch mit der zusätzlichen Betonung "fachlich". Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, Herr Minister, werden wir im nächsten Ausschuss sicher beraten können.

Das können Sie jetzt auch nicht mehr tun, Frau Stangner, Ihre Zeit ist nämlich um.

Darf ich noch einen Satz sagen?

Einen Satz zum Schluss.

Ich möchte noch einen Satz sagen. In der Präambel werden Erwartungen an die Ganztagsschule beschrieben, die kann sie natürlich nicht erfüllen, wenn wir nicht eine Nachhaltigkeit bekommen, das heißt über 2007 hinaus etwas passiert, wenn die Personalkonzepte nicht geklärt werden und die anderen Fragen, die heute angesprochen worden sind. Die Unterzeichnung des Programms ist für mich nur ein erster Schritt, die Umsetzung wird ein viel schwierigerer Schritt sein. Dazu wünsche ich mir, dass wir alle an einem Strang ziehen. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

So viel Gemeinsamkeit beim Thema "Bildung". Damit schließe ich den ersten Teil der Aktuellen Stunde und komme zum zweiten Teil

b) auf Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: "Zu erwartende Auswirkungen auf Thüringen im Zusammenhang mit der Einführung einer Lkw-Maut am 31. August 2003" Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/3280

Ich darf als ersten Redner Herrn Buse, PDS-Fraktion, aufrufen.

Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren, bekanntlich soll die Maut, oder wie man es in amtsdeutsch sagen würde, "die streckenbezogene Gebühr für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen", ab 31. August kommen. Im Gesetz ist geregelt, wie die Höhe berechnet wird und welche Bedingungen dazu gelten. Und wenn die antragstellende Fraktion in der Aktuellen Stunde zu diesem Thema die Frage nach den Auswirkungen auf Thüringen aufwirft, bleibt festzustellen: Die Einfühung der Lkw-Maut wird zu einer deutlichen Mehrbelastung der Spediteure und Transportunternehmen auch in Thüringen führen. Diese Antwort ist meines Erachtens, deswegen hatte ich "auch" eingefügt, unabhängig davon, ob es in Thüringen oder einem anderen Bundesland besprochen wird. Es dürfte unstrittig sein, dass die ohnehin unter großem Wettbewerbsdruck stehende Branche mit geringen Gewinnmargen die Mehrbelastungen nicht kompensieren und auch nicht tragen kann und dass eine ganze oder teilweise Weitergabe der Mautaufwendungen zu Preiserhöhungen für Erzeugnisse und auch Leistungen führen wird. Die Endbelasteten werden letztlich die Bürgerinnen und Bürger Thüringens, Deutschlands und weiterer Verbaucherländer sein, denn immerhin rechnet der Bundesverband des Verkehrsgewerbes mit zusätzlichen Transportkosten bei mautpflichtigen Lkws von etwa 15.000   $ /*01     ca. 20.000   $ !" .    fortfälligkeit der Lkw-Maut und der in Deutschland üblichen Zahlungsziele von 60 bis 90 Tagen bei Frachtzahlern sowie der erst im Folgejahr auf Antrag zu erstattenden Anteile gezahlter Mineralölsteuer wird diese zusätzliche finanzielle Last, also die Mautvorfinanzierung, für eine Reihe von Unternehmen die wirtschaftliche Lage weiter drastisch verschärfen. Der Verband der Thüringer Verkehrsgewerbe sieht jedenfalls durch die Maut mehrere tausend Arbeitsplätze im Freistaat in Gefahr. Es wurde in den Pressemitteilungen auch eine Zahl von 5.000 in Gefahr befindlichen Arbeitsplätzen genannt, insbesondere dadurch, dass die finanziellen Entlastungen für die Branche nach ihrer Auffassung viel zu gering ausfallen. Statt der vorgesehenen, bisher im Gesetz verankerten 300 Mio.  fordert die Branche bekanntlich 600 Mio. $ !

Meine Damen und Herren, diese Belastungen des Verkehrsgewerbes existieren unabhängig davon, ob die Frachtunternehmen in Thüringen oder in anderen Bundesländern, ob in den neuen oder den alten ihren Firmensitz haben. Wie Sie daraus ersehen können, ist das bloße Anhängen des Themenbezugs auf Thüringen allenfalls geeignet, das Thema nach der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung des Thüringer Landtags zu setzen und ein politisches Wortgefecht zu führen, bei dem der Schuldige nach Auffassung der antragstellenden CDU-Fraktion sicherlich längst feststeht, nämlich die rotgrüne Bundesregierung.

Diese Art von Themen im Rahmen Aktueller Stunden ist es, wie ich meine, die wirklich zu hinterfragen ist und nicht

die Standpunktbildungen und Äußerungen zu außergewöhnlichen Problemen, zu denen es ja Gutachten gibt, ob wir uns damit im Landtag überhaupt beschäftigen dürfen.

(Beifall bei der PDS)

Verehrte Kollegen der CDU-Fraktion, auch wir sehen die Mehrbelastung aus dieser Lkw-Maut, ich glaube, das habe ich ausgedrückt. Es bleibt für mich aber trotzdem zweifelhaft, ob damit die fehlende Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im europäischen Straßenlastverkehr, die existiert, auszugleichen ist. Zum anderen verstärkt die Maut die Unterschiede bei der Beteiligung der Nutzer unterschiedlicher Verkehrswege in den jeweiligen Unterhaltungskosten. Wir sehen auch, dass das Gesetz bundesratszustimmungspflichtige Bestandteile hat. Vielleicht hat auch die CDU-Fraktion mit ihrer Beantragung der Aktuellen Stunde hellseherische Fähigkeiten gehabt, dass es ja nun nicht im Vermittlungsausschuss zu einer Klärung der strittigen Probleme gekommen ist und seit gestern eine Arbeitsgruppe beauftragt ist, die strittigen Fragen zu klären. In diesem Sinne ist - bitte?

(Zwischenruf Gnauck, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Wir haben doch den Vermitt- lungsausschuss angerufen!)